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Bundesgerichtshof
Urt. v. 06.06.1980, Az.: I ZR 97/78

Verbot des Gebrauchs einer Bezeichnung "L. Marzipan"; Irreführende Werbeangabe über Ursprung/ örtliche Herkunft eines Produkts; Berücksichtigung der Verkehrsauffassung/ angesprochenen Verbraucherkreise; Angabe über die Beschaffenheit in Form der Sortenbezeichnung; Umwandlung einer Herkunftsangabe in Beschaffenheitsangabe/ Gattungsbezeichnung; Üblicher Wortsinn beim adjektivischen Gebrauch eines Ortsnamens; Feststellungen auf der Grundlage einer Meinungsumfrage

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
06.06.1980
Aktenzeichen
I ZR 97/78
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1980, 12129
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Hamburg - 11.05.1978
LG Hamburg

Fundstellen

  • Betr 1981, 86
  • MDR 1981, 118 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

"Lübecker Marzipan" eine geographische Herkunftsangabe oder eine Beschaffenheitsangabe?- Befugnis zur Benutzung der Bezeichnung nur durch ortsansässige Hersteller oder auch durch Unternehmen außerhalb der Stadtgrenzen Lübecks?- Zur Frage, wann eine Irreführung über die örtliche Herkunft relevant ist.

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 1980
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Fhr. v. Gamm und
die Richter Alff, Dr. Merkel, Dr. Zülch und Dr. Piper
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 3. Zivilsenat, vom 11. Mai 1978 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerinnen sind Unternehmen mit Sitz außerhalb der Stadtgrenzen U., die Marzipan unter der Bezeichnung "L. Marzipan" herstellen und vertreiben. Die Beklagten sind in L. ansässig. Sie stellen ebenfalls "L. Marzipan" her und vertreiben es unter dieser Bezeichnung. Die Parteien streiten im Wege der negativen Feststellungsklage darum, ob die in L. ansässigen Marzipanhersteller den auswärtigen Unternehmen den Gebrauch der Bezeichnung "L. Marzipan" als irreführend verbieten dürfen. Die Beklagten haben verschiedene Anzeigen veröffentlichen lassen, in denen sie ihre Auffassung verbreitet haben, daß die Angabe "L. Marzipan" auf die örtliche Herkunft der Erzeugnisse hinweise.

2

Die Klägerinnen halten die Berühmung der Beklagten, die Bezeichnung "L. Marzipan" sei eine Herkunftsangabe und dürfe nur von Unternehmen mit Sitz innerhalb der Stadtgrenzen L. zur Bezeichnung von Marzipan benutzt werden, für unzutreffend. Sie sind der Ansicht, bei der Bezeichnung "L. Marzipan" handele es sich um eine Gattungsbezeichnung, mit der eine bestimmte Art von Marzipan benannt werde. Deshalb dürften auch sie ihre Erzeugnisse als "L. Marzipan" bezeichnen, zumal die Qualität und Ausführung ihrer Erzeugnisse nicht von denen abwichen, die die Beklagten unter dieser Bezeichnung auf den Markt brächten.

3

Die Klägerinnen haben beantragt,

festzustellen, daß die Beklagten nicht berechtigt sind, sich zu berühmen, die Bezeichnung "L. Marzipan" sei eine Herkunftsangabe und dürfe nur von Unternehmen mit Sitz innerhalb der Stadtgrenzen L. zur Kennzeichnung von Marzipan benutzt werden.

4

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen und erwidert, die Bezeichnung "L. Marzipan" sei von jeher eine geographische Herkunftsangabe für Marzipan, das in L. hergestellt werde. Das ergebe sich für den Verkehr bereits aus dem Wortsinn der Bezeichnung. Diese Verkehrsauffassung werde auch durch die bereits seit Jahrhunderten bestehende Tradition der ... Marzipanherstellung bestätigt. Die Überzeugung, daß das Wort L. im Zusammenhang mit Marzipan die örtliche Herkunft kennzeichne, sei auch heute weit verbreitet.

