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Bundesgerichtshof
Urt. v. 11.04.1979, Az.: IV ZR 93/78

Voraussetzungen für das Vorliegen einer Maßnahme der freiwilligen Gerichtsbarkeit ; Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ; Anforderungen an den gewöhnlichen Aufenthalt

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
11.04.1979
Aktenzeichen
IV ZR 93/78
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1979, 12609
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Frankfurt am Main - 24.05.1978
LG Frankfurt am Main - 21.12.1976

Fundstellen

  • IPRspr 1979, 231
  • MDR 1979, 919-920 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1980, 529-532 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Herr Karoly N., M., F.,

Prozessgegner

Frau Rosalia N ... geb. F., ... B., III. S.,

Amtlicher Leitsatz

  1. a)

    Durch das Haager Minderjährigenschutzabkommen werden Entscheidungen der Gerichte des ausländischen Heimatstaates des Minderjährigen, der nicht Vertragsstaat ist, von der Anerkennung und Vollstreckbarkeit in den Vertragsstaaten nicht ausgeschlossen.

  2. b)

    Das Genfer Flüchtlingsabkommen schließt die nach allgemeinen Regeln bestehende internationale Zuständigkeit der Gerichte des Heimatstaates des Flüchtlings - insbesondere für Verfahren, die von anderen Beteiligten gegen den Flüchtling geführt werden - nicht generell aus.

  3. c)

    Zu den Anforderungen des ordre public bei der Anerkennung ausländischer Entscheidungen über die Herausgabe des Kindes an den anderen Elternteil.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
auf die mündliche Verhandlung vom 11. April 1979
durch
die Richter Dr. Hoegen, Rottmüller, Dehner, Dr. Seidl und Dr. Blumenröhr
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 1978 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Dezember 1976 abgeändert und wie folgt neu gefaßt wird:

Die Kosten des ersten Rechtszugs trägt der Beklagte mit Ausnahme der Mehrkosten, die durch die Anrufung des Amtsgerichts Frankfurt entstanden sind; diese Mehrkosten hat die Klägerin zu tragen.

Der Beklagte hat die Kosten seiner Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute ungarischer Staatsangehörigkeit. Sie hatten ihren ehelichen Wohnsitz in Budapest, wo auch ihre Tochter Krisztina im Jahre 1968 geboren worden ist. Im Jahre 1964 verließ der Beklagte ohne Vorwissen der Klägerin Ungarn und verzog unter Mitnahme der Tochter in die Bundesrepublik. Seitdem lebt er mit der Tochter der Parteien und einer Frau, die ihm aus Ungarn gefolgt ist, hier. Im Jahre 1975 wurden der Kläger und die Tochter der Parteien als Asylberechtigte nach § 28 des Ausländergesetzes anerkannt.

2

Ende August 1974 stellte die Klägerin zunächst beim Amtsgericht Frankfurt am Main einen Antrag auf Herausgabe des Kindes. Das Verfahren endete mit einem auf weitere Beschwerde ergangenen Beschluß des Oberlandesgerichts, in dem der Antrag mit der Begründung zurückgewiesen wurde, daß es für die Übertragung der elterlichen Gewalt auf einen Elternteil und die Anordnung der Herausgabe des Kindes an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte fehle.

3

Die Klägerin erwirkte daraufhin ein Urteil des Gerichts für die Stadtbezirke I-III in Budapest vom 21. Januar 1976, in dem ihr das Personensorgerecht für die Tochter übertragen und der Beklagte verpflichtet wurde, das Kind an sie herauszugeben. Dem Beklagten war in dem Verfahren vor dem ungarischen Gericht ein Prozeßpfleger bestellt worden, nachdem am 6. November 1975 vergeblich versucht worden war, ihm unter der Anschrift F., N. Klage und Ladung zuzustellen. Das Amtsgericht Frankfurt am Main hatte auf dem Zeugnis über die Undurchführbarkeit der Zustellung vermerkt, daß der Zustellungsempfänger nach London verzogen sei und seine Postanschrift "Head Post Office Poste R." sei. Der Prozeßpfleger hat dem Beklagten mit Schreiben vom 28. Dezember 1975 Nachricht von dem Termin in Budapest am 21. Januar 1976 gegeben und ihm die Klageschrift übersandt. Das Urteil vom 21. Januar 1976 ist nach Öffentlicher Zustellung seit dem 18. Juni 1976 rechtskräftig.

