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Bundesgerichtshof
Urt. v. 04.10.1979, Az.: VII ZR 11/79

Anspruch auf Schadensersatz infolge Kündigung eines Bauvertrages; Ausscheiden eines Bau-Angebotes aus dem Ausschreibungsverfahren wegen Missverhältnis zwischen Preis und Leistung; Hinweispflicht auf Kalkulationsirrtum nach den Grundsätzen von Treu und Glauben

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
04.10.1979
Aktenzeichen
VII ZR 11/79
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1979, 13042
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Düsseldorf - 30.11.1978
LG Duisburg - 11.04.1978

Fundstellen

  • DB 1980, 826-827 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1980, 222-223 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1980, 180 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Bundesrepublik Deutschland, Bundesstraßenverwaltung,
vertreten durch das Land Nordrhein-Westfalen,
dieses vertreten durch den Landschaftsverband Rheinland,
dieser vertreten durch seinen Direktor, Landesstraßenbauamt E. Henri-D. Straße ... E.

Prozessgegner

Leo H. sen., K. straße ... O. S.

Amtlicher Leitsatz

  1. a)

    § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOB/A (1973) dient nicht dem Schutz eines Anbieters, der ein zu niedriges Angebot abgibt.

  2. b)

    Den Auftraggeber trifft in solchem Falle eine Hinweispflicht regelmäßig nur dann, wenn er einen Kalkulationsirrtum des Anbieters oder ein etwaiges grobes Mißverhältnis zwischen Preis und Leistung erkennt.

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 4. Oktober 1979
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Vogt sowie
die Richter Dr. Girisch, Dr. Recken, Bliesener und Obenhaus
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden die Urteile des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. November 1978 und der 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 11. April 1978 aufgehoben.

Der Klageanspruch ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung über die Höhe, auch über die Kosten beider Rechtsmittelzüge, an das Landgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Am 11. August 1976 schrieb die Klägerin durch das Landesstraßenbauamt E. Außenputzarbeiten an den Giebeln dreier Häuser in Du. B. aus. Dabei wurde die Geltung der VOB/B festgelegt. An der beschränkten Ausschreibung wurden 10 Firmen beteiligt, darunter der Beklagte. Die Angebotsunterlagen wurden am 13. August 1976 versandt. Als Eröffnungstermin wurde der 24. August 1976, 11 Uhr, festgesetzt. Die Zuschlagsfrist sollte bis zum 31. August 1976 laufen; bis zu diesem Termin sollten die beteiligten Firmen an ihr Angebot gebunden sein. Die Klägerin hatte die voraussichtlichen Kosten zunächst intern im Wege der überschlägigen Berechnung mit 90.000 DM veranschlagt und sie dann nach Zusammenstellung der Einheitspreise auf 83.594,10 DM geschätzt.

2

An der Ausschreibung beteiligten sich 5 Unternehmer. Das Angebot des Beklagten lautete auf 60.081,86 DM, schloß aber in Wahrheit unter Berücksichtigung eines von der Klägerin erkannten Additionsfehlers mit einem Betrag von 63.056,44 DM ab. Die weiteren Angebote lauteten auf 95.182,06 DM, 101.418,92 DM, 133.743,07 DM und 185.783,70 DM.

3

Am 26. August 1976 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, daß sie ihm den Auftrag erteile; zugleich bat sie ihn, noch verschiedene Unterlagen nachzureichen. Das Büro des Beklagten teilte mit Schreiben vom 30. August 1976 mit, daß der Auftrag eingegangen sei. Eine Auftragsbestätigung sei jedoch erst nach der Rückkehr des Beklagten am 8. September 1976 möglich.

4

Nachdem die Klägerin den Beginn der Arbeiten - unter Fristsetzung - angemahnt hatte, teilte der Beklagte am 27. September 1976 mit, er habe seinen Betrieb abgemeldet und führe keine Arbeiten mehr aus. Daraufhin kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 8. Oktober 1976 den Bauvertrag gemäß § 8 Nr. 3 VOB/B und behielt sich vor, die durch die Auftragsvergabe an den an zweiter Stelle liegenden Anbieter entstehenden Mehrkosten als Schadensersatz zu fordern.

