Bundesgerichtshof
Beschl. v. 20.12.1978, Az.: 4 StR 460/78
Beschränkung des Tatrichters auf die Angaben des Probemittelwerts bei der Feststellung der Blutalkoholkonzentration; Gerichtliche Verwertung von Befundtatsachen; Überwachung der Beachtung der Vorschriften über die Errechnung des Mittelwertes
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 20.12.1978
- Aktenzeichen
- 4 StR 460/78
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1978, 12640
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Neumünster
- OLG Schleswig
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHSt 28, 235 - 240
- MDR 1979, 329-330 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Verkehrsordnungswidrigkeit
Prozessgegner
Kaufmann Michael B. aus N., geboren am ... 1946 in W.
Amtlicher Leitsatz
Es ist grundsätzlich kein sachlich-rechtlicher Mangel, wenn ein Urteil nur die Angabe des Mittelwerts der Blutalkoholkonzentration enthält, ohne auch Zahl, Art und Ergebnisse der Einzelanalysen mitzuteilen.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung des Generalbundesanwalts
am 20. Dezember 1978
durch
den Vorsitzenden Richter Salger sowie
die Richter Dr. Dr. Spiegel, Hürxthal, Dr. Knoblich und Dr. Ruß
beschlossen:
Tenor:
Es ist grundsätzlich kein sachlich-rechtlicher Mangel, wenn ein Urteil nur die Angabe des Mittelwerts der Blutalkoholkonzentration enthält, ohne auch Zahl, Art und Ergebnisse der Einzelanalysen mitzuteilen.
Gründe
I.
Der Betroffene ist wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluß (§ 24 a StVG) verurteilt worden. Das amtsrichterliche Urteil teilt lediglich den vom Betroffenen erreichten Probemittelwert von 0,8 %o mit, der dem in der Hauptverhandlung gemäß § 256 StPO verlesenen Protokoll der staatlichen Blutalkoholuntersuchungsstelle entnommen worden ist.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das Oberlandesgericht Schleswig zu entscheiden, ob es einen sachlich-rechtlichen Mangel darstellt, wenn der Tatrichter in seiner Entscheidung nur den unter Beachtung der Richtlinien des Bundesgesundheitsamtes aus den Einzelwerten errechneten Mittelwert, nicht aber auch die diesem zugrunde liegenden Ergebnisse der Einzelanalysen feststellt. An der eigenen Entscheidung dieser Rechtsfrage sieht sich das Oberlandesgericht Schleswig jedoch gehindert, weil es in jedem Fall von der Ansicht eines anderen Oberlandesgerichtes abweichen müßte. So ist das Oberlandesgericht Düsseldorf (Blutalkohol 1978, 221; vgl. auch den 1. Senat des OLG Schleswig, Blutalkohol 1978, 212) im Grundsatz der Auffassung, der Tatrichter sei nicht gehalten, neben dem Mittelwert auch die Einzelwerte der Blutalkoholbestimmung festzustellen. Demgegenüber meint das Oberlandesgericht Köln (Blutalkohol 1976, 238; auch schon 1970, 159), eine derartige Verpflichtung treffe den Tatrichter jedenfalls dann, wenn der Mittelwert nur geringfügig über den Grenzwerten von 0,8 %o und 1,3 %o liege (so auch OLG Karlsruhe VRS 53, 33). Angesichts dieser unterschiedlichen Rechtsauffassungen hat das Oberlandesgericht Schleswig die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 GVG in Verbindung mit § 79 Abs. 3 OWiG sind erfüllt.
III.
Der Bundesgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung keinen sachlich-rechtlichen Mangel darin gesehen, daß sich der Tatrichter bei der Feststellung der Blutalkoholkonzentration auf die Angabe des Probemittelwerts beschränkt hat. Die Vorlage gibt keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen:
1.
