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Bundesgerichtshof
Urt. v. 18.06.1985, Az.: X ZR 71/84

Beweislastverteilung bei objektiver Pflichtverletzung; Verletzung der freien Beweiswürdigung wegen fehlerhafter Beweislastverteilung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
18.06.1985
Aktenzeichen
X ZR 71/84
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1985, 13267
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Celle - 27.06.1984

Fundstellen

  • BauR 1985, 704
  • WM 1985, 1245

Redaktioneller Leitsatz

Läßt sich eine bestimmte Schadensursache nicht - durch Sachverständigengutachten - feststellen, bleibt der dem Schuldner obliegende Entlastungsbeweis, daß er die ihm vorgeworfene Vertragsverletzung nicht zu vertreten habe, auch weiterhin bestehen.

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 1985
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Ballhaus und
die Richter Dr. Bruchhausen, Ochmann, Prof. Dr. Windisch und Brodeßer
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 27. Juni 1984 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Firma Rh. Braunkohlenwerke beauftragte eine aus mehreren Firmen bestehende Arbeitsgemeinschaft (ARGE) mit Bohrungen, wobei die Beklagte als deren Subunternehmer in die Bohrarbeiten durchführte. Der Klägerin übertrug sie die geophysikalische Vermessung der Bohrlöcher. Bei diesen Arbeiten leistete die Beklagte der Klägerin Hilfe. Dabei löste sich von einer von der Beklagten gestellten hydraulischen Winde das Seil und die beiden daran befestigten Sonden der Klägerin gingen im Bohrloch verloren.

2

Die Klägerin verlangt für den Verlust der Sonden von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 65.515,99 DM nebst Zinsen und Mehrwertsteuer. Die Beklagte hat ihr Verschulden und die Höhe des Schadens bestritten sowie behauptet, den Bohrturmführer sorgfältig ausgewählt und überwacht zu haben.

3

Das Landgericht hat dem Klagebegehren aus § 823, 831 Abs. 1 BGB stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen.

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Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

5

Die Beklagte verfolgt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

I.

Das Berufungsgericht hat das Zustandekommen eines Vertrages zwischen den Parteien, auf den der Schadensersatzanspruch gestützt werden könne, verneint. Es hat auch § 642 BGB als Anspruchsgrundlage ausgeschlossen, zumindest aber eine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit angenommen, wofür die Klägerin nichts vorgetragen habe. Es könne aber, so hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Verletzung der aus dem Vertrag mit Rh. abzuleitenden Schutzwirkung zugunsten der Klägerin vorliegen, so daß der Klageanspruch sich unmittelbar gegen die Beklagte richten könne. Die beweispflichtige Klägerin habe aber den Nachweis für das Verschulden der Beklagten nicht geführt. Da eine Schadensursache nicht habe festgestellt werden können, sei die Ursache des Schadens dem Bereich des Zufalls zuzuschreiben. Die Klägerin habe noch nicht einmal eine ursächlich objektive Pflichtverletzung der Beklagten nachgewiesen. Schließlich sei der Klageanspruch nicht nach §§ 823, 831 Abs. 1 BGB begründet, da der Bohrturmführer der Beklagten, der die Winde bedient habe, bei dieser Tätigkeit als Verrichtungsgehilfe der Klägerin tätig geworden sei. Es fehle auch der von der Klägerin zu erbringende Nachweis fehlerhafter Wartung oder eines Defekts der Winde.

8

II.

1.

Die Revision rügt die Verletzung des § 286 ZPO, da dem Berufungsurteil nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sei, ob das Berufungsgericht den Nachweis des Verschuldens oder bereits den der objektiven Pflichtverletzung als nicht geführt ansehe. Es fehlten auch eindeutige Feststellungen über den schadensverursachenden Umstand. Das Berufungsgericht habe darüber hinaus die Beweislastverteilung (§ 282 BGB) verkannt. Die objektive Pflichtverletzung habe darin gelegen, daß die Beklagte in Ausführung ihrer vertraglichen Pflicht zur Hilfeleistung eine hydraulische Winde zum Einsatz gebracht habe, die zu einem gefahrlosen Einführen der Sonde in die Bohrlöcher objektiv nicht geeignet gewesen sei. Es genüge als Beweis einer objektiven Pflichtverletzung die Tatsache, daß der Gläubiger bei der Abwicklung eines Vertrages geschädigt worden sei. Schließlich rügt die Revision, daß das Berufungsgericht sich eine ihm nicht zukommende Sachkunde angemaßt habe. Das ergebe sich nicht nur aus den komplizierten technischen Zusammenhängen, sondern eindeutig auch daraus, daß selbst der gerichtliche Sachverständige nicht in der Lage gewesen sei, eine bestimmte Schadensursache festzustellen und damit eine eindeutige Entscheidungsgrundlage zu liefern. Das Berufungsgericht hätte daher einen weiteren Gutachter hinzuziehen müssen.

9

2.

Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision gegen die Beweislastverteilung nicht stand.

