Bundesgerichtshof
Urt. v. 19.06.1985, Az.: IVb ZR 30/84
Anrechnung von darlehnsweise gewährten Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG) als Bedarfsminderung auf den Unterhaltsanspruch eines volljährigen Studenten gegen seine Eltern; Monatlicher finanzieller Bedarf eines nicht bei seinen Eltern lebenden Studenten; Anspruch auf Zahlung von Unterhalt gegenüber Verwandten; Möglichkeit zur Kreditaufnahme zur Vermeidung der Unterhaltsbedürftigkeit
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 19.06.1985
- Aktenzeichen
- IVb ZR 30/84
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1985, 13301
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Oldenburg - 30.03.1984
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- FamRZ 1985, 916
- MDR 1985, 1007-1008 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1985, 2331-2332 (Volltext mit amtl. LS)
Redaktioneller Leitsatz
Die lediglich darlehensweise gewährten BAföG - Leistungen können als Bedarfsminderung auf den Unterhaltsanspruch eines volljährigen Studenten gegen seine Eltern (hier: gegen den Vater) angerechnet werden.
In dem Rechtsstreit
hat der IVb - Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juni 1985
durch
den Vorsitzenden Richter Lohmann und
die Richter Portmann, Dr. Blumenröhr, Dr. Zysk und Nonnenkamp
am 19. Juni 1985
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 30. März 1984 wird auf Kosten der Kläger zu 1. und 2. zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Kläger zu 1. bis 3. sind volljährige Kinder des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe. Sie nehmen ihn auf Unterhalt ab 1. Oktober 1982 in Anspruch. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin zu 3. ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens; über ihn hat das Berufungsgericht rechtskräftig entschieden.
Die Kläger zu 1. und 2. (fortan: die Kläger) befinden sich seit Oktober 1982 im Studium. Jeder von ihnen bezieht seit Februar 1983 monatlich 647 DM Leistungen nach demBundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Die Bescheide gehen von je 720 DM als monatlichem Gesamtbedarf aus. Darauf wird den Klägern das Einkommen des Beklagten mit je 72,51 DM angerechnet, so daß sich der Förderungsbetrag von - gerundet - (720 DM - 72,51 DM =) 647 DM ergibt. Davon wurden zunächst jeweils 497 DM als Zuschuß und 150 DM als Darlehen gewährt. Seit 1. Oktober 1983 erhält der Kläger zu 1. jedoch den gesamten Betrag von 647 DM darlehnsweise. Im Berufungsverfahren haben die Kläger erklärt, sie wollten sich entgegenhalten lassen, daß sie bei rechtzeitiger Antragstellung die Ausbildungsförderung in gleichem Umfange wie ab Februar 1983 schon ab Oktober 1982 erhalten hätten. Das staatliche Kindergeld, das an ihre Mutter ausgezahlt wird, lassen sie sich bedarfsmindernd anrechnen.
Von den im ersten Rechtszug geltend gemachten Ansprüchen auf Zahlung von je 641,67 DM ab 1. Oktober 1982 hat der Beklagte Teilansprüche in Höhe von je 150 DM ab 1. November 1982 anerkannt; er ist gemäß diesem Anerkenntnis verurteilt worden. Die weitergehende Klage hat das Amtsgericht - Familiengericht - abgewiesen. Die Berufung der Kläger, mit der beide für Oktober 1982 je 145 DM, ab Januar 1983 über die anerkannten und zugesprochenen 150 DM hinaus monatlich je 32 DM und der Kläger zu 1. ab Oktober 1983 monatlich 529 DM verlangt haben, ist ohne Erfolg geblieben. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgen - die Kläger ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I.
In Anlehnung an die Düsseldorfer Tabelle ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Bedarf jedes der Kläger höchstens 765 DM beträgt (monatlicher Bedarf eines Studenten, der nicht bei einem Elternteil wohnt). Das begegnet keinen rechtlichen Bedenken; auch die Revision erhebt solche nicht.
Dieser monatliche Bedarf, auf dessen Erfüllung die studierenden Kläger nach § 1610 Abs. 2 BGB Anspruch haben, ist nach der Auffassung des Berufungsgerichts durch das staatliche Kindergeld (je 123,33 DM im Oktober 1982 und je 86,67 DM ab Januar 1983), durch den gemäß dem Anerkenntnis zugesprochenen Unterhalt für die Zeit ab November 1982 und durch die BAföG-Leistungen gedeckt.
II.