Es gehört zum Wesen der Tätigkeit des Sachverständigen vor Gericht, daß ein Teil seines Gutachtens aus solchen Anknüpfungstatsachen besteht, die nur er aufgrund seiner Sachkunde erkennen kann. Diese auf naturwissenschaftlich-mathematischen Untersuchungen beruhenden Feststellungen, die sog. Befundtatsachen, können durch die gutachtlichen Ausführungen der Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführt und vom Gericht verwertet werden (vgl. BGHSt 18, 107, 108). Soweit es sich um die Bestimmung des Blutalkoholgehalts handelt, genügt in der Regel die nach § 256 StPO vorgenommene Verlesung des Befundes der staatlichen Untersuchungsstelle. Nur auf diesen, die Blutalkoholkonzentration ausweisenden Befund ist üblicherweise das Gutachten gerichtet. Daß hierbei die Blutalkoholkonzentration durch Ermittlung des Analysenmittelwertes aus den je nach Untersuchungsmethode 5 bzw. 4 Einzelanalysen festgestellt wird (vgl. Gutachten des Bundesgesundheitsamtes "Alkohol bei Verkehrsstraftaten" von 1966 S. 32 Ziff. 7 bzw. zweites Gutachten von 1977, S. 8) und daß dieses mathematische Verfahren sachlich gerechtfertigt und nicht rechtsfehlerhaft ist, ist heute nicht mehr umstritten (vgl. zuletzt BGHSt 28, 1; ferner Rechtsprechungs- und Literaturhinweise bei Grüner, Blutalkohol 1977, 215, 216/217). Insoweit besteht auch unter den Oberlandesgerichten, deren widerstreitende Rechtsauffassungen zu dieser Vorlegung geführt haben, Übereinstimmung.
2.
Die Untersuchungsstellen sind in ihrer Verfahrensweise bei der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes gebunden an die Richtlinien und Arbeitsanweisungen des Bundesgesundheitsamtes (vgl. erstes Gutachten S. 146, zweites Gutachten S. 81). Die Institute sind dabei auch gehalten, zur Gewährleistung einer gleichbleibenden Zuverlässigkeit ihrer Ergebnisse laufend interne Präzisions- und Richtigkeitskontrollen durchzuführen, die überwacht werden. Dem gleichen Zweck dient die Teilnahme der Untersuchungsstellen an Kontroll- bzw. Ringversuchen mit unbekannten Testseren, die laborextern ausgewertet werden (vgl. Gutachten des Bundesgesundheitsamtes 1966, S. 29 Ziff. 3; Richtlinien der Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 1971, 2228 und 1974, 959).
Als der Bundesgerichtshof in seinem Beschluß vom 9. Dezember 1966 (BGHSt 21, 157) die Tatrichter anregte, darauf zu achten, daß die Gewähr für die Einhaltung der Arbeitsanweisungen des Bundesgesundheitsamtes vorhanden ist, ließ er offen, ob in Zukunft durch eine Zentralisierung oder Automatisierung der Blutalkoholbestimmung eine größere Zuverlässigkeit erreicht werden kann (a.a.O. S. 167). Diese ist nunmehr durch die automatisierten Kontrollen und die weitgehende Zentralisierung der Untersuchungsstellen sichergestellt. Deshalb kann im Regelfall davon ausgegangen werden, daß die Vorschriften über die Errechnung des Mittelwertes aus den Einzelanalysen beachtet sind. Die Beschränkung des Tatrichters auf die Mitteilung nur des vom Gutachter errechneten Probemittelwertes entspricht daher dieser Entscheidung des Senats, in der die medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse des ersten Gutachtens "Alkohol bei Verkehrsstraftaten" einschließlich der in ihm enthaltenen Richtlinien und Arbeitsanweisungen (Anlage 6 a) verbindliche Aufnahme gefunden haben.
3.
