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Bundesgerichtshof
Urt. v. 27.04.1983, Az.: IVb ZR 372/81

Bemessung eines angemessenen Lebensbedarfs beider Ehepartner im Verhältnis zueinander; Voraussetzungen eines Aufstockungsunterhalts; Zulässigkeit der Begründung der Unterhaltsleistungen mit Tabellen als Orientierungshilfe; Anwendung des Grundsatzes der hälftigen Teilhabe bei einer Scheidung; Auswirkungen des Hinzutritt weiterer Unterhaltsberechtigter nach Auflösung der früheren Ehe auf den Trennungsunterhalt

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
27.04.1983
Aktenzeichen
IVb ZR 372/81
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1983, 13875
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Nürnberg - 03.08.1981
AG Regensburg

Fundstellen

  • MDR 1983, 1005 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1984, 267-271 (Urteilsbesprechung von Richter Dr. Gerhard Christl)
  • NJW 1983, 1733-1735 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Es hängt von der individuellen Entscheidung der Ehegatten ab, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie Teile ihres Einkommens nicht mehr verbrauchen, sondern der Vermögensbildung zuführen; dies kann daher bei der Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht Gegenstand eines Erfahrungssatzes sein. (Zur sog. "Nürnberger Tabelle").

Der IVb - Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 1983
durch
den Vorsitzenden Richter Lohmann und
die Richter Dr. Blumenröhr, Dr. Macke, Dr. Zysk und Nonnenkamp
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 3. August 1981 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um nachehelichen (ergänzenden) Unterhalt. Ihre am 26. Januar 1971 geschlossene und kinderlos gebliebene Ehe ist seit dem 4. März 1980 rechtskräftig geschieden. Der Beklagte hat am 18. April 1980 die Mutter seines 1979 nichtehelich geborenen Kindes Katrin geheiratet, das dadurch ehelich geworden ist. Beide Parteien waren während ihrer Ehe in gleicher Weise wie jetzt erwerbstätig, der Beklagte als Elektroingenieur bei der Firma S. und die Klägerin als Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst.

2

Das Amtsgericht hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin einen Aufstockungsunterhalt von monatlich 441,50 DM ab 1. Juli 1980 sowie 1.324,50 DM nebst Zinsen als Rückstand für die Monate April bis Juni 1980 zu zahlen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht der Klägerin nur monatlich 250,00 DM für die Monate April bis September 1980, insgesamt 1.500,00 DM nebst Zinsen zuerkannt und die Klage im übrigen abgewiesen.

3

Mit der (zugelassenen) Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5

I.

1.

Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Im letzten Jahr vor der Scheidung ihrer Ehe hätten die Parteien durch schnittlich monatliche Nettoeinkünfte von zusammen 3.850,00 DM erzielt, nämlich der Beklagte 2.450,00 DM und die Klägerin 1.400,00 DM. Unter Anwendung der "Nürnberger Tabelle" (Raster zur Ermittlung des Lebensbedarfs im Rahmen gesetzlicher Unterhaltsverhältnisse, vgl. NJW 1981, 965 [BGH 28.11.1980 - V ZR 148/79]) ergebe sich ein angemessener Lebensbedarf beider Parteien im Verhältnis zueinander von rund 1.700,00 DM monatlich. Da die Klägerin hiervon 1.450,00 DM durch eigene Erwerbstätigkeit verdiene, könne sie den Unterschiedsbetrag von 250,00 DM monatlich als ungedeckten Teil ihres vollen Unterhaltes für die sechs Monate von April bis September 1980 beanspruchen; denn der Beklagte sei bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 2.500,00 DM und einer anderweitigen Unterhaltspflicht in dieser Zeit nur gegenüber dem Kind aus seiner neuen Ehe voll leistungsfähig gewesen.

6

2.

Diese Erwägungen halten der rechtlichen Prüfung nur im Ausgangspunkt stand.