5

Das Landgericht hat nach Einholung eines Marktforschungsgutachtens durch Urteil festgestellt, daß die Beklagten nicht berechtigt sind, sich zu berühmen, die Bezeichnung "L. Marzipan" sei eine Herkunftsangabe und dürfe nur von Unternehmen mit Sitz innerhalb der Stadtgrenzen L. zur Kennzeichnung von Marzipan benutzt werden. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.

6

Die Klägerinnen beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

I.

Das Berufungsgericht führt zunächst unter näherer Würdigung der von den Klägerinnen überreichten Unterlagen aus, daß in Fachkreisen "L. Marzipan" als Beschaffenheitsangabe verstanden werde. Maßgeblich sei jedoch die allgemeine Verkehrsauffassung, die in erster Linie durch das Verständnis der Verbraucher und weniger durch das der Hersteller und Händler gebildet werde. Das Ergebnis der Verbraucherumfrage stellt das Berufungsgericht dahin fest, daß auf eine offene Fragestellung 79,6 % der Befragten erklärt hätten, "L. Marzipan" zu kennen, daß auf die Frage, was "L. Marzipan" sei, 29 % angegeben hätten: Wird in L. hergestellt; 3,5 %: Spezialität aus L.; 1 %: Muß nicht in L. hergestellt sein; 3 %: Bestimmte Sorte Marzipan, während 24,1 % antworten: "Schmeckt gut, Delikatesse, Qualitätsbegriff" und 9,1 %: "Markenartikel", "Markenbezeichnung" angegeben hätten. Nach Vorlage von zwei Karten, auf deren einer "L. Marzipan ist immer in L. hergestellt" und auf deren anderer stand "L. Marzipan ist eine bestimmte Art Marzipan, es wird in "L. und auch anderswo hergestellt" hätten 39,4 % sich für L. als ausschließlichen Herstellungsort entschieden, die zweite Antwort dagegen 28,4 % der Befragten für zutreffend erklärt, während 32,2 % sich mit Nichtwissen erklärt hätten. Diese Ergebnisse würdigt das Berufungsgericht dahin, daß ein ins Gewicht fallender Teil der Verbraucher in der Bezeichnung "L. Marzipan" eine Herkunftsangabe sehe. Denn es sei entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht erforderlich, daß der überwiegende Teil der Verkehrskreise in der Angabe einen Herkunftshinweis sehe. Dies sei nur nötig, wenn es sich um die Rückentwicklung einer Sortenbezeichnung in eine Herkunftsangabe handele. Es fehlten jedoch hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß "L. Marzipan" von Anfang an eine Gattungsbezeichnung gewesen sei. Dagegen spreche schon der Wortsinn. Auch historische Gründe sprächen dagegen. Denn soweit feststellbar, sei Marzipan im Deutschen Reich zunächst in L. beck hergestellt worden. Marzipan habe für die Stadt L. einen besonderen Ruf begründet. Es sei auch nicht feststellbar, daß es bezüglich der Bezeichnung "L. Marzipan" später jemals einen Bedeutungswandel von einer Herkunftsbezeichnung zu einer Sortenbezeichnung gegeben habe, der nun etwa in Rückbildung begriffen sei.