4

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin den Ausspruch der Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem vorgenannten Urteil. Das Amtsgericht, an das sie sich mit ihrer Klage gewandt hatte, hat sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht verwiesen. Dieses hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage zunächst als unzulässig abgewiesen. Dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof mit der in BGHZ 70, 295 veröffentlichten Entscheidung aufgehoben. Das Oberlandesgericht hat nunmehr aufgrund der erneuten Verhandlung der Sache die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision führt zur Berücksichtigung des § 276 Abs. 3 Satz 2 ZPO a.F. (= § 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO n.F.) bei der Kostenentscheidung für den ersten Rechtszug; in der Sache hat sie dagegen keinen Erfolg.

7

I.

Die Entscheidung des Gerichts für die Stadtbezirke I-III in Budapest, deren Vollstreckbarerklärung die Klägerin begehrt, stellt ihrer Natur nach aus deutscher Sicht eine Maßnahme der freiwilligen Gerichtsbarkeit dar (vgl. §§ 1672, 1632 Abs. 2 BGB; §§ 621 Abs. 1 Nr. 3, 621 a Abs. 1 ZPO; § 64 a FGG). Die Art des Verfahrens und die Voraussetzungen bestimmen sich daher grundsätzlich nach den Regeln, die für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten, ohne daß es darauf ankommt, welche Rechtsnatur die Entscheidung nach dem einschlägigen ausländischen Verfahrensrecht hat (BGHZ 67, 255, 257) [BGH 25.10.1976 - IV ZB 38/76]. Im vorliegenden Fall hat der Senat in der in BGHZ 70, 295 veröffentlichten (ersten) Revisionsentscheidung den Rechtsweg vor dem Prozeßgericht nach §§ 722 f ZPO für zulässig erachtet, weil er bereits beschritten war, ehe durch die neuere Rechtsprechung die Vollstreckbarerklärung in Fällen der vorliegenden Art den Gerichten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugewiesen worden ist (vgl. hierzu BGHZ 67, 255, 257 ff) [BGH 25.10.1976 - IV ZB 38/76]. Die formellen und sachlichen Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung richten sich jedoch gleichwohl nach den für Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Regeln.

8

II.

Im vorliegenden Fall greifen dabei die insoweit allgemein geltenden Grundsätze ein, weil keine Sonderregelungen durch Staatsverträge bestehen.

9

1.

Auf die Tochter der Parteien wäre allerdings das Haager Übereinkommen zum Schütze Minderjähriger (im folgenden: MSA) vom 5. Oktober 1961 (BGBl. 1971 II S. 217, 219) anzuwenden, wenn nach Sachlage angenommen werden müßte, daß sie nunmehr ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (Art. 13 Abs. 1 MSA). Es ist dabei unerheblich, daß Ungarn als Heimatstaat der Minderjährigen nicht Vertragsstaat des Übereinkommens ist, da die Bundesrepublik einen Vorbehalt nach Art. 13 Abs. 3 MSA nicht erklärt hat. Die in Rede stehende Entscheidung des ungarischen Gerichts stellt sich ihrem Inhalt nach als Schutzmaßnahme im Sinne des Übereinkommens dar (BGHZ 67, 255, 260) [BGH 25.10.1976 - IV ZB 38/76].

