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Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.02.1979, Az.: V ZR 133/76

Revision gegen die Verurteilung zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands eines Grundstücks bei Vornahme von Entwässerungsmaßnahmen; Duldungspflicht des Grundstückseigentümers bei Abwasserleitungen wegen unverhältnismäßigem Aufwand für einen anderweitigen Anschluss; Verhältnis von petitorischen und possessorischen Besitzschutzansprüchen; Rechtsschutzgedanken der Besitzschutzansprüche

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
23.02.1979
Aktenzeichen
V ZR 133/76
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1979, 12936
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Frankfurt/Main - 17.03.1976
LG Frankfurt/Main

Fundstellen

  • MDR 1979, 654-655 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1979, 1359-1360 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Rentnerin Martha S., D. Str. ..., F.-D.

Prozessgegner

Rechtsanwalt Peter F., C.str. ..., B.

Amtlicher Leitsatz

Wird in einem Rechtsstreit gleichzeitig über die Besitzschutzklage auf Beseitigung einer störenden Anlage (hier: Entwässerungskanal) und eine auf das petitorische Recht gestützte Widerklage auf Duldung der Anlage entschieden, dann ist nach § 864 Abs. 2 BGB jedenfalls dann die Klage abzuweisen, wenn zugleich rechtskräftig die Widerklage Erfolg hat.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Februar 1979
durch
den Vorsitzenden Richter Hill und
die Richter Dr. Eckstein, Prof. Dr. Hagen, Dr. Vogt und Dr. Räfle
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. März 1976 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Der Beklagte hat in den Jahren 1973 und 1974 auf seinem in F.-D. an einem Hang unterhalb der D. Straße liegenden Grundbesitz verschiedene Häuser gebaut. Nach dem ursprünglichen - im Mai 1973 genehmigten - Plan war die Entwässerung der Gebäude mit Hilfe einer Hebeanlage durch den in der D. Straße laufenden Kanal vorgesehen. Später wurde der Entwässerungsplan dahin abgeändert, daß die Entwässerung hangabwärts zur T.straße erfolgen sollte, und zwar u.a. auch durch ein Grundstück der Klägerin Flur 3, Flurstück 193/1. Noch bevor die Klägerin auf Antrage des Beklagten ihre endgültige Entschließung darüber mitteilte, ob sie der Kanalleitung über ihr Grundstück zustimme, verlegte die vom Beklagten beauftragte Baufirma Ende Dezember 1973 den Kanal entsprechend der geänderten Planung, die am 7. Oktober 1974 bauaufsichtlich genehmigt wurde.

2

Die Klägerin macht geltend, der Beklagte habe verbotene Eigenmacht begangen und verlangt von ihm u.a. Beseitigung des Kanals und Wiederherstellung des alten Zustandes. Der Beklagte begehrt von der Klägerin widerklagend Duldung des Kanals.

3

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme über den Widerklageanspruch den Beklagten zur Wiederherstellung der Oberfläche des Grundstücks verurteilt, die Klage im übrigen abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage zur Duldung des Kanals verurteilt. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten darüber hinaus zur Zahlung von 300 DM Schadenersatz (wegen der Beschädigung eines Kirschbaums) verurteilt, im übrigen aber das landgerichtliche Urteil bestätigt. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge auf Beseitigung des Kanals (und der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes) und Abweisung der Widerklage weiter.

4

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision ist unbegründet.

6

Das Berufungsgericht führt aus, der Beklagte habe durch verbotene Eigenmacht die Klägerin im Besitz gestört (§ 858 BGB), gleichwohl bestehe kein Besitzschutzanspruch der Klägerin nach § 862 Abs. 1 BGB, weil sie aufgrund der zulässigerweise erhobenen (vgl. BGHZ 53, 166), nun gleichzeitig entscheidungsreifen Widerklage zur Duldung des Kanals verurteilt werden müsse (§ 30 Abs. 1 des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes). In diesem Sonderfall müsse das Interesse der Klägerin an der Beseitigung des eigenmächtig geschaffenen Zustandes gegenüber dem Anspruch des Beklagten auf Duldung des Kanals zurücktreten.