7

a)

Gemäß §§ 1569, 1573 Abs. 2 BGB kann ein geschiedener Ehegatte, dessen Einkünfte aus einer eigenen angemessenen Erwerbstätigkeit zum vollen Unterhalt (§ 1578 BGB) nicht ausreichen, den Unterschiedsbetrag zwischen seinen Einkünften und dem vollen Unterhalt beanspruchen. Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen, die im wesentlichen von dem in der Ehe verfügbaren Einkommen geprägt werden. In einer Ehe, in der beide Ehegatten einer Erwerbstätigkeit nachgehen (sog. Doppelverdienerehe), sind daher regelmäßig die Einkünfte beider Ehegatten maßgebend. Insoweit steht die angefochtene Entscheidung im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 9. Juni 1982 - IVb ZR 698/80 - FamRZ 1982, 892 m.w.N.).

8

b)

Durchgreifende Bedenken bestehen aber gegen die Auffassung, bei einem von den Parteien bis zur Scheidung ihrer kinderlosen Ehe erreichten Gesamtnettoeinkommen von 3.850,00 DM benötige die Klägerin lediglich 1.700,00 DM zur Deckung ihres vollen Unterhaltsbedarfs. Zur Begründung dieser Annahme hat sich das Oberlandesgericht auf die sog. "Nürnberger Tabelle" bezogen, die auf der Basis des Regelunterhalts und der Richtsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz unter Verwendung der Werte für die Aufwendungen der Durchschnittsfamilien nach dem Statistischen Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes zu dem angenommenen Wert gelange. Diese Begründung trägt indessen die Unterhaltsbemessung im vorliegenden Fall nicht.

9

Es ist zwar revisionsrechtlich regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter sich bei der Bemessung von Unterhalt der Orientierungshilfen bedient, die in einzelnen Gerichtsbezirken zur Gewährleistung einer möglichst einfachen und gleichmäßigen Rechtsanwendung entwickelt worden sind. Die durch den Gebrauch solcher Hilfsmittel erzielten Ergebnisse müssen im Einzelfall jedoch daran gemessen werden, ob sie den anzuwendenden Rechtsgrundsätzen Rechnung tragen und angemessen sind; falls erforderlich, müssen sie nach den besonderen Umständen des zu entscheidenden Falles berichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1979 - IV ZR 189/77 - FamRZ 1979, 692, 693). Verschieden hohe Einkünfte der Ehegatten aus beiderseitiger Erwerbstätigkeit führen nicht dazu, daß die ehelichen Lebensverhältnisse für die Ehegatten unterschiedlich zu beurteilen wären; beide nehmen vielmehr in gleicher Weise an dem durch die beiderseitigen Einkünfte geprägten ehelichen Lebensstandard teil (vgl. Senatsurteil vom 7. Juli 1982 - IVb ZR 726/80 - FamRZ 1982, 894, 895 m.w.N.). Diesem Grundsatz wird das Berufungsurteil jedenfalls bei den bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht gerecht, Bei einer hälftigen Aufteilung der in der Ehe der Parteien zuletzt dauerhaft erzielten Einkünfte von monatlich 3.850,00 DM würde auf jeden Ehegatten an sich ein Betrag von 1.925,00 DM entfallen. Wenn die Klägerin zur Deckung ihres vollen Unterhaltsbedarfes nur den vom Oberlandesgericht aus der Nürnberger Tabelle (Spalte 9 Gruppe 33) entnommenen Betrag von 1.700,00 DM beanspruchen könnte, behielte der Beklagte mit 2.150,00 DM einen wesentlich höheren Anteil. Der ungleiche Verteilungsmaßstab des angefochtenen Urteils wird noch deutlicher, wenn allein die Einkommensdifferenz betrachtet wird, die zwischen den Parteien im Zeitpunkt der Scheidung nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts in Höhe von (2.450 - 1.400 =) 1.050,00 DM bestanden hat: Die der Klägerin zuerkannten 250,00 DM entsprechen weniger als einem Viertel des Unterschiedsbetrages (vgl. BGH, Urt. vom 13. Juni 1979 a.a.O. 8. 694).