10

Die Frage, ob und nach welcher Zeitdauer ein nach Art. 13 Abs. 1 MSA maßgeblicher gewöhnlicher Aufenthalt des Minderjährigen dadurch begründet werden kann, daß der nicht oder nicht allein sorgeberechtigte Elternteil das Kind gegen den Willen des anderen Elternteils von seinem bisherigen Aufenthaltsort entfernt und in einen anderen Staat verbringt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (bejahend u.a.: BayObLGZ 1973, 345, 349; OLG Hamburg FamRZ 1972, 514; KG OLGZ 1976, 281, 282; OLG Stuttgart NJW 1976, 483, 484 [OLG Stuttgart 23.06.1975 - 8 W 181/75]; Siehr DAVorm 1973, 254, 259; Stöcker DAVorm 1975, 507, 522 f; vgl. auch Kropholler, Das Haager Abkommen über den Schutz Minderjähriger, 2. Aufl. S. 65; verneinend: OLG Karlsruhe OLGZ 1976, 1 = NJW 1976, 485 [OLG Karlsruhe 18.07.1975 - 4 W 16/75]; vgl. auch BayObLG FamRZ 1972, 578, 579 [BayObLG 02.07.1971 - BReg. 1 Z 125/70]; Jayme JR 1973, 177, 180; Wuppermann FamRZ 1974, 414, 416). Für den vorliegenden Fall bedarf diese Frage keiner abschließenden Entscheidung, denn das Minderjährigenschutzabkommen würde im Falle seiner Anwendbarkeit die Vollstreckbarerklärung des ungarischen Urteils weder hindern noch an besondere, von den allgemeinen Grundsätzen abweichende Voraussetzungen knüpfen.

11

Das Abkommen regelt die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen nicht abschließend. Art. 7 MSA, der Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen enthält, bezieht sich nur auf Maßnahmen, welche die nach den vorstehenden Artikeln des Abkommens zuständigen Behörden (auch Gerichte) getroffen haben. Maßnahmen von Gerichten des Heimatstaates des Minderjährigen können unter diese Regelung nur dann fallen, wenn der Heimatstaat Vertragsstaat des Abkommens ist, da nach Art. 13 Abs. 2 MSA die Zuständigkeit, die den Heimatbehörden nach dem Abkommen zukommt, den Vertragsstaaten vorbehalten ist. Daraus kann aber nicht entnommen werden, daß Entscheidungen von Gerichten eines ausländischen Heimatstaates des Minderjährigen, der nicht Vertragsstaat ist, von der Anerkennung und Vollstreckbarkeit in den Vertragsstaaten schlechthin ausgeschlossen sein sollten. Nach deutschem Recht ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Verfahren über die Regelung der elterlichen Gewalt und die Herausgabe eines Kindes deutscher Staatsangehörigkeit an den anderen Elternteil auch dann gegeben, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem ausländischen Staat hat, der nicht Vertragsstaat des Minderjährigenschutzabkommens ist; dies ergibt sich aus der Regelung der örtlichen Zuständigkeit für diese Fälle in §§ 36 Abs. 2, 43, 64 a FGG i.V. mit §§ 621 Abs. 1 Nr. 1 und 3, 621 a Abs. 1 ZPO. An der Inanspruchnahme dieser Zuständigkeit hat sich durch den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Minderjährigenschutzabkommen nichts geändert. Dann muß aber umgekehrt weiterhin auch die internationale Zuständigkeit des ausländischen Heimatstaates des Kindes in diesen Fällen nach deutschem Recht anerkannt werden, auch wenn der ausländische Heimatstaat nicht Vertragsstaat des Minderjährigenschutzabkommens ist. Daß das Abkommen die Zuständigkeiten, die es dem Heimatstaat des Minderjährigen einräumt, den Vertragsstaaten vorbehalten hat (Art. 13 Abs. 2 MSA), beruht auf dem allgemeinen Grundsatz, daß vertragliche Sonderregelungen im allgemeinen nur zugunsten und zu Lasten von Vertragsstaaten wirken. Eine unabhängig von dem Abkommen nach deutschem Recht bestehende internationale Zuständigkeit des ausländischen Heimatstaates des Minderjährigen, der nicht Vertragsstaat ist, wird dadurch jedoch nicht berührt. Vielmehr bestehen in einem solchen Fall die internationale Zuständigkeit des Aufenthaltsstaates nach Art. 1 MSA und diejenige des Heimatstaates des Minderjährigen, der nicht Vertragsstaat ist, konkurrierend nebeneinander. Diese Auffassung wird auch in Rechtsprechung und Schrifttum allgemein vertreten (KG OLGZ 1975, 119; OLG Hamm OLGZ 1976, 426 = FamRZ 1976, 528 = NJW 1976, 2079; Kropholler a.a.O. S. 54; Goerke StAZ 1976, 267, 271 f; Schurig FamRZ 1975, 459, 460; vgl. auch BayObLGZ 1959, 8 zur konkurrierenden internationalen Zuständigkeit allgemein).

