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Bundesgerichtshof
Urt. v. 18.10.1984, Az.: III ZB 22/84

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist; Unverschuldete Fristversäumung durch Berufungspartei; Wiedereinsetzung; Fristversäumung; Unrichtige Fristberechnung; Vertretene Auffassung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
18.10.1984
Aktenzeichen
III ZB 22/84
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1984, 12870
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Stuttgart - 13.06.1984 - AZ: 10 U (Baul) 43/84

Fundstellen

  • MDR 1985, 471 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1985, 495-496 (Volltext mit red. LS)
  • VersR 1984, 1193

Verfahrensgegenstand

Die Umlegung "Z." in F.

Redaktioneller Leitsatz

Es ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Versäumung der Berufungsbegründungsfrist) zu gewähren, wenn der Prozeßbevollmächtigte bei Berechnung der Frist von der unrichtigen Auffassung eines OLG und der gängigen ZPO-Kommentare ausgegangen ist.

In der Baulandsache
hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Krohn und
die Richter Kröner, Boujong, Dr. Halstenberg und Dr. Werp
am 18. Oktober 1984
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der beteiligten Stadt wird der Beschluß des Senats für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13. Juni 1984 - 10 U (Baul) 43/84 - aufgehoben.

Der beteiligten Stadt wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der beteiligten Stadt sowie über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat durch Urteil vom 11. Januar 1984 den Umlegungsplan vom 5. März 1981 in der Form des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums K. vom 24. November 1981 aufgehoben. Die Stadt hat gegen das ihr am 30. Januar 1984 zugestellte Urteil am 29. Februar 1984 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 29. März 1984, eingegangen beim Oberlandesgericht am 30. März 1984, hat sie um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30. April 1984 gebeten. Diesen Antrag hat der Vorsitzende des Senats für Baulandsachen als verspätet zurückgewiesen.

2

Am 5. April 1984 hat die Stadt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und zur Begründung vorgetragen, ihr Verfahrensbevollmächtigter habe schuldlos angenommen, die einmonatige Begründungsfrist ende erst am Montag, den 2. April 1984. Am 12. April 1984 hat die Stadt ihre Berufung begründet.

3

Durch Beschluß vom 13. Juni 1984 hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Stadt gegen das landgerichtliche Urteil verworfen.

4

Die dagegen von der Stadt form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet, da dem Wiedereinsetzungsantrag nach§ 233 ZPO stattgegeben werden mußte, so daß die Berufung nicht verworfen werden durfte.

5

Nach § 519 Abs. 2 ZPO beträgt die Frist für die Berufungsbegründung einen Monat; sie beginnt mit der Einlegung der Berufung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Eine Verlängerung der Frist ist auch nach ihrem Ablauf statthaft, sofern dies bis zum Ablauf des letzten Tages der Frist beantragt worden ist (GSZ BGHZ 83, 217).

6

Das Berufungsgericht nimmt mit Recht an, daß der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erst nach Ablauf dieser Frist angebracht worden ist. Die einmonatige Begründungsfrist beginnt mit der Einlegung der Berufung, sie wird gemäß § 222 Abs. 1 ZPO nach den §§ 188 Abs. 2, 187 Abs. 1 BGB berechnet und endet demgemäß mit demjenigen Tage des der Einlegung folgenden Monats, der durch seine Zahl dem Anfangstag der Frist, also dem Tag der Einlegung entspricht (so schon BGHZ 5, 275, 277). Das war hier der 29. März 1984. Bis zum Ablauf dieses Tages hatte die Stadt weder eine Begründungsschrift noch einen Antrag auf Verlängerung der Frist beim Berufungsgericht eingereicht. Die Stadt hat daher die Begründungsfrist versäumt.

7

Nach § 233 ZPO ist einer Partei die Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Dabei steht ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts beruht die Versäumung der Begründungsfrist jedoch nicht auf einem vorwerfbaren Rechtsirrtum des Verfahrensbevollmächtigten der Stadt.

8

Allerdings war dessen Ansicht, die Begründungsfrist ende erst mit Ablauf des 2. April 1984, falsch. Sie beruhte auf der irrigen Annahme, die einmonatige Begründungsfrist beginne erst mit dem auf die Einlegung der Berufung folgenden Tag, also dem 1. März 1984 und ende, da der 31. März 1984 als letzter Tag der Frist auf einen Sonnabend fiel, gemäß § 222 Abs. 2 ZPO erst am 2. April 1984.