8

Gleichwohl, so führt das Berufungsgericht weiter aus, müßte ein Unterlassungsbegehren der Beklagten jedoch scheitern, weil kein ins Gewicht fallender Teil des Verkehrs Wert darauf lege, daß das unter der Bezeichnung "L. Marzipan" vertriebene Marzipan auch aus L. stamme. Eine irreführende Angabe sei Wettbewerbs rechtlich nur erheblich, wenn von ihr ein Anlockeffekt ausgehe, der den Kaufentschluß mitbeeinflussen könne. Dies wäre bezüglich "L. Marzipan" dann der Fall, wenn die Verbraucher dieser Art Marzipan den Vorzug gäben, wenn es aus L. stamme. Das könne aufgrund der Meinungsbefragung jedoch nicht festgestellt werden. Nur 13,7 % der Befragten hätten auf die Frage 10: "Legen Sie persönlichen Wert darauf, daß es sich bei "L. Marzipan" auch wirklich immer um Marzipan handelt, das in L. hergestellt ist, oder ist Ihnen das gleichgültig?" geantwortet mit: "Lege Wert darauf. 25,7 % hätten geantwortet mit: "Ist mir gleichgültig", während die restlichen 60,6 % der Auffassung gewesen seien, daß "L. Marzipan" nicht in L. hergestellt sein müsse. Ein Prozentsatz von 13,7 % sei im vorliegenden Falle rechtlich nicht mehr erheblich. Es sei weiter zu berücksichtigen, daß der Prozentsatz von 39,4 % bei der positiven Beantwortung der Frage, ob "L. Marzipan" immer in L. hergestellt sein müsse, erst erreicht worden sei, nachdem die Befragten durch die Art der Fragestellung auf das Problem der Bedeutung der genannten Bezeichnung gestoßen worden seien. Es sei auch nicht ersichtlich, daß das aus L. stammende Marzipan besser als das außerhalb L. hergestellte sei. Allerdings würden über § 3 UWG auch Vorurteile geschützt, die darin bestünden, daß an bestimmte Herkunftsbezeichnungen Gütevorstellungen geknüpft würden. Daß bezüglich der Bezeichnung "L. Marzipan" solche auf L. als Herstellungsort bezogenen Vorurteile in einem in Betracht kommenden Umfange bestünden, könne jedoch nicht festgestellt werden. Ferner könne nicht unberücksichtigt bleiben, daß seit Jahrzehnten, etwa seit der Jahrhundertwende, die Bezeichnung "L. Marzipan" von Marzipanherstellern außerhalb Lübecks als Sortenbezeichnung gebraucht werde, ohne daß seitens der in L. domizilierenden Marzipanhersteller hiergegen etwas mit Erfolg unternommen worden sei. Das Vertrauen dieser außerhalb L. domizilierenden Marzipanhersteller darauf, daß die Bezeichnung "L. Marzipan" Sortenbezeichnung sei, sei schutzwürdig. Angesichts dieses Umstandes könne ein etwa 40 % ausmachender Bestandteil der Verbraucherschaft, welcher in "L. Marzipan" einen Herkunftshinweis sehe, für die Feststellung einer relevanten Irreführung noch nicht ausreichen, wenn berücksichtigt werde, daß nur 13,7 % überhaupt Wert darauf legten, daß ein ihnen unter der Bezeichnung "L. Marzipan" angebotenes Marzipan überhaupt aus L. komme.

9

II.

Die dagegen gerichtete Revision hat Erfolg. Zutreffend hat das Berufungsgericht den Klageanspruch, für den es rechtsfehlerfrei das Feststellungsinteresse bejaht hat, unter dem Gesichtspunkt des § 3 UWG geprüft. Denn der leugnende Feststellungsanspruch der Klägerinnen richtet sich gegen die Berühmung der Beklagten, diese seien berechtigt, ihnen den Gebrauch der Bezeichnung "L. Marzipan" deswegen zu verbieten, weil dieser Gebrauch durch die nicht in L. ansässigen Klägerinnen eine irreführende Angabe über den Ursprung im Sinne dieser Vorschrift darstelle.

10

1.