12

Das Minderjährigenschutzabkommen enthält auch keine Sonderregelung für die Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung im einzelnen, die auf die in Frage stehende Entscheidung anwendbar wäre. Es ist bereits dargelegt worden, daß sich die Vorschriften in Art. 7 MSA nach dem Regelungszusammenhang des Abkommens nicht auf Entscheidungen von Gerichten eines ausländischen Heimatstaates des Minderjährigen erstrecken, der nicht Vertragsstaat ist. Davon abgesehen verweist Art. 7 Satz 2 MSA auch für die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen eines ausländischen Heimatstaates, der Vertragsstaat ist, vorbehaltlich zwischenstaatlicher Übereinkünfte lediglich auf die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, wenn eine Vollstreckung im Inland erforderlich wird.

13

2.

Da Vater und Kind nach § 28 des Ausländergesetzes in der Bundesrepublik als Asylberechtigte anerkannt worden sind, genießen sie gemäß § 4 AuslG im Bundesgebiet die Rechtsstellung nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560; im folgenden: Genfer Flüchtlingsabkommen). Auch dieses Abkommen enthält jedoch keine besonderen Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen, insbesondere solcher des Heimatstaates, die im vorliegenden Fall die Anwendung der allgemeinen Grundsätze ausschließen würden. Die auftretenden Fragen zur internationalen Zuständigkeit der Gerichte des Heimatstaates eines Flüchtlings im Sinne des Abkommens werden nachstehend im Rahmen der Anerkennungsvoraussetzung nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erörtert (unten III 1).

14

III.

Auf die Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen, die sich aus deutscher Sicht als Maßnahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit darstellen, sind die §§ 722 f ZPO nicht unmittelbar anwendbar. Auch insoweit gilt jedoch, daß die Vollstreckbarerklärung die Anerkennung der ausländischen Entscheidung voraussetzt. Diese beurteilt sich, da keine staatsvertraglichen Sonderregelungen eingreifen, nach den Grundsätzen, die in § 328 Abs. 1 Nr. 1 und 4 ZPO enthalten sind und auch für die Anerkennung von Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten (BGHZ 67, 255, 260[BGH 25.10.1976 - IV ZB 38/76] m.w.N.). Demnach muß die internationale Zuständigkeit des ausländischen Gerichts gegeben sein und die Entscheidung darf keinen Verstoß gegen den deutschen ordre public aufweisen. Beide Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

15

1.

Daß die internationale Zuständigkeit des ungarischen Gerichts nach den allgemeinen Regeln des deutschen Rechts besteht, ist bereits bei der Erörterung des Minderjährigenschutzabkommens (oben II) festgestellt worden. Sie ist unabhängig davon gegeben, ob das Minderjährigenschutzabkommen nach § 13 Abs. 1 MSA eingreift oder nicht. Da der Heimatstaat des Kindes nicht Vertragsstaat des Abkommens ist, kann die internationale Zuständigkeit seiner Gerichte auch nicht davon abhängen, ob das ungarische Gericht vor der Entscheidung die Gerichte des Aufenthaltsstaates nach Art. 4 Abs. 1 MSA verständigt hat. Selbst wenn danach auch eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Inland bestanden hätte, würde es sich nicht um eine ausschließliche, sondern nur um eine konkurrierende internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte handeln, die die Anerkennung der ausländischen Entscheidung nicht ausschließt.

