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Bundesgerichtshof
Urt. v. 08.05.1980, Az.: IVa ZR 1/80

Anspruch auf Zahlung von Maklerlohn (Käuferprovision); Rechtsfolgen der (erfolgreichen) Anfechtung eines Kaufvertrages für den Provisionsanspruch; Arglistige Täuschung beim Verkauf einer Immobilie; Umfang der Offenbarungspflicht des Verkäufers

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
08.05.1980
Aktenzeichen
IVa ZR 1/80
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1980, 12533
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Köln - 12.01.1978
LG Köln

Fundstellen

  • DB 1980, 2076-2077 (Volltext mit amtl. LS)
  • JZ 1980, 522-523 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1980, 914-915 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1980, 2460-2461 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

A. B. D. & C. KG,
vertreten durch den persönlich haftenden Gesellschafter Lorenz C., L. straße 33, M.

Prozessgegner

D. G.-I.-Gesellschaft mbH,
vertreten durch ihre Geschäftsführer Wilfried E. und Heinz W., T.-H. R. 62, K.

Amtlicher Leitsatz

Arglistig kann auch derjenige täuschen, dem - wie er weiß - entgegen der offensichtlichen Erwartung des Erklärungsempfängers jegliche zur sachgemäßen Beurteilung des Erklärungsgegenstandes erforderliche Kenntnis fehlt und der dies verschweigt.

Der gute Glaube an die Richtigkeit des Erklärten schließt in einem solchen Falle Arglist nicht aus.

Der IVa - Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 1980
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Hoegen und
die Richter Rottmüller, Dehner, Dr. Blumenröhr und Dr. Schmidt-Kessel
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 12. Januar 1978 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Maklerlohn (Käuferprovision) in Anspruch.

2

Im Jahre 1962 erwarb die C. Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft in H. (nachstehend: Verkäuferin) von der Bauunternehmung Georg H. das Grundstück L. straße 73-75 in M., auf welchem die Firma H. seinerzeit ein Gebäude mit Tiefkeller errichtete.

3

Die Verkäuferin ließ das Gebäude durch die Firma H. fertigstellen und übertrug durch Vertrag vom 5. Juli 1962 Verwaltung und Bewirtschaftung des Grundstücks auf eine Tochtergesellschaft der Firma H. (nachstehend: Verwalterin). Diese versprach, die Verkäuferin von der tatsächlichen Verwaltung und Bewirtschaftung des Grundstückes und Gebäudes sowie jeglicher hieraus entstehender Zahlungsverpflichtungen freizuhalten. In der Zeit von Oktober 1962 bis 1972/1973 wurde zwischen der Stadt M. und der Verwalterin ein umfangreicher Schriftwechsel geführt, da wiederholt Grundwasser in den Tiefkeller des Hauses eindrang und in die städtische Kanalisation abgeleitet werden mußte. Die von der Verwalterin erbetene Genehmigung zur Einleitung des Grundwassers in den städtischen Kanal verweigerte die Stadt. Nachdem diese mehrmals ein Zwangsgeld festgesetzt hatte, um die Beseitigung des ordnungswidrigen Zustandes zu erzwingen, erneuerte die Verwalterin schließlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1972 Entwässerungsanlage und Grundwasserrohre des Hauses, ohne indessen eine von der Stadt nunmehr als notwendig erachtete aufwendige grundwasserdämmende Betonwanne zu erstellen. Das Verwaltungsverhältnis endete mit Ablauf des Jahres 1972. Fortan übernahm die Verkäuferin die Verwaltung des Grundstücks "in eigener Regie". Aufgrund des Nachweises der Klägerin verkaufte die C. Versicherungs-Aktiengesellschaft durch notariell beurkundeten Vertrag vom 2./16. März 1973 das Grundstück zu einem Preis von 13.500.000,- DM an die Beklagte, wobei Nutzungen, Gefahren und Lasten gem. § 3 Abs. 7 des Kaufvertrages mit Wirkung vom 1. März 1973 an auf die Käuferin übergehen sollten. Die Haftung der Verkäuferin für sichtbare und unsichtbare Mängel des Grundstücks wurde durch § 3 Abs. 1 Satz 2 des Kaufvertrages abbedungen, sofern nichts anderes vereinbart sei. In § 3 Abs. 8 des Vertrages versicherte die Verkäuferin, daß Rückstände auf veranlagte, mit dem Kaufvertrag zusammenhängende Steuern nicht bestünden und daß irgendwelche Streitigkeiten, insbesondere Rechtsstreite, die in Zusammenhang mit dem Kaufgegenstand stünden, nicht schwebten oder angedroht seien. Diese Bestimmung wurde auf besonderen Wunsch der Beklagten in den Vertrag aufgenommen.