10

Das vom Oberlandesgericht gewonnene Ergebnis läßt sich auch nicht mit der Überlegung begründen, der Beklagte benötige zur Deckung seines eigenen vollen Unterhaltsbedarfs bei Anwendung der Nürnberger Tabelle gleichfalls nur 1.700,00 DM. Aus der Summe der zuletzt von beiden Parteien erzielten Einkünfte bliebe dann ein Teilbetrag von (3.850 - 1.700 - 1.700 =) 450,00 DM für die Unterhaltsbemessung unberücksichtigt. Daß sie in dieser Höhe Teile ihres Einkommens regelmäßig nicht zur Bestreitung ihrer Lebenshaltung verwendet hätten, haben die Parteien indessen nicht vorgetragen. Das Oberlandesgericht hat hierzu konkrete Feststellungen auch nicht getroffen. Der Bezugnahme auf die Erläuterungen zur Nürnberger Tabelle in NJW 1981, 965 ff. [BGH 28.11.1980 - V ZR 148/79] läßt sich allerdings entnehmen, daß das Oberlandesgericht zu diesem Punkt eine nähere Begründung für entbehrlich gehalten hat und einen Erfahrungssatz hat zugrunde legen wollen. Im fünften Absatz der Grundsätze zum Aufbau der Nürnberger Tabelle (Stand 1. Januar 1981) heißt es nämlich: "Höheres Einkommen wird bei wirtschaftlich vernünftigem Verhalten erfahrungsgemäß nicht in voller Höhe für den angemessenen Lebensbedarf verbraucht. Der nicht verbrauchte Teil steigt mit der Höhe des Einkommens. Dieser Teil bleibt bei der Bemessung des angemessenen Bedarfs außer Ansatz." Auf einen solchen Grundsatz läßt sich die Außerachtlassung von 450,00 DM (= ca. 12 %) des beiderseitigen Erwerbseinkommens bei der Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse im vorliegenden Fall nicht stützen. Es hängt von der individuellen Entscheidung der Ehegatten ab, ob und gegebenenfalls wieviel sie von ihrem Einkommen monatlich der Vermögensbildung zuführen. Dies kann daher nicht Gegenstand eines Erfahrungssatzes sein. Vielmehr bedarf es konkreter Feststellungen im Einzelfall, wobei beachtet werden muß, daß Sparleistungen häufig nur dazu dienen, eine größere Ausgabe anzusparen, die aber gleichwohl den Lebenshaltungskosten zuzurechnen ist (z.B. Urlaubsreise, Kraftfahrzeug o.ä.).

11

Bei der Bemessung des Unterhalts ist zwar ein objektiver Maßstab anzulegen; eine nach den Einkommensverhältnissen aus der Sicht eines vernünftigen Betrachters zu dürftige Lebensführung muß ebenso außer Betracht bleiben wie ein übertriebener Aufwand (Senatsurteil vom 4. November 1981 - IVb ZR 624/80 - FamRZ 1982, 151, 152 m.w.N.). Bei den - eher durchschnittlichen - Einkommensverhältnissen, die die Parteien in ihrer Ehe erreicht haben, kann ein vollständiger Verbrauch der beiderseits erzielten Einkommen für die Lebenshaltung indessen nicht schon als unangemessener Aufwand betrachtet und demgemäß ein bestimmter Teil ihres Einkommens bei der Bestimmung des Unterhaltsbedarfs unberücksichtigt bleiben.