16

Die internationale Zuständigkeit des ungarischen Gerichts entfällt auch nicht dadurch, daß Vater und Kind seit ihrer Anerkennung als Asylberechtigte die Rechtsstellung nach dem Genfer Flüchtlingsabkommen genießen. Vater und Kind haben dadurch ihre ungarische Staatsangehörigkeit nicht verloren. Das Flüchtlingsabkommen erklärt allerdings in Art. 12 für das Personalstatut des Flüchtlings das Recht des Wohnsitz-, hilfsweise des Aufenthaltslandes für maßgebend und stellt in Art. 16 die Flüchtlinge hinsichtlich des Zugangs zu den Gerichten im Aufenthaltsstaat den Staatsangehörigen dieses Staates gleich. Daraus kann aber nicht entnommen werden, daß die nach allgemeinen Regeln bestehende internationale Zuständigkeit des Heimatstaates - insbesondere für Verfahren, die von anderen Beteiligten gegen den Flüchtling betrieben werden - generell ausgeschlossen sein sollte (ebenso Beitzke in Festschrift für Fragistas Bd. 1 (1966) S. 375, 388 ff, 390, 392, und FamRZ 1966, 638, 639; Hirschberg NJW 1972, 361, 364 f) [LG Bielefeld 24.11.1971 - 1 S 224/70]. In Ermangelung einer klaren Regelung könnte ein solcher Ausschluß nur dann angenommen werden, wenn eine Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Flüchtlingsabkommens dies erfordern würde. In einer Elternrechtssache der vorliegenden Art führt die Interessenabwügung aber jedenfalls dann nicht zum Ausschluß der (gegebenenfalls mit der inländischen internationalen Zuständigkeit konkurrierenden) internationalen Zuständigkeit der Gerichte des Heimatstaates, wenn einer der beteiligten Elternteile seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Heimatstaat hat. Dem Schutz des Flüchtlings vor einer etwaigen diskriminierenden Behandlung vor Gericht in seinem Heimatstaat kann im Rahmen der Überprüfung der Entscheidung am Maßstab des ordre public Rechnung getragen werden (ebenso Beitzke a.a.O. Festschrift S. 390 und FamRZ 1966, 639; Hirschberg a.a.O. S. 365).

17

2.

Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public liegt nicht vor.

18

a)

Dies gilt zunächst für das Verfahren des ungarischen Gerichts. Die Revision rügt zu Unrecht eine Versagung des rechtlichen Gehörs.

19

Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht, der für das Verfahren vor deutschen Gerichten durch Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgt ist, gehört allerdings als tragender Rechtsgrundsatz des deutschen Verfahrensrechts zum deutschen ordre public, so daß seine Nichtbeachtung durch ein ausländisches Gericht die Nichtanerkennung des Urteils dieses Gerichts in Deutschland nach sich zieht (BGHZ 48, 327, 330). Der Schutz vor Verletzung des rechtlichen Gehörs erstreckt sich dabei jedoch nicht auf eine bestimmte verfahrensrechtliche Ausgestaltung. Es ist vielmehr auf die Grundwerte der Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde zurückzugehen, die Art. 103 Abs. 1 GG in seinem Bereich schützen will. Danach muß dem Betroffenen vor der Entscheidung des Gerichts Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden; er darf nicht auf die Rolle eines passiven Verfahrensobjekts verwiesen werden (BGH a.a.O. S. 333).