9

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Beschluß vom 10. November 1952 (VI ZR 249/52 = BGHZ 8, 47, 54) ausgeführt, daß eine falsche Rechtsansicht nur dann ein Versäumnis des Rechtsanwalts entschuldigt, wenn er die äußerste zumutbare Sorgfalt aufgewandt habe, um eine richtige Rechtsansicht zu gewinnen. Die Unterlassung der fristgerechten Begründung eines Rechtsmittels infolge eines Rechtsirrtums sei regelmäßig nicht als unabwendbar anzusehen (vgl. auch BGH VersR 1977, 1031). Diese zum alten Recht entwickelten Grundsätze hat das Berufungsgericht auf die derzeitige Rechtslage angewendet (so auch OLG Stuttgart VersR 1982, 1082). Das ist nicht unbedenklich. Durch die Vereinfachungsnovelle ist zum 1. Juli 1977 das Recht zur Wiedereinsetzung neu geregelt worden. Das Gesetz hat Abstand genommen von dem früheren Erfordernis, daß ein Naturereignis oder unabwendbarer Zufall für die Fristversäumnis ursächlich war. Dieses Erfordernis führte dazu, von der Partei oder von ihrem Prozeßbevollmächtigten dieäußerste nach den Umständen zu erwartende Sorgfalt zu verlangen. Jetzt läßt das Gesetz nach § 233 ZPO das Fehlen eines Verschuldens genügen. Damit reicht es jetzt aus, wenn ein Prozeßbevollmächtigter die übliche, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt bei der Behandlung von Fristen anwendet (BGH VersR 1982, 495). Aber auch dieser mildere Maßstab wird im allgemeinen dazu führen, ein Verschulden des Rechtsanwalts anzunehmen, wenn die Fristversäumnis auf seiner unrichtigen - nicht hinreichendüberprüften - Rechtsansicht beruht (vgl. dazu BGH VersR 1978, 1169; 1979, 425).

10

Die oben geschilderte Berechnung der Berufungsbegründungsfrist ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesetz; sie entspricht auch allgemeiner Praxis. Gleichwohl muß wegen der Besonderheiten des Streitfalles der Rechtsirrtum des Verfahrensbevollmächtigten der Stadt als entschuldigt angesehen werden.

11

Die gesetzliche Regelung der Berechnung der Berufungsbegründungsfrist stimmt überein mit der Berechnung der einmonatigen Berufungsfrist des § 516 ZPO; diese beginnt - statt mit der Einlegung der Berufung - grundsätzlich mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils. Der Tag der Zustellung des Urteils ist also der erste Tag der Rechtsmittelfrist. Davon abweichend hat das Oberlandesgericht Celle in seinem Beschluß vom 16. Mai 1978 (7 U 77/78 = OLGZ 79, 360) entschieden, wenn ein Urteil am 28. Februar zugestellt werde, laufe die Berufungsfrist erst am 31. März ab; denn diese - einmonatige - Frist habe erst am 1. März begonnen. Dieser - unrichtigen - Ansicht hatten sich die gängigen Handkommentare zur Zivilprozeßordnung angeschlossen (Baumbach/Lauterbach/Hartmann 41. und 42. Aufl. § 222 Anm. 2; Zöller 13. Aufl. § 222 Anm. 2 d; Thomas/Putzo 11. Aufl.§ 222 Anm. 3 d aa). Dem ist zwar der IVa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluß vom 23. November 1983 (IVa ZB 13/83 = NJW 1984, 1358 = VersR 1984, 162) entgegengetreten. Daraufhin hat Zöller in der 14. Aufl. (§ 222 Rn. 7) sich gegen das Oberlandesgericht Celle ausgesprochen und ist dem Bundesgerichtshof gefolgt (ebenso im Ergebnis jetzt auch Thomas/Putzo 12. Aufl. § 222 Anm. 3). Dem Verfahrensbevollmächtigten kann aber kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er sich ohne nähere Prüfung einer unrichtigen Ansicht angeschlossen hat, die von einem Oberlandesgericht und den gängigen Handkommentaren vertreten wurde (vgl. dazu BGHZ 23, 307, 312). Den die Rechtslage klarstellenden Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 23. November 1983 (aaO) brauchte er im März 1984 noch nicht zu kennen, weil diese Entscheidung erst im Juni 1984 in der Neuen Juristischen Wochenschrift veröffentlicht worden ist (zur Pflicht des Anwalts sichüber neuere höchstrichterliche Entscheidungen in juristischen Fachzeitschriften zu informieren s. BGH VersR 1979, 375).

12

Nach alledem hat die Stadt glaubhaft gemacht, daß sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Auf die sofortige Beschwerde ist daher der angefochtene Beschluß aufzuheben und die beantragte Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu erteilen.

13

Im weiteren Verfahren wird auch der Umlegungsausschuß zu beteiligen sein (§ 162 BBauG; BGHZ 54, 365/6 und 89, 353).

Krohn
Kröner
Boujong
Halstenberg
Werp