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Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.01.1984, Az.: VI ZR 122/82

Zulässigkeit der Abweichung von einem Gutachten bei vom Gericht selbst durch Heranziehung von Fachliteratur erworbenen Wissens ; Bindung eines Gerichts an die Ergebnisse eines Sachverständigengutachtens; Vornahme einer Vaginalentbindung an Stelle eines indizierten Kaiserschnittes als Widerspruch zu anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft; Vaginalentbindung als Verletzung des Selbstbestimmungsrecht einer Mutter wegen Bindung des Arztes an die Risikoabwägung der Gebärenden; Unzulänglichkeit einer ärztlichen Dokumentation als Voraussetzung von Beweiserleichterungen bezüglich einesärztlichen Behandlungsfehlers

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
10.01.1984
Aktenzeichen
VI ZR 122/82
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1984, 12641
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Karlsruhe - 31.03.1982
LG Karlsruhe

Fundstellen

  • MDR 1984, 660 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1984, 1408-1409 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Dr. med. Leo G., Arzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe, V. straße ..., B.

Prozessgegner

Andreas S., geb. ...,
gesetzlich vertreten durch die Eltern Berthold S. und Eva S. geb. I., W. Straße 83, B.

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Gericht, das selbst Fachliteratur (hier: medizinische) herangezogen hat, auf Grund des dadurch erworbenen Fachwissens von dem Gutachten eines Sachverständigen abweichen darf.

In dem Rechtsstreit
hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 1984
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Hiddemann und
die Richter Dr. Steffen, Dr. Ankermann, Dr. Lepa und Bischoff
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 31. März 1982 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 1. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Mutter des Klägers, die bereits 1969 ein Kind geboren hatte, begab sich während einer erneuten Schwangerschaft in die ärztliche Betreuung des Beklagten, der gegen Ende der Schwangerschaft eine Beckenendlage des erwarteten Kindes feststellte und darüber auch mit der Mutter sprach. Sie kam nach einer rechnerischen Übertragungszeit von knapp 3 Wochen am Abend des ... 1974, als ihre Wehen einsetzten, in das Kreiskrankenhaus B. und wurde bei der Aufnahme von dem Beklagten untersucht.

2

Dieser überwachte auch die Geburt. Der Kläger kam am ... 1974 gegen 02.00 Uhr auf die Welt, wobei er vom Beklagten aus der sogenannten ersten vollkommenen Steißlage manuell entwickelt wurde. In der Schlußphase erhielt die Mutter eine Narkose. Die erste Untersuchung des Neugeborenen ergab bei ihm einen Apgar-Wert von 10 Punkten. Gegen 18.00 Uhr desselben Tages wurde der Kläger in die Kinderklinik K. eingeliefert. Sein Allgemeinzustand war reduziert. Es fanden sich Hämatome an Gesäß und Hoden sowie am linken Hinterkopf, ein Schlüsselbeinbruch rechts, angedeutete Hackenfüße und eine Facialisschwäche rechts. Die Neugeborenen-Reflexe fehlten weitgehend. Im Verlaufe der weiteren Behandlung wurde ein subduraler Erguß punktiert und später nach Eröffnung des Schädels links und rechts ein subdurales Hydrom entfernt.

3

Der Kläger hat einen Hirnschaden mit der Folge schwerster körperlicher und geistiger Behinderung erlitten. Er macht dafür den Beklagten verantwortlich, von dem er die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Zukunftsschäden verlangt. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor: Der Beklagte habe bei der Geburt falsch gehandelt, weil er nicht, wie es medizinisch geboten gewesen sei, von vornherein einen Kaiserschnitt durchgeführt, sondern sich für eine Vaginalentbindung entschieden habe. Dies sei dazu noch ohne Einwilligung der Mutter des Klägers erfolgt. Darüber hinaus seien dem Beklagten bei der Durchführung der Entbindung weitere Fehler unterlaufen. Die eingetretenen Hirnschäden beruhten auf diesen Behandlungsfehlern.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Schmerzensgeldklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

5

I.