20

Gegen diese Grundsätze hat das ungarische Gericht nicht verstoßen. Die Zustellung der Klage und der Terminsladung konnte unter der letzten bekannten Wohnanschrift des Beklagten, unter der noch kurz vorher das in Deutschland anhängig gewesene Kindesherausgabeverfahren geführt worden war, nicht durchgeführt werden. Ob das Gericht noch den Versuch hätte unternehmen müssen, den Beklagten von dem Verfahren unter der anläßlich des erfolglosen Zustellungsversuchs bekannt gewordenen Postlageranschrift zu verständigen, bedarf keiner Prüfung, weil der vom Gericht bestellte Prozeßpfleger Verbindung mit dem Beklagten aufnehmen konnte und ihn unter Übersendung der Klageschrift vom Verfahren und dem bevorstehenden Termin verständigt hat. Der Beklagte hat seinerseits, wie sich aus dem Urteil des ungarischen Gerichts ergibt und auch von der Revision eingeräumt wird, dem Prozeßpfleger ein Verteidigungsvorbringen für das Verfahren übersandt, das vom Prozeßpfleger dem Gericht vorgelegt und von diesem verwertet wurde. Damit war den Erfordernissen des verfahrensrechtlichen ordre public international (vgl. zu diesem Begriff BGHZ 48, 327, 331) entsprochen. Der Beklagte hatte vom Verfahren und vom bevorstehenden Termin Kenntnis. Sofern er sich nicht auf das schriftliche Verteidigungsvorbringen unter Einschaltung des Prozeßpflegers beschränken wollte, hätte er sich im Termin durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten lassen können, dem er ergänzende Informationen und Weisungen hätte erteilen können. Es kommt nicht darauf an, ob ihm aus politischen Gründen in Ungarn Verfolgungsmaßnahmen drohten und er deshalb den Gerichtstermin nicht persönlich wahrnehmen konnte. Das Recht auf Gehör erfordert es grundsätzlich nicht, daß die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu einer persönlichen Äußerung erhalten (Maunz/Dürig/Herzog, GG Art. 103 Rdn. 74). Dies gilt auch, wenn das Gericht aufgrund mündlicher Verhandlung entscheidet, sofern sich der am Erscheinen verhinderte Verfahrensbeteiligte im Verfahren vertreten lassen kann. Andernfalls würde dem anderen Verfahrensbeteiligten die Rechtssuche unverhältnismäßig erschwert werden. Die vom Beklagten angeführte Entscheidung des Kammergerichts (MDR 1955, 616), in der die Gewährung persönlichen Gehörs für erforderlich gehalten wurde, betraf eine besondere Fallgestaltung; der Senat kann ihr jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art nicht beitreten. Allerdings hat die Verhinderung des Beklagten am persönlichen Erscheinen vor dem ungarischen Gericht dazu geführt, daß keine volle "Waffengleichheit" der Elternteile im Verfahren gegeben war, da die Klägerin von dem ungarischen Gericht persönlich angehört worden ist und dabei dem Gericht auch einen persönlichen Eindruck ihrer Glaubwürdigkeit vermitteln konnte, während der Beklagte nur schriftlich oder durch einen Bevollmächtigten im Verfahren Äußerungen abgeben und Anträge stellen konnte. Die darin liegende Beeinträchtigung berührt jedoch noch nicht den Kernbereich des Rechts auf Gehör und damit den im Rahmen des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO geschützten ordre public.

21

Soweit die Revision die öffentliche Zustellung des Urteils durch das ungarische Gericht beanstandet, kommt der Rüge unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs und des verfahrensrechtlichen ordre public allgemein keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Von dem Verfahren des ungarischen Gerichts nach Erlaß des Urteils wurde das Urteil als solches und das ihm zugrunde liegende Verfahren nicht mehr berührt. Die Art und Weise der Urteilszustellung hatte nur noch Einfluß auf den Eintritt der Rechtskraft nach ungarischem Recht. Diese ist bei Urteilen der streitigen Gerichtsbarkeit eine lediglich formale Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung nach § 723 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Für die Frage, ob die Anerkennung des Urteils gegen den deutschen ordre public verstößt, kommt dagegen der Verfahrensweise, in der das Urteil zugestellt und die Rechtskraft nach ausländischem Recht herbeigeführt worden ist, keine Bedeutung mehr zu.

