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Bundesgerichtshof
Urt. v. 25.02.1985, Az.: VIII ZR 116/84

Verlängerungsoption; Nachträgliche Geltendmachung; Vollstreckungsklage; Geltendmachung; Räumungsurteil; Beschränkung der Einwendungsmöglichkeit

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
25.02.1985
Aktenzeichen
VIII ZR 116/84
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1985, 13481
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHZ 94, 29 - 35
  • DB 1985, 1887
  • JZ 1985, 750
  • MDR 1985, 574 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1985, 2481-2482 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1985, 721
  • WuM 1985, 295 (amtl. Leitsatz)

Redaktioneller Leitsatz

Redaktioneller Leitsatz:

Zur nachträglichen Geltendmachung einer Verlängerungsoption des rechtskräftig zur Räumung verurteilten Mieters durch Vollstreckungsgegenklage:

1. Die Geltendmachung wird nicht durch die materielle Rechtskraft des im Vorprozeß ergangenen Räumungsurteils gehindert.

2. Ein Ausschluß der nachträglichen Geltendmachung allein nach Abs. 2 ist unwirksam.

3. Unter Heranziehung der für gesetzliche Gestaltungsrechte in der Rechtsprechung entwickelten Beschränkung der Einwendungsmöglichkeit ist ein Ausschluß der nachträglichen Geltendmachung möglich.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist gewerblicher Mieter, die Beklagte Vermieterin eines ihr gehörenden Grundstücks. Der schriftlich abgeschlossene Mietvertrag sieht eine Laufzeit bis 31. Dezember 1985 vor. In § 2 ist dem Mieter das Recht eingeräumt worden, durch einseitige, spätestens zwölf Monate vor Ablauf des Vertrages abzugebende Erklärung die Dauer des Mietvertrages um zehn Jahre - bis zum 31. Dezember 1995 - zu verlängern.

2

Anfang 1981 erhob die Beklagte gegen den Kläger Klage auf sofortige Räumung, hilfsweise auf Räumung zum 31. Dezember 1985. Durch rechtskräftiges Urteil vom 7. Januar 1983 gab das Berufungsgericht diesem Hilfsbegehren statt. Zur Begründung führte es u. a. aus, das dem Kläger in § 2 des Mietvertrages eingeräumte Optionsrecht stehe der Verurteilung zur künftigen Räumung nicht entgegen. Andererseits nehme eine solche Verurteilung dem Kläger auch nicht die Befugnis, die Option später auszuüben. Wegen der sich hieraus ergebenden Änderungen stehe dem Kläger der Weg des § 767 ZPO offen.

3

Mit Einschreiben vom 31. Januar 1983 übte der Kläger die Option aus und forderte die Beklagte auf, ihm die vollstreckbare Ausfertigung des Räumungsurteils herauszugeben und die Vertragsverlängerung zu bestätigen.

4

Da die Beklagte diesem Verlangen nicht entsprach, hat der Kläger die vorliegende Vollstreckungsabwehrklage erhoben. Er vertritt die Auffassung, die Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsurteil sei unzulässig, nachdem er von seinem Optionsrecht Gebrauch gemacht habe.

5

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

6

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Kläger habe ein - von der Beklagten in den Vorinstanzen in Abrede gestelltes - Rechtsschutzinteresse daran, gemäß § 767 ZPO die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsurteil vom 7. Januar 1983 schon jetzt feststellen zu lassen, obwohl aus dem Urteil erst nach Ablauf des 31. Dezember 1985 vollstreckt werden darf (§ 751 Abs. 1 ZPO).

7

Hiergegen wendet sich die Revision nicht. Die Auffassung des Berufungsgerichts ist aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden. Die Vollstreckungsabwehrklage ist grundsätzlich zulässig, sobald und solange der Gläubiger einen vollstreckbaren Titel in Händen hat und die Zwangsvollstreckung daraus nicht beendet ist.

8

II. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt somit allein davon ab, ob die Ausübung der hier vereinbarten Option eine Einwendung im Sinne des § 767 Abs. 1 ZPO begründet (1) und - gegebenenfalls - der Kläger diese Einwendung im vorliegenden Prozeß verfahrensrechtlich geltend machen kann (2). Beide Fragen sind zu bejahen.

