Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.11.1983, Az.: IVb ZR 1/82
Verwerfung eines Rechtsmittels bei begründeter Geltendmachung der von einer Prozesspartei erklärten Verpflichtung zur Rücknahme des Rechtsmittels
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 14.11.1983
- Aktenzeichen
- IVb ZR 1/82
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1983, 12396
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Oldenburg - 29.09.1981
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- JZ 1984, 103
- MDR 1984, 302 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1984, 805 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
Christina S., S., O.,
Prozessgegner
Hans-Jürgen S., O. weg ...,
Amtlicher Leitsatz
Beruft sich der Prozeßgegner in begründeter Weise darauf, daß sich eine Partei zur Zurücknahme des von ihr eingelegten Rechtsmittels verpflichtet habe, so ist im gleichwohl weiter betriebenen Verfahren das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen.
Der IVb - Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat ohne mündliche Verhandlung
nach dem Verfahrensstand vom 10. Oktober 1983
durch
die Richter Dr. Seidl, Dr. Blumenröhr, Dr. Macke, Dr. Zysk und Nonnenkamp
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 12. Zivilsenats - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts in Oldenburg vom 29. September 1981 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Tatbestand
Die Parteien haben 1978 die Ehe geschlossen. Ende August 1980 ist die Klägerin mit dem aus der Ehe hervorgegangenen, 1979 geborenen Kind aus der Ehewohnung ausgezogen. Im vorliegenden Verfahren begehrt sie Trennungsunterhalt.
Das Amtsgericht hat der Klägerin einen monatlichen Unterhalt von 500 DM ab 1. Januar 1981 zugesprochen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage für die Zeit ab 1. April 1981 abgewiesen, im übrigen die Berufung jedoch zurückgewiesen.
Mit der - zugelassenen - Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Der Beklagte hält die Fortsetzung des Revisionsverfahrens für unzulässig, weil die Klägerin sich zur Rücknahme des Rechtsmittels verpflichtet habe. Er hat ein von beiden Parteien persönlich unterzeichnetes und vom 8. März 1982 datiertes Handschreiben der Klägerin vorgelegt, das folgenden Wortlaut hat:
"Betr.: Unterhaltszahlung
Sehr geehrte Herren!
Hiermit möchte ich mein Revisionsverfahren beim BHG gegen meinen Mann Jürgen S. zurückziehen.
Begründung:
Ich habe mich mit meinem Mann dahingehend geeinigt, daß er mir nur noch vom 1.4.1981 bis 30.6.1981 monatlich 500 DM Unterhalt zahlt. Wir haben uns auf monatliche Ratenzahlungen von DM 100,- (Einhundert) geeinigt.
Ich stelle an meinen Mann keine weiteren Ansprüche mehr."
Die Klägerin mißt dieser Erklärung keine Rechtswirkung bei. Sie macht geltend, daß ihre anwaltlichen Vertreter mit Schreiben vom 2. April 1982 der Gültigkeit der "Vereinbarung" vom 8. März 1982 entgegengetreten seien und sie unter Bezugnahme auf dieses Schreiben mit Schreiben vom 23. August 1982 gemäß §§ 119, 123 BGB angefochten hätten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Die Klägerin hat das in gesetzlich vorgeschriebener Weise eingelegte und begründete Rechtsmittel zwar dem Gericht gegenüber nicht wirksam zurückgenommen. Die Zurücknahme der Revision unterliegt als Prozeßhandlung dem Anwaltszwang (§§ 566, 515 Abs. 2, 78 Abs. 1 ZPO). Durch den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin in der Revisionsinstanz ist eine Zurücknahme des Rechtsmittels nicht erklärt worden.