22

b)

Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist das Urteil nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO anerkennungsfähig.

23

aa)

Die deutschen Vorschriften über die Übertragung der elterlichen Gewalt auf einen Elternteil bei Getrenntleben der Eltern und den daraus folgenden Herausgabeanspruch (§§ 1672, 1671 Abs. 2 bis 4, 1632 BGB) stellen nicht ausschließlich oder in erster Linie auf die Interessen der Eltern ab, sondern berücksichtigen vordringlich das Wohl des Kindes. Dies entspricht der verfassungsrechtlich normierten Pflichtgebundenheit der elterlichen Gewalt (Art. 6 Abs. 2 GG; vgl. dazu BVerfGE 37, 217, 252 m.w.N.). Die Berücksichtigung des Kindeswohls stellt ein tragendes Grundprinzip der einschlägigen deutschen Regelung dar. Eine ausländische Entscheidung könnte daher nicht anerkannt werden, wenn sie mit diesem Grundgedanken in einem so starken Widerspruch stünde, daß sie aus deutscher Sicht als untragbar angesehen werden müßte (vgl. BGHZ 50, 370, 375 f) [BGH 17.09.1968 - IV ZB 501/68].

24

Von einem derartigen Widerspruch zum materiellrechtlichen ordre public kann jedoch bei dem in Frage stehenden Urteil keine Rede sein. Das ungarische Gericht hat bei der Beurteilung der Frage, bei welchem Elternteil das Kind untergebracht werden sollte, nicht nur im Ausgangspunkt entscheidend auf das Wohl des Kindes abgestellt, sondern auch die in dem Urteil vorgenommene Würdigung der tatsächlichen Umstände, aufgrund deren das Gericht zu der Überzeugung gekommen ist, daß die Unterbringung des Kindes bei der Mutter geboten sei, durchweg am Maßstab des Kindeswohls ausgerichtet. Eine Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen des ausländischen Urteils ist im Verfahren über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der ausländischen Entscheidung nicht möglich. Vielmehr muß nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO von diesen Feststellungen ausgegangen werden, soweit sie verfahrensrechtlich ohne Verletzung des deutschen ordre public getroffen worden sind (RGZ 72, 124, 127; 166, 367, 373; Stein/Jonas/Schumann/Leipold, ZPO 19. Aufl. § 328 Anm. VII A; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 37. Aufl. § 328 Anm. 5 A; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 12. Aufl. § 158 I 3 e).

25

bb)