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1. Unter § 767 ZPO fallen alle Einwendungen, die den durch den Titel festgestellten sachlich-rechtlichen Anspruch selbst betreffen. Auf eine solche Einwendung stützt der Kläger, wovon das Berufungsgericht unausgesprochen und von der Revision unangegriffen ausgeht, sein Klagebegehren.

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a) Festgestellt wurde durch das Urteil des Vorprozesses ein künftiger Räumungsanspruch der Beklagten, der sich, weil der Kläger von seinem Optionsrecht noch keinen Gebrauch gemacht hatte, nach der damaligen Rechtslage mit dem Ablauf der vereinbarten Vertragszeit - dem 31. Dezember 1985 - als begründet erwies.

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b) Die spätere Ausübung der dem Kläger in § 2 des Mietvertrages eingeräumten Option war geeignet, diesen künftigen Räumungsanspruch zum Erlöschen zu bringen. Eine Option, die dem Mieter - wie hier - die Befugnis gewährt, durch einseitige Erklärung das bestehende Mietverhältnis um eine bestimmte Zeit zu verlängern, ist ein vertraglich eingeräumtes Gestaltungsrecht (vgl. Senatsurteile vom 14. Juli 1982 - VIII ZR 196/81 = WM 1982, 1084, 1086; vom 20. Dezember 1967 - VIII ZR 119/65 = WM 1968, 100, 103 = NJW 1968, 551, 552; MünchKomm/Kramer 2. Aufl. Rdn. 61 vor § 145 BGB). Dessen Ausübung wirkt unmittelbar auf das bestehende Mietverhältnis in dem Sinne ein, daß die Laufzeit des Vertrages mit der Abgabe der Optionserklärung ohne weiteres um die »Optionszeit« erweitert wird und damit ein Räumungsanspruch des Vermieters entfällt, der ohne Ausübung der Option bei Ablauf der zunächst vereinbarten Vertragsdauer bestanden hätte.

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2. Der Kläger ist aus prozessualen Gründen nicht gehindert, diese Folge seiner gestaltenden Willenserklärung mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen.

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a) Das Berufungsgericht hat insoweit ausgeführt, § 767 Abs. 2 ZPO stehe dem nicht entgegen, weil der Kläger von seiner Option erst nach Schluß der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses Gebrauch gemacht habe. Die Option sei im Rahmen des § 767 ZPO anders als sonstige Gestaltungsrechte zu behandeln, bei denen die Rechtsprechung überwiegend die Präklusionswirkung des § 767 Abs. 2 ZPO eingreifen lasse, wenn sie - obwohl objektiv möglich - nicht vor dem Verhandlungsschluß in den Tatsacheninstanzen ausgeübt würden. Von diesen Gestaltungsrechten unterscheide sich eine Option, wie sie dem Kläger eingeräumt worden sei, gerade dadurch, daß sie dem Mieter als einen ihrer Hauptzwecke die Vergünstigung einräume, mit ihrer Ausübung bis zu dem vereinbarten Zeitpunkt warten zu können. Jede andere Auslegung führe dazu, daß der Vermieter diese Entschlußfreiheit des Mieters schon bald nach Vertragsschluß hinfällig machen könnte, wenn er durch Erhebung der gemäß § 257 ZPO jederzeit möglichen Klage auf künftige Räumung den Mieter zwingen könnte, sich schon frühzeitig über die Ausübung der Option klarzuwerden.