12

Gegen die aus der Anwendung der Nürnberger Tabelle folgende Annahme des Oberlandesgerichts, die Klägerin könne mit einem unter der Hälfte des früheren Familieneinkommens liegenden Betrag ihrer vollen Unterhalt decken, spricht noch ein anderes Bedenken. Durch die Anknüpfung an die ehelichen Lebensverhältnisse (§§ 1573 Abs. 2, 1578 Abs. 1 BGB) wollte der Gesetzgeber verhindern, daß der weniger verdienende Ehegatte durch die Scheidung einen sozialen Abstieg erleidet. In dem Ergänzungsanspruch des § 1573 Abs. 2 BGB hat das Bundesverfassungsgericht demgemäß eine "Lebensstandardgarantie" gesehen (BVerfG, Beschluß vom 14. Juli 1981, FamRZ 1981, 745, 750 ff. = NJW 1981, 1771, 177 [BVerfG 14.07.1981 - 1 BvL 28/77], ff.). Im Falle der Scheidung wird durch eine Anwendung des Grundsatzes der hälftigen Teilhabe allein jedoch ein Absinken des im wesentlichen durch die Einkünfte bestimmten Lebensstandards noch nicht verhindert. Es entspricht vielmehr der Lebenserfahrung, daß der gleiche finanzielle Aufwand, der während des Zusammenlebens den erreichten Lebensstandard ermöglicht hat, nicht ausreicht, ihn auch im Falle einer Trennung zu sichern. Die durch eine doppelte Haushaltsführung entstehenden Mehrkosten (in erster Linie für Wohnung und Heizung) erfordern vielmehr regelmäßig zusätzliche Mittel (vgl. Senatsurteil vom 4. November 1981 - IVb ZR 625/80 - FamRZ 1982, 255, 257). Dieser Gedanke - dem im Prinzip auch in der Nürnberger Tabelle Rechnung getragen wird, indem für getrenntlebende Ehegatten ein höherer Bedarf angegeben wird als für in Haushaltsgemeinschaften lebende bei gleich hohem Einkommen (vgl. Spalten 9 und 13) - legt es nahe, den vollen Unterhaltsbedarf der Klägerin bei den vorliegenden Einkommensverhältnissen eher über als noch unter der Hälfte des von den Parteien bis zur Scheidung erzielten beiderseitigen Einkommens anzusetzen.

13

c)

Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben werden, soweit das Berufungsgericht der Klägerin für die Zeit der vollen Leistungsfähigkeit des Beklagten einen über 250,00 DM monatlich hinausgehenden Ergänzungsanspruch versagt hat. Zu einer eigenen abschließenden Beurteilung für diesen Zeitraum ist das Revisionsgericht nicht in der Lage. Vielmehr ist eine neue tatrichterliche Prüfung auf der Grundlage der dargelegten Rechtsgrundsätze erforderlich.

14

II.

1.

Für die Zeit ab 1. Oktober 1980 hat das Oberlandesgericht es - bei unveränderten Einkommensverhältnissen der Parteien - für unbillig erachtet, den Beklagtem zur Zahlung von Aufstockungsunterhalt an die Klägerin zu verpflichten. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zum Unterhaltsbedarf des Kindes (317,00 DM im Monat) komme jetzt der der zweiten Ehefrau des Beklagten in Höhe von 940,00 DM monatlich hinzu. Deren Anspruch habe gleichen Rang (§ 1582 BGB) mit dem der Klägerin, denn die Ehefrau sorge als nicht erwerbstätige Hausfrau für das 1979 geborene gemeinsame Kind Katrin und erwarte ein weiteres Kind. Der Unterhaltsanspruch der erwerbstätigen Klägerin sei auch nicht ausnahmsweise privilegiert, weil die am 26. Januar 1971 geschlossene und am 4. März 1980 nach mehr als zweijährigen Getrenntleben geschiedene Ehe der Parteien nicht von langer Dauer gewesen sei. Der Beklagte könne zudem im Verhältnis zur Klägerin ebenfalls einen Bedarf von 1.700,00 DM monatlich beanspruchen, der den ehelichen Lebensverhältnissen im Zeitpunkt der Scheidung entsprochen habe. Danach betrage der gesamte Unterhaltsbedarf der Beteiligten (250 + 317 + 940 + 1.700 =) rund 3.205,00 DM im Monat. Dem stehe nur eine Leistungsfähigkeit des Beklagten entsprechend seinem verfügbaren Nettoeinkommen von 2.500,00 DM monatlich gegenüber. Nach der deshalb erforderlichen anteiligen Kürzung aller Ansprüche um jeweils 22 % auf 195,00 DM für die Klägerin, 245,00 DM für das Kind Katrin, 735,00 DM für die Ehefrau des Beklagten und 1.325,00 DM für den Beklagten selbst entfalle auf letzteren weniger, als die Klägerin bereits selbst mit 1.450,00 DM im Monat verdiene. Nach Berücksichtigung des (vollen) angemessenen Lebensbedarfes der jetzigen Ehefrau und des Kindes (940 + 315) verblieben dem Beklagten nur noch 1.245,00 DM, somit ebenfalls (205,00 DM) weniger, als die Klägerin durch ihre Erwerbstätigkeit erziele.

15

2.

Auch diese Ausführungen halten der rechtlichen Prüfung nicht in allen Punkten stand.

