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Bundesgerichtshof
Urt. v. 22.05.1979, Az.: VI ZR 82/78

Anwendbarkeit des § 830 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Einwilligung eines Auftraggebers in Wurzelbeschädigungen von Bäumen bei durchzuführenden Kabelarbeiten; Glaubhaftmachung einer zurechnungsfähigen Baumbeschädigung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
22.05.1979
Aktenzeichen
VI ZR 82/78
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1979, 11214
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
KG Berlin - 13.01.1978

Amtlicher Leitsatz

Die Haftung nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB setzt voraus, daß die mehreren Beteiligten die zur Herbeiführung des Schadens geeignete Gefahr in rechtlich zurechenbarer Weise gesetzt haben, der Geschädigte aber ersatzlos bleiben müßte, weil er den Nachweis der Schadenverursachung durch einen der Beteiligten nicht führen kann.

Der VI. Zivilsenat des Blindesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Mai 1979
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Weber und
die Richter Scheffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann und Dr. Deinhardt
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 13. Januar 1978 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 12. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin, die Stadt B., ist Eigentümerin des Straßenlandes in B.-R., H.-straße, dessen westlicher Bürgersteig mit Linden bepflanzt war. Sie nimmt die Beklagten dafür auf Schadensersatz in Anspruch, daß das Wurzelwerk an sieben dieser Bäume, wie sie behauptet, bei der von den Beklagten durchgeführten Kabelverlegungsarbeiten beschädigt worden war. Die Arbeiten wurden von der Erstbeklagten, einer oHG, deren persönlich haftende Gesellschafter die Beklagten zu 2) und 3) waren, unter Einsatz eines Baggers durchgeführt. Dies geschah unter Anweisung und Aufsicht des als Bauführer eingesetzten Beklagten zu 4); der Beklagte zu 5) war dabei als Kolonnenführer und Vorarbeiter tätig. Die Erstbeklagte ließ den Graben etwa 0,60 m von den Bäumen entfernt in einer Tiefe von 0,70 m und einer Breite von etwa 1 m ausheben. Nachdem von ihren Arbeitern die Grabentrasse gezogen war, stellten Mitarbeiter des zuständigen Gartenbauamtes der Klägerin fest, daß Haltewurzeln und Fasernwurzelwerk an acht der damals 30 Jahre alten Linden beschädigt worden waren. Die Klägerin ließ zur Beseitigung des Übergewichts der Bäume Entlastungsschnitte (um etwa 1/3 des Kronenvolumens) vornehmen; ferner veranlaßte sie eine Wurzelbehandlung.

2

Die Klägerin hat behauptet, der Baggerführer der erstbeklagten Baufirma habe auf Anweisung und unter Aufsicht der Beklagten zu 4) und 5) die Grabentrasse unmittelbar an den Stammbasen der Bäume entlang gezogen und dabei die Wurzelbeschädigung verursacht; es seien über 20 cm starke, frisch abgerissene Wurzeln vorgefunden worden. Sie sieht den zur Haftung führenden Umstand darin, daß die erstbeklagte Baufirma sich vor Beginn der Ausschachtung kein Bild von den örtlichen Gegebenheiten gemacht und nicht durch Anweisungen und Kontrollen eine Beschädigung des Wurzelwerks ausgeschlossen habe. Die Beklagten zu 4) und 5) hätten dafür Sorge tragen müssen, daß der Graben im Baumbereich von Hand ausgeschachtet wurde.

3

Der Beklagte zu 4) hat sich nicht vertreten lassen. Die übrigen Beklagten haben sich in erster Linie darauf berufen, die Schäden habe eine Firma P. verursacht; die gefundenen Wurzelstücke seien von dieser in den Graben geworfen worden. Diese Firma hatte kurz zuvor in demselben Straßenbereich Wasserrohre verlegt und dazu ebenfalls einen Graben ausgeschachtet, wobei Wurzeln dieser Bäume beschädigt worden waren. Der von der Firma P. ausgehobene Graben verlief in einer Entfernung von ungefähr 1 m parallel zu den Baumstämmen in einer Tiefe von 1,90 m und einer Breite von 2,20 m. Die Beklagten zu 4) und 5) seien angewiesen gewesen, den Graben mit der Hand auszuschachten. Die Beklagte zu 1) habe ihr Personal sorgfältig ausgewählt und eingewiesen. Zudem sei die Beschädigung nicht auf eine Verletzung der Wurzeln, sondern darauf zurückzuführen, daß die Firma P. die Grundwasserabsenkung unsachgemäß durchgeführt habe. Der Beklagte zu 5) hat bestritten, Vorarbeiter der Baggerkolonne gewesen zu sein.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Kammergericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und sowohl die um 1.496,88 DM erhöhte Zahlungsklage als auch die weiteren von ihr jetzt gestellten Anträge (den hilfsweise in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatzbetrag und die nunmehr erhobene Feststellungsklage) abgewiesen.