Das Berufungsgericht hält den Beklagten für schadensersatzpflichtig, weil er rechtswidrig und schuldhaft die schwere Behinderung des Klägers herbeigeführt habe. Dazu erwägt es im wesentlichen: Die Vornahme einer Vaginalentbindung anstatt eines indizierten Kaiserschnittes habe den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft widersprochen. Das Berufungsgericht folgert das aus den ihm vorliegenden Sachverständigengutachten und zusätzlichen Erkenntnissen aus einem Lehrbuch der praktischen Geburtshilfe. Es hält ferner die Vaginalentbindung durch den Beklagten für einen Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Mutter des Klägers und deshalb für rechtswidrig. Dazu führt es im einzelnen aus, die Mutter des Klägers habe schon während der Schwangerschaft immer wieder die Vornahme eines Kaiserschnittes gewünscht; der Beklagte habe davon abgeraten, aber die Vornahme eines Kaiserschnittes auch nicht abgelehnt. Der Beklagte habe deshalb - so meint das Berufungsgericht - die von der Mutter des Klägers für sich selbst vorgenommene Risikoabwägung beachten müssen; er sei, solange er nicht seinerseits die Behandlung der Mutter des Klägers ablehnte, an deren Entscheidung gebunden gewesen. Im folgenden würdigt das Berufungsgericht die erhobenen Beweise dahin, daß die Wahl der Geburtsmethode durch den Beklagten für den Schaden des Klägers ursächlich geworden sei.

6

Hilfsweise meint das Berufungsgericht, es sei davon auszugehen, daß dem Beklagten auch während der Durchführung der vaginalen Entbindung Behandlungsfehler unterlaufen seien, auf die der jetzige Zustand des Klägers zurückzuführen sei. Dafür sprächen einige Indizien, vor allem der während der Geburt eingetretene Schlüsselbeinbruch und das Hämatom am Kopf. Da der Geburtsverlauf von dem Beklagten mangelhaft dokumentiert worden sei, habe er nunmehr den weiteren Beweis zu führen gehabt, daß er die Geburt kunstgerecht geleitet und durchgeführt habe. Ein solcher Beweis sei ihm nicht gelungen.

7

II.

Die dagegen gerichteten Revisionsangriffe sind begründet und führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Den Rechtsausführungen des Berufungsgerichts kann nicht durchweg gefolgt werden; vor allem aber rügt die Revision mit Recht das Verfahren des Berufungsgerichts (§ 286 ZPO).

8

1.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts reichen die von ihm getroffenen Feststellungen nicht aus, die Entscheidung des Beklagten, die Mutter des Klägers vaginal zu entbinden, als Behandlungsfehler anzusehen, der zu einer Haftung für die Schäden des Klägers aus dem Arztvertrag und aus unerlaubter Handlung nach §§ 823 Abs. 1, 847 BGB führen könnte.

9

a)

