Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.06.1984, Az.: IX ZR 83/83
Inanspruchnahme eines Bürgen; Anzeige der Inanspruchnahme bis zum Ablauf der vertraglich bestimmten Zeit; Fälligkeit der Hauptschuld als Voraussetzung einer Inanspruchnahme des Bürgen; Wirksame Vornahme der Anzeige bei gesetzlicher Stundung der Hauptforderung; Anzeige erst ab Eintritt der Fälligkeit; Sinn und Zweck der Zeitbürgschaft
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 14.06.1984
- Aktenzeichen
- IX ZR 83/83
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1984, 12775
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Hamm - 20.06.1983
- LG Bielefeld - 01.01.1000
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHZ 91, 349 - 357
- MDR 1984, 839 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1984, 2461-2463 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1984, 937-939
Prozessführer
Dieter K.
Prozessgegner
Volksbank L. e.G.,
vertreten durch die Vorstandsmitglieder Werner K. und Gottfried M., H. Straße 10, L.
Amtlicher Leitsatz
Hat sich der selbstschuldnerische Bürge für eine bestehende, aber noch nicht fällige Verbindlichkeit nur auf bestimmte Zeit verbürgt, so erhält die fristgerechte Anzeige des Gläubigers, er nehme den Bürgen in Anspruch, dem Gläubiger die Rechte aus der Bürgschaft grundsätzlich nur, wenn die Fälligkeit der Hauptschuld innerhalb der Bürgschaftszeit eintritt.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 1984
durch
die Richter Fuchs, Henkel, Gärtner, Winter und Dr. Graßhof
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. Juni 1983 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte als Bürgin für eine Verbindlichkeit der Firma H. Massivhaus A. und H. oHG (im folgenden: Hauptschuldnerin) in Anspruch.
Er verkaufte den Eheleuten K. ein Erbbaurecht und vermittelte zwischen ihnen und der Hauptschuldnerin den Abschluß eines Bauvertrages vom 9. Oktober 1981 über die Errichtung eines schlüsselfertigen Hauses. Die Baupläne hatte er bereits erstellen lassen. Er überlies sie der Hauptschuldnerin und traf mit ihr ebenfalls am 9. Oktober 1981 folgende schriftliche Vereinbarung:
"In dem (vom Kläger) vermittelten Hausauftrag "K." sind im Grundpreis DM 25.000,- für verauslagte Kosten zur Baureifmachung des Grundstücks enthalten.
Diese 25.000,- DM sind bei Rohbauabnahme an (den Kläger) ... zu zahlen.
Zur Absicherung dieser Summe wird von der (Beklagten) eine Bankbürgschaft in Höhe von DM 25.000,- ausgestellt.
..."
Mit Schreiben vom 22. Februar 1982 übersandte die Beklagte dem Kläger eine schriftliche Bürgschaftserklärung vom 19. Februar 1982. Darin übernahm sie die selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von 25.000 DM für einen Anspruch des Klägers gegen die Hauptschuldnerin, der in der Urkunde als "Forderung auf Provisionszahlung aus dem Bauvorhaben "K.", fällig bei Rohbauabnahme" bezeichnet ist. Nr. 2 der Bürgschaftserklärung lautet:
"Die Verpflichtungen der Bank aus dieser Bürgschaft erlöschen, sobald die Veranlassung für die Bürgschaftsübernahme wegfällt oder die Bürgschaftsurkunde zurückgegeben wird, spätestens jedoch - insoweit abweichend von § 777 BGB -, wenn die Bank nicht bis zum 30.04.1982 aus dieser Bürgschaft in Anspruch genommen worden ist."
Die Hauptschuldnerin führte die ihr übertragenen Bauarbeiten nicht aus. Nachdem sie am 12. Mai 1982 den Bauvertrag mit den Eheleuten K. "wegen akuter wirtschaftlicher Schwierigkeiten" gekündigt hatte, fiel sie in Konkurs.
Bereits am 27. April 1982 hatte der Kläger der Beklagten geschrieben:
"Hiermit nehme ich die Bürgschaft ... über DM 25.000,- in Anspruch, oder die o.a. Bürgschaft wird für 3 Monate verlängert."