5

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

6

I.

Das Landgericht hatte die Klage, ohne die von der Klägerin für den von ihr behaupteten Schadenshergang benannten Zeugen zu vernehmen, abgewiesen, weil, wie es meinte, der von der Klägerin geltend gemachte Minderwert der beschädigten Bäume nicht geschätzt werden könne. Demgegenüber verneint das Berufungsgericht von vornherein, daß die Beklagten schadensersatzpflichtig seien, weil die Klägerin nicht schlüssig dargetan habe, daß die Wurzeln wirklich bei deren Arbeiten beschädigt worden seien. Ihr Vorbringen sei insgesamt zu unbestimmt und zum Teil auch widersprüchlich. Vor allem fehle ein Beweisangebot dafür, daß die gefundenen Wurzelteile gerade zu den behandelten schadhaften Bäumen, die Gegenstand der eingeklagten Beträge sind, gehört hatten. Der Ursachenzusammenhang sei aus dem Vorbringen der Klägerin nicht mit Sicherheit zu entnehmen. Allein aus der Tatsache, daß sich Wurzelenden im Erdreich des von den Beklagten ausgehobenen Grabens befanden, könne er nicht gefolgert werden. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, daß auch die Firma P. anläßlich der von ihr durchgeführten Ausschachtungsarbeiten möglicherweise Wurzeln dieser Bäume abgerissen hatte, die dann durch den Bagger der Beklagten erneut hätten durchgetrennt werden können. Dasselbe gelte für den Wundverschluß verbliebener Wurzelenden; der Bagger könne diese abgerieben oder abgeschnitten haben, so daß sich der Eindruck habe ergeben können, es handele sich um frische Abriß- oder Schnittstellen.

7

Auf eine Haftung der Beklagten nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB könne sich die Klägerin nicht berufen, da die Firma P. nach Darstellung der Klägerin - weil sie nur die von Mitarbeitern des Gartenbauamtes genehmigten Wurzeln beseitigt oder abgeschnitten und verschlossen habe - nicht rechtswidrig gehandelt hatte. Schließlich sei auch das von der Klägerin behauptete Anerkenntnis der Haftung durch den Drittbeklagten nicht hinreichend substantiiert; die von ihr angebotene Zeugenvernehmung würde zu einer unzulässigen Ausforschung von Tatsachen führen. Somit seien alle Anträge der Klägerin unbegründet.

8

II.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

9

1.

Allerdings greift entgegen ihrer Ansicht § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB im Streitfall nicht ein. Mit Recht erklärt das Berufungsgericht, diese Vorschrift könne nur angewandt werden, wenn beide für den Schadenseintritt in Betracht kommenden Verursacher rechtswidrig gehandelt haben (s. u.a. BGH Urteile vom 17. Dezember 1952 - VI ZR 6/52 = VersR 1953, 146 = LM BGB Nr. 2 zu § 830; v. 22. Februar 1968 - VII ZR 108/65 = VersR 1968, 493, 494 = LM Nr. 11 zu § 830 BGB und BGHZ 55, 86, 88). Die Revision der Klägerin verkennt zwar nicht, daß diese (unstreitig) in mögliche Wurzelbeschädigungen durch die Firma P. eingewilligt hatte, diese Beschädigungen also an sich außer Betracht zu bleiben haben. Sie meint aber, der Grundgedanke dieser Vorschrift rechtfertige deren entsprechende Anwendung im Streitfall, weil hier nicht die Haftung zweier "Beteiligter", sondern lediglich die Verursachung des Schadens zweifelhaft sei. Gerade darin liegt aber ihr unrichtiges Verständnis der Vorschrift. Diese setzt stets voraus, daß die mehreren "Beteiligten" die zur Herbeiführung des Schadens geeignete Gefahr in rechtlich zurechenbarer Weise gesetzt haben, der Geschädigte aber deshalb ersatzlos bleiben müßte, weil er den Nachweis der Schadensverursachung durch einen der Beteiligten nicht führen kann (zuletzt BGHZ 67, 14, 19).