Für die danach im Vordergrund stehende Frage, ob die Bezeichnung "L. Marzipan" eine Angabe über die örtliche Herkunft der so bezeichneten Erzeugnisse aus L. ist oder ob diese Bezeichnung, wie die Klägerinnen meinen, eine Angabe über die Beschaffenheit, eine Sortenbezeichnung, darstellt, hat das Berufungsgericht zu Recht auf die Verkehrsauffassung abgestellt. Dabei hat es rechtsfehlerfrei in erster Linie die Auffassung der angesprochenen Verbraucherkreise als maßgeblich erachtet. Es steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wenn das Berufungsgericht es für die Annahme einer geographischen Herkunftsangabe als ausreichend angesehen hat, wenn auch nur ein nicht unerheblicher Teil des Verkehrs in der Angabe einen solchen Hinweis sieht (vgl. BGH GRUR 1965, 317, 318 - Kölnisch Wasser). Für den Fall, daß eine Angabe über die örtliche Herkunft sich im Laufe der Zeit zunehmend zu einer Beschaffenheitsangabe oder Gattungsbezeichnung entwickelt, bedeutet dies, daß rechtlich eine solche Entwicklung erst dann als abgeschlossen behandelt wird - und damit eine Irreführung im Sinne des § 3 UWG entfällt - wenn nur noch ein "ganz unbeachtlicher" Teil der beteiligten Verkehrskreise in der Angabe einen Hinweis auf die örtliche Herkunft der Ware erblickt (so schon RG GRUR 1934, 62 - Nordhäuser; BGH GRUR 1956, 270, 271 - Rügenwalder Teewurst). An diesen Grundsätzen ist festzuhalten. Ihre Strenge ist gerechtfertigt, wie der Bundesgerichtshof (a.a.O. Seite 318 - Kölnisch Wasser) ausgeführt hat, weil geographischen Herkunftsangaben ein möglichst wirksamer Schutz gegen unrichtige Verwendung gewährt werden soll und weil im allgemeinen kein schutzwürdiges Interesse Dritter besteht, unrichtige Angaben über die Herkunft zu verwenden. Diese Auffassung steht auch im Einklang mit § 26 Abs. 2 WZG, wonach für die strafrechtliche Beurteilung gem. § 26 Abs. 1 WZG die Verwendung örtlicher Herkunftsangaben durch nicht ortsansässige Unternehmen erst dann nicht mehr als falsch angesehen werden soll, wenn die Angabe ihre ursprüngliche Bedeutung verloren hat und im geschäftlichen Verkehr aus schließlich als Warenname oder Beschaffenheitsangabe dient.

11

2.

Allerdings, und darauf heben im Streitfall die Klägerinnen ab, gilt ein anderer Maßstab, wenn sich eine Angabe, die ursprünglich Herkunftsangabe war, bereits zu einer Beschaffenheitsangabe umgewandelt hatte und sich dann eine Rückumwandlung zur Herkunftsvorstellung vollzieht. In einem solchen Falle genügt nach der bisherigen Rechtsprechung nicht schon die Auffassung eines nicht unerheblichen Teils des Verkehrs, um die Angabe wieder als Herkunftsangabe zu behandeln, vielmehr würde die Rückentwicklung zur geographischen Herkunftsangabe erst dann als abgeschlossen anzusehen sein, wenn der "überwiegende" Teil jener Kreise die Bezeichnung als Herkunftsangabe auffaßt (vgl. BGH a.a.O. Seite 319 m.w.N.). Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daß das von den Klägerinnen vorgetragene Tatsachenmaterial nicht die Feststellung erlaubt, die Bezeichnung "L. Marzipan" sei von Anfang ein Warenname oder eine Beschaffenheitsangabe gewesen oder habe sich zu irgend einem späteren Zeitpunkt dazu in dem Ausmaß entwickelt, daß nur noch ein ganz unerheblicher Teil der Verkehrskreise darin eine Herkunftsangabe gesehen hat.