16

a)

Gemäß § 1581 BGB braucht der Beklagte nur insoweit Unterhalt zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der Parteien der Billigkeit entspricht, wenn er nach seinen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts der Klägerin Unterhalt zu gewähren. Diese Regelung entspricht im Grundsatz derjenigen, die gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 EheG für Unterhaltsansprüche nach dem bis zum 30. Juni 1977 geltenden Scheidungsrecht angeordnet ist (vgl. Rechtsanwenderbroschüre des Bundesjustizministeriums, S. 189). Hierzu hat der Bundesgerichtshof bereits entscheiden (Urteil vom 13. Juni 1979 a.a.O. S. 693), daß die Bemessung des Unterhaltsanspruchs nach Billigkeitsgrundsätzen stufenweise vorzunehmen ist: Zunächst muß der nach den ehelichen Lebensverhältnissen der geschiedenen Ehegatten erforderliche volle Unterhalt ermittelt werden; auf der gleichen Stufe sind die Beträge des angemessenen Unterhalts für andere Unterhaltsberechtigte festzustellen, damit alle zu berücksichtigenden Ansprüche zu dem insgesamt für Unterhaltszahlungen verfügbaren Betrag in Relation gesetzt werden können. Erst auf der zweiten Berechnungsstufe findet eine Kürzung der Ansprüche nach Billigkeitsgesichtspunkten zur Anpassung an die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten statt.

17

b)

Auf der ersten Berechnungsstufe (Feststellung des angemessenen Unterhalts aller Berechtigten) ist das Oberlandesgericht im Grundsatz von zutreffenden Erwägungen ausgegangen.

18

aa)

Allerdings ergeben sich zur Höhe des für die Klägerin anzusetzenden Anspruchs auf ergänzenden Unterhalt gemäß §§ 1573 Abs. 2, 1578 BGB die gleichen Bedenken wie für den vorangegangenen Zeitraum bis zum 30. September 1980 (vgl. dazu oben unter I. 2).

19

bb)

Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daß das Oberlandesgericht bei der Ermittlung der zur Deckung des vollen Unterhalts erforderlichen Beträge auf selten des Beklagten den gleichen Wert angesetzt hat, der der Berechnung des vollen Unterhalts für die Klägerin zugrundegelegt ist. Der Auffassung der Revision, der Beklagte habe nur Anspruch auf denjenigen Unterhalt, der sich unter Berücksichtigung der durch die neue Ehe hinzugekommenen Unterhaltsberechtigten aufgrund seines derzeitigen Einkommens ergebe, kann nicht gefolgt werden. Der Hinzutritt weiterer Unterhaltsberechtigter nach Auflösung der früheren Ehe vermehrt zwar die dem Beklagten insgesamt obliegende Unterhaltslast. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich dadurch sein Lebensstandard ändert, entscheidet sich indessen erst, wenn sich nach Ermittlung des Unterhaltsbedarfs aller Beteiligten ergibt, daß die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse des Beklagten nicht ausreichen, um die Ansprüche aller Berechtigten voll zu erfüllen, mit der Folge, daß Kürzungen unter Billigkeitsgesichtspunkten durchgeführt werden müssen (zweite Berechnungsstufe). Es besteht kein Grund, schon auf der ersten Berechnungsstufe, wo es nur um die Ermittlung des vollen Unterhaltsbedarfs geht, im Verhältnis der Parteien zueinander von unterschiedlichen Bedarfsgrößen auszugehen; beide nehmen vielmehr in gleicher Weise an dem bis zur Scheidung erreichten und durch die Einkünfte aus der beiderseitigen vollen Erwerbstätigkeit geprägten Lebensstandard teil (gleicher Ansicht Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, Rdn. 341; Göppinger/Wenz Unterhaltsrecht 4. Aufl. Rdn. 869, Rolland, 1. EheRG 2. Aufl., § 1581 Rdn. 3; vgl. auch Senatsurteil vom 23. April 1980 - IVb ZR 510/80 - FamRZ 1980, 770, zu §§ 58, 59 EheG; a.A. Palandt/Diederichsen 42. Aufl. Anm. 2 b zu § 1581 BGB und Dieckmann FamRZ 1977, 161, 162 bei Fn. 159).

