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Bundesgerichtshof
Urt. v. 15.06.1983, Az.: IVa ZR 31/82

Erstreckung des Krankenversicherungsschutzes auf die Kosten einer Kurbehandlung; Anwendbarkeit der für Rechtsgeschäfte geltenden Auslegungsmaximen auf die Bestimmungen eines Versicherungsvertrages; Behandlung einer Kurkostenversicherung als Krankheitskostenteilversicherung; Voraussetzungen einer zulässigen Kündigung einer Krankheitskostenteilversicherung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
15.06.1983
Aktenzeichen
IVa ZR 31/82
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1983, 12410
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Hamm - 08.01.1982
LG Bielefeld

Fundstellen

  • MDR 1984, 31-32 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1983, 2638 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Verwaltungsangestellter Jürgen K., T.-F.-Straße ..., O.,

Prozessgegner

P.-Gruppe Krankenversicherung AG,
vertreten durch den Vorstand, bestehend aus Helmut Kr., Horst Fr., Helmut H., Klaus-Dietrich M., Dr. Hans Peter N., Dr. Knud Te. und Joachim W., B. Straße .../..., Of.

Amtlicher Leitsatz

  1. a)

    Die Kurkostenversicherung ist eine Krankheitskostenteil-Versicherung.

  2. b)

    Die Vereinbarung eines ordentlichen Kündigungsrechts des Versicherers hält in der Kurkostenversicherung jedenfalls dann der Inhaltskontrolle stand, wenn es auf einen Zeitraum von 3 Jahren beschränkt wird.

  3. c)

    Zur Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen.

Der IVa - Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 1983
durch
die Richter Rottmüller, Dehner, Dr. Schmidt-Kessel, Rassow und Dr. Zopfs
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. Januar 1982 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Tatbestand

1

Der Kläger - Mitglied der Ba. E. kasse - ist seit dem 1. November 1976 bei der Beklagten versichert. Der Versicherungsschutz umfaßt die Kosten für ambulante, stationäre und zahnärztliche Heilbehandlung, soweit diese nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen und übernommen werden. Zum 1. Februar 1978 schloß der Kläger mit der Beklagten einen weiteren Versicherungsvertrag ab, durch den die Kosten der Kurbehandlung gedeckt wurden. Mit Schreiben vom 16. Juli 1980 kündigte die Beklagte unter Hinweis auf § 14 I 2 der den Versicherungsverträgen zugrunde liegenden Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherer (MB/KK) den Kurkostenversicherungsvertrag zum 31. Oktober 1980.

2

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage die Feststellung, daß die ausgesprochene Kündigung unwirksam sei.

3

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

4

Das Berufungsgericht hält die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung für wirksam. Der in § 14 Abs. 1 MB/KK ausgesprochene allgemeine Verzicht auf das ordentliche Kündigungsrecht gelte hier nicht, weil die Kurkostenversicherung als eine Krankheitskostenteilversicherung anzusehen sei. Dieser Auffassung tritt der Senat im Ergebnis bei.

5

1.

Das Berufungsgericht meint, bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen komme es nicht darauf an, wie im konkreten Einzelfall der Versicherungsnehmer die Bedingungen verstanden habe, auch nicht darauf, wie sie ein verständiger Nichtjurist verstehen würde; maßgeblich seien vielmehr die für die Auslegung von Gesetzen entwickelten objektiven Auslegungsgrundsätze. Ihm ist darin zuzustimmen, daß nach der heute allgemein herrschenden Lehre Allgemeine Versicherungsbedingungen nicht nach den Regeln auszulegen sind, die für die Auslegung von Rechtsgeschäften, insbesondere von Verträgen gelten, sondern, ähnlich wie Gesetze, nach objektiven Gesichtspunkten. Es darf deshalb, wie das Berufungsgericht zutreffend bemerkt, nicht auf das Verständnis des Versicherungsnehmers abgestellt werden, mit dem im Einzelfall der Vertrag abgeschlossen wird. Das bedeutet jedoch nicht, daß für die Auslegung der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen gebrauchten Ausdrücke deren juristisch-technischer Sinn maßgeblich wäre, auch wenn er vom allgemeinen Sprachgebrauch abweicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich vielmehr die Auslegung am Maßstab des "verständigen Dritten" entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch des täglichen Lebens auszurichten (Urteile vom 11. März 1970 - IV ZR 1146/68; vom 21. November 1975 - IV ZR 112/74 und vom 26. Januar 1977 - IV ZR 41/76 - VersR 1970, 435, 436;  1976, 136, 137;  1977, 417, 418).

