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Bundesgerichtshof
Urt. v. 21.09.1984, Az.: 2 StR 327/84

Auslosung der Schöffen durch den dazu berufenen Ausschuss als wirksame Schöffenwahl; Gewährleistung der Zusammenstellung der Schöffen als repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung im Rahmen einer Auslosung; Legitimation des Amtes der Schöffen aus der Staatsgewalt des Volkes

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
21.09.1984
Aktenzeichen
2 StR 327/84
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1984, 11438
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Frankfurt am Main - 23.12.1983

Fundstellen

  • BGHSt 33, 41 - 43
  • JZ 1984, 1120
  • MDR 1985, 68-69 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1984, 2839 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1985, 103-107 (Urteilsbesprechung von RA Dr. Thomas Vogt und WM Dr. Frowin Kurth)
  • StV 1984, 455-456

Verfahrensgegenstand

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln

Prozessführer

1. Sobhan F. aus F., geboren am ... 1952 in K. (Afghanistan), zur Zeit in Untersuchungshaft,

2. Sait Mohamad Akbar W. aus F., geboren 1957 in K. (Afghanistan), zur Zeit in Untersuchungshaft,

Amtlicher Leitsatz

An einer wirksamen Schöffenwahl fehlt es, wenn der dazu berufene Ausschuß die Schöffen nicht wählt, sondern auslost.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
hat auf Grund der Verhandlung vom 19. September 1984 in der Sitzung vom 21. September 1984,
an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mösl,
die Richter am Bundesgerichtshof B. Maier Theune Niemöller Gollwitzer als beisitzende Richter,
Staatsanwältin ... als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
1. Rechtsanwalt ... aus F. als Verteidiger des Angeklagten F.,
2. Rechtsanwalt ... aus F. als amtlich bestellter Vertreter für Rechtsanwalt ... als Verteidiger des Angeklagten W., - in der Verhandlung vom 19. September 1984 -,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revisionen der Angeklagten F. und W. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. Dezember 1983, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat die Angeklagten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig gesprochen, sie zu Freiheitsstrafen verurteilt und das asservierte Rauschgift nebst dem sichergestellten Behältnis eingezogen.

2

Mit ihren Revisionen rügen sie die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts.

3

Die Rechtsmittel haben Erfolg.

4

Beide Angeklagte beanstanden zu Recht die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 338 Nr. 1 StPO).

5

Die Rüge ist zulässig, weil dieser Einwand bereits vor Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung vorgebracht und zurückgewiesen worden war (§ 338 Nr. 1 b i.V.m. § 222 b StPO).

6

Die Rüge ist auch begründet. Das erkennende Gericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt. Bei dem Urteil haben als Schöffen Frau Barbara H. und Frau Edith W. mitgewirkt. Beide sind nicht wirksam zu Schöffen bestellt worden; ihre Berufung in dieses Amt war vielmehr nichtig, weil sie nicht - wie es das Gesetz vorschreibt (§ 42 GVG) - zu Schöffen gewählt worden sind.

7

Der bei dem Amtsgericht Frankfurt am Main eingerichtete Schöffenwahlausschuß war am 25. August 1980 in nichtöffentlicher Sitzung zusammengetreten, um aus der Vorschlagsliste für die nächsten vier Geschäftsjahre die Haupt- und Hilfsschöffen sowohl für das Amtsgericht (Schöffengericht) als auch für das Landgericht (Strafkammern) Frankfurt am Main auszuwählen. Bei dieser Sitzung erklärten alle anwesenden Vertrauenspersonen, ihnen sei die Vorschlagsliste bekannt; nach ihrer Meinung sei der Vorschrift des § 42 GVG (gemeint war Absatz 2 dieser Bestimmung) bei der Aufstellung der Liste bereits ausreichend Rechnung getragen - eine besondere Auswahl nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung erübrige sich daher. Darauf beschloß der Ausschuß einstimmig, daß die erforderliche Zahl der Schöffen und Hilfsschöffen "im Wege des Losverfahrens ausgewählt" werden solle. Der Beschluß wurde ausgeführt. Entsprechend der Zahl der vorgeschlagenen Personen waren - aufgeklebt auf Kladden - 2.342 Lose vorhanden. Die Kladden wurden zerschnitten, die so entstandenen Lose in einen Karteikasten gegeben und gemischt. Sodann zog der Vorsitzende des Ausschusses soviele Lose, wie es der benötigten Anzahl an Hauptschöffen (294 für das Landgericht, 182 für das Amtsgericht) und Hilfsschöffen entsprach. Auf diese Weise wurden auch Frau Barbara H. und Frau Edith W. als Schöffen ausgelost.