Die Ansicht des Berufungsgerichts steht in Widerspruch mit der von allen im Verfahren befragten ärztlichen Sachverständigen geäußerten Meinung, wonach im Streitfall nach ganz überwiegender medizinischer Praxis keine auch nur selektive Indikation zu einer Schnittentbindung bestanden hat. Zur Begründung seiner abweichenden Beurteilung der Indikationsstellung führt das Berufungsgericht eine Reihe sogenannter Gefahrenmomente an, die zu der bestehenden Beckenendlage hinzugetreten und "jedenfalls in ihrer Gesamtheit nicht voll in die weitere Betrachtung und Erwägung der Sachverständigen mit einbezogen worden" seien. Indessen waren alle diese Umstände, wie die Revision mit Recht rügt, den Sachverständigen bei ihrer Begutachtung bekannt und sind, soweit das aus ihrer Sicht erforderlich erschien, von ihnen auch gewürdigt worden. Wenn das Berufungsgericht eine nähere Auseinandersetzung mit dem einen oder anderen Punkt vermißte, hätte es auf eine Ergänzung der Gutachten hinwirken und notfalls die Sachverständigen mündlich befragen können und müssen. Aus eigener Sachkunde, die es nicht dargelegt hat und die es bei einem medizinisch so komplexen Geschehen auch nicht haben kann, durfte es vermeintliche Lücken der Gutachten nicht ausfüllen. Der Hinweis auf Ausführungen in medizinischen Lehrbüchern ist weder dazu geeignet, die Sachkunde des Gerichts zu begründen, noch dazu, Teile der Sachverständigengutachten und vor allem deren Schlußfolgerungen zu widerlegen. Die kritische Überprüfung ärztlicher Gutachten ist allerdings eine wichtige und unentbehrliche Aufgabe für den Tatrichter; ein Mittel dazu kann durchaus das Studium einschlägiger Fachliteratur sein. Nur darf der Tatrichter so erworbene, notwendigerweise bruchstückhafte Kenntnisse nicht über die Ausführungen des Fachmannes stellen. Er darf und soll sie ihm vorhalten, Wenn er Lücken und Widersprüche in den medizinischen Ausführungen des Sachverständigen vermutet. In aller Regel wird sich der Tatrichter aber erst nach einer Stellungnahme des Sachverständigen und gegebenenfalls nach einem Gespräch in der mündlichen Verhandlung in die Lage versetzen können, Inhalt und Wert des Gutachtens zu erfassen, um ein eigenes Urteil über zu beurteilende Sachfragen zu gewinnen. Auch dann wird er noch vorsichtig sein und, solange bei ihm Zweifel bestehen, versuchen müssen, sich weiter sachkundig zu machen. Das hier vom Berufungsgericht gewählte Verfahren, mit einem aus notwendigerweise generalisierenden Lehrbüchern erworbenem Wissen ein von den sachverständigen Fachärzten abweichendes medizinisches Urteil zu fällen, ist jedenfalls mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) nicht mehr vereinbar.

10

b)

Das Berufungsgericht wird danach, bevor es abweichend von der Ansicht der medizinischen Sachverständigen zum Ergebnis kommt, die Wahl der vaginalen Entbindung durch den Beklagten sei ein Behandlungsfehler gewesen, seine Bedenken gegen die Gutachten mit den Sachverständigen zu erörtern haben; diese haben übrigens bislang die vom Berufungsgericht aufgeführten angeblichen zusätzlichen Risikofaktoren für eine vaginale Entbindung nicht als solche angesehen. Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang der beruflichen Erfahrung des Beklagten in der Entbindungstechnik bei Beckenendlagen Bedeutung zumessen will, wird es, worauf die Revision ebenfalls mit Recht hinweist, zunächst dem Beklagten Gelegenheit zu geben haben, sich dazu zu äußern. Die Anführung einer beiläufigen Bemerkung des Beklagten, die im Ermittlungsverfahren protokolliert worden ist, ersetzt das nicht.

11

2.

Ebensowenig reichen die bisherigen Feststellungen im Berufungsurteil dazu aus, einen Behandlungsfehler des Beklagten bei der Durchführung der vaginalen Entbindung anzunehmen. Die angeführten Indizien weisen nach Ansicht der Sachverständigen nicht auf ein Versagen des Beklagten hin. Auch das Berufungsgericht, das die einzelnen Umstände zum Teil anders bewertet als die Gutachter, hält das Beweisergebnis an sich nicht für ausreichend, um einen Behandlungsfehler des Beklagten feststellen zu können. Seine Ansicht, die lückenhafte Dokumentation des Geburtsvorganges müsse zu einer Umkehr der Beweislast zu Gunsten des Klägers führen, so daß zu Lasten des Beklagten, der gegen ihn sprechende Indizien nicht habe ausräumen können, von einem Behandlungsfehler auszugehen sei, beruht auf einer falschen rechtlichen Sicht und ist nicht frei von Verfahrensfehlern.

