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Bundesgerichtshof
Urt. v. 01.12.1981, Az.: 1 StR 393/81

Teilnahme eines vertretenen Richters aus einer anderen Strafkammer aufgrund Verhinderung des Vorsitzenden Richters; Zusammenwirken mit der Verhinderung zweier weiterer Mitglieder; Feststellung einer Verhinderung vor der Inangriffnahme der richterlichen Aufgabe; Neubeginn der Hauptverhandlung aufgrund der Änderung der Gerichtsbesetzung; Ablehnung der Überstellung der in Frankreich inhaftierten Zeugen

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
01.12.1981
Aktenzeichen
1 StR 393/81
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1981, 11015
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Freiburg - 14.01.1981

Fundstellen

  • BGHSt 30, 268 - 270
  • MDR 1982, 337-338 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1982, 1404 (Volltext mit amtl. LS)
  • StV 1982, 153-154

Verfahrensgegenstand

Schwere räuberische Erpressung

Prozessführer

Leonardo L. aus F., geboren am ... 1952 in T.-I. (Italien), zur Zeit in Haft

Amtlicher Leitsatz

Die Feststellung der Verhinderung des Vorsitzenden der erkennenden Strafkammer durch den Präsidenten des Landgerichts kann noch im Rahmen des Verfahrens nach §§ 222 a, 222 b StPO erfolgen.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 1. Dezember 1981,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Pikart,
die Richter am Bundesgerichtshof Herdegen, Dr. Ulsamer, Dr. Maul, Dr. Foth als beisitzende Richter,
Bundesanwalt Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ... aus F. als Verteidiger,
Justizangestellter ... in der Verhandlung,
Justizhauptsekretär ... bei der Verkündung als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg i.Br. vom 14. Januar 1981 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die dieses Urteil mit Verfahrensrügen und der Sachrüge angreift, hat keinen Erfolg.

2

1.

Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

3

a)

Die Besetzungsrüge, mit der geltend gemacht wird Richter am Landgericht Dr. K. habe in der Hauptverhandlung vom 12. bis 14. Januar 1981 gegen den Angeklagten den Vorsitz geführt, obwohl der Vorsitzende der Strafkammer, Vorsitzender Richter am Landgericht B. nicht verhindert gewesen sei, ist unbegründet.

4

Vorsitzender Richter am Landgericht B. hatte durch Schreiben vom 7. Januar 1981 seinem damaligen Vertreter Richter am Landgericht Dr. K. mitgeteilt, er sei durch die Vorbereitung einer anderen umfangreichen Sache verhindert, in der am 12. Januar 1981 beginnenden Hauptverhandlung gegen den Angeklagten L. den Vorsitz zu führen; weiter waren an diesem Verhandlungstag von den planmäßigen Mitgliedern der erkennenden Strafkammer Richter am Landgericht H. durch Urlaub und Richter am Amtsgericht P. durch Mitwirkung an einer anderen Strafsache verhindert, so daß an der Hauptverhandlung als Vertreter aus einer anderen Strafkammer Richter Kr. teilnahm.

5

Bei dieser Sachlage mußte zwar die - nicht offensichtliche - Verhinderung des planmäßigen Vorsitzenden der erkennenden Strafkammer vom Präsidenten des Landgerichts festgestellt werden, weil sie sich auf eine andere Kammer auswirkte (vgl. BGHSt 21, 174, 176; BGH NJW 1968, 512). Daran ändert nichts, daß diese Verhinderung hier nicht allein, sondern erst im Zusammenwirken mit der Verhinderung zweier weiterer Mitglieder über die erkennende Strafkammer hinausgriff; auch in einem solchen Fall erscheint die Feststellung der - nicht offensichtlichen - Verhinderung des Strafkammervorsitzenden durch den Präsidenten des Landgerichts geboten, weil die Mitwirkung eines Richters aus einer anderen Strafkammer nicht erforderlich gewesen wäre, wenn der Vorsitzende seine Aufgaben hätte wahrnehmen können.

6

Entsprechend dieser rechtlichen Beurteilung hat aber der Präsident des Landgerichts Freiburg durch Verfügung vom 12. Januar 1981 im Rahmen des Verfahrens nach §§ 222a, 222b StPO die Verhinderung des Vorsitzenden der erkennenden Strafkammer festgestellt. Der Beschwerdeführer beanstandet, daß diese Feststellung erst nach Erhebung des Besetzungseinwandes nach § 222b StPO erfolgt sei. Diese Beanstandung ist aber nicht begründet.

7

An sich zutreffend weist der Beschwerdeführer zwar auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hin, wonach die Feststellung einer Verhinderung vor der Inangriffnahme der richterlichen Aufgabe getroffen werden müsse (BGHSt 21, 174, 179). Inzwischen ist jedoch durch die Einfügung der §§ 222a, 222b StPO und die Neufassung des § 338 Nr. 1 StPO durch das Strafverfahrensänderungsgesetz vom 5. Oktober 1978 (BGBl. I 1645) ein selbständiges Zwischemverfahren zur Überprüfung der Gerichtsbesetzung eingeführt worden. Dieses Verfahren soll es auch ermöglichen, unschwer heilbare Mängel der Besetzung alsbald zu beseitigen (Kleinknecht, StPO, 35. Aufl., § 222 b Rdn. 12). Der früher vom Senat zu Recht aufgestellte Grundsatz, daß die Feststellung einer Verhinderung vor der Inangriffnahme der richterlichen Aufgabe getroffen werden müsse, kann nach der eingetretenen Rechtsänderung daher nicht uneingeschränkt aufrechterhalten werden.