Die Beklagte verweigerte durch Schreiben vom 13. Mai 1982 sowohl die Zahlung als auch die Verlängerung der Bürgschaft.
Mit der Klage macht der Kläger den Bürgschaftsbetrag nebst Zinsen geltend. Er behauptete, die Beklagte habe sich für seinen Anspruch aus der Vereinbarung vom 9. Oktober 1981 verbürgt; mit der in der Bürgschaftsurkunde bezeichneten "Forderung auf Provisionszahlung" habe sie diesen Anspruch gemeint. Der Anspruch sei mit Abschluß der Vereinbarung am 9. Oktober 1981 entstanden; nur seine Fälligkeit sei bis zur Rohbauabnahme aufgeschoben worden. Da die Hauptschuldnerin die Bauarbeiten nicht ausgeführt und den Bauvertrag gekündigt habe, sei die Fälligkeit nach den §§ 162, 242 BGB mit der Kündigung am 12. Mai 1982 eingetreten.
Das Landgericht gab der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs statt, das Oberlandesgericht wies sie auf die Berufung der Beklagten in vollem Umfang ab.
Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1.
Mit dem Berufungsrichter unterstellt der Senat zugunsten des Klägers, daß die Parteien ungeachtet der unklaren Formulierung der Bürgschaftserklärung übereinstimmend den Anspruch des Klägers aus der schriftlichen Vereinbarung vom 9. Oktober 1981 als zu sichernde Hauptforderung angesehen und sich demnach auf eine Bürgschaft für diesen Anspruch geeinigt haben. Er unterstellt ferner, daß die verbürgte Hauptforderung nicht durch die Ausführung des Bauvertrages K. bedingt war, daher mit der Vereinbarung am 9. Oktober 1981 entstanden und durch die Kündigung des Bauvertrages sowie die nachfolgenden Ereignisse nicht erloschen ist, und lediglich die Fälligkeit bis zur Rohbauabnahme vertraglich hinausgeschoben war.
2.
Von der Revision unbeanstandet wertet der Berufungsrichter die Bürgschaftserklärung als bis zum 30. April 1982 befristete Zeitbürgschaft. Um sich die Rechte aus der Bürgschaft zu erhalten, habe der Kläger der Beklagten abweichend von § 777 Abs. 1 Satz 2 BGB die Inanspruchnahme bis zum Ablauf der vertraglich bestimmten Zeit anzeigen müssen. Diese Auslegung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 9. Dezember 1976 - VII ZR 68/75 = WM 1977, 290 und vom 21. Oktober 1981 - VIII ZR 212/80 = WM 1981, 1302).
3.
Der Berufungsrichter verneint den Bürgschaftsanspruch, weil die Hauptschuld nicht vor Ablauf des 30. April 1982 fällig geworden sei. Obwohl die Hauptschuldnerin das Bauvorhaben "K." nicht mehr bis zur Rohbauabnahme durchführen könne, sei sie von ihrer Zahlungspflicht gegenüber dem Kläger nicht frei geworden. Dessen Anspruch werde gemäß § 242 BGB nach Ablauf einer Zeitspanne fällig, innerhalb derer die Rohbauabnahme habe erwartet werden können. Der Parteivortrag ergebe nicht, daß der Kläger und die Hauptschuldnerin bei der Fälligkeitsabsprache mit einer Rohbauabnahme vor dem 30. April 1982 gerechnet hätten. Der Bauvertrag habe als spätesten Termin für den Baubeginn den 15. April 1982 vorgesehen; das spreche dafür, daß der Kläger und die Hauptschuldnerin eine Rohbauabnahme nach dem 30. April 1982 einkalkuliert hätten.
Auf Grund der Mitteilung des Klägers vom 27. April 1982, daß er die Beklagte aus der Bürgschaft in Anspruch nehme, sei die Bürgenhaftung gemäß § 777 Abs. 2 BGB auf den Umfang beschränkt worden, den die Hauptschuld am 30. April 1982 gehabt habe. Schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergebe sich, daß eine bei Ablauf der im Bürgschaftsvertrag bestimmten Zeit nicht fällige Hauptforderung gegenüber dem Bürgen nicht mehr fällig werden könne. Für diese Auslegung sprächen auch Sinn und Zweck des § 777 BGB, von dem die vorliegende vertragliche Regelung nur unwesentlich abweiche: Die Vorschrift begünstige den Gläubiger.