10

Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die Beklagte die Klägerin bei der Durchführung der Vermessungsarbeiten gemäß Vereinbarung zwischen der Firma Rh. Braunkohlenwerke als gemeinsame Auftraggeberin der Klägerin und der ARGE, für die die Beklagte als Subunternehmer tätig geworden war, unterstützt hat. Die Parteien standen damit zwar nicht in unmittelbaren Vertragsbeziehungen zueinander. Die unterstützende Tätigkeit der Beklagten löste aber eine Schutzwirkung und insbesondere eine Obhutspflicht zugunsten der Klägerin aus, da diese ihre Leistung gegenüber der Gläubiger in, der Firma Rh. Braunkohlenwerke, nur dann erbringen konnte, wenn sie bei der Durchführung ihrer Vermessungsarbeiten durch die ARGE und damit auch durch die Beklagte durch Zurverfügungstellung von Gerät und Personal unterstützt wurde. Daraus ergibt sich ein unmittelbarer Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus der Verletzung vertraglicher Schutzpflichten, wenn die Beklagte bei ihrer unterstützenden Tätigkeit der Klägerin Schaden zugefügt hat und nicht nachweisen kann, daß dieser Schaden bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht zu vermeiden war.

11

Das Berufungsgericht hat zu Unrecht den Nachweis einer objektiven Pflichtverletzung durch die Klägerin vermißt. Es trifft zwar zu, daß grundsätzlich derjenige, der Schadensersatz fordert, die anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls unter Beweis zu stellen hat, also auch die objektive Pflichtverletzung, auf die der Schaden zurückzuführen ist.

12

Die Klägerin hat diesen Beweis geführt, was das Berufungsgericht verkannt hat. Es ist unstreitig, daß zwei ihrer Sonden mit einer hydraulischen Winde der Beklagten und von deren Personal in das Bohrloch herabgelassen worden und dabei in Verlust geraten sind. Damit steht fest, daß der Schaden (objektiv) durch das Gerät und/oder das Personal der Beklagten verursacht worden ist. Nach Ziffer VI des Leistungsverzeichnisses von Rh. war die Bohrmannschaft während der Durchführung der geophysikalischen Messungen zur Hilfeleistung nach Anweisung des Meßtruppführers der Klägerin verpflichtet. Die Verpflichtung bedeutete, die Sonden an der Winde anzubringen und sie bis zu einer bestimmten Tiefe in das Bohrloch herabzulassen, um der Klägerin die Durchführung der Vermessungsarbeiten zu ermöglichen. Diese Verpflichtung hat die Beklagte objektiv verletzt. Nunmehr obliegt es der Beklagten darzutun und zu beweisen, daß sie diese Vertragsverletzung nicht zu vertreten hat, daß also der Verlust der Sonden nicht auf ihr schuldhaftes Verhalten oder ein solches ihres Personals (Bedienungs- oder Wartungsfehler oder die schuldhafte Verwendung eines ungeeigneten, nicht einsatzfähigen Geräts) zurückzuführen ist. Diesen Entlastungsbeweis hat die Beklagte nicht geführt. Der gerichtliche Sachverständige hat eine bestimmte Ursache nicht feststellen können, und die Aussage des Zeugen Ba. hat in dieser Richtung ebenfalls kein Ergebnis erbracht.

13

Wenn das Berufungsgericht nach diesem Ergebnis, das zu Lasten der insoweit beweispflichtigen Beklagten geht, trotzdem zu der Schlußfolgerung gelangt, die Ursache des Schadens liege im Bereich des Zufalls, so ist darin ein Verstoß gegen § 286 ZPO zu sehen. Da der gerichtliche Sachverständige keine der möglichen Ursachen für den Verlust ausschließen konnte, durfte auch das Berufungsgericht auf dieser Grundlage nicht zu einem anderen Ergebnis gelangen; denn für die Feststellung, es habe ein zufälliges Ergebnis den Schaden verursacht, fehlte ihm nicht nur die Sachkunde, es hat vor allem auch keine Tatsachen festgestellt, die eine solche Schlußfolgerung erlaubten. Allein nach dem Tatsachenstand, daß keine Ursache auszuschließen sei, kann ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nicht gefolgert werden, es beruhe auf einem Zufall, daß sich das Seil von der Trommel vollständig abgewickelt habe.

14

3.

Das Berufungsurteil ist sonach aufzuheben. Da der Sachverhalt noch nicht zur Entscheidung reif ist, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

15

Dieses wird - von der hier dargelegten Beweislastverteilung ausgehend - den Parteien Gelegenheit geben müssen, ihren Vortrag auf diese Rechtslage abzustimmen, insbesondere der Beklagten Gelegenheit zur Darlegung von Entlastungstatsachen gegebenenfalls unter Beweisantritt geben müssen. Unter Berücksichtigung dieses zu erwartenden neuen Vortrags wird das Berufungsgericht auch zu prüfen haben, ob nicht ein anderer gerichtlicher Sachverständiger - falls eine Beweiserhebung notwendig werden sollte - anhand einer - bisher nicht stattgefundenen - Besichtigung der verwendeten hydraulischen Winde und unter - bisher unterbliebener - Berücksichtigung ihrer technischen Daten zu der Frage der Verursachung zu hören ist.

16

III.

Die Kostenentscheidung ist dem Berufungsgericht vorzubehalten, da der Ausgang des Rechtsstreits ungewiß ist.

Ballhaus
Bruchhausen
Ochmann
Windisch
Brodeßer