8

Führt die auf diesem Wege bewirkte Heilung eines Besetzungsfehlers zu einer Änderung der Gerichtsbesetzung, muß freilich mit der Hauptverhandlung von neuem begonnen werden; wird dagegen wie hier nur die Feststellung einer Verhinderung nachgeholt, ohne daß sich daraus eine Änderung der Besetzung ergibt, wäre ein Neubeginn der Hauptverhandlung ohne Sinn und nichts als eine leere Formalität. Es kann daher nicht beanstandet werden, daß das Landgericht, nachdem die zunächst fehlende Feststellung der Verhinderung des Vorsitzenden nachgeholt worden war, mit der Hauptverhandlung fortgefahren ist.

9

b)

Gleichfalls erfolglos bleibt die Rüge, das Landgericht habe durch Verlesung der Protokolle über die kommissarische Vernehmung der Zeugen Michel Z. und Antonio L. durch den Untersuchungsrichter des Landgerichts Mülhausen/Frankreich die Vorschriften der §§ 338 Ziff. 8 i.V.m. 240 Abs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verletzt.

10

Soweit die Revision in diesem Zusammenhang rügt, der die Verlesung anordnende Gerichtsbeschluß sei nicht ausreichend begründet, ist die Beanstandung an sich berechtigt (vgl. BGHSt 9, 230, 231). Doch war ersichtlich allen Verfahrensbeteiligten bekannt, daß die französischen Behörden eine Überstellung der in Frankreich inhaftierten Zeugen abgelehnt hatten und daß der französische Untersuchungsrichter die Anwesenheit des Verteidigers bei der von ihm durchgeführten Zeugenvernehmung nicht gestattet hatte, so daß das Urteil auf dem Mangel nicht beruht.

11

In der Sache selbst macht die Revision zunächst geltend, das Landgericht hätte nach Art. 11 Abs. 1 EuRHÜbk auf eine zeitweilige Überstellung der in Frankreich in Haft einsitzenden Zeugen in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zum Zwecke ihrer Vernehmung und Gegenüberstellung hinwirken müssen. Dazu stellt das Landgericht im angefochtenen Urteil jedoch fest, die französischen Justizbehörden hätten die Überstellung abgelehnt (UA S. 9; vgl. Bd. II Bl. 381 d.A.). Da Art. 11 EuRHÜbk dem ersuchten Staat diese Möglichkeit einräumt, liegt insoweit ein Rechtsfehler nicht vor.

12

Ebenso stand der Verlesung nicht entgegen, daß der Untersuchungsrichter des Landgerichts Mülhausen die Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers vernommen hat. Maßgebend sind die am Vernehmungsort geltenden Verfahrensvorschriften (BGHSt 7, 15, 16). Nach Art. 102 Code de procédure pénal ist die Anwesenheit des Verteidigers bei kommissarischen Vernehmungen durch den Untersuchungsrichter nicht vorgesehen, die Anwesenheit des Beschuldigten ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. Grützner-Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr, 2. Aufl., Frankreich II F 8 Rdn. 2).

13

Unter Bezugnahme auf diese Vorschrift hat der Untersuchungsrichter die Anwesenheit des Verteidigers abgelehnt (UA S. 9; Bd. III Bl. 197 d.A.). Diese Handhabung führt auch bei Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 3 Lit. d MRK nicht zu einem Verwertungsverbot (vgl. BGH GA 1964, 176). Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Verlesung der Niederschrift einer Zeugenvernehmung, die in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers erfolgte, nicht nur zulässig, sondern unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht sogar geboten erscheint, wenn in dem fremden Staat die Vernehmung nur auf diese Weise erfolgen kann; das gilt um so mehr, wenn wie hier der Verteidiger einen Katalog von Fragen eingereicht hat, die der französische Untersuchungsrichter den Zeugen auch gestellt hat und die diese beantwortet haben. Eine andere Beurteilung wäre nur geboten, wenn das angewendete Verfahrensrecht des fremden Staates gegen wesentliche Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens verstoßen würde. Das ist jedoch nicht der Fall.

14

2.

Die Sachrüge muß gleichfalls erfolglos bleiben.

15

a)

Die Überprüfung des Schuldspruchs wegen schwerer räuberischer Erpressung hat keinen Rechtsfehler ergeben. Insoweit erhebt der Beschwerdeführer auch keine besonderen Einwendungen.

16

b)

Ebensowenig bestehen gegen den Strafausspruch rechtliche Bedenken. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung die für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände dargelegt und abgewogen und dabei im wesentlichen auch das berücksichtigt, was die Revision besonders hervorhebt; es ist bei dieser Abwägung zu dem Ergebnis gekommen, daß mildernde Faktoren beträchtlich überwiegen und hat deshalb die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens des § 250 Abs. 2 StGB für geboten erachtet (UA S. 13). Der Beschwerdeführer selbst verkennt nicht, daß der Tatrichter nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO nur verpflichtet ist, die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände in den Urteilsgründen darzulegen. Dieser Anforderung wird das landgerichtliche Urteil voll gerecht.

Pikart
Herdegen
Ulsamer
Maul
Foth