5

Dementsprechend verlangt sie mit der Klage vom Beklagten die Zahlung von 32.125,62 DM nebst 7,5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit.

6

Der Beklagte hat sein Angebot wegen Irrtums bei der Berechnung und Bestimmung der Preise angefochten und geltend gemacht, daß der Angebotspreis nicht einmal die Selbstkosten decke. Bei der nachträglich angestellten Kalkulation habe sich ein Preis von 107.352,32 DM ergeben. Unter diesen Umständen hätte die Klägerin sein Angebot nicht ohne weitere Aufklärung annehmen dürfen.

7

Die Klägerin hat dem entgegengehalten, daß von einem Mißverhältnis zwischen Leistung und Angebotspreis keine Rede sein könne; der günstigere Preis im Angebot des Beklagten erkläre sich aus Standortvorteilen des damaligen Betriebs des Beklagten. Im übrigen habe der Beklagte nicht dazu beigetragen, etwaige Kalkulationsfehler aufzuklären; er habe die angeforderte Urkalkulation nicht eingereicht.

8

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da die Klägerin bei der Vergabe gegen § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOB/A (1973) verstoßen habe. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben.

9

Mit ihrer - zugelassenen - Revision, um deren Zurückweisung der Beklagte bittet, verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe

10

I.

1.

Das Berufungsgericht geht von einem wirksamen Werkvertrag der Parteien aus. Das läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch von dem Beklagten nicht mehr in Frage gestellt.

11

2.

Das Berufungsgericht versagt aber den eingeklagten Anspruch, weil seine Geltendmachung Treu und Glauben widerspreche. § 25 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 VOB/A (1973), wonach Angebote auszuscheiden sind, deren Preise in offenbarem Mißverhältnis zur Leistung stehen, sei eine Schutzgrenze, die auch im Interesse des Bieters zu beachten sei, der ein besonders niedriges Angebot abgegeben habe. Ein Mißverhältnis zwischen Leistung und Preis liege hier vor, da das Angebot des Beklagten rund 30 % unter der Behördenschätzung und rund 33 % unter dem nächst höheren Angebot gelegen habe. Die Klägerin hätte daher das Angebot des Beklagten nach § 25 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 VOB/A (1973) ausscheiden oder sich jedenfalls vor der Erteilung des Zuschlags vergewissern müssen, ob die Leistung dennoch mit dem angebotenen Preis kostendeckend erbracht werden könne.

12

II.

Diese Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Wie die Revision zu Recht geltend macht, verkennt das Berufungsgericht den Schutzbereich des § 25 VOB/A und die Pflichten, die der öffentlichen Hand im Ausschreibungsverfahren gegenüber einem Anbieter obliegen.

13

1.

Das Berufungsgericht greift auf § 25 VOB/A zurück, obwohl die beschränkte Ausschreibung der Klägerin keinen Hinweis auf die Geltung der VOB/A enthält. Ob das richtig ist, weil sich für die Klägerin als öffentliche Auftraggeberin die Anwendung der VOB/A von selbst verstand (so Senatsurteil BGHZ 60, 221, 225; OLG Köln, Urteil vom 29. April 1977 - 4 U 222/76 - in Schäfer/Finnern Z 2.13 Bl. 53), oder ob damit - wie die Revision meint - die Anwendung der VOB/A von vornherein ausschied, kann auf sich beruhen. Auch wenn man dem Berufungsgericht insoweit folgt, hat die Revision Erfolg.