Die Revision beanstandet allein, daß das Berufungsgericht auch denjenigen Teil der BAföG-Leistungen, der darlehnsweise gewährt wird, bedarfsmindernd berücksichtigt hat. Das angefochtene Urteil entspricht jedoch auch insoweit der Rechtslage.
1.
Unterhaltsberechtigt gegenüber Verwandten ist nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB). Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, daß als Zuschuß gewährte Förderungsleistungen nach dem BAföG den Unterhaltsbedarf des Empfängers - ganz oder teilweise - decken und deshalb seinen bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch ausschließen oder verringern. Etwas anderes würde gelten, wenn die Ausbildungsförderung in dem Sinne subsidiär gewährt würde, daß Vorausleistungen nach Überleitung (oder infolge Übergangs;§ 37 Abs. 1 BAföG i.d. Fassung vom 6. Juni 1983, BGBl I 645; vgl. Blanke Ausbildungsförderungsrecht 13. Aufl.§ 37 BAföG Fn. 81) des Unterhaltsanspruchs von dem Unterhaltsverpflichteten zurückgefordert werden könnten (BGH Urteil vom 24. Oktober 1979 - IV ZR 171/78 - FamRZ 1980, 126, 128). Das ist indes hier nicht der Fall; die Förderung erfolgt nicht durch Vorausleistungen i.S. von § 36 BAföG.
2.
Die BAföG-Leistungen mindern auch insoweit die Bedürftigkeit der Kläger, als sie darlehnsweise gewährt werden.
a)
Allerdings hat der Bundesgerichtshof in dem bereits genannten Urteil vom 24. Oktober 1979 in einem Fall, der nachehelichen Unterhalt betraf, lediglich für solche BAföG-Leistungen, die nicht nur darlehnsweise gewährt werden, ausgesprochen, sie seien nach§ 1577 Abs. 1 BGB als Einkünfte auf den Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Ehegatten anzurechnen (aaO S. 128). Eine nähere Begründung für diese Einschränkung, auf die es in jenem Falle für die Entscheidung nicht ankam, enthält das Urteil nicht. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist jedoch der Meinung, BAföG-Darlehen beeinflußten den Unterhaltsanspruch des Geförderten nicht, überwiegend gefolgt (vgl. zuletzt OLG Karlsruhe FamRZ 1984, 927 [OLG Karlsruhe 03.01.1984 - 16 WF 295/83]; weitere Nachweise bei Graba FamRZ 1985, 118, 119 Fn. 24), wenn sich auch neuerdings in Leitlinien und Rechtsprechungshinweisen zunehmend die gegenteilige Beurteilung findet; s. Kölner Unterhaltsrichtlinien FamRZ 1985, 24, 26 unter A IV 8.3: Anrechnung von darlehnsweise gewährten BAföG-Leistungen nach Billigkeit; Leitlinien der Familiensenate des OLG Bremen FamRZ 1985, 28, 29 zu A und B Anm. I 2 b: vollständige Anrechnung auch bei darlehnsweiser Gewährung (Ausnahme: Vorausleistungen nach § 36 BAföG); Hinweise der Münchner Familiensenate FamRZ 1983, 20, 21 unter Kindesunterhalt 2.3: volle Anrechnung der BAföG-Leistungen (auch Darlehen); ebenso Graba aaO.
b)
Im Unterhaltsrecht obliegt es unter Umständen dem Verpflichteten, zur Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit einen Kredit aufzunehmen (Senatsurteil vom 20. Januar 1982 - IVb ZR 651/80 - FamRZ 1982, 365, 366 f.). Für den Unterhaltsberechtigten gilt Entsprechendes. Er hat die Möglichkeit zur Kreditaufnahme auszunutzen, um nicht unterhaltsbedürftig zu werden. Diese Obliegenheit zur Selbsthilfe besteht freilich nur im Rahmen des Zumutbaren (Senatsurteil vom 7. April 1982 - IVb ZR 681/80 -FamRZ 1982, 678, 679; BGH Urteil vom 9. November 1965 - VI ZR 260/73 - FamRZ 1966, 28, 29; OLG Hamburg FamRZ 1980, 912, 913; BGB-RGRK/Mutschler 12. Aufl. § 1602 Rdn. 23; Palandt/Diederichsen BGB 44. Aufl. § 1602 Anm. 2 b; Soergel/Lange BGB 11. Aufl.§ 1602 Rdn. 3). Eine weitere Einschränkung gilt bei minderjährigen unverheirateten Kindern, die nach § 1602 Abs. 2 BGB schon den Stamm ihres Vermögens und erst recht möglichen Kredit nicht in Anspruch zu nehmen brauchen (vgl. Göppinger/ Wenz Unterhaltsrecht 4. Aufl. Rdn. 1214). Die Kläger sind jedoch volljährig.