12

a)

Dem geschädigten Patienten können allerdings Beweiserleichterungen für die von ihm behaupteten ärztlichen Behandlungsfehler zugute kommen, wenn die geschuldete ärztliche Dokumentation unzulänglich ist (BGHZ 72, 132 ff.; stRspr). Im Streitfall vermißt das Berufungsgericht im Geburtsbericht Angaben über die Art und Weise, in der der Beklagte in der letzten Geburtsphase den Kläger aus der vorhandenen Beckenendlage "entwickelt" hat. Der vom Beklagten verwendete Begriff "Manualextraktion" ist in der Tat nicht aussagekräftig und läßt nicht erkennen, wie der Beklagte wirklich vorgegangen ist. Freilich enthält er für sich auch noch keine Unklarheiten, wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Terminologie in einem von ihm benutzten medizinischen Lehrbuch ausführt. Indessen ist es dem beklagten Arzt, der seiner Dokumentationspflicht nicht vollständig nachgekommen ist und deswegen den Patienten in für diesen unlösbare Schwierigkeiten einer Aufklärung des Sachverhaltes gebracht hat, unbenommen, die fehlenden schriftlichen Angaben nachträglich zu ergänzen. Kann er das und vermag er diesen seinen Vortrag zu beweisen, dann stellt ein etwaiger Dokumentationsmangel kein Aufklärungshindernis mehr dar. Schon das hat das Berufungsgericht möglicherweise verkannt.

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b)

Das Berufungsgericht übersieht nicht, daß der Beklagte vorgetragen hat, er habe die Entbindung nach "modus Thiessen" vorgenommen. Es meint aber, ohne nähere erläuternde Hinweise werde dadurch der Ablauf der Geburt nicht deutlicher. Mit Recht rügt die Revision dazu, daß das Berufungsgericht seiner Aufklärungs- und Fragepflicht nach § 139 ZPO nicht nachgekommen ist. Es ist offensichtlich, daß der Beklagte mit seinem Hinweis auf die gewählte Methode schlagwortartig einen medizinischen Sachverhalt darlegen wollte. Für den Laien (und auch für den befragten Gutachter) war damit zwar noch nicht klar, was gemeint war. Dann aber mußte das Gericht, wenn es seiner Ansicht nach auf diesen Punkt ankam, den Beklagten fragen, was unter "modus Thiessen" zu verstehen sei. Der Beklagte hätte dann, wie die Revision ausführt, vorgetragen, daß es sich um die von seinem ehemaligen Lehrer Prof. Thiessen geübte Methode der vaginalen Entwicklung des Kindes aus der Beckenendlage handele, und hätte erläutert, wie die Geburt nach dieser Methode abläuft (und im Streitfall abgelaufen ist). Das Berufungsgericht wird dem Beklagten deshalb, bevor es ihm einen Fehler bei der Durchführung der Entbindung in der letzten Phase anlastet, Gelegenheit zu geben haben, sein Vorbringen entsprechend zu ergänzen und unter Beweis zu stellen. Im übrigen wird es, selbst wenn der Ablauf dieser Phase der Geburt sich nicht mehr vollständig feststellen lassen sollte, erst nach einer ergänzenden Befragung von Sachverständigen entscheiden können, ob die noch feststellbaren tatsächlichen Umstände in einer Weise auf einen Fehler des Beklagten hinweisen, der eine Beweislastumkehr zu dessen Lasten erfordert. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zu der von den Sachverständigen bisher vertretenen Ansicht, die Geburt sei in der letzten Phase glatt und problemlos verlaufen, sind zum Teil wiederum nicht durch eigene Sachkunde ausgewiesen.

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3.

Die Entbindung des Klägers durch den Beklagten auf vaginalem Wege war entgegen der weiteren Ansicht des Berufungsgerichts nicht mangels einer wirksamen Einwilligung der Mutter des Klägers rechtswidrig; der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen einer bei der Geburt erlittenen Körperverletzung, die auf einer vom Beklagten versäumten Aufklärung oder auf einem Einwilligungsmangel beruht.