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b) Demgegenüber macht die Revision geltend, aus der Ausübung des Optionsrechts könne der Kläger keinen nachträglichen Einwand herleiten. Dem stehe die materielle Rechtskraft des Räumungsurteils entgegen. Sie schließe Einwände aus, mit denen Entstehung und Fälligkeit des Räumungsanspruches zum 31. Dezember 1985 in Abrede gestellt würden. Da nämlich in einem nach § 257 ZPO ergangenen Urteil auf künftige Räumung das kalendermäßige Fälligkeitsdatum des Räumungsanspruches festzulegen sei, müsse das Gericht abschließend bejahen, daß zu dem angegebenen Datum der materiell-rechtliche Anspruch bestehen und fällig sein werde. Dies sei durch das Urteil des Vorprozesses geschehen. Durch die Entscheidung, daß der Beklagten zum 31. Dezember 1985 ein fälliger Räumungsanspruch zustehe, sei auch das Optionsrecht des Klägers in die Rechtskraftwirkung des Räumungsurteils einbezogen worden, weil das Bestehen und die Fälligkeit des Räumungsanspruches zum 31. Dezember 1985 durch die Nichtausübung der Option bedingt gewesen sei und ohne Verneinung des Optionsrechts der künftige Räumungsanspruch nicht habe festgestellt werden können.

15

c) Der Auffassung der Revision kann nicht gefolgt werden.

16

Die materielle Rechtskraft des im Vorprozeß zwischen den Parteien nach § 257 ZPO ergangenen Urteils hindert den Kläger nicht daran, sich mit der vorliegenden Klage auf die Gestaltungsfolge seiner Optionserklärung zu berufen.

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aa) Falls die Revision geltend machen will, durch die Zuerkennung des künftigen Räumungsanspruches sei auch rechtskräftig entschieden worden, daß dem Kläger keine Optionsbefugnis zustehe, verkennt sie den objektiven Umfang der Rechtskraft des Räumungsurteils. Gemäß § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile nur insoweit der Rechtskraft fähig, als über den durch die Klage oder die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Die Rechtskraft wird hiernach auf den unmittelbaren Streitgegenstand des Urteils, d. h. auf die Rechtsfolge beschränkt, die aufgrund eines bestimmten Sachverhaltes am Schluß der mündlichen Verhandlung den Gegenstand der Entscheidung bildet (BGH Urteil v. 17. Februar 1983 - III ZR 184/81 = NJW 1983, 2032 = WM 1983, 454; Stein/Jonas/Schumann/Leipold, ZPO 19. Aufl. § 322 Anm. VI 1; vgl. auch Senatsurteil v. 24. November 1982, BGHZ 85, 367, 374) [BGH 24.11.1982 - VIII ZR 263/81]. Nicht in Rechtskraft erwächst daher die Feststellung der zugrundeliegenden präjudiziellen Rechtsverhältnisse oder sonstigen Vorfragen, aus denen der Richter den Schluß auf das Bestehen oder Nichtbestehen der von der Klagepartei beanspruchten Rechtsfolge zieht (Senatsurteil v. 8. Februar 1965, BGHZ 43, 144, 145; BGH Urteil v. 17. Februar 1983 aaO m. w. Nachw.). Rechtskräftig geworden ist hier somit lediglich die im Urteil des Vorprozesses ausgesprochene Rechtsfolge, daß der Beklagten im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der damals geltend gemachte, auf den künftigen Ablauf der vertraglich vereinbarten Mietzeit gestützte Räumungsanspruch zustand. Das Optionsrecht des Klägers ist demnach durch das Urteil des Vorprozesses nicht rechtskräftig verneint worden.

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bb) Es fragt sich somit nur noch, ob die nachträgliche Geltendmachung der Option gemäß § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist. Dies ist zu verneinen.

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Die Vorschrift verwehrt die nachträgliche Berücksichtigung nur solcher gegen den festgestellten prozessualen Anspruch gerichteten Einwendungen und Einreden, die sich auf Tatsachen stützen, welche schon zur Zeit der letzten Tatsachenverhandlung vorgelegen haben. Dagegen sind Einwendungen zulässig und damit prozessual zu berücksichtigen, soweit die Gründe, auf denen sie beruhen, sich erst nach dem vorgenannten maßgeblichen Zeitpunkt ergeben haben. Das ist hier der Fall. Die Verlängerung des Mietvertrages um die Optionszeit und das dadurch bewirkte Erlöschen des durch das Urteil vom 7. Januar 1983 festgestellten Räumungsanspruches der Beklagten beruht auf der rechtsgestaltenden Optionserklärung des Klägers. Diese ist indessen erst nach Erlaß des Räumungsurteils abgegeben worden und daher eine nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung entstandene neue Tatsache im Sinne des § 767 Abs. 2 ZPO.

