Bundesgerichtshof
Beschl. v. 02.09.1981, Az.: 3 StR 314/81
Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; Tötung zwecks Vertuschung einer anderen Straftat; Zulässigkeit des Vorziehens früherer Aussagen des Täters aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze; Vorliegen eines frühkindlichen hirnorganischen Schadens; Vorliegen einer ausgeprägten vegetativen Dystonie; Künftige Gefährlichkeit des Täters
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 02.09.1981
- Aktenzeichen
- 3 StR 314/81
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1981, 11025
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Mönchengladbach - 09.03.1981
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- NStZ 1981, 488-489
- StV 1981, 605-606
Verfahrensgegenstand
Mord
Prozessführer
Arbeiter Hans Peter K. aus Mö., dort geboren am ... 1958
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
gemäß § 349 Abs. 4 StPO
am 2. September 1981
einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 9. März 1981 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes, begangen im Zustande verminderter Schuldfähigkeit, zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1.
Nach den Feststellungen hat der Angeklagte eine 37 Jahre alte Frau nach gegenseitigen sexuellen Handlungen schwer mißhandelt, weil sie ihm vorwarf, er sei "schwul". Als er danach wieder zur Besinnung gekommen war und sich klarmachte, daß er mit einer Bestrafung wegen gefährlicher Körperverletzung und auch mit dem Widerruf der Aussetzung eines zweijährigen Strafrestes rechnen mußte, beschloß er, sein Opfer zu töten, um die Straftat der Körperverletzung zu verdecken. Er setzte seinen Entschluß in die Tat um, indem er zwei schwere Steine mindestens je dreimal auf den Hinterkopf der am Boden liegenden Frau schleuderte.
Das Landgericht stützt seine Überzeugung von dem Verdeckungsmotiv des Angeklagten auf dessen wiederholte Angaben bei Vernehmungen durch die Polizei und den Ermittlungsrichter. Die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, sein Motiv habe lediglich in der Wut darüber gelegen, daß er als "schwul" bezeichnet worden sei, hält es für unglaubhaft. Die im Urteil hierfür gegebene Begründung ist indes nicht frei von Denkfehlern.
Zunächst meint das Landgericht, die frühere Erklärung des Angeklagten verdiene "nach allgemeinen Erfahrungssätzen gegenüber der anderen den Vorzug". Den Gehalt dieser Aussage vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob der Angeklagte aus dem einen oder dem anderen der in Betracht kommenden Motive getötet hat, läßt sich ersichtlich einer allgemeinen Erfahrung über die Anlässe von Tötungsverbrechen nicht entnehmen. Sollte das Landgericht habe sagen wollen, daß nach seiner Erfahrung in der Hauptverhandlung gegebene abweichende Einlassungen unrichtig sind, so träfe auch das nicht zu. Vielmehr bedarf es gerade bei psychisch gestörten Tätern wie dem Angeklagten genauer Prüfung, welche der beiden Versionen der Wahrheit entspricht. Jedenfalls läßt sich die Frage nicht mit einem allgemeinen Erfahrungssatz beantworten. Das gilt hier um so mehr, als die Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren nicht mit dessen eigenen Worten wiedergegeben werden, so daß eine Nachprüfung ihres wirklichen Gehalts nicht möglich ist.