4

Über die Tätigkeit der Verwalterin hatte sich die Verkäuferin nicht unterrichten lassen. Sie nahm auch nicht Einsicht in die bei der Verwalterin entstandenen schriftlichen Vorgänge.

5

In der zweiten Hälfte des Monats März 1973 kam es im Tiefkeller des Gebäudes erneut zu einem Grundwassereinbruch. Bei der Ortsbesichtigung am 27. oder 29. März 1973 erfuhr die Beklagte, daß in der Vergangenheit schon wiederholt derartige Wassereinbrüche aufgetreten waren und die Stadt M. Maßnahmen gegen das Einleiten des Grundwassers in die städtische Kanalisation verlangt hatte. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 13. April 1979 verlegten die Verkäuferin, die ebenfalls erstmals im Zusammenhang mit dem Grundwasserschaden von der Grundwassergefährdung erfahren hatte, und die Beklagte den Zeitpunkt des vereinbarten Besitz- und Gefahrübergangs auf den 1. August 1973, wobei Einigkeit bestand, daß die beiderseitigen Rechtspositionen "hinsichtlich des aufgetretenen Wasserschadens" hierdurch nicht beeinträchtigt würden.

6

Mit Anwaltsschreiben vom 4. Mai 1973 erklärte die Beklagte gegenüber der Verkäuferin "im Hinblick auf die erheblichen Mängel des Kaufobjekts" die Anfechtung des Kaufvertrags. Gemäß Auflage der Stadt München ließ die Verkäuferin in der Folgezeit mit einem Aufwand von 1.112.458,63 DM eine Grundwasserwanne zur Abdichtung des Tiefkellers einbauen. Der Kaufvertrag ist bisher nicht durchgeführt worden.

7

Die auf Zahlung des Maklerlohnes gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die Beklagte habe den Kaufvertrag wirksam angefochten; die Klägerin habe daher keinen Provisionsanspruch. Mit der Revision verfolgt die Klägerin den Klageanspruch weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.

9

Es kann dahinstehen, ob das Oberlandesgericht die Anfechtung des Kaufvertrages wegen Irrtums (§ 119 BGB) zu Unrecht hat durchgreifen lassen, wie die Revision meint. Dem Berufungsgericht ist jedenfalls darin beizupflichten, daß die Beklagte den Kaufvertrag fristgerecht und mit Erfolg wegen arglistiger Täuschung durch die Verkäuferin dieser gegenüber angefochten hat (§§ 123 Abs. 1, 124 Abs. 1, 2 Satz 1, 143 Abs. 1, 2 BGB), der Kaufvertrag als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§ 142 Abs. 1 BGB) und infolgedessen ein - allein in Betracht kommender - Provisionsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte nach § 652 Abs. 1 Satz 1 BGB entfällt.

10

1.

Zutreffend geht das Berufungsgericht bei der Prüfung des Anfechtungsgrundes von § 3 Abs. 8 Satz 2 des notariellen Kaufvertrages aus, in dem die Verkäuferin der Beklagten ausdrücklich versicherte, daß irgendwelche Streitigkeiten, insbesondere Rechtsstreite, die im Zusammenhange mit dem Kaufgegenstand stünden, nicht schwebten und auch nicht angedroht seien. Es hat angenommen, die Auseinandersetzungen zwischen der Stadt München und der durch die Hausverwalterin vertretenen Verkäuferin seien als "Streitigkeit" im Sinne dieser Vertragsklausel anzusehen.