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Der Kläger hätte diese neu eingetretene Tatsache zwar schon vor der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses herbeiführen können; nach der vertraglichen Vereinbarung war er befugt, die ihm eingeräumte Option jederzeit bis zum 31. Dezember 1984 auszuüben. Diese Möglichkeit steht der Berufung des Klägers auf die nachträglich ausgeübte Option aber nicht entgegen. Ob eine die Rechtslage ändernde Tatsache schon früher hätte geschaffen werden können, ist für die Frage der Präklusion grundsätzlich ohne Bedeutung (BGH Urteile v. 22. Februar 1962 - II ZR 119/61 = LM Nr. 39 zu § 322 ZPO = WM 1962, 420, 421 a. E. und 11. März 1983 - V ZR 287/81 = WM 1983, 658, 659 unter 2 b aa; Stein/Jonas/Schumann/Leipold aaO § 322 Anm. X 3; Zöller/Vollkommer aaO § 322 Rdn. 62).

21

Hiervon macht die in der Rechtsprechung herrschende Meinung allerdings für gesetzliche Gestaltungsrechte eine Ausnahme, wenn die Partei - wie hier - schon während des Vorprozesses durch eine Erklärung die Rechtslage zu ihren Gunsten hätte beeinflussen können. Sie stellt insoweit nicht auf die Ausübung der Gestaltungsrechte, sondern auf den Zeitpunkt ihres Entstehens und die Befugnis zu ihrer Ausübung ab. Sie läßt dies als Entstehungstatbestand der Einwendung im Sinne des § 767 Abs. 2 ZPO mit der Folge genügen, daß die Gestaltungswirkung der erst nach der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung des Vorprozesses abgegebenen Erklärung nicht geltend gemacht werden kann (so für die Aufrechnung: BGHZ 24, 97, 98 [BGH 11.04.1957 - VII ZR 212/56];  34, 274, 279; Senatsurteil v. 14. Februar 1968 - VIII ZR 220/65 = WM 1968, 447; RGZ 64, 228, 230 und für die Anfechtung: BGHZ 42, 37, 39 ff.). In diesen Fällen verliert die gestaltungsberechtigte Partei also die Möglichkeit, frei darüber zu entscheiden, wann sie die Gestaltungsfolge herbeiführen will. Etwas anderes muß indessen - wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist - für die hier zu beurteilende Optionsbefugnis des Klägers gelten. Für dieses vertraglich eingeräumte Gestaltungsrecht ist der Zeitpunkt der Gestaltungserklärung maßgebend. Im Gegensatz zu Gestaltungsrechten, bei denen - wie bei der Aufrechnung oder Anfechtung - die Freiheit des Berechtigten, den Zeitpunkt der Abgabe der Gestaltungserklärung zu wählen, lediglich eine Nebenfolge, nicht aber der Zweck des Gestaltungsrechtes ist, liegt es gerade im Wesen eines dem Mieter gewährten Optionsrechtes, ihm die Entscheidungsfreiheit zu lassen, ob und gegebenenfalls wann er die Option ausübt. Dies gilt insbesondere, wenn, wie hier, die Mietsache gewerblich genutzt wird und daher der Entschluß, das Mietverhältnis auslaufen zu lassen oder durch Ausübung der Option zu verlängern, wesentlich von der oft schwer überschaubaren Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse abhängt. Dem Optionsberechtigten ist es daher im Gegensatz zum Aufrechnungs- oder Anfechtungsberechtigten nicht anzusinnen, von seiner Gestaltungsbefugnis ungeachtet seiner zeitlichen Wahlfreiheit immer schon dann Gebrauch zu machen, wenn er dadurch in einem gegen ihn geführten Prozeß die Rechtslage zu seinen Gunsten beeinflussen könnte (so auch im Ergebnis für das vertragliche Rücktrittsrecht und die ordentliche Kündigung: Zöller/Vollkommer aaO Rdn. 67 vor § 322).