15

a)

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kann von einer vertraglichen Verpflichtung des Beklagten, die Geburt mittels Kaiserschnitts durchzuführen, keine Rede sein. Er hat, wie das Berufungsgericht zu seinen Gunsten unterstellt (das Gegenteil ist vom Kläger auch nicht unter Beweis gestellt), mit der Mutter des Klägers über die Gefahren infolge der Beckenendlage des Klägers gesprochen. Auf den Wunsch der Mutter des Klägers nach einem Kaiserschnitt hin hat er davon abgeraten und mindestens erklärt, er selbst ziehe die Vaginalentbindung vor. Das ist eindeutig und konnte von der Mutter des Klägers nicht dahin verstanden werden, der Beklagte habe sich nunmehr vertraglich dazu verpflichten wollen, eine Schnittgeburt vorzunehmen, ohne daß in der konkreten Situation der Geburt zusätzliche medizinische Indikationen dafür vorliegen würden.

16

b)

Das Berufungsgericht entnimmt der von ihm festgestellten Tatsache, die Mutter des Klägers habe ungeachtet der anders lautenden Empfehlungen des Beklagten weiter den Wunsch gehabt, durch Kaiserschnitt entbunden zu werden, der Beklagte habe ihr Verbleiben in seiner Behandlung und das Aufsuchen seiner Klinik beim Einsetzen der Geburt nicht als Zustimmung zu einer Vaginalentbindung verstehen dürfen. Es folgert daraus, der Beklagte habe sich über das Selbstbestimmungsrecht der Mutter des Klägers, deren Entscheidung über die Art seines ärztlichen Vorgehens er habe respektieren müssen, hinweggesetzt. Dem vermag der Senat schon aus Rechtsgründen nicht zu folgen. Der Beklagte hatte der Mutter des Klägers gerade nicht versprochen, einen Kaiserschnitt durchzuführen; er hatte ihr auch keinen Grund gegeben, darauf zu vertrauen, er werde sich anders entscheiden, wenn die Geburt einsetzte. Solange er der Mutter des Klägers gegenüber nicht anderweitig vertraglich gebunden war, hatte er sich damit seine ärztliche Entscheidungsfreiheit Über das Vorgehen vorbehalten und genügend deutlich gemacht, er werde sich (falls keine Komplikationen eintreten würden) für eine Vaginalentbindung entscheiden. Das konnte die Mutter des Klägers nicht mißverstehen. Sie kannte aus den Gesprächen mit ihm seinen ärztlichen Standpunkt. Blieb sie dennoch in seiner Behandlung und begab sie sich, wie geschehen, beim Einsetzen der Geburt in seine Klinik, dann entschied sie sich für eine Betreuung während der Geburt durch einen Arzt, der - wie sie wußte - eine Schnittentbindung nicht ohne Not vornehmen würde. Sie hat ein solches Vorgehen nach ihrem eigenen Vortrag auch gar nicht mehr verlangt, als sie in die Klinik gekommen war. Es hätte ihr freigestanden, vorher den Arzt zu wechseln oder zur Entbindung in eine andere Klinik zu gehen, die in der Indikationsstellung für einen Kaiserschnitt großzügiger verfuhr. Sie hat das bewußt nicht getan. Unter solchen Umständen kann keine Rede davon sein, das Selbstbestimmungsrecht sei von ärztlicher Seite verletzt worden, ohne daß hier auf die Frage näher eingegangen werden müßte, wieweit ein Arzt verpflichtet ist, den Wunsch der Gebärenden nach einem Kaiserschnitt zu respektieren.

17

4.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur weiteren Aufklärung nach Maßgabe der erörterten rechtlichen Gesichtspunkte zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der gesetzlichen Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht. Der Beklagte wird in der erneuten mündlichen Verhandlung, sofern es darauf ankommen sollte, Gelegenheit haben, seine durchaus beachtlichen Rügen aus der Revisionsbegründung zur Frage der Ursächlichkeit eines etwaigen Behandlungsfehlers für die Körperverletzung des Klägers dem Berufungsgericht vorzutragen.

Dr. Hiddemann
Dr. Steffen
Dr. Ankermann
Dr. Lepa
Bischoff