Ebensowenig nachvollziehbar ist die weitere Erwägung des Landgerichts, die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung sei "schon aus sich heraus widersprüchlich und daher unglaubhaft". Begründet wird dies nach dem Hinweis, daß der Angeklagte selbst häufigere homosexuelle Handlungen geschildert habe und im Zusammenhang mit der Tat erstmals Intimkontakt mit einer Frau hatte, mit dem Satz: "Wenn aber nach seiner eigenen Einlassung er als homosexuell, mindestens jedoch als bisexuell zu bezeichnen ist, so kann ihn dieses - auch bei seiner Persönlichkeitsstruktur - nicht so in Wut gebracht haben, da es ja der Wahrheit entsprach". Abgesehen davon, daß damit ein Widerspruch innerhalb der Einlassung des Angeklagten nicht aufgezeigt ist, wird es weder den Feststellungen noch auf der Hand liegenden psychologischen Gegebenheiten gerecht. Der Angeklagte hatte "lediglich" in der Haftanstalt sexuelle Erfahrungen gesammelt, wo es häufig zu homosexuellen Handlungen mit Mithäftlingen gekommen war (UA S. 6). Er strebte, wie das Tatgeschehen zeigt, Kontakte zum anderen Geschlecht an. Daß auf einen solchen Menschen die Bezeichnung "Schwuler" zutreffe, liegt nicht ohne weiteres auf der Hand. Im übrigen steht fest, daß er durch den Vorhalt in erhebliche Wut geraten ist, da er, wie das Landgericht selbst sagt, seinem Opfer daraufhin brutal ins Gesicht trat (UA S. 11). Warum seine Wut nicht ausgereicht haben kann, ihn dann auch zu seinem Tötungsentschluß zu motivieren, legt das Landgericht nicht dar. Schließlich trifft es auch nicht zu, daß niemand, nicht einmal ein psychisch Gestörter, durch eine als beleidigend empfundene Bezeichnung nicht in eine zu einem Tötungsakt führende Wut versetzt werden kann, wenn die Bezeichnung nach ihrem sachlichen Gehalt der Wahrheit entspricht.
Nach alledem sind die Erwägungen, mit denen das Landgericht die letzte Einlassung des Angeklagten als unrichtig zurückweist, nicht tragfähig. Wäre von dieser Einlassung auszugehen, so wäre der Angeklagte möglicherweise nur des Totschlags schuldig. Das Urteil kann deshalb keinen Bestand haben.
2.
Die nunmehr mit der Sache befaßte Strafkammer wird zu beachten haben:
a)
Nach den bisherigen Feststellungen leidet der Angeklagte an einem frühkindlichen hirnorganischen Schaden und an einer ausgeprägten vegetativen Dystonie. Bei ihm besteht eine "Tendenz zum kurzschlüssigen, affektiv (primitiv-affektiv) überschießenden und ungelenkten Handeln, welches sich immer wieder in einer unverständlich wirkenden Disproportionalität zwischen Auslöseanlaß und Handlungsimpuls zu erkennen gibt". Das Landgericht hat daher eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit positiv festgestellt. Bei einer solchen Persönlichkeitsstruktur den positiven Ausschluß der Schuldunfähigkeit allein mit der Bemerkung zu begründen, hierzu fehle es an der entsprechenden Intensität (UA S. 12; zu ergänzen wohl: der Abnormität der Persönlichkeit), reicht nicht aus, um dem Revisionsgericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob der Tatrichter von zutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist. Das Urteil enthält zur Begründung insoweit nur den Hinweis auf ein Sachverständigengutachten, dem sich die Kammer mit der ihr eigenen Sachkunde anschließe (UA S. 15). Das ist so nicht zulässig. Will sich das Gericht dem Ergebnis eines Gutachtens ohne eigene Erwägungen anschließen, so müssen wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen im Urteil wiedergegeben werden (BGHSt 12, 311).
b)
Auch die in dem Urteil gegebene Begründung der Maßnahme nach § 63 StGB ist unzureichend. Es heißt dort, eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergebe, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei (UA S. 17). Das ist der bloße Gesetzeswortlaut. Die Gesamtwürdigung selbst läßt das Urteil vermissen. Sie erfordert die eingehende Darlegung und Abwägung aller die künftige Gefährlichkeit des Täters begründenden Umstände (BGHSt 27, 246, 248; vgl. Dreher/Tröndle, StGB 40. Aufl. § 63 Rdn. 6). Auch sie kann nicht durch die einfache Bezugnahme auf die Überzeugungskraft eines ärztlichen Gutachtens ersetzt werden.
Dr. Schauenburg
Dr. Krauth
Laufhütte
Dr. Gribbohm