Nach den allgemeinen Regeln der §§ 163, 158 Abs. 2 BGB würde er seine Rechte aus der Bürgschaft mit dem Erreichen des vereinbarten Endtermins verlieren, § 777 BGB gewähre ihm die Möglichkeit, sich den Bürgschaftsanspruch durch die rechtzeitige Anzeige zu erhalten, daß er den Bürgen in Anspruch nehme. Es erscheine ungerecht, daß der Gläubiger den Bürgschaftsanspruch mit Ablauf der bestimmten Zeit verliere, wenn er den Bürgen schon vor Fristablauf habe in Anspruch nehmen können. Andererseits müsse der Bürge wissen, ob noch mit seiner Inanspruchnahme zu rechnen sei. Falls er einen Vermögensverfall des Hauptschuldners befürchte, könne er den Gläubiger sofort befriedigen und Rückgriff beim Hauptschuldner nehmen. Diesem Sinn der Vorschrift entspreche es nicht, den Bürgen über den vereinbarten Termin hinaus für eine nicht fällige Forderung haften zu lassen. Da der Gläubiger bis zum vereinbarten Endtermin den Bürgen nicht habe in Anspruch nehmen können, sei er nicht schutzwürdig. Für den Bürgen würde die Befristung der Bürgschaft weitgehend bedeutungslos, wenn der Gläubiger auch für nicht fällige Ansprüche eine Fortdauer der Bürgenhaftung durch die Anzeige herbeiführen könne, daß er den Bürgen in Anspruch nehme. Die Anzeige sei eine Farce, wenn die Fälligkeit noch nicht gegeben und ihr Eintritt vielleicht noch gar nicht zu übersehen sei. Der Bürge könne durch eine vorzeitige Befriedigung des Gläubigers keinen fälligen Regreßanspruch gegen den Hauptschuldner erlangen. Er riskiere auch, daß der Hauptschuldner eine vereinbarte Avalprovision für die restliche Laufzeit der Bürgschaft nicht mehr zahlen könne.
Dagegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.
a)
Ohne Rechtsverstoß nimmt der Berufungsrichter an, daß die Hauptschuld nicht vor Ablauf des 30. April 1982 fällig geworden ist. Sein rechtlicher Ausgangspunkt entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 18. April 1966 - VIII ZR 111/64 = NJW 1966, 1404, 1405). Hatten der Kläger und die Hauptschuldnerin die Fälligkeit der Hauptschuld an die Ausführung des Bauvertrages "K." bis zur Rohbauabnahme geknüpft, so konnte die Hauptschuldnerin die Ausführung des Bauvertrages und damit die Fälligkeit der Hauptschuld nicht beliebig hinausschieben. Führte sie den Bauvertrag nicht aus, so wurde der Anspruch des Klägers gegen sie gemäß § 242 BGB nach Ablauf einer Zeitspanne fällig, innerhalb derer bei ordnungsgemäßem Verlauf der Bauarbeiten mit der Rohbauabnahme gerechnet werden konnte. Die Feststellung, daß mit der Rohbauabnahme erst nach dem 30. April 1982 zu rechnen war, verantwortet der Tatrichter. Die Revision greift sie nicht an.
b)
Der Kläger hat der Beklagten durch das Schreiben vom 27. April 1982 rechtzeitig angezeigt, daß er sie aus der Bürgschaft in Anspruch nehme. Ob die rechtzeitige Anzeige dem Kläger die Rechte aus der Bürgschaft über den Ablauf der Bürgschaftszeit hinaus auch dann erhalten konnte, wenn die Hauptschuld bis zu diesem Zeitpunkt nicht fällig geworden war, ist eine Frage der Vertragsauslegung. Es ist nicht zu beanstanden, daß der Berufungsrichter von § 777 BGB ausgeht. Denn Nr. 2 der Bürgschaftserklärung weicht nach der rechtsfehlerfreien Auslegung des Berufungsgerichts von § 777 BGB nur insofern ab, als der Gläubiger dem Bürgen die Inanspruchnahme bis zum Ablauf der bestimmten Zeit anzeigen muß und entgegen Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift die Anzeige nicht noch unverzüglich nachholen kann.