12

Die dagegen von den Klägerinnen und Revisionsbeklagten erhobenen Einwendungen sind nicht begründet. Zunächst ist es entgegen der Ansicht der Revisionsbeklagten nicht rechtsfehlerhaft, wenn das Berufungsgericht nicht aufgrund des vorgelegten Materials zu der Feststellung gelangt ist, die Bezeichnung "L. Marzipan" sei schon ursprünglich eine Gattungsbezeichnung gewesen. Wenn das Berufungsgericht dazu auf den üblichen Wortsinn hingewiesen hat, der beim adjektivischen Gebrauch eines Ortsnamens in Verbindung mit einem Warennamen im allgemeinen auf die örtliche Herkunft der Ware hinweist, und wenn es zusätzlich mit Literaturstellen belegt hat, daß L. zuerst, schon im Mittelalter, für diese Art von Fabrikation bekannt geworden ist, und daß Marzipan für L. einen besonderen Ruf begründet hat, so reichte dies jedenfalls aus, um so erhebliche Zweifel zu begründen, daß die Behauptung, es habe sich von Anfang an um eine Gattungsbezeichnung gehandelt, zumindest als nicht bewiesen behandelt werden konnte. Ebenso verhält es sich mit der Behauptung, mindestens seit Beginn der industriellen Marzipanherstellung, etwa um 1870, sei "L. Marzipan" eine Beschaffenheitsangabe gewesen. Diese Feststellung wäre, da die Bezeichnung nicht feststellbar von vornherein Gattungsbezeichnung war, nach den dargelegten Grundsätzen identisch mit der Feststellung, daß nur noch ein ganz unerheblicher Teil des Verkehrs seinerzeit die Angabe als Herkunftshinweis aufgefaßt hätte. Es ist richtig, daß die angeführten Literaturstellen, die aber auch schon aus späteren Jahrzehnten stammen (z.B. Kern, Das Lebensmittelrecht der Süßwarenindustrie; Glas, Praktisches Handbuch der Lebensmittel; Heckmann, Großes Konditoreibuch und der Aufsatz von Weschke), Meinungsäußerungen und Indizien enthalten, die für die Annahme einer Gattungsbezeichnung sprechen können. Es kann aber nicht als rechtsfehlerhaft angesehen werden, wenn das Berufungsgericht diese Unterlagen nicht als ausreichend für die Feststellung angesehen hat, in der Zeit um 1870 (oder später) habe die Bezeichnung "L. Marzipan" nur noch für ganz unbeachtliche Teile des Verkehrs den Charakter einer Herkunftsangabe gehabt. Ältere Literaturstellen sind für die Frage, in welchem Umfang sich eine zunächst als Herkunftsangabe aufgefaßte Bezeichnung im Verkehr früherer Zeiten umgewandelt hat, regelmäßig nur mit Zurückhaltung zu werten. Solche Äußerungen sind nicht selten von Interessen beeinflußt, lassen auch oft nicht erkennen, ob die entsprechende Behauptung auf einer tragfähigen Grundlage beruht (vgl. dazu auch Bussmann, GRUR 1965, 281, 284). Wenn das Berufungsgericht diese Literatur als repräsentativ für die Fachwelt angesehen, ihr aber nicht eine beweiskräftige Aussage über die allgemeine Verbraucherauffassung entnommen hat, so ist das nicht zu beanstanden. Nicht klar ersichtlich ist, ob das Berufungsgericht insoweit auch dem Ergebnis der in diesem Verfahren eingeholten Meinungsumfrage Bedeutung beigemessen hat. Dies wäre jedenfalls rechtlich nicht zu beanstanden gewesen. Denn wenn gegenwärtig noch ca 40 % der Befragten "L. Marzipan" für einen Herkunftshinweis halten, so könnte dieses Ergebnis angesichts der bekannten Konstanz derartiger Meinungen durchaus die Auffassung unterstützen, daß jedenfalls eine vollständige Umwandlung in einen Gattungsbegriff früher nicht stattgefunden hat.

13

3.

Die vom Berufungsgericht auf der Grundlage der Meinungsumfrage getroffene Feststellung, daß etwa 40 % der Verbraucher "L. Marzipan" als einen Herkunftshinweis ansehen, wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen, begegnet auch keinen rechtlichen Bedenken. Die Angabe "L. Marzipan" ist daher, wenn sie von nicht ortsansässigen Herstellern in der Werbung verwendet wird, für einen großen Teil der Verbraucher unrichtig.