11

a)

Das Oberlandesgericht hat hierzu festgestellt:

12

Die Stadt München habe seit der Errichtung des Bürohauses im Jahre 1962 beanstandet, daß Grundwasser aus dem Keller in das städtische Kanalnetz eingeleitet werde. Sie habe von der Verkäuferin, vertreten durch die Hausverwalterin, verlangt, die Entwässerungsanlage des Gebäudes wasserdicht herzustellen, und wiederholt an die Beseitigung des ordnungswidrigen Zustande erinnert. Nach Ablehnung der Genehmigung zur Grundwasserableitung in den städtischen Kanal habe die Stadt im April 1969 ein Zwangsgeld von 1.000,- DM angedroht. Aufgrund einer Besprechung habe sie sich zunächst mit bestimmten Sofortmaßnahmen begnügt.

13

Im Dezember 1969 habe sie gegen die Verwalterin ein Zwangsgeld von 1.000,- DM festgesetzt, weil der vorläufige Umbau noch nicht ausgeführt gewesen sei. Im März 1971 habe sie sie erneut aufgefordert, die Grundwassereinleitung in das Kanalsystem zu unterbinden. Nach weiterer Erinnerung im Oktober 1971 habe die Verwalterin Ende 1971/Anfang 1972 die Kellergrundleitung neu verlegen lassen. Weil auch in der Folgezeit noch Grundwasser in den öffentlichen Kanal eingedrungen sei, habe die Stadt im März 1972 erneut ein Zwangsgeld von 1.000,- DM festgesetzt und ein weiteres Zwangsgeld von 1.500,- DM angedroht, falls binnen drei Monaten die Grundwassereinleitung nicht eingestellt sei. Im Juni 1972 habe die Verwalterin angekündigt, daß sie bis etwa 25. Juni 1972 die Beanstandung endgültig beheben werde. Nach dem Wassereinbruch im März 1973 habe die Stadt M. zunächst von der Beklagten und sodann von der Verkäuferin verlangt, den verbotswidrigen Zustand endgültig zu bereinigen.

14

Hiernach habe seit 1962 eine sich ab 1969 zuspitzende "Streitigkeit" hinsichtlich des Kaufgegenstandes geschwebt. Die sachlichzeitlich zusammenhängende Abfolge sich wiederholender Verwaltungsverfügungen habe dem einheitlichen Ziel gegolten, den als ordnungswidrig erkannten Einlauf von Grundwasser in die öffentliche Kanalisation zu unterbinden. Der Wassereinbruch im März 1973 zeige, daß die von der Verwalterin angeblich noch bis Dezember 1972 durchgeführten Baumaßnahmen nicht geeignet gewesen seien, den Streit mit der Stadt M. endgültig auszuräumen. Die Auseinandersetzung mit der Stadt sei noch nicht erledigt gewesen.

15

b)

Diese Feststellungen werden von der Revision nicht angegriffen. Sie wendet sich gegen die Annahme des Tatrichters, die Auseinandersetzung mit der Stadt München sei eine "Streitigkeit" im Sinne von § 3 Nr. 8 Satz 2 des Kaufvertrages. Die Rüge ist unbegründet.

16

Die Revision hält die Auslegung der Klausel durch das Oberlandesgericht für voll revisibel und verweist dazu auf den nach der letzten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren eingegangen, nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 24. November 1977, in dem diese erstmals behauptet hat, sie nehme eine "identische" Klausel grundsätzlich in ihre notariellen Verträge auf, wie sich aus mehreren, u.a. in Frankfurt/Main, Essen und Köln geschlossenen "individuellen" Kaufverträgen ergebe. Dieses Vorbringen kann jedoch nicht mehr berücksichtigt werden (§ 296a ZPO). Der Senat kann schon deshalb die fragliche Vertragsbestimmung nicht frei auslegen, sondern ist grundsätzlich an die Auslegung des Berufungsgerichts gebunden. Diese Auslegung ist aufgrund der getroffenen Feststellungen möglich und rechtsfehlerfrei. Ihr steht der Vortrag der Klägerin, die Klausel habe nur die gewerbliche Nutzung des Kaufobjekts sowie die Freiheit von öffentlichen Lasten und sonstigen offentlich-rechtlichen Beeinträchtigungen der Nutzungs- und Verfügungsgewalt sichern sollen, nicht entgegen. Das Berufungsgericht hat in tatrichterlicher Würdigung angenommen, eine Beeinträchtigung in diesem Sinne sei auch die Streitigkeit mit der Stadt M. gewesen. Der Vernehmung des Notars P. als Zeugen zu dem Vorbringen der Klägerin bedurfte es daher nicht.