7

Die Revision verweist demgegenüber auf § 864 Abs. 2 BGB und meint, der Klage hätte stattgegeben und die Widerklage abgewiesen werden müssen, da nur diese Lösung dem Sinn des Besitzschutzes (Verhinderung des Faustrechts) gerecht werde. Dem kann sich der Senat nicht anschließen.

8

Zutreffend hält das Berufungsgericht die Widerklage für zulässig (BGHZ 53, 166). Sie ist auch begründet. Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch des Beklagten auf Duldung des Kanals nach § 30 Abs. 1 des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes, wonach die Klägerin eine Abwasserleitung des Nachbarn auf ihrem Grundstück dulden muß, wenn der Beklagte einen anderen Anschluß an das Entwässerungsnetz nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten durchführen kann und die Beeinträchtigung des betroffenen Grundstücks durch das Leitungsrecht nicht erheblich ist. Das Berufungsurteil ist insoweit nicht revisibel, weil sich der Geltungsbereich des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes nicht über den Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hinaus erstreckt (§§ 549, 562 ZPO). Das zweifelt auch die Revision nicht an. Entgegen ihrer Auffassung ist die Widerklage nicht im Hin- blick auf die Besitzschutzklage der Klägerin abzuweisen. Ist die Widerklage zulässig, dann muß über sie - unabhängig vom Ergebnis der Klage - sachlich im oben aufgezeigten Sinn entschieden werden, d.h. insoweit durch Zurückweisung der Revision.

9

Mit einer solchen Entscheidung des Revisionsgerichts erlischt aber gleichzeitig der Besitzschutzanspruch der Klägerin (§ 864 Abs. 2 BGB), weil dann rechtskräftig feststeht, daß sie die Besitzstörung durch die Kanalverlegung dulden muß. Damit ist vor dem Revisionsgericht - unabhängig von anderen, allgemeineren Überlegungen (vgl. dazu Hagen, JuS 1972, 124, insbesondere 127) - auch das sachliche Ergebnis des Berufungsgerichts zur Klage gerechtfertigt. § 864 Abs. 2 BGB billigt für seinen Anwendungsbereich ausdrücklich den Vorrang der petitorischen Rechtslage vor dem Besitzschutz. Dann kann die Anwendung dieser Vorschrift hier aber nicht von einer "logischen Sekunde" abhängen, in dem Sinne, daß der Senat gezwungen sein sollte, nunmehr sowohl Klage als auch Widerklage zuzusprechen; der Beklagte wäre dann auf den Weg der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO und darauf verwiesen, die Vollstreckung des Klageanspruchs über § 769 ZPO sofort zu verhindern. Das wäre ein formaljuristisches Ergebnis, das mit Sinn und Zweck der Besitzschutzregelung nicht im Einklang steht.

10

Die Besitzschutzvorschriften stehen unter dem Leitgedanken, den Rechtsfrieden zu wahren, indem sie das äußere Herrschaftsverhältnis der Person zu einer Sache aufrechterhalten, um so den Anreiz zu unerwünschtem Faustrecht zu nehmen. Verfahrensrechtlich gesehen soll dazu die gerichtliche Durchsetzung der Besitzschutzansprüche nicht dadurch verzögert werden, daß in einem möglicherweise langwierigen Verfahren über das Recht zum Besitz oder zur Besitzstörung verhandelt und Beweis erhoben wird, soweit es nicht um den Ausschluß der verbotenen Eigenmacht geht (vgl. BGHZ 53, 166, 169 m.w. Nachw.). Wie dieser Fall zeigt, wurde dieses Ziel durch die Verfahrensweise des Landgerichts verfehlt. Es hat über den Widerklageanspruch langwierigen Sachverständigenbeweis erhoben, ohne vorher, was angebracht gewesen wäre, (BGHZ a.a.O. S. 169, 170) durch Teilurteil (§ 301 ZPO) über die Klage zu entscheiden. Waren aber nunmehr Klage und Widerklage gleichzeitig entscheidungsreif, dann ist aus den dargelegten Gründen jedenfalls dann § 864 Abs. 2 BGB anzuwenden, wenn - wie hier - zugleich rechtskräftig über den petitorischen Anspruch entschieden wird (vgl. noch allgemeiner Hagen, JuS a.a.O. S. 127).

11

Da das Urteil auch sonst keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Klägerin enthält, war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Hill
Dr. Eckstein
Hagen
Vogt
Räfle