aa)
Die hier zu entscheidende Frage ist auch zu § 777 BGB höchstrichterlich nicht geklärt. Dazu hat das Reichsgericht (RGZ 153, 123) entschieden, daß der Gläubiger durch eine gesetzliche Stundung der Hauptforderung, die gemäß § 768 BGB auch zugunsten des Bürgen wirkt, rechtlich nicht gehindert ist, die Anzeige nach § 777 Abs. 1 Satz 2 BGB wirksam vorzunehmen. Das Urteil beruht auf der Erwägung, daß es nicht der Sinn der dem Gläubiger nachteiligen Stundungsgesetzgebung gewesen sei, ihm über die Stundung hinaus die Rechtsbehelfe des § 777 Abs. 1 BGB mit dem Ergebnis abzuschneiden, daß er die in der Bürgschaft bestehende Sicherheit verliere (a.a.O. S. 127). Diese Überlegungen lassen sich nicht auf den hier vorliegenden Fall übertragen, daß die Parteien eine Zeitbürgschaft für eine Hauptschuld vereinbaren, deren Fälligkeit von vornherein vertraglich aufgeschoben ist.
Soweit ersichtlich, hat zu einem vergleichbaren Sachverhalt auch der Bundesgerichtshof noch nicht Stellung genommen. Nach BGHZ 76, 81 kann der Gläubiger bei einer selbstschuldnerischen Zeitbürgschaft schon vor deren Ablauftermin nach Eintritt der Fälligkeit der Hauptschuld dem Bürgen die Inanspruchnahme anzeigen, um sich die Rechte aus der Bürgschaft zu erhalten.
Damit ist die hier zu beantwortende Frage nicht vorentschieden. In dem damaligen Fall war die Hauptschuld vor Ablauf der Bürgschaftszeit fällig. Über die Frage, ob die Anzeige auch wirksam ist, wenn die Hauptschuld noch nicht fällig ist, war nicht zu befinden.
Ein Teil des Schrifttums vertritt unter Berufung auf die genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Ansicht, die Anzeige könne erst ab Eintritt der Fälligkeit der Hauptschuld erfolgen (vgl. Palandt/Thomas, BGB 43. Aufl. § 777 Anm. 2; Srman/Seiler, BGB 7. Aufl. § 777 Rnr. 6). Weitergehend meinen Staudinger/Horn (BGB 12. Aufl. § 777 Rnr. 8), auch vor Eintritt der Fälligkeit der Hauptschuld sei eine wirksame Anzeige dann anzuerkennen, wenn Fälligkeit und Ablauf der Bürgschaftszeit unmittelbar bevorstehen und die Nichterfüllung durch den Hauptschuldner abzusehen sei. Im übrigen fehlen eindeutige Stellungnahmen (vgl. BGB-RGRK/Mormann, 12. Aufl. § 777 Rnr. 4; MünchKomm/Pecher, § 777 BGB Rnr. 7).
bb)
Die Frage ist dahin zu entscheiden, daß die Anzeige des Gläubigers, er nehme den Bürgen in Anspruch, dem Gläubiger den Bürgschaftsanspruch grundsätzlich nur erhält, wenn die Fälligkeit der Hauptschuld innerhalb der Bürgschaftszeit eintritt.
Das Berufungsgericht leitet dieses Ergebnis aus § 777 Abs. 2 BGB her. Diese Vorschrift setzt voraus, daß der Gläubiger dem Bürgen die Inanspruchnahme wirksam angezeigt und sich dadurch den Bürgschaftsanspruch erhalten hat.
Die Lösung muß darum eine Stufe früher bei der Frage ansetzen, ob die Anzeige der Inanspruchnahme wirksam ist, wenn die Hauptschuld innerhalb der Bürgschaftszeit nicht fällig geworden ist.