20

Unabhängig von diesen Erwägungen ist allerdings in gleicher Weise wie beim Ansatz des vollen Unterhaltsbedarfs für die Klägerin zu beanstanden, daß ein Betrag von 1.700,00 DM auch für den Beklagten nicht ausreicht, um den bis zur Scheidung der Ehe der Parteien von beiden mit einem Gesamteinkommen von 3.850,00 DM erreichten Lebensstandard unter Berücksichtigung trennungsbedingter Mehrkosten aufrecht zu erhalten.

21

cc)

Ohne Rechtsfehler hat das Oberlandesgericht die Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber seiner jetzigen Ehefrau berücksichtigt. Ihr gegenüber besteht ein Vorrang der Klägerin weder nach § 1582 Abs. 1 Satz 1 BGB noch nach Satz 2 dieser Bestimmung, sodaß es keiner Prüfung der Frage bedarf, ob gegen § 1582 Abs. 1 Satz 2 BGB verfassungsrechtliche Bedenken bestehen (vgl. den Vorlagebeschluß des OLG Schleswig FamRZ 1983, 282). Denn die Ehefrau des Beklagten wäre bei einer Scheidung der neuen Ehe gemäß §§ 1570, 1577 Abs. 1 BGB unterhaltsberechtigt, weil von ihr wegen der Pflege und Erziehung des 1979 geborenen gemeinschaftlichen Kindes Katrin gegenwärtig eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden könnte. Die Klägerin geht auch nicht ausnahmsweise im Rang vor, denn ihr Unterhaltsanspruch beruht nicht auf § 1570 oder § 1576 BGB und ihre Ehe mit dem Beklagten war nicht von langer Dauer. Das Gesetz erläutert zwar nicht näher, wann von einer langen Dauer einer Ehe im Sinne dieser Vorschrift gesprochen werden kann. Aus der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BJM-Broschüre zum 1. EheRG S. 196) i.V.m. § 1582 Abs. 1 Satz 2 BGB ergibt sich jedoch, daß die Gewährung eines Vorrangs in solchen Fällen auf dem Gedanken beruht, das Vertrauen desjenigen Ehegatten auf fortdauernde Unterhaltsgewährung zu schützen, der sich in der Ehe langjährig unter Verzicht auf eine eigene berufliche Entwicklung vorwiegend dem Haushalt und der Pflege und Erziehung von Kindern gewidmet hat. Wenn das Oberlandesgericht danach unter Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im vorliegenden Fall die kinderlos gebliebene und durch beiderseitige volle Erwerbstätigkeit geprägte Ehe der Parteien bei einer - zwischen Eheschließung und Zustellung des Scheidungsantrages erreichten - Dauer von etwas über acht Jahren nicht als von "langer Dauer" angesehen hat, ist das rechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Revision führt insoweit keinen Angriff.

22

dd)

Auch die Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber seinem Kind Katrin hat das Oberlandesgericht mit Recht in die Verpflichtungen gemäß § 1581 BGB einbezogen. Die Klägerin ist diesem Kind gegenüber nicht bevorrechtigt. Nach § 1582 Abs. 2 i.V. mit § 1609 Abs. 2 Satz 2 BGB geht ein unterhaltsberechtigter geschiedener Ehegatte den volljährigen oder verheirateten Kindern des Unterhaltspflichtigen vor. Über das Rangverhältnis eines geschiedenen Ehegatten den minderjährigen unverheirateten Kindern des Verpflichteten. enthält das Gesetz keine ausdrückliche Bestimmung. Es entspricht aber allgemeiner, auch von der Revision nicht bezweifelter Auffassung, die der Senat teilt, daß es danach bei der für familienrechtliche Unterhaltsansprüche geltenden Grundregel der Gleichrangigkeit verbleibt (vgl. Begründung des Rechtsausschusses des Bundestages zu § 1582 BGB, BJM-Broschüre zum 1. EheRG S. 198; Göppinger/Wenz a.a.O. Rdn. 1266, 1272, 1278 m.w.N.).