6

Der Grundsatz der gesetzesformigen Auslegung schließt allerdings nicht aus, daß Bestimmungen, die in Allgemeinen Versicherungsbedingungen enthalten sind, im Einzelfall eine abweichende Deutung gegeben wird. Nach § 4 AGBG geht eine Individualvereinbarung Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor. Eine von Allgemeinen Versicherungsbedingungen abweichende Individualvereinbarung kann auch stillschweigend oder durch schlüssige Handlungen getroffen werden. Bringen die Parteien bei den Vertragsverhandlungen zum Ausdruck, daß sie eine bestimmte Klausel anders verstehen, als es deren objektivem Sinn entspricht, so wird man eine von den AVB abweichende stillschweigende Individualvereinbarung annehmen müssen. In diesem Zusammenhang kann es durchaus auf Belehrungen ankommen, die dem Versicherungsnehmer vom Versicherer, vom Versicherungsangestellten oder Versicherungsvertreter erteilt werden (somit Recht Schmidt-Salzer BB 1981, 459, 462 unter IV; ähnlich Brandner AcP 162, 237; vgl. auch Prölss/Martin VVG 22. Aufl. Vorbem. I 6 B d).

7

2.

Das Berufungsgericht stellt bei der Prüfung der Frage, ob eine Krankheitskostenteilversicherung vorliegt, auf das gesamte Versicherungsverhältnis des Beklagten und nicht auf den hier gekündigten Einzelvertrag über die Kurkostenversicherung ab. Dem kann der Senat nicht folgen. Nach Nr. 1.1 des Tarifs 35 der Beklagten kann die Kurkostenversicherung unabhängig vom Bestehen anderweitiger Versicherungen abgeschlossen und weitergeführt werden. Auch beim Kläger stand der Abschluß der Kurkostenversicherung nicht in einem zeitlichen Zusammenhang mit seiner allgemeinen Krankheitskostenversicherung.

8

3.

Die Kurkostenversicherung ist begrifflich eine Krankenversicherung, weil auch Kuren der Heilung von Krankheiten dienen (vgl. das zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmte Senatsurteil vom 4. Mai 1983 - IVa ZR 113/81). Sie ist auch eine Krankheitskostenteilversicherung; denn sie deckt nicht den vollen Bereich der Kranheitskosten ab. Nach § 14 Abs. 1 der MB/KK 1976, die nach der übereinstimmenden Auffassung beider Parteien dem Vertrag zugrunde liegen, ist daher die Beklagte berechtigt, die Kurkostenversicherung zum Ende eines jeden der ersten drei Versicherungsjahre zu kündigen.

9

4.

Das Berufungsgericht hält die Vereinbarung eines Kündigungsrechts des Versicherers auch in der Krankenversicherung für zulässig. Es meint, die Kündigungsmöglichkeit sei grundlegender Bestandteil eines jeden privaten Versicherungsvertrages. Nur in Ausnahmefällen sei die Kündigung nach den Vertragsbedingungen oder nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung des besonderen Charakters des jeweiligen Versicherungsverhältnisses ausgeschlossen. Gegen die Auffassung, daß auch bei einer Krankenversicherung ein ordentliches Kündigungsrecht des Versicherers vereinbart werden könne, sind in Schrifttum vor allem von Wriede (VersN 1951, 70; VersR 1972, 9; Bruck/Möller/Wriede VVG 8. Aufl. Bd. VI Krankenversicherung Anm. D 43) beachtliche Bedenken erhoben worden, die sich auf die Natur des Krankenversicherungsvertrages und seinen sozialen Schutzzweck gründen. Das Berufungsgericht hat sich diesem Gedankengang nicht verschlossen; es räumt ein, daß unter besonderen Voraussetzungen die Kündigung eines Versicherungsvertrages wegen des besonderen Charakters des in Frage stehenden Versicherungsverhältnisses ausgeschlossen sein könne. Entscheidend sei dabei die Auswirkungen einer Kündigung für den Versicherungsnehmer; je umfassender der Krankenversicherungsschutz sei, um so eher werde eine Kündigung als bedenklich und unwirksam anzusehen sein.

10

Dieser rechtlichen Beurteilung tritt der Senat im wesentlichen bei. Es braucht hier nicht darüber entschieden zu werden, ob in der allgemeinen Krankenversicherung durch die Vereinbarung eines lediglich vom Zeitablauf abhängigen Kündigungsrechts des Versicherers wesentliche Rechte des Versicherungsnehmers, die sich aus der Natur des Krankenversicherungsvertrages ergeben, so eingeschränkt werden, daß dadurch die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG). Für die Kurkostenversicherung trifft dies jedenfalls nicht zu. Der Abschluß eines solchen Versicherungsvertrages ist - anders als der einer allgemeinen Krankheitskostenversicherung - zur sozialen Absicherung des Versicherungsnehmers nicht erforderlich. Die Vereinbarung eines Kündigungsrechts für den Versicherer hält daher zumindest dann der Inhaltskontrolle stand, wenn es, wie es hier geschehen ist, auf einen Zeitraum von 3 Jahren begrenzt wird. Inwieweit eine weitere zeitliche Ausdehnung des Kündigungsrechts zu beanstanden wäre, ist hier nicht zu entscheiden.

Rottmüller
Dehner
Dr. Schmidt-Kessel
Rassow
Dr. Zopfs