Die Frage ist nach Sinn und Zweck der Zeitbürgschaft grundsätzlich zu verneinen. Die Zeitbürgschaft bietet dem Gläubiger nur eine Sicherheit auf Zeit. Sie soll es ihm ermöglichen, dem Hauptschuldner während der bestimmten Zeit Kredit zu gewähren (vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch II. Band Recht der Schuldverhältnisse Seite 1031). Gewährt er Kredit für einen längeren Zeitraum, so geschieht das nach dem Willen der Vertragsparteien ohne Sicherung durch die Bürgschaft und auf eigenes Risiko des Gläubigers. Eine Kreditgewährung im weiteren Sinne liegt auch in einem vertraglichen Aufschub der Fälligkeit der Hauptschuld. Die Hauptschuld ist daher auch in diesen Fällen durch eine Zeitbürgschaft nur bis zum Ablauf der Bürgschaftszeit gesichert. Läuft diese ab, bevor die Hauptschuld fällig wird, wird der Sicherungszweck der Bürgschaft nicht erreicht; eine solche Bürgschaft ist wirtschaftlich nicht sinnvoll (vgl. Staudinger/Horn, § 777 BGB Rnr. 2). Begnügt sich der Gläubiger aber mit einer solchen Bürgschaft, so muß er die Nachteile tragen, die sich aus der ungenügenden Sicherung der Hauptforderung ergeben. Darin liegt keine Unbilligkeit; es handelt sich vielmehr um eine Auswirkung der von den Parteien des Zeitbürgschaftsvertrages gewollten Risikoverteilung.
Danach verbietet sich eine Auslegung des § 777 Abs. 1 BGB, die es dem Gläubiger ermöglichen würde, sich die Rechte aus der Bürgschaft über die bestimmte Zeit hinaus auch für eine Hauptforderung zu erhalten, die noch nicht fällig ist. Die Anzeige des Gläubigers, daß er den Bürgen in Anspruch nehme, ist hier eine rein formale Handlung; ein Recht, von dem Bürgen die Zahlung der Bürgschaftssumme vor Fälligkeit der Hauptschuld zu fordern, liegt ihr nicht zugrunde. Allein die Beachtung dieser Förmlichkeit genügt nicht, um dem Gläubiger die Rechte aus der Bürgschaft zu erhalten. Die Gesetzesmaterialien ergeben, daß der Gesetzgeber bei § 777 Abs. 1 BGB voraussetzt, der Gläubiger sei rechtlich in der Lage, den selbstschuldnerischen Zeitbürgen spätestens bei Ablauf der Bürgschaftszeit sofort in Anspruch zu nehmen (vgl. Mugdan aaO). Dem muß die Auslegung der Vorschrift Rechnung tragen.
cc)
Das zu § 777 Abs. 1 BGB Ausgeführte gilt in gesteigertem Maße für die hier vereinbarte Vertragsklausel, die eine Inanspruchnahme der Beklagten innerhalb der Bürgschaftsfrist fordert und damit die gesetzliche Vorschrift zu Lasten des Gläubigers einschränkt. Für eine die Rechte des Gläubigers gegenüber § 777 Abs. 1 BGB erweiternde Auslegung der Vereinbarung fehlt jede Grundlage.
dd)
Entgegen der Meinung der Revision braucht nicht entschieden zu werden, ob eine Ausnahme von den oben dargestellten Grundsätzen zu machen wäre, wenn im Zeitpunkt der Anzeige die Fälligkeit der Hauptschuld und der Ablauf der Bürgschaftszeit unmittelbar bevorständen und die Nichterfüllung durch den Hauptschuldner abzusehen wäre. Denn einen solchen Sachverhalt hat der Berufungsrichter nicht festgestellt. Er ist in den Tatsacheninstanzen auch nicht vorgetragen worden. Mit seinem neuen Vorbringen kann der Kläger im Revisionsverfahren nicht gehört werden. Seine Rüge, der Berufungsrichter habe die Aufklärungspflicht (§ 139 Abs. 1 ZPO) verletzt, greift nicht durch; von einer Begründung wird abgesehen (§ 565 a ZPO).
Henkel
Gärtner
Winter
Graßhof