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Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.02.1984, Az.: 1 StR 808/83

Eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdungen ; Realisierung des bewusst eingegangenen Verletzungsrisikos; Veranlassen, ermöglichen oder fördern einer Selbstgefährdung ; Beteiligung am gemeinschaftlichen Heroingenuss; Beschaffen von Spritzen für gemeinschaftlichen Heroingenuss

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
14.02.1984
Aktenzeichen
1 StR 808/83
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1984, 11339
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Ulm - 22.08.1983

Fundstellen

  • BGHSt 32, 262 - 267
  • JZ 1984, 750-751
  • MDR 1984, 503-504 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1984, 1469-1470 (Volltext mit amtl. LS)
  • NStZ 1984, 411
  • StV 1984, 244-245

Verfahrensgegenstand

Fahrlässige Tötung

Amtlicher Leitsatz

Eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdungen unterfallen nicht dem Tatbestand eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn das mit der Gefährdung bewußt eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich eine solche Selbstgefährdung veranlaßt, ermöglicht oder fördert, macht sich nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung
vom 14. Februar 1984
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Herdegen
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ulsamer, Dr. Schikora
Dr. Foth, Dr. Granderath als beisitzende Richter
Staatsanwalt ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft
Justizhauptsekretär ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 22. August 1983, soweit es ihn betrifft, aufgehoben,

    1. 1.

      soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden ist,

    2. 2.

      im Ausspruch der Gesamtfreiheitsstrafe, insoweit mit den zugehörigen Feststellungen.

  2. II.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Sie hat auch über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden.

Gründe

1

Der Angeklagte D. ist wegen räuberischer Erpressung, rechtlich zusammentreffend mit unerlaubtem Besitz von Heroin und wegen fahrlässiger Tötung zur Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden. Er wendet sich mit der Sachbeschwerde gegen die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Sein Rechtsmittel hat Erfolg.

2

I.

Die Jugendkammer hat festgestellt:

3

Der Angeklagte, der 1967 (im Alter von 15 Jahren) mit dem Konsum von Drogen begann, sich 1978 einer Entwöhnungstherapie unterzog, aber zur Tatzeit wiederum gelegentlich Drogen konsumierte, traf am 8. April 1983 Peter H. Beide waren sich "seit langem freundschaftlich zugetan". H. sagte dem Angeklagten, er habe Heroin, "das man zusammen drücken könne". Der Angeklagte entschloß sich, die erforderlichen Spritzen zu besorgen, als H., der als Konsument harter Drogen bekannt war, ihm eröffnete, er bekomme "nirgends mehr" eine Spritze. Nachdem der Angeklagte drei Einwegspritzen gekauft hatte, gingen er und H. auf die Toilette einer Gaststätte. H. verschaffte sich einen Löffel und brachte drei "Hunderter-Hit" in diesem Löffel "zum Aufkochen". Den "aufgekochten Stoff" füllte er in zwei Spritzen und überließ eine dem Angeklagten. Alsbald nach der Injektion des Stoffes, der neben Heroin auch Koffein enthielt, wurden H. und der Angeklagte bewußtlos, Lokalbesucher veranlaßten nach einiger Zeit die Öffnung der Toilettentür und die Verständigung des Notarztes. Als der Arzt eintraf, war H. bereits tot. Die Injektion hatte zu Atemstillstand und Herzkreislaufversagen geführt. Die Blutalkoholkonzentration H. lag im Zeitpunkt seines Todes bei 1,03 Promille.

4

II.

In der rechtlichen Würdigung führt die Jugendkammer aus:

5

Der Angeklagte habe durch die Beteiligung am gemeinschaftlichen Heroingenuß und durch das Beschaffen der Spritzen Ursachen für H. Tod gesetzt. Ihm sei bekannt gewesen, daß Heroininjektionen den Tod des Konsumenten zur Folge haben können. Es komme nicht darauf an, ob für den Angeklagten die leichte Alkoholisierung H. erkennbar war und ob der Angeklagte vorherzusehen vermochte, daß diese Alkoholisierung "für den Erfolg eine gewisse Bedeutung" hatte. In erster Linie sei der Erfolg durch das Betäubungsmittel herbeigeführt worden. Es sei "offensichtlich von besonders gefährlicher Beschaffenheit" gewesen. Der Angeklagte habe gewußt, daß schlecht verträgliche Stoffe vorkommen und daß ihre Wirkung auch von Schwächen in der körperlichen Verfassung des Konsumenten abhänge. Infolgedessen habe er den Geschehensablauf voraussehen können.

6

III.