17

Die weiteren Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und nicht für begründet erachtet (§ 565a ZPO).

18

2.

Auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte sei durch die Zusicherung der Verkäuferin gemäß § 3 Abs. 8 Satz 2 des Kaufvertrages arglistig getäuscht worden, weist keinen Rechtsfehler auf. Hierbei kann offenbleiben, ob der Verkäuferin die Kenntnis ihrer Verwalterin von der Streitigkeit mit der Stadt M. zuzurechnen ist. Denn das Verhalten der Verkäuferin selbst erfüllt den Tatbestand des § 123 BGB.

19

a)

Das Berufungsgericht hat hierzu unter Hinweis auf die Rechtssprechung des Reichsgerichts ausgeführt:

20

Mit Treu und Glauben sei es nicht vereinbar, eine für den Vertragswillen des anderen Teils als erheblich erkannte Tatsache, deren Richtigkeit man nicht kenne, dennoch als wahr zu versichern; eine unrichtige, vertragsentscheidende Erklärung sei bereits dann als arglistig zu werten, wenn sie ohne jede sachliche Unterlage abgegeben werde; der Arglistvorwurf treffe denjenigen, der eine bestimmte Kenntnis versichere, diese Kenntnis aber in Wirklichkeit nicht habe. Diese Rechtsgrundsätze zum Begriff der Arglist im Sinne des § 123 BGB seien auch hier anzuwenden. Die Verkäuferin habe das Nichtbestehen von Streitigkeiten in umfassender Weise zugesichert, obwohl sie zu einer kompetenten Beurteilung der maßgebenden Verhältnisse gar nicht in der Lage gewesen sei. Sie habe die Hausverwalterin zehn Jahre lang in dem Kaufobjekt "schalten und walten" lassen, ohne sich - wie unstreitig sei - vor dem Grundstücksverkauf über den Ablauf der Verwaltungstätigkeit zu unterrichten und insbesondere die entstandenen schriftlichen Vorgänge einzusehen. Die Verkäuferin habe daher schlechterdings nicht im Bilde darüber sein können, was in der Zeit der Hausverwaltung geschehen sei. Sie habe die "Streitfreiheit" des Kaufgegenstandes ohne sachliche Grundlage "ins Blaue" hinein versichert. Dies reiche aus, den Vorwurf der Arglist zu begründen.

21

b)

Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

22

Bei Verhandlungen über den Abschluß eines Vertrages besteht grundsätzlich die Verpflichtung, den anderen Teil über die Umstände aufzuklären, die zur Vereitelung des Vertragszwecks geeignet sind und daher für die Entschließung des anderen Teils von wesentlicher Bedeutung sein können; eine solche Offenbarungspflicht, deren Verletzung im Blick auf § 123 BGB erheblich sein kann, setzt voraus, daß der Vertragsgegner die Mitteilung der betreffenden Tatsachen nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte. Diese Verpflichtung besteht insbesondere dann, wenn - wie dies auch im vorliegenden Fall geschehen ist - der Verkäufer auf Verlangen des Käufers eine entsprechende Zusicherung über das Nichtvorhandensein eines bestimmten Umstandes abgibt in dem Bewußtsein, daß sie für den Käufer von wesentlicher Bedeutung ist. Arglist setzt zwar Vorsatz voraus, wobei bedingter Vorsatz ausreicht (BGH LM BGB § 463 Nr. 1). Arglistig handelt daher grundsätzlich nicht, wer gutgläubig unrichtige Angaben macht, mag auch der gute Glaube auf Fahrlässigkeit oder selbst auf Leichtfertigkeit beruhen. Zur Arglist ist aber nicht unbedingt das Wissen erforderlich, daß die angegebene Tatsache nicht der Wahrheit entspricht (RG WarnR 1914 Nr. 109). Arglistig kann vielmehr auch derjenige handeln, der einem anderen versichert, eine bestimmte Kenntnis von Vorgängen oder Umständen zu haben, diese Kenntnis aber in Wirklichkeit nicht hat (RG HRR 1934 Nr. 1094). Eine vertragsmäßige Zusicherung kann daher eine Anfechtung nach § 123 BGB begründen, wenn sie zwar nicht bewußt den Tatsachen widersprach, jedoch ohne jede sachliche Grundlage abgegeben wurde (RG Recht 1918 Nr. 1088). Arglistig kann insbesondere auch derjenige täuschen, der sich der ihm ohne weiteres möglichen und zumutbaren Erkenntnis der die Täuschung begründenden Umstände verschließt und das Fehlen derartiger Umstände blindlings vertraglich zusichert. Daß ihm die Umstände tatsächlich nicht bekannt waren, ist dabei unerheblich. Das arglistige Verhalten liegt hier gerade darin, daß dem Erklärenden, was ihm auch bewußt war, jegliche zur sachgemäßen Beantwortung erforderliche Kenntnis fehlte und daß er gleichwohl diesen Umstand gegenüber dem anderen Teil verschwieg (RG LZ 1915, 362 Nr. 2).

23

So war es aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im vorliegenden Falle. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts enthalten insoweit keinen Rechtsfehler. Es hat auch nicht angenommen, daß jede "ins Blaue" gehende Zusicherung "zwangsläufig" den Vorwurf der Arglist begründe. Der vorliegende Fall erhält sein besonderes Gepräge dadurch, daß die Verkäuferin während der 10-jährigen Dauer des Verwaltervertrages mit der Hausverwalterin, der erst kurz vor Abschluß des Kaufvertrages mit der Beklagten endete, mit der Verwaltung des Objekts nichts zu tun hatte, hierüber überhaupt nicht unterrichtet wurde und nach dem Vertrag nicht unterrichtet werden mußte. Die Verkäuferin sah auch die schriftlichen Unterlagen der Verwalterin nicht ein. Das führte zu einer völligen Unkenntnis der Verkäuferin über die Verhältnisse, die Gegenstand ihrer Zusicherung gemäß § 3 Abs. 8 des Kaufvertrages waren. Damit konnte die Beklagte als Käuferin bei Abschluß des Kaufvertrages nicht rechnen. Aus ihrer Sicht mußte die Zusicherung der "Streitfreiheit" des Kaufobjekts vielmehr aufgrund eigener Beurteilung der Verkäuferin abgegeben erscheinen. Das konnte auch dieser nicht verborgen geblieben sein, nachdem die Beklagte auf diese Erklärung besonderen Wert gelegt hatte. Gab die Verkäuferin unter diesen Umständen die Erklärung ab, obwohl sie wußte, daß sie über ihren Gegenstand "schlechterdings nicht im Bilde sein konnte", und verschwieg sie dies der Beklagten, so beging sie eine arglistige Täuschung.

24

Hiernach ist unerheblich, daß die Beklagte geglaubt haben mag, es bestehe keine Streitigkeit hinsichtlich des Grundstücks. Denn Gegenstand des gegen sie gerichteten Vorwurfs ist nicht, daß sie die Streitfreiheit bewußt unrichtig versichert habe, sondern, daß sie etwas versicherte, was sie - wie ihr bekannt war - entgegen der offensichtlichen Erwartung des Erklärungsempfängers überhaupt nicht wissen konnte. Schon deshalb spricht auch der Umstand, daß sie nach Abschluß des Kaufvertrages mit der Beklagten in der Zeit vom August 1974 bis Januar 1975 eine Betonwanne hat einbauen lassen und hierfür 1.112.458,63 DM aufgewendet hat, ebenfalls nicht gegen ein arglistiges Verhalten.