14

Die bloße Unrichtigkeit einer solchen Angabe reicht allerdings, wie das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes angenommen hat, nicht in jedem Falle aus, um sie auch als irreführend im Sinne des § 3 UWG anzusehen; die Vorschrift bezweckt die Vermeidung der Gefahr eines durch Täuschung erreichten, noch vor dem Kaufentschluß liegenden Anlockens (für den Fall der unrichtigen Alterswerbung BGH GRUR 1960, 563, 565 - Sektwerbung m.w.N.). Deshalb ist eine Werbeangabe erst dann irreführend, wenn sie in dem Punkt und in dem Umfang, in dem sie von der Wahrheit abweicht, bei ungezwungener Auffassung geeignet ist, die Kauflust des Publikums irgendwie (im Sinne einer allgemeinen Wertschätzung) zu beeinflussen (so BGH a.a.O. S. 565), dagegen ist eine Unrichtigkeit, die eine solche Wirkung nicht ausübt, unter dem Blickpunkt des § 3 ÜWG, weil wettbewerblich irrelevant, regelmäßig nicht zu beanstanden (so zum Fall einer unrichtigen Firmenbezeichnung BGH GRUR 1957, 285, 286 - Erstes Kulmbacher). Diese Grundsätze sind auch bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung unrichtiger örtlicher Herkunftsangaben anzuwenden. Ist die Auffassung der beteiligten Verkehrskreise insoweit nicht einhellig, stellt die Angabe vielmehr für einen Teil des Verkehrs einen irgendwie beachtlichen Hinweis dar, während sie für einen anderen Teil ohne Bedeutung ist, so gilt auch insoweit, daß es für die Annahme einer Irreführung im Sinne des § 3 UWG genügt, wenn die Angabe für mehr als nur einen unbeachtlichen Teil von Bedeutung ist.

15

Das Berufungsgericht hat im Streitfall den Anteil des Verkehrs, für den die Bezeichnung "L. Marzipan" in diesem Sinne erheblich ist, mit 13,7 % aller Befragten festgestellt und diesen Anteil als wettbewerbsrechtlich unerheblich beurteilt. Die Revision greift sowohl diese Feststellung als auch die Meinung an, der Anteil von 13,7 % sei rechtlich irrelevant. Der Revision ist zuzugeben, daß die Fragestellung, mit der jener Satz ermittelt worden ist, zur Feststellung der wettbewerblichen Relevanz ungeeignet war. Da es in rechtlicher Hinsicht ausreicht, wenn die Herkunftsangabe "irgendwie" von Bedeutung für die Interessenten ist, genügt es, wenn festgestellt wird, daß die Herkunft in die Überlegung, ob man sich dieser Ware zuwenden wolle, einbezogen wird, und daß die Herkunft dabei positiv wirkt. Dagegen ist es insoweit nicht erforderlich, daß der Herkunft ein oder gar das entscheidende Gewicht beigemessen wird, hinter dem andere Gesichtspunkte, insbesondere der Preis und die Aufmachung der Ware zurücktreten. Dem wird die Fragestellung (Frage 10): "Legen Sie persönlich Wert darauf, daß es sich bei "L. Marzipan" auch wirklich immer um Marzipan handelt, das in L. hergestellt ist, oder ist Ihnen das gleichgültig?" nicht gerecht. Durch die Worte "persönlich" und "auch wirklich immer" konnten die Befragten zu der Ansicht gelangen, der Frager wolle wissen, ob es dem Befragten ganz besonders wichtig sei, aus L. stammendes Marzipan zu erhalten und daß er anderes auf gar keinen Fall haben wolle. Diese Frage war zwar geeignet, Liebhaber des in hergestellten Marzipans zu einer bejahenden Antwort zu veranlassen. Sie ließ aber denen keine Äußerungsmöglichkeit, für die diese Herkunft zwar ein positives Merkmal war, das sie aber im Einzelfall lediglich als ein Merkaal unter mehreren anderen, insbesondere neben Preis und Aufmachung in die Überlegung einbeziehen würden. Daß es einen solchen Personenkreis zwischen den Positionen dessen, der als Liebhaber "L. Marzipan's" anzusehen ist und desjenigen, dem die Herkunft völlig gleichgültig ist, gibt, liegt nahe. Eine neutrale Fragestellung hätte deshalb etwa dahin gehen müssen, ob der Befragte, wenn er die Wahl hätte, bei gleichem Preis und gleicher Aufmachung ein Marzipan, das aus L. stammt, einem Marzipan, das in einer anderen Stadt hergestellt worden ist, vorziehen würde. In diesem Zusammenhang hätte das Berufungsgericht im Hinblick auf den von ihm abgelehnten Antrag auf eine erneute Befragung auch in Betracht ziehen müssen, daß selbst Kern, der in seinem Buch "Das Lebensmittelrecht der Süßwarenindustrie", 1960, die Auffassung vertreten hat, "L. Marzipan" sei ohne irgend welchen Zweifel stets nur ein Gattungsbegriff gewesen, weiter ausgeführt hat: "Das Publikum kennt den Begriff des "L. Marzipans" als ein besonders schmackhaftes Produkt und es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß "L. Marzipan", insofern es in L. direkt hergestellt wird, wohl noch eine besondere Anziehungskraft auf das Publikum hat".