Das bedeutet indessen nicht, daß der Erklärung der Parteien vom 8. März 1982 keine Rechtswirkung zukommt. Es entspricht einer gefestigten, bereits vom Reichsgericht entwickelten und vom Bundesgerichtshof fortgeführten Rechtsprechung, daß die Parteien eines dem Anwaltszwang unterliegenden Rechtsstreits materiell-rechtlich bindende Vereinbarungen über die Zurücknahme von Klagen oder Rechtsmitteln und über einen Rechtsmittelverzicht auch persönlich treffen können. Der für Prozeßhandlungen bestehende Anwaltszwang beschneidet eine geschäftsfähige Person nicht in ihren Möglichkeiten, durch Vertrag mit dem Prozeßgegner Verpflichtungen über ihr Prozeßverhalten einzugehen. Hält sie sich nicht an eine in dieser Hinsicht wirksam eingegangene Verpflichtung, kann der Vertragspartner das im Wege der Einrede geltend machen; denn mit seinem vorangegangenen rechtsgeschäftlichen Verhalten darf sich auch prozessual niemand in Widerspruch setzen (vgl. dazu RGZ 102, 217; 123, 84; 159, 186; BGHZ 28, 45, 48 ff., BGH NJW 1961, 460; 1964, 549; 1968, 794). Beruft sich der Prozeßgegner in begründeter Weise darauf, daß sich eine Partei zur Zurücknahme des von ihr eingelegten Rechtsmittels verpflichtet habe, so ist im gleichwohl weiter betriebenen Verfahren das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen.
Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Schriftstück vom 8. März 1982, das beide Parteien unterzeichnet haben und dessen Inhalt unstreitig ist, gibt mit der erforderlichen Deutlichkeit und Bestimmtheit eine Vereinbarung wieder, durch die sich die Parteien außergerichtlich über die bis dahin noch streitigen Unterhaltsleistungen des Beklagten für die Zeit ab 1. April 1981 endgültig und vollständig verglichen hatten und sich die Klägerin verpflichtet hatte, die von ihr bereits eingelegte Revision zurückzunehmen.
Die Klägerin hat keine Tatsachen vorgetragen, die den Bestand der Vereinbarung in Frage stellen, oder die es der Klägerin erlaubten, der vom Beklagten erhobenen Einrede mit der Gegeneinrede der Arglist zu begegnen. Das vorgelegte Schreiben vom 23. August 1982 enthält lediglich die "vorsorglich" erklärte Anfechtung unter Hinweis auf §§ 119, 123 BGB, wobei zur Begründung auf das Schreiben vom 2. April 1982 Bezug genommen wird. Dieses vom Beklagten vorgelegte Schreiben läßt indessen nicht erkennen, daß die Klägerin ihre im Schreiben vom 8. März 1982 niedergelegten Willenserklärungen überhaupt anfechten und auf welche Umstände sie gegebenenfalls eine Anfechtung stützen wollte. Auf einen Irrtum der Klägerin haben sich ihre anwaltlichen Vertreter ebensowenig berufen wie darauf, daß die Klägerin durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe dieser Erklärungen bestimmt worden sei. Sie haben nur mitgeteilt, die Klägerin habe ihnen über das Zustandekommen der "Vereinbarung" berichtet; danach sei sie zusammen mit dem Beklagten bei dessen Prozeßbevollmächtigten gewesen; dieser habe mit beiden Parteien die Möglichkeiten einer Erledigung der Angelegenheit besprochen und dann dazu geraten, sie durch eine private Vereinbarung zu beenden.
An diese Darstellung haben die anwaltlichen Vertreter der Klägerin ihre Erwartung geknüpft, auch die Gegenseite werde in Anbetracht der Art und Weise des Zustandekommens der "Vereinbarung" nicht davon ausgehen, daß mit ihr die Unterhaltsangelegenheit erledigt sei.
Es kommt nicht darauf an, ob die in diesem Schreiben gegebene Darstellung über das Zustandekommen der Vereinbarung vom 8. März 1982 zutrifft. Selbst wenn ein anwaltlicher Vertreter des Beklagten mit den Parteien ohne Beteiligung eines Anwalts der Klägerin verhandelt und die Einigung der Parteien dadurch gefördert hätte, könnte daraus - unabhängig davon, wie ein solches Verhalten standesrechtlich zu beurteilen wäre - kein Grund hergeleitet werden, der die Vereinbarung unwirksam gemacht oder die Klägerin zur Anfechtung ihrer Erklärungen wegen eines Willensmangels berechtigt hätte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Blumenröhr
Macke
Zysk
Nonnenkamp