25

3.

Die Beklagte hat die Anfechtung des Kaufvertrages mit dem Anwaltsschreiben vom 4. Mai 1973 auch fristgerecht gegenüber der Verkäuferin erklärt (§§ 124 Abs. 1, 2 Satz 1, 143 Abs. 1, 2 BGB). Hierbei mag dahinstehen, ob die Anfechtungserklärung überhaupt erkennen lassen muß, auf welchen tatsächlichen Grund sie gestützt wird (ebenfalls offengelassen in BGH LM BGB § 143 Nr. 4 = NJW 1966, 39). Auch wenn man hiervon ausgeht, dürfen die Anforderungen an die Erklärung jedenfalls nicht überspannt werden. Gegebenenfalls müssen auch außerhalb der Anfechtungserklärung liegende Umstände mit berücksichtigt werden, insbesondere solche, die dem Anfechtungsgegner bereits vor der Anfechtung bekanntgeworden sind und aus denen in Verbindung mit dieser für ihn erkennbar ist, warum der Anfechtende die angefochtene Erklärung nicht mehr gelten lassen will.

26

Die Verkäuferin konnte im vorliegenden Fall erkennen, daß die Beklagte sich nicht nur wegen ihres Irrtums über die im Anfechtungsschreiben vom 4. Mai 1973 erwähnten Mängel des Grundstücks, sondern auch deshalb vom Vertrag lösen wollte, weil die Verkäuferin ihr die "Streitfreiheit" des Grundstücks zugesichert und die Streitigkeit mit der Stadt M. verschwiegen hatte. Das Berufungsgericht stellt ausdrücklich fest, es sei aufgrund des der Anfechtung vorausgegangenen Schreibens der Beklagten an die Verkäuferin vom 2. April 1973 hinreichend klargestellt gewesen, daß die Beklagte den Kaufvertrag auch wegen dieser Streitigkeit nicht bestehen lassen wollte (BU 13). Dann aber konnte und mußte sich die Verkäuferin nach den Umständen darauf einstellen, daß die Beklagte ihr zum Vorwurf machen wollte, im Kaufvertrag gerade das Nichtbestehen irgendwelcher Streitigkeiten hinsichtlich des Kaufgegenstandes versichert zu haben. Damit war für die Verkäuferin bei verständiger Würdigung des Verhaltens der Beklagten erkennbar, daß diese ihre Anfechtung erforderlichenfalls auch auf den Tatbestand der Täuschung stützen wollte. Die Bezeichnung "arglistige Täuschung" oder das Zitat des § 123 BGB brauchte die Anfechtungserklärung jedenfalls nicht zu enthalten. Die Erwägung, daß die Verkäuferin als Eigentümerin des Grundstücks über diesbezügliche Streitigkeiten mit der Stadt München normalerweise unterrichtet gewesen sein müßte, lag aus der Sicht der Beklagten - auch für die Verkäuferin erkennbar - an sich nahe. Die Anfechtung unter vorheriger Berufung (auch) auf diese Streitigkeit, die sich entgegen der von der Beklagten eigens verlangten Zusicherung der Verkäuferin herausgestellt hatte, deutete daher ersichtlich auf den Vorwurf des bewußten Verschweigens hin. Dann konnte diese Anfechtungserklärung auch unter dem oben zu 2) erörterten Gesichtspunkt rechtlich gewürdigt werden, daß die Verkäuferin eine Zusicherung abgab, über deren Richtigkeit sie, wie sie wußte, gar nicht im Bilde sein konnte. Insoweit noch eine nähere Differenzierung in der Anfechtungserklärung zu verlangen, hieße die für den Anfechtenden zumutbaren Anforderungen überspannen.

27

Das Berufungsgericht hat somit zu Recht die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung durchgreifen lassen und einen Provisionsanspruch der Klägerin verneint.

Dr. Hoegen
Rottmüller
Dehner
Blumenröhr
Dr. Schmidt-Kessel