16

Unter diesen Umständen kann das Befragungsergebnis insoweit nur dahin gewürdigt werden, daß jedenfalls mindestens 13,7 % der Befragten Wert auf die Herkunft aus Lübeck legen. Ein solcher Anteil ist weder absolut noch im Hinblick auf die Umstände des Streitfalles so niedrig, daß er von vornherein als unerheblich bezeichnet werden könnte. Zutreffend hat deshalb das Berufungsgericht eine Interessenabwägung für erforderlich angesehen. Die dazu angestellten Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung jedoch nicht stand. Unerheblich ist bereits der vom Berufungsgericht zu Gunsten der Klägerin berücksichtigte Gesichtspunkt, aus L. stammendes "L. Marzipan" sei nicht besser als das außerhalb hergestellte. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß es nicht Sache des Gerichts ist nachzuprüfen, ob die Wertschätzung, die das Publikum einer Ware entgegenbringt, berechtigt ist. Wenn deshalb ein Teil des Publikums auf die Herkunft aus L. Wert legt, dann kann seinem Interesse, darüber nicht irregeführt zu werden, nicht entgegengehalten werden, es bestehe kein Qualitätsunterschied zu anderswo hergestelltem Marzipan.

17

Maßgeblich war für das Berufungsgericht ersichtlich seine Erwägung, daß seit Jahrzehnten, etwa seit der Jahrhundertwende, die Bezeichnung "L. Marzipan" von Marzipanherstellern außerhalb L. als Sortenbezeichnung gebraucht worden sei, ohne daß seitens der in L. domizilierenden Marzipanhersteller etwas dagegen unternommen worden sei, weshalb den auswärtigen Herstellern Vertrauensschutz zu gewähren sei. Zutreffend rügt die Revision insoweit Verletzung des § 286 ZPO. Die Behauptung eines solchen Gebrauchs seit der Jahrhundertwende haben die Beklagten substantiiert bestritten. Das Berufungsgericht hätte deshalb die Tatsachen, auf die es seine Feststellung gründete, darlegen müssen. Daran fehlt es, sie ergeben sich auch nicht aus den Akten. Die Schrifttumsstellen, auf die sich das Berufungsgericht für seine - andere - Feststellung bezieht, daß in Fachkreisen "L. Marzipan" als Beschaffenheitsangabe aufgefaßt wird, können vom Berufungsgericht jedenfalls nicht ohne weiteres auch als Nachweis eines seit der Jahrhundertwende begründeten schutzwürdigen und unangefochtenen Besitzstandes aufgefaßt worden sein. Denn die von Kern, Lebensmittelrecht der Süßwarenindustrie 1960 (Anlage 16) dazu zitierten Äußerungen sagen beweiskräftig allenfalls etwas über den Stand zur Zeit ihres Erscheinens (1928 und 1935), nicht aber für die damals schon zurückliegenden Jahrzehnte aus. Auch stellen sie ersichtlich Reaktionen auf gegenteilige Äußerungen L. Hersteller dar. Deshalb hätte sich das Berufungsgericht mit dem näher substantiierten Einwand der Beklagten, daß sich damit Konkurrenzinteressen Gehör verschafft hätten, auseinandersetzen