Die Erwägungen des Tatgerichts zur Ursächlichkeit und Voraussehbarkeit berühren den für die rechtliche Betrachtung ausschlaggebenden Gesichtspunkt nicht. Er liegt darin, daß der Angeklagte sich lediglich an der vorsätzlichen Selbstgefährdung seines Freundes beteiligte, der sie (möglicherweise) eigenverantwortlich wollte. Auch wenn er durch diese Beteiligung einen Beitrag leistete, der für den Tod von H. ursächlich war, und selbst wenn er die Kausalität seines Tuns voraussehen konnte, hat er sich nicht wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht. Diese Beurteilung des Geschehens findet ihre Grundlage in folgenden Überlegungen:

7

1.

Eigenverantwortlich gewollte - erstrebte, als sicher vorausgesehene oder in Kauf genommene - und verwirklichte Selbsttötungen oder Selbstverletzungen unterfallen (weil das Gesetz nur die Tötung oder Verletzung eines anderen mit Strafe bedroht) nicht dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts. Wer sich daran beteiligt, nimmt an einem Vorgang teil, der - soweit es um die Strafbarkeit wegen eines solchen Delikts geht - keine Tat im Sinne der §§ 25, 26, 27 Abs. 1 StGB ist. Der sich vorsätzlich Beteiligende kann infolgedessen (wegen Fehlens einer Haupttat) nicht als Anstifter oder Gehilfe bestraft werden (BGHSt 2, 150, 152; 6, 147, 154; 13, 162, 167; 19, 135, 137; 24, 342, 343; Eser in Schönke/Schröder, StGB 21. Aufl. Rdn. 33 und 35 vor § 211; Jähnke in LK 10. Aufl. Rdn. 21 und 22 vor § 211; Lackner, StGB 15. Aufl. Anm. 3a vor § 211; Wessels, Strafrecht BT - 1, 6. Aufl. S. 7 ff. jeweils m.w.Nachw.). Wer das zur Selbsttötung oder Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers fahrlässig veranlaßt, ermöglicht oder fördert, kann nicht strafbar sein, wenn er sich im Falle vorsätzlicher Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung nicht strafbar machen würde (BGHSt 24, 342; Eser a.a.O. Rdn. 35 vor § 211 m.w.Nachw.; Hirsch JR 1979, 429, 430; Jähnke a.a.O. Rdn. 23 vor § 211 m.w.Nachw.; Schünemann NStZ 1982, 60, 62; Wessels a.a.O. S. 12). Würde er wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung deshalb bestraft, weil er pflichtwidrig eine Bedingung für den voraussehbaren (oder vorausgesehenen) Erfolg gesetzt hat, verstieße eine solche Bestrafung gegen das in den Vorschriften der §§ 15 und 18 StGB zum Ausdruck kommende Stufenverhältnis der Schuldformen (vgl. BGHSt 9, 135, 136). In ihr läge (wie Schünemann a.a.O. ausführt) ein Wertungswiderspruch. Der Sachverhalt erübrigt ein Eingehen auf die Frage, was gilt, wenn den, der sich an der Selbstschädigung eines eigenverantwortlich Handelnden (vorsätzlich oder fahrlässig) aktiv beteiligt, Garantenpflichten für Leib oder Leben des Selbstschädigers treffen (vgl. dazu BGH JR 1979, 429; Hirsch a.a.O. S. 432; Lackner a.a.O. Anm. 3 b vor § 211 m.w.Nachw.).

8

2.

Auch die eigenverantwortlich gewollte - erstrebte, als sicher vorausgesehene oder in Kauf genommene - und vollzogene Selbstgefährdung unterfällt nicht dem Tatbestand eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, gleichgültig, ob das mit der Gefährdung bewußt eingegangene Risiko sich realisiert (der Handelnde sich verletzt oder tötet) oder ob der "Erfolg" ausbleibt. Wer lediglich den Akt der eigenverantwortlich gewollten und bewirkten Selbstgefährdung (vorsätzlich oder fahrlässig) veranlaßt, ermöglicht oder fördert, nimmt an einem Geschehen teil, das - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (RG DJZ 1898, 62; RGSt 57, 172, 173 f.; BGH JR 1979, 429; Jähnke a.a.O. § 222 Rdn. 21 m.w.Nachw.; Hirsch a.a.O. S. 430, 432; Roxin in Gallas-Festschrift S. 241, 246; Rudolphi in SK StGB 3. Aufl. Rdn. 79 vor § 1 m.w.Nachw.; Schroeder in LK 10. Aufl. § 16 Rdn. 181; Schünemann a.a.O.). Die Strafbarkeit kann erst dort beginnen, wo der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende (Jähnke a.a.O.). Was gilt, wenn den, der sich an der Selbstgefährdung eines eigenverantwortlich Handelnden aktiv beteiligt, Garantenpflichten für dessen Leib oder Leben treffen, kann unerörtert bleiben (vgl. 1. a.E.). Ohne rechtliche Bedeutung ist es, wenn der sich bewußt und eigenverantwortlich selbst Gefährdende hofft oder darauf vertraut, daß es nicht zum Eintritt des "Erfolgs" kommen werde. Mit dem gefährlichen, in seiner möglichen Tragweite überblickten Verhalten übernimmt er das Risiko der Realisierung der Gefahr (vgl. Hirsch in LK 9. Aufl. Rdn. 105 vor § 51; Jähnke a.a.O.; Schaffstein in Welzel-Festschrift S. 557, 566).