c)
Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat - wie schon das Amtsgericht - ausgeführt, die Aufnahme des Kredites in Form der darlehnsweise gewährten BAföG-Leistungen sei den Klägern bei angemessener Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen im Hinblick auf die außerordentlich günstigen Darlehensbedingungen zumutbar. Das hält der rechtlichenÜberprüfung stand:
Bei dem Besuch von Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen wird Ausbildungsförderung nunmehr - abgesehen von dem Ausnahmefall der Übergangsregelung in § 66a Abs. 4 BAföG, die für den Kläger zu 2. eingreift - nur noch als Darlehen gewährt (§ 17 Abs. 2 BAföG i.d. Fassung vom 6. Juni 1983, BGBl I - 645). Das Darlehen ist zinslos (§ 18 Abs. 1 BAföG). Es ist in gleichbleibenden monatlichen Raten, mindestens solchen von 120 DM, innerhalb von 20 Jahren zurückzuzahlen. Die erste Rate ist erst fünf Jahre nach dem Ende der Förderungshöchstdauer (vgl. § 15 BAföG) zu leisten (§ 18 Abs. 3 BAföG). Das Darlehen kann vorzeitig zurückgezahlt werden; dann wird auf Antrag ein Nachlaß von der Darlehensschuld gewährt (§ 18 Abs. 5 b BAföG). Der Darlehensnehmer ist zur Rückzahlung nur verpflichtet, soweit sein Einkommen bestimmte, nach Familienstand und Kinderzahl gestaffelte Beträgeübersteigt (§ 18a BAföG). 25 vom Hundert der Darlehensschuld werden ihm erlassen, wenn er nach dem Ergebnis der Abschlußprüfung zu den ersten 30 vom Hundert der Geförderten gehört, die die Prüfung in demselben Kalenderjahr abgelegt haben. 5.000 DM werden auf Antrag bei erfolgreichem Abschluß des Studiums vor Ende der Förderungshöchstdauer erlassen. Weiterhin können bestimmte soziale Gründe zu einem Teilerlaß führen (§ 18b BAföG).
Das Darlehen nach § 17 Abs. 2 BAföG wird mithin unter sehr günstigen Bedingungen gewährt. Die Zinslosigkeit und zudem die schonenden Vorschriften über die Rückzahlung lassen die Belastung des nach dem Studium mit einer hochqualifizierten Ausbildung in das Berufsleben eintretenden Geförderten als gering erscheinen. Im vorliegenden Fall sind bei gleichbleibend hoher Förderung und ohne einen Teilerlaß der Rückzahlungsverpflichtung für den Kläger zu 1. monatliche Rückzahlungsraten von weniger als 150 DM und für den Kläger zu 2. solche von nur 120 DM zu erwarten. Besondere Anhaltspunkte dafür, daß die Einkommensmindestbeträge, von deren Überschreiten nach § 18a BAföG die Rückzahlungspflicht abhängt, zum Unterhalt der Kläger nicht ausreichen würden, sind nicht ersichtlich.
Auf der anderen Seite haben die nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen, im Regelfall also die Eltern, ihre Kinder, die jetzt Ausbildungsförderung durch Darlehen erhalten können, im allgemeinen bereits über die sonst übliche Ausbildungszeit hinaus bis hin zur Erlangung der Hochschulreife unterhalten. Sie selbst gelten nach dem System der Einkommens- und Vermögensanrechnung in §§ 21 ff. und 26 ff. BAföG in Höhe der als Ausbildungsförderung in Betracht kommenden Darlehensbeträge als nicht leistungsverpflichtet, so daß jedenfalls nicht von besonders günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen und deshalb nicht davon ausgegangen werden kann, daß ihnen die Unterhaltsgewährung leicht fällt. All dies gilt auch im vorliegenden Fall.
Eine Gesamtschau dieser Umstände rechtfertigt es, die eigene Finanzierung des eine gehobene Berufsausbildung vermittelnden Studiums durch die günstigen BAföG-Darlehen, auf die nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen ein Anspruch besteht, im Falle der Kläger als zumutbar anzusehen. Besondere Umstände, die eine andere Beurteilung veranlassen könnten, sind weder festgestellt noch behauptet.