23

c)

Die vom Oberlandesgericht getroffene Billigkeitsentscheidung kann jedoch keinen Bestand behalten, weil die mitgeteilten Erwägungen den vollständigen Wegfall jeglichen Unterhalts für die Klägerin nicht zu begründen vermögen. Eine vom Tatrichter nach Billigkeitsgesichtspunkten getroffene Entscheidung unterliegt zwar nur eingeschränkt revisionsrechtlicher Prüfung. Sie muß indessen die angewendeten Maßstäbe erkennen lassen und darf nicht dazu führen, daß vom Gesetz vorgegebene Bewertungen außer Acht bleiben oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt werden.

24

Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht den von ihm - allerdings für Klägerin und Beklagten in zu geringer Höhe - ermittelten Unterhaltsbedarf aller Beteiligten entsprechend der Leistungsfähigkeit des Beklagten gleichmäßig (um 22 %) gekürzt. Eine solche proportionale Herabsetzung ist gerechtfertigt, wenn feststeht, daß die Bedürfnisse der betroffenen Unterhaltsberechtigten gleichwertig sind und die dem Unterhaltsverpflichteten aufgrund dieser Kürzung verbleibenden Mittel ausreichen, seinen notwendigen Lebensbedarf zu decken. Von diesen Voraussetzungen ist das Oberlandesgericht selbst ausgegangen. Dann fehlt es aber an einem Grund, den durch anteilmäßige Herabsetzung geschmälerten Unterhaltsanspruch der Klägerin nochmals und dann so rigoros zu beschneiden, daß der Anspruch gänzlich entfällt. Die dafür gegebene Begründung, daß der Beklagte sonst weniger für sich behalte, als die Klägerin verdiene, trägt eine solche Entscheidung nicht. Nach § 1581 Satz 1 BGB wird die Leistungsfähigkeit des Beklagten erst dadurch begrenzt, daß sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet wäre. Im Rahmen dieser Prüfung kann er sich nicht darauf berufen, daß ihm im Verhältnis zur Klägerin ebensoviel verbleiben müsse, wie sie verdiene. Denn das Absinken seiner Leistungsfähigkeit beruht auf einer Entwicklung, die nach der Scheidung allein bei ihm durch die Gründung der neuen Familie und die dadurch zusätzlich entstandenen Unterhaltspflichten eingetreten ist.

25

Der vollständige Ausschluß eines Anspruchs der Klägerrin auf Ergänzungsunterhalt begünstigt nicht nur den Beklagten sondern auch dessen Ehefrau. Ihren Unterhaltsbedarf, den das Oberlandesgericht mit 940,00 DM im Monat angenommen hat, könnte der Beklagte ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts und desjenigen seiner ehelichen Tochter ungekürzt erfüllen, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts bestehen bliebe. Das verstößt gegen die Grundentscheidung des Gesetzes über die Rangfolge der Unterhaltsansprüche eines geschiedenen neben einem neuen Ehegatten. Danach geht "im Falle des § 1581" der geschiedene Ehegatte einem neuen Ehegatten unter bestimmten Voraussetzungen vor (§ 1582 BGB), in allen anderen Fällen - auch im vorliegenden - besteht gleicher Rang, der gesetzestechnisch schon als Ausnahme ausgestaltet ist. Ein Vorrang des neuen Ehegatten besteht nach dem Gesetz nicht. Ihn im Wege der Billigkeitsentscheidung anzuordnen, kann daher allenfalls in einem seltenen, hier nicht gegebenen Sonderfall in Betracht kommen.

26

Das Berufungsurteil kann daher im Umfang der Anfechtung keinen Bestand behalten. Es bedarf vielmehr unter Beachtung der dargelegten Grundsätze einer erneuten Entscheidung über den Unterhaltsanspruch der Klägerin auch für die Zeit ab 1. Oktober 1980.

27

III.

Die neue Verhandlung gibt der Klägerin Gelegenheit, auf ihre Einwendungen gegen die Ermittlung der Einkommensverhältnisse des Beklagten sowie darauf zurückzukommen, daß die jetzige Ehefrau des Beklagten aus eigener Erwerbstätigkeit im Jahre 1980 ein wesentlich höheres Einkommen erzielt habe, als das Berufungsgericht bisher zugrunde gelegt hat.

Lohmann
Blumenröhr
Macke
Zysk
Nonnenkamp