10

2.

Das angefochtene Urteil war aber wegen der von der Revision erhobenen Verfahrensrüge aufzuheben.

11

a)

Es bestehen schon Bedenken, wenn das Berufungsgericht gemeint haben sollte, daß die Klage "nicht schlüssig" sei (BU S. 9). Das Berufungsgericht meint wohl, das Vorbringen der Klägerin sei nicht hinreichend substantiiert. Damit wird es aber dem Sachvortrag der Klägerin nicht gerecht. Diese hat unter Beweisangebot behauptet, daß die Wurzeln im Bereich der schadhaften Bäume durch die Arbeiten der Beklagten abgeschnitten worden seien. Sie hat schon in der Klageschrift durch Antrag auf Zeugenvernehmung sowie durch Vorlage von Lichtbildern beschädigter Wurzeln und des unmittelbar nach Beendigung der Arbeiten von dem Landschafts- und Gartenarchitekten B. am 23. Juli 1974 für den Haftpflichtversicherer der Beklagten erstellten Gutachtens dargelegt, daß die Firma P. die Arbeiten sachgerecht ausgeführt habe, die Arbeiten der Erstbeklagten dagegen unsachgemäß gewesen seien. Die Firma P. habe die erlaubtermaßen durchgesägten Wurzeln mit einem Wundverschluß behandeln lassen; bei den Arbeiten der Erstbeklagten seien dagegen sämtliche Wurzeln auf der Grabenseite durchgetrennt gewesen, also auch die Haltewurzeln, zum Teil sogar Wurzeln mit einem Durchmesser von über 20 cm. Die Klägerin hat ausdrücklich unter Beweis gestellt, es sei deutlich zu erkennen gewesen, daß die schädigenden Schnitte erst wenige Stunden alt gewesen seien, denn die Wurzelteile seien noch voll im Saft gewesen. Erst die Durchführung einer Beweisaufnahme, insbesondere die Befragung der benannten Zeugen, konnte nähere Einzelheiten erbringen, um - gegebenenfalls unter Zuziehung eines Sachverständigen, auf den sich die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 11. März 1977 "notfalls" bezogen hatte (GA Bl. 63) - dem Gericht die erforderliche Überzeugungsbildung zu verschaffen.

12

b)

Da somit die Ausführungen des Berufungsgerichts eine vorweggenommene Beweiswürdigung enthalten, die unzulässig war (vgl. BGHZ 53, 245, 260), mußte das angefochtene Urteil aufgehoben werden.

13

III.

Gegen den Beklagten zu 4) war, da er auch im Revisionsrechtszug nicht anwaltlich vertreten war, in entsprechender Anwendung der erstinstanzlichen Vorschriften über das Versäumnisverfahren (§§ 557, 331 ZPO) durch Versäumnisurteil zu erkennen. Insoweit mußte dem Antrag der Revision, den Rechtsstreit zurückzuverweisen, da das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensfehler beruht, stattgegeben werden (BGHZ 37, 79, 83). Dagegen konnte der Antrag der Revision, den Beklagten gemäß den von der Klägerin im Berufungsrechtszug zuletzt gestellten Anträgen sogleich zu verurteilen, nicht durch Versäumnisurteil stattgegeben werden, weil es insoweit an einem vom Berufungsgericht festzustellenden Sachverhalt fehlt (§ 561 ZPO).

14

Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit (§ 708 Nr. 2 ZPO)unterbleibt mangels vollstreckbaren Inhalts (BGHZ 37, 79, 94).

15

IV.

Bei der Zurückverweisung der Sache hat der Senat von der Vorschrift des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

Vorsitzender Richter Dr. Weber
Richter Scheffen
Richter Dr. Kullmann
Richter Dr. Ankermann
Richter Dr. Deinhardt ist infolge Urlaubs an der Unterschrift verhindert. Dr. Weber