8

Dieses Verfahren war - wie die Beschwerdeführer mit Recht rügen - gesetzwidrig. Nach § 42 Abs. 1 GVG werden die Schöffen und Hilfsschöffen vom Ausschuß aus der berichtigten Vorschlagsliste gewählt. Eine Auslosung ist keine Wahl. Sie kann einer Wahl auch nicht gleichgestellt werden.

9

Der Wortlaut des Gesetzes läßt keinen Zweifel zu. Das Gesetz unterscheidet selbst zwischen Wahl und Auslosung. Dies geschieht gerade im Bereich jener gerichtsverfassungsrechtlichen Regelungen, die sich mit dem Amt des Schöffen befassen: so wird durch Auslosung die Reihenfolge bestimmt, in der die Hauptschöffen an den einzelnen ordentlichen Sitzungen des Jahres teilnehmen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 GVG).

10

Sachliche Erwägungen bestätigen dieses Ergebnis. Nach § 42 Abs. 2 GVG soll bei der Schöffenwahl darauf geachtet werden, daß alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen Berücksichtigung finden. Dürfte an die Stelle der Wahl eine Auslosung treten, so liefe diese Bestimmung leer: bei einer Auslosung nämlich bleibt es dem Zufall überlassen, ob die Gesamtheit der ausgelosten Schöffen jenen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung bildet, der nach Möglichkeit erreicht werden soll. Daß die Vorschlagsliste dem Gebot der Berücksichtigung aller Bevölkerungsgruppen genügt, bietet keinen Schutz dagegen, daß die Auslosung der Schöffen aus dieser Liste zu einer unangemessenen Über- oder Unterrepräsentation bestimmter Bevölkerungsgruppen führt.

11

Vor allem wird bei einer Auslosung der Schöffen der Legitimationszusammenhang unterbrochen, kraft dessen sich das Amt des Schöffen aus der Staatsgewalt des Volkes (Art. 20 Abs. 2 GG) ableiten läßt. Zu Recht wird die Beteiligung ehrenamtlicher Laienrichter an der Strafrechtspflege - nicht zuletzt auf dem rechtsgeschichtlichen Hintergrund des Kampfes um die Geschworenengerichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (dazu etwa: Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. S. 332 ff) - als Mitwirkung des Volkes an der Rechtsprechung begriffen (Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 23. Aufl. Einl. Kap. 15 Rdn. 1 ff; Kissel, GVG, § 28 Rdn. 2). Dem trägt das geltende Recht dadurch Rechnung, daß es die Auslese der Schöffen durch Wahlen vorsieht und damit das Amt des Schöffen aus der Staatsgewalt des Volkes legitimiert: die aus Wahlen hervorgegangene Kommunalvertretungskörperschaft hat die Vertrauenspersonen zu wählen; diese bilden zusammen mit dem richterlichen Vorsitzenden und dem Verwaltungsbeamten jenen Ausschuß, dem die Wahl der Schöffen obliegt. Wird die Schöffenwahl durch ein Losverfahren ersetzt, so ist der durch dreistufige Wahl vermittelte, durch das Erfordernis qualifizierter Mehrheiten (§ 40 Abs. 3 Satz 1, § 42 Abs. 1 Satz 1 GVG) verstärkte und durch die inhaltliche Ausrichtung auf möglichst gleichmäßige Repräsentation aller Bevölkerungsgruppen (§ 42 Abs. 2, § 36 Abs. 2 Satz 2 GVG) ergänzte Legitimationszusammenhang aufgehoben.

12

Der bezeichnete Gesetzesverstoß hat zur Folge, daß die am 25. August 1980 geschehene "Auswahl" der Schöffen nichtig ist. Es handelt sich nicht etwa nur um einen Fehler innerhalb des Verfahrens der Schöffenwahl (vgl. dazu BGHSt 26, 206;  29, 283);  vielmehr hat eine Wahl im Rechtssinne nicht stattgefunden. Dies bedeutet, daß Frau Barbara H. und Frau Edith W. ebensowenig wie die übrigen ausgelosten Personen das Amt des Schöffen erlangt haben. Daß jemand, der nicht Richter ist (z.B. ein ungültig gewählter Schöffe, BVerfGE 31, 181, 184), auch nicht der "gesetzliche Richter" (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) sein kann, versteht sich von selbst.

13

Die Besetzungsrüge führt damit zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, ohne daß es auf die weiter erhobenen Rügen ankommen könnte.

Mösl
Maier
Theune
Niemöller
Gollwitzer