Soweit neuerdings einige Oberlandesgerichte, wie die Vorlage zeigt, die Angabe aller Einzelwerte auch im Urteil verlangen, übersehen sie, daß es sich bei der schließlichen Feststellung des Mittelwertes nur um einen Teilvorgang innerhalb des umfangreichen Gesamtuntersuchungsvorgangs handelt. Denn die Richtigkeit des Probemittelwerts setzt nach den Untersuchungsrichtlinien des Bundesgesundheitsamtes sowie der nachfolgend diese Richtlinien ausfüllenden und ergänzenden jeweiligen Ländererlasse die Vorschriftsmäßigkeit vieler Einzelvorgänge voraus (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O. S. 222; auch Gerchow, Blutalkohol 1975, 331 f; 1977, 267 f), die in ihrer Gesamtheit nachzuprüfen dem Richter weder möglich noch zumutbar ist. Dies gilt abgesehen von den vom Oberlandesgericht Düsseldorf angeführten Teilvorgängen, etwa auch für die Untersuchung von Blindproben, für die Eichungen, für die Umrechnungsfaktoren vom Serum auf Vollblut oder für die Untersuchung von Alkoholstandardlösungen. Niemand war bisher der Meinung, daß diese Anknüpfungstatsachen und Zwischenwerte im tatrichterlichen Urteil enthalten sein müßten. Ausgerechnet von dem zeitlich und funktionell letzten Teilabschnitt, nämlich dem simplen Rechenvorgang (Händel, JR 1978, 427; ebenso Blutalkohol 1978, 214) der Addition der Einzelwerte und der Division des Ergebnisses durch die Zahl der Einzelanalysen, zu verlangen, daß er als Feststellung im tatrichterlichen Urteil Aufnahme findet, würde diesem Teilvorgang ein Gewicht verleihen, das ihm im Verhältnis zu anderen Vorgängen mit weitaus näherliegenden Fehlermöglichkeiten nicht zukommt und entbehrt jeder sachlichen Notwendigkeit. Ein solcher einfacher Rechenvorgang gehört nicht zu den wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Gedankengängen, die eine Wiedergabe in den Urteilsgründen erfordern. Bei reglementierten, häufig angewandten und auf Meßwerten aufgebauten Untersuchungen, wie der Bestimmung des Blutalkohols, besteht hierfür keine Notwendigkeit (vgl. BGHSt 12, 311, 314).
4.
Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Köln und des Oberlandesgerichts Karlsruhe kann auch dort auf die Wiedergabe der Einzelwerte durch den Tatrichter verzichtet werden, wo die Grenzbereiche um 0,8 %o oder 1,3 %o berührt sind. Es gibt keinen Erfahrungssatz, auch keine Wahrscheinlichkeit, schon gar keine Sicherheit, daß ein wirklicher Fehler immer nur geringe Überschreitungen zur Folge hat, die deshalb nur im Grenzbereich entscheidungserheblich werden könnten. Unterstellt man überhaupt eine Sorgfaltsverletzung des Gutachters etwa dahin, daß unzulässige Variationsbreiten bei den Einzelwerten übersehen worden sein könnten, so wäre die Begrenzung einer solchen Rechtsprechung auf Fälle der angesprochenen Grenzbereiche, insgesamt gesehen, nicht folgerichtig (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O. S. 223 mit überzeugenden Beispielen) und angesichts des Rechtsbildes der schon ab einem Wert von 0,3 %o möglichen (BGH zuletzt VRS 47, 178, 179; Heifer, Blutalkohol 1976, 66) sog. relativen Fahruntüchtigkeit auch willkürlich.
5.
Auch die bis vor kurzem umstrittene Frage einer möglichen Rundung sowohl des Mittelwertes wie der Einzelwerte und der damit verbundenen Fehlermöglichkeiten gibt heute keinen Anlaß mehr, generell eine Überprüfung der Errechnung des Mittelwertes durch den Tatrichter vorzunehmen. Es ist davon auszugehen, daß die Entscheidung des Bundesgerichtshofs über