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Bundesgerichtshof
Urt. v. 04.05.1984, Az.: V ZR 82/83

Erhebung einer Notwegduldungsklage; Zugang und Zufahrt mit einem Traktor zu landwirtschaftlich genutzten Grundstücken; Unterlassungsanspruch eines Miteigentümers des Weges

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
04.05.1984
Aktenzeichen
V ZR 82/83
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1984, 12518
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Stuttgart - 02.03.1983
LG Heilbronn - 19.10.1982

Fundstellen

  • MDR 1985, 37 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1984, 2210 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

1. Günter Sch., O. straße ..., O.-P.

2. Karl Sch., O. straße ..., O.-P.

Prozessgegner

1. Klara K.

2. Martin K.

Beide wohnhaft O. straße ..., O.-P.

Amtlicher Leitsatz

Eine nicht gegen sämtliche Miteigentümer des betroffenen Verbindungsgrundstücks erhobene Notwegduldungsklage muß grundsätzlich als unzulässig abgewiesen werden (Bestätigung von BGHZ 36, 187 [BGH 29.11.1961 - V ZR 181/60] = NJW 1962, 633 = LM § 62 ZPO Nr. 9).

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 1984
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Thumm und
die Richter Dr. Eckstein, Dr. Vogt, Dr. Räfle und Dr. Lambert-Lang
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 2. März 1983 aufgehoben.

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil "der 6. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 19. Oktober 1982 in Ziffer 2 des Tenors und im Kostenpunkt abgeändert:

Die Widerklage wird abgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Kläger 1/10, die Beklagten 9/10.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens tragen die Beklagten.

Tatbestand

1

Im Rechtsstreit geht es nur noch um die Widerklage, mit der die Beklagten ein Notwegrecht zu ihren landwirtschaftlich genutzten Grundstücken in der Gemarkung O.-P. begehren. Sie nehmen dafür den Privatweg Flurstück Nr. ... (Eigentümer sind der Kläger zu 1 und dessen Ehefrau sowie der Kläger zu 2 und Otto L.) und das südlich anschließende Flurstück Nr. ... 1/1 (Eigentümer sind der Kläger zu 1 und dessen Ehefrau) in Anspruch, Sie haben beantragt,

die Kläger zu verurteilen, daß diese ihnen von der O. straße in P. Zugang und Zufahrt mit Traktor über die erwähnten Grundstücke zu ihren Flurstücken Nr. ... 1, ... 4, ... 9/1 und ... 9/2 gewähren.

2

Das Landgericht hat der Widerklage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen und den Tenor des landgerichtlichen Urteils dahin berichtigt, daß die Kläger verurteilt werden, in O.-P. über ihren Grundstücksanteil am Flurstück Nr. ...3 und am Grundstück Ortsstraße ...1/1, dort entlang der Grenze zum Grundstück Ortsstraße ...3/1, den Beklagten Zugang und Zufahrt mittels eines Traktors zum Zwecke angemessener landwirtschaftlicher Nutzung zu gewähren zu deren Flurstücken Nr. ...1, ...4, ...9/1 und ...9/2, und zwar über einen Geländestreifen der Breite von 2,20 m.

3

Mit der zugelassenen Revision begehren die Kläger Abweisung der Widerklage; die Beklagten beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision der Kläger hat Erfolg; die Widerklage ist unzulässig. Der Rechtsstreit ist nach dem unstreitigen Sachverhalt zur Endentscheidung reif (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

5

1.