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3.

Der Angeklagte hat lediglich eine bewußte Selbstgefährdung (und Selbstverletzung) des Stoffbesitzers ermöglicht. Die Feststellungen enthalten keine Anhaltspunkte dafür, daß er das Risiko besser erkannte als sein Freund. Ob H. eigenverantwortlich handelte, ist zwar zweifelhaft. Weitere Feststellungen zu dieser Frage sind aber nicht mehr möglich. Sie muß deshalb zugunsten des Angeklagten bejaht werden (vgl. Jähnke a.a.O. Rdn. 31 vor § 211), gleichgültig, wie man die Kriterien des eigenverantwortlichen Handelns bestimmt (vgl. dazu Herzberg, Täterschaft und Teilnahme S. 38; Hirsch JR 1979, 429, 432; Jähnke a.a.O. Rdn. 25 und 26 vor § 211 und § 222 Rdn. 21; Lackner a.a.O.; Roxin NStZ 1984, 715 Wessels a.a.O. S. 9). Auch wenn man mit einem Teil der Wissenschaft annimmt, eigenverantwortliches Handeln sei ausgeschlossen, falls der Selbsttötungs- oder Selbstgefährdungsentschluß an Beurteilungs- oder Willensmängeln leidet, welche das Zustandekommen einer rechtfertigenden Einwilligung in eine Körperverletzung hindern würden, gestatten die Feststellungen nicht den Schluß, daß H. (infolge Drogensucht) in einer inneren Verfassung war, die eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung durch Heroinkonsum nicht zuließ. Auf die Frage, wie die Rechtslage wäre, wenn sowohl H., der Stoffbesitzer, wie auch der von ihm zum Heroinkonsum verleitete Angeklagte außerstande waren, die Risiken ihres Tuns sachgerecht abzuwägen oder der Verlockung zum Drogenkonsum viel Widerstand entgegenzusetzen, braucht nicht eingegangen zu werden.

10

4.

Ohne Einfluß auf die rechtliche Beurteilung ist es, daß das Betäubungsmittelgesetz die Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung der eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung durch Handlungen, welche in diesem Gesetz umschriebene Tatbestände erfüllen, mit Strafe bedroht. Aus solchen Strafdrohungen kann nicht abgeleitet werden, daß in dem tatbestandlichen Bereich, für den sie gelten, eine Verurteilung des "Teilnehmers" wegen fahrlässiger Tötung auch in Frage kommt, wenn der "Erfolg" die Realisierung eigenverantwortlich gewollter und vollzogener Selbstgefährdung ist. Ein unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Tötung nicht tatbestandsmäßiges Geschehen kann nicht deshalb unter diesem Gesichtspunkt tatbestandsmäßig werden, weil der "Teilnehmer" einen Beitrag leistet, der nach einem anderen Tatbestand strafbar ist. Strafrechtliche Verantwortlichkeit ist Verantwortlichkeit unter einem bestimmten rechtlichen Aspekt nach den dafür geltenden normativen Voraussetzungen. Ein Eingehen auf § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erübrigt sich. Der Angeklagte hat keine Betäubungsmittel abgegeben, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überlassen. Infolgedessen kann auch die Rechtsprechung zur fahrlässigen Tötung durch Abgabe von Heroin oder anderer Betäubungsmittel außer Betracht bleiben.

11

IV.

Obwohl es ausgeschlossen erscheint, daß der Angeklagte auf der Grundlage neuer Feststellungen wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden kann, hat der Senat nicht freigesprochen, sondern hat (unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zu II. 2. der Urteilsgründe) zurückverwiesen, um der Strafkammer Gelegenheit zu geben, die gemäß § 154 a StPO ausgeschiedenen Gesetzesverletzungen wieder einzubeziehen.

12

Die Aufhebung der Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung zog die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe und der zugehörigen Feststellungen nach sich.

Herdegen
Ulsamer
Schikora
RiBGH Dr. Foth ist auf einer Tagung und kann deshalb nicht unterschreiben; Herdegen
Granderath