Für die Beurteilung, ob die Anerkennung des Urteils gegen den deutschen ordre public verstößt, ist allerdings nicht der Zeitpunkt des Erlasses der ausländischen Entscheidung maßgebend, sondern der Zeitpunkt, in dem über die Anerkennung zu entscheiden ist (RGZ 114, 171, 172; Stein/Jonas/Schumann/Leipold a.a.O. § 328 Anm. VII B a.E.; Baumbach/Lauterbach/Hartmann a.a.O. § 328 Anm. 5 A; ebenso BGHZ 30, 89, 97 und 52, 184, 192 für die Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen). Im Rahmen dieser Beurteilung sind hier auch die Auswirkungen zu berücksichtigen, die der Zeitablauf seit dem Verbringen des Kindes in die Bundesrepublik und seit dem Erlaß der ausländischen Entscheidung auf die Verhältnisse des Kindes mit sich gebracht hat. Das über einen längeren Zeitraum andauernde Verbleiben des Kindes bei dem Elternteil im Inland kann im Einzelfall die Bindung des Kindes an diesen Elternteil und an den inländischen Lebenskreis in einem Maße festigen, daß die nachträgliche Lösung des Kindes aus diesen Bindungen nach den grundlegenden deutschen Rechtsvorstellungen nicht mehr hingenommen werden könnte. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Das Kind befindet sich zwar inzwischen seit mehr als vier Jahren im Inland beim Vater. Das führt jedoch nicht dazu, daß die Zurückführung des erst zehn Jahre alten Kindes zu seiner Mutter als untragbar erscheinen müßte. Dabei berücksichtigt der Senat, daß das Kind, das als ungarische Staatsangehörige zunächst in Ungarn aufgewachsen ist, durch das Verbleiben im Inland der Einbindung in den ihm nach Sprache und Herkunft zugehörigen Lebenskreis und insbesondere auch der schulischen Ausbildung in seinem Heimatstaat entzogen wird. Diese grundlegenden Umstände wiegen so schwer, daß die Rückführung des Kindes, selbst wenn einzelne tatsächliche Umstände auch für den Verbleib im Inland sprechen würden, jedenfalls hier, wo das Kind auch in Ungarn in die Fürsorge eines leiblichen Elternteils kommt, nicht gegen den ordre public verstoßen kann. Diese Entscheidung kann das Revisionsgericht selbst treffen, weil die feststehenden tatsächlichen Umstände für die Beurteilung ausreichen.

26

cc)

Die Revision macht noch geltend, die Anerkennung des ungarischen Urteils sei auch deshalb ausgeschlossen, weil die Rückführung des Kindes nach Ungarn gegen dessen Status als Asylberechtigter verstoßen würde. Auch hiermit dringt die Revision nicht durch. Das Asylrecht begründet zwar grundsätzlich ein Recht gegenüber dem Zufluchtsstaat, nicht an den Staat ausgeliefert zu werden, aus dem der Asylberechtigte geflohen ist. Die Verbringung eines Kindes in einen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, würde zugleich auch dem Wohl des Kindes in einem nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO untragbaren Maß widersprechen. Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß das Kind nach der Rückführung zu seiner Mutter in Ungarn staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wäre. Die Anerkennung des Kindes als Asylberechtigter beruht, wie der im Verfahren vorgelegte Anerkennungsbescheid zeigt, nicht darauf, daß das Kind für seine Person als politisch Verfolgter anzusehen wäre, sondern ausschließlich darauf, daß dem Kind aus Gründen des Familienschutzes die Fortsetzung der bestehenden Familiengemeinschaft mit dem asylberechtigten Vater nicht verwehrt werden sollte. Dies entspricht den in der Praxis der Ausländerbehörden und der Verwaltungsgerichte angewandten Rechtsgrundsätzen (BVerwGE 38, 87, 88). Eine solche Anerkennung als Asylberechtigter greift jedoch nicht in das familienrechtliche Verhältnis zwischen Eltern und Kind ein. In Ermangelung eines konkreten Schutzbedürfnisses des Kindes vor politischer Verfolgung erfordern es weder das Asylrecht noch das Kindeswohl, daß eine aus Gründen des Familienrechts gerechtfertigte Rückführung des Kindes zu seiner Mutter durch die deutschen Gerichte verhindert wird.

27

3.

Die Verbürgung der Gegenseitigkeit, die § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO für die Anerkennung zivilprozessualer Entscheidungen grundsätzlich fordert, ist für die Anerkennung von Entscheidungen, die ihrem Wesen nach der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzurechnen sind, nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung nicht erforderlich (BayObLGZ 59, 8, 27; Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit 11. Aufl. § 33 FGG Rdn. 55 m.w.N.; vgl. auch BGHZ 67, 255, 260) [BGH 25.10.1976 - IV ZB 38/76]. Es kommt daher nicht mehr auf die - von der Revision verneinte - Frage an, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 328 Abs. 2 ZPO vorgelegen hätten.

Dr. Hoegen
Rottmüller
Richter am Bundesgerichtshof Dehner kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben. Dr. Hoegen
Dr. Seidl
Blumenröhr