Die Beklagten nehmen ein Notwegrecht an Grundstücken in Anspruch, die nicht nur im Miteigentum der Kläger, sondern auch anderer, am Rechtsstreit nicht beteiligter Personen (Ehefrau des Klägers zu 1 und hinsichtlich des Flurstücks Nr. ...3 auch Otto L.) stehen. Der Senat hat im Anschluß an das Reichsgericht (RG JW 1906, 233, 234) bereits entschieden, daß in einem solchen Fall eine nicht gegen alle Miteigentümer erhobene Klage als unzulässig abgewiesen werden muß (BGHZ 36, 187 ff [BGH 29.11.1961 - V ZR 181/60]). Dieser Rechtsprechung hat sich nahezu die gesamte einschlägige Literatur angeschlossen (vgl. BGB-RGRK 12. Aufl. § 917 Rdn. 8; Dehner, Nachbarrecht im Bundesgebiet (ohne Bayern) 6. Aufl. § 27 II 1; Erman/Hagen, BGB 7. Aufl. § 917 Rdn. 4; Jauernig, BGB 3. Aufl. § 917 Anm. 2 und Jauernig/Stürner a.a.O. §§ 743-748 Anm. 3 c; MünchKomm/Säcker § 917 Rdn. 18 und MünchKomm/K. Schmidt § 747 Rdn. 30; Palandt/Bassenge, BGB 43. Aufl. § 917 Anm. 4 b und Palandt/Thomas a.a.O. § 747 Anm. 3 d; Soergel/Siebert/Baur, BGB 11. Aufl. § 917 Rdn. 8; Staudinger/Beutler, BGB 12. Aufl. § 917 Rdn. 33; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 42. Aufl. § 62 Anm. 3 B c; Blomeyer, Zivilprozeßrecht 1963 § 109 III 1; Jauernig, Zivilprozeßrecht 20. Aufl. § 82 III; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 13. Aufl. § 50 III 1 b α Schellhammer, Zivilprozeßrecht 1982 Rdn. 1361; Schönke/Kuchinke, Zivilprozeßrecht 9. Aufl. § 24 IV 2 b; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 20. Aufl. § 62 Rdn. 14 und Rdn. 20; Wieczorek, ZPO 2. Aufl. § 62 B I b 1). Der Senat hält hieran fest.

6

Der gegenteiligen Ansicht (soweit ersichtlich nur LG Nürnberg-Fürth NJW 1980, 2477 mit zustimmender Anmerkung von Waldner JR 1981, 184, und Zöller/Vollkommer, ZPO 13. Aufl. § 62 Anm. III 3 a und b), der sich das Berufungsgericht anschließt, kann nicht gefolgt werden.

7

Die unzutreffende Sicht des Berufungsgerichts wird schon aus dem Tenor des angefochtenen Urteils deutlich, wonach die Kläger "über ihren Grundstücksanteil" Zugang und Zufahrt zu gewähren haben. Dies erweckt die Vorstellung, als könnten die Miteigentümer mit ihren ideellen Anteilen ein Notwegrecht gewähren. Nicht die ideellen Miteigentumsanteile unterliegen der Duldungspflicht des § 917 Abs. 1 BGB, sondern immer das Grundstück als Ganzes. Deshalb können die in einer Rechtsgemeinschaft stehenden Miteigentümer (§§ 1008; 741 ff BGB) den Notweganspruch nur gemeinsam erfüllen, weil sie dafür das Grundstück zur Verfügung stellen müssen. Insoweit ist das Notwegrecht mit einer Grunddienstbarkeit vergleichbar, deren Bestehen auch nur allen Miteigentümern gegenüber gerichtlich festgestellt werden kann (BGHZ 36, 187 [BGH 29.11.1961 - V ZR 181/60]/189).

8

Die Kritiker der herrschenden Meinung verweisen darauf, daß die Duldung eines Notwegs nicht als Verfügung im Sinne des § 747 Satz 2 BGB angesehen werden könne, weil das Notwegrecht als Inhalt des Eigentums an dem vom öffentlichen Weg abgeschnittenen Grundstück und als Eigentumsbeschränkung am Verbindungsgrundstück kraft Gesetzes entstehe, sobald die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt seien. Demgemäß bewirke das Duldungsurteil nicht konstitutiv die Entstehung des Rechts, sondern steile nur deklaratorisch dessen Bestehen und Umfang fest. Das frühere Senatsurteil übersehe mit seinem Hinweis auf § 747 Satz 2 BGB diesen theoretischen Ausgangspunkt.