14

§ 25 Nr. 2 Abs. 2 VOB/A (1973) lautet:

"Angebote, deren Preise in offenbarem Mißverhältnis zur Leistung stehen, werden ausgeschieden. In die engere Wahl kommen nur solche Angebote, die unter Berücksichtigung rationellen Baubetriebs und sparsamer Wirtschaftsführung eine einwandfreie Ausführung einschließlich Gewährleistung erwarten lassen. Unter diesen Angeboten soll der Zuschlag auf das Angebot erteilt werden, das unter Berücksichtigung aller technischen und wirtschaftlichen, gegebenenfalls auch gestalterischen und funktionsbedingten Gesichtspunkte als das annehmbarste erscheint. Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend."

15

Diese Bestimmung dient vor allem dem Schutz des Auftraggebers. Das gilt auch, soweit es darum geht, gemäß Satz 1 ein Angebot auszuschalten, dessen Preis auffallend niedrig ist. Erfahrungsgemäß ist nämlich mit der Vergabe eines Auftrags an einen Anbieter, der zu nicht mehr kostendeckenden Preisen anbietet, die Gefahr verbunden, daß er den Auftrag nicht ordnungsgemäß zu Ende führen wird, weil sein Betrieb in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät.

16

Dagegen ist es nicht der Zweck der Bestimmung, einen Anbieter vor seinem eigenen zu niedrigen Angebot und damit "vor sich selbst" zu schützen (offen gelassen im Senatsurteil vom 21. Oktober 1976 - VII ZR 327/74 = BauR 1977, 52 f). Das Risiko einer Fehlkalkulation trifft vielmehr grundsätzlich den Anbieter. Es spricht nichts dafür, daß der dem Schutz des Auftraggebers dienende § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOB/A auch das wirtschaftliche Interesse des Anbieters auf Erzielung eines angemessenen Preises (vgl. § 2 Nr. 1 VOB/A) mit seinem Schutzbereich umfaßt. Der Anbieter kann sich daher nicht darauf berufen, daß sein Angebot nach § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOB/A hätte ausgeschieden werden müssen. Anders könnte es sein, wenn den Auftraggeber ein Verschulden bei Vertragsverhandlungen träfe.

17

2.

Indessen besteht ein Anspruch aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen hier nicht. Ein solcher Anspruch beruht auf dem Erfordernis des Vertrauensschutzes. Da die Klägerin Bauleistungen ausschrieb und der Beklagte ein Angebot abgab, bestand für beide nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte (§ 242 BGB) die Rechtspflicht zu redlichem Verhalten (vgl. dazu Senatsurteil BGHZ 60, 221, 224). Deshalb muß ein Auftraggeber, der einen Kalkulationsirrtum des Anbieters vor Vertragsschluß erkennt, den Anbieter darauf hinweisen. Tut er das nicht, darf er den Auftragnehmer gemäß § 242 BGB nicht am Vertrag festhalten (vgl. Ingenstau/Korbion, VOB, 8. Aufl., A § 19 Rdn. 10; Heiermann-Riedl-Schwaab, VOB, 2. Aufl., A § 19, Rdn. 16).

18

An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die Klägerin hat nach den getroffenen Feststellungen weder den (angeblichen) Kalkulationsirrtum des Beklagten noch ein etwaiges Mißverhältnis zwischen Preis und Leistung erkannt. Daß sie ein derartiges Mißverhältnis hätte erkennen können, genügt regelmäßig nicht.

19

3.

Nach alledem steht dem Klageanspruch der Einwand unzulässiger Rechtsausübung nicht entgegen. Die klageabweisenden Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben. Auf Grund des festgestellten Sachverhalts kann der Senat dem Grunde nach bereits ausschließend entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

20

Die Höhe des Anspruchs bedarf dagegen noch weiterer Aufklärung. Die Klägerin hat nämlich selbst vorgetragen, daß die mit der Ausführung der Arbeiten beauftragte Firma noch keine Schlußrechnung erstellt habe und sich deshalb die Höhe ihrer Forderung noch verändern könne. Insoweit ist die Sache gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der beiden Rechtsmittelzüge übertragen wird.

Vogt
Girisch
Recken
Bliesener
Obenhaus