müssen, wenn es seine Feststellungen darauf hätte stützen wollen. Über die maßgebliche Frage des Benutzungsumfanges finden sich in diesen Äußerungen nur allgemeine Wendungen, die jedenfalls für sich allein kaum zum Beweise ausreichen können. Wenn sich das Berufungsgericht auf die Marzipanrezepte mit der Überschrift "L. Marzipan" in Konditoreilehrbüchern hätte berufen wollen, so hätte es darlegen müssen, inwieweit solche Rezepte auch den Gebrauch im Verkehr mit den Verbrauchern indizierten. Jede Auseinandersetzung fehlt auch mit den von den Beklagten überreichten Unterlagen, wonach die Firmen S. & Co. (jetzt Klägerin zu 4), S. und M. noch 1960 gegenüber der Beklagten zu 1 in eingehenden schriftlichen Ausführungen erklärt haben, sie hielten "L. Marzipan" im Hinblick auf die Verkehrsauffassung für eine Herkunftsangabe, der sie sich zur Vermeidung von Irreführungen nicht bedienen würden. Denn diese Schreiben könnten dahin verstanden werden, daß namhafte Konkurrenzfinnen zu dieser Zeit eine rechtlich durchaus beachtliche Irreführungsgefahr angenommen haben. Auch die gegen seine Feststellung sprechenden detaillierten Ausführungen des Deutschen Industrie- und Handelstages vom 20.9.1965 hätte das Berufungsgericht nicht ohne Begründung übergehen dürfen. Soweit es sich um die Frage handelt, ob die L. Fabrikanten sich gegen diese Verwendung zur Wehr gesetzt hätten, durfte das Berufungsgericht nicht allein lediglich auf die etwaige Erfolglosigkeit abstellen. Denn auch letztlich erfolglose Bemühungen können für die Frage, ob ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand entstanden ist, von Bedeutung sein.

18

Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird dabei auch prüfen müssen, ob es den Beweis angeboten der Klägerinnen über die Benutzungszeit und den Benutzungsumfang, die diese in der Berufungsinstanz wiederholt hatten, nachzugehen hat. Für die Schlußabwägung wird es davon ausgehen müssen, daß im allgemeinen kein schutzwürdiges Interesse an der Benutzung unrichtiger Herkunftsangaben besteht und daß deshalb nur Beeinträchtigungen von sehr erheblichem Gewicht die Zurückdrängung des Verbraucherinteresses am Schutz vor Irreführungen rechtfertigen kann.

19

Sollte die auf dieser Grundlage vorgenommene Abwägung zu dem Ergebnis führen, daß gegenüber einem relevant irregeführten Teil des Publikums von 13,7 % den Interessen der Klägerinnen der Vorzug zu geben sei, so müßte, weil dieser Prozentsatz nur im Sinne einer Mindestzahl rechtlichen Bestand hat, die Meinungsumfrage mit einer neutralen Fragestellung wiederholt werden, weil sich nicht ausschließen läßt, daß sich dabei ein so hoher Prozentsatz ergibt, daß jedenfalls diesem gegenüber die Interessen der Klägerinnen zurückgesetzt werden müssen.

Gamm
Alff
Merkel
Zülch
Piper