9

Daß die Klage auf Duldung eines Notwegs nicht eine Verfügung im Rechtssinn erstrebt, also ein Rechtsgeschäft, durch das der Verfügende auf ein Recht unmittelbar einwirkt (etwa durch Übertragung, Belastung, Aufhebung, Inhaltsänderung vgl. BGHZ 1, 294, 304;  75, 221, 226), ist selbstverständlich. Das ist jedoch hier auch nicht die entscheidende Frage. Es geht darum, ob aus Rechtsgründen eine Klage gegen alle Miteigentümer erforderlich ist, weil einem Miteigentümer allein die notwendige Prozeßführungsbefugnis fehlt (BGHZ 36, 187, 191 f) [BGH 29.11.1961 - V ZR 181/60]. Diese Prozeßführungsbefugnis stimmt im Regelfall, der hier vorliegt, mit der Sachlegitimation überein. Da es bei der Duldung eines Notwegs um die Belastung des ganzen Grundstücks geht, folgt aus der Natur des geltend gemachten Anspruchs im Zusammenhang mit der materiellrechtlichen Regelung der Miteigentümergemeinschaft (§ 744 Abs. 1; § 747 Satz 2 BGB), daß nur alle Miteigentümer zusammen für eine Notwegduldungsklage sachlegitimiert und mithin prozeßführungsbefugt sind. Insoweit sind alle Miteigentümer in ihrer Rechtszuständigkeit grundsätzlich untrennbar aneinander gekoppelt.

10

Es mag sein, daß - wie das Berufungsgericht ausführt - ein Urteil, das die Unterlassungsklage nur eines Miteigentümers (§ 1011 BGB) wegen eines einredeweise geltend gemachten Notweganspruchs (§ 1004 Abs. 2 BGB) abweist, auch eine bejahende Feststellungswirkung hinsichtlich des Gegenrechts entfaltet (vgl. Senatsurteil vom 14. Oktober 1964, V ZR 249/62, NJW 1965, 42). Möglicherweise kann der Notwegberechtigte in einem solchen Fall ausnahmsweise dann allein den (oder die) anderen Miteigentümer (denen gegenüber das klageabweisende Urteil keine Rechtskraftwirkung entfaltet, BGHZ 79, 245, 247) mit einer Notwegklage in Anspruch nehmen. Diese Folge der Rechtskraftwirkung und der Klagebefugnis eines Miteigentümers nach § 1011 BGB besagt jedoch nichts für die vorliegende Problematik. Auch in anderen Fällen hat der Bundesgerichtshof die Klageerhebung nur gegen einzelne notwendige Streitgenossen zugelassen, wenn die übrigen vor Klageerhebung erklärt hatten, zu der mit der Klage begehrten Leistung verpflichtet und bereit zu sein (vgl. BGH Urteile vom 13. Januar 1958, II ZR 136/56, JZ 1958, 406; vom 8. Juni 1962, V ZR 171/61, NJW 1962, 1722, 1723 und wohl auch vom 13. Februar 1975, VI ZR 44/74, NJW 1975, 1457, 1459). Mit den aus der Rechtskraftwirkung folgenden oder mit prozeßökonomischen Überlegungen begründeten Ausnahmefällen, deren Voraussetzungen die Beklagten hier selbst nicht behaupten, kann aber die Prozeßführungsbefugnis der Kläger allein im vorliegenden Fall nicht bejaht werden.

11

2.

Die Kostenentscheidung ergibt sich für den ersten Rechtszug aus § 92 Abs. 1 ZPO. Dabei ist berücksichtigt, daß die Kläger teilweise mit ihrer Klage unterlegen sind (Breite des Notwegs). Für die Rechtsmittelinstanzen folgt der Kostenausspruch aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Dr. Thumm
Dr. Eckstein
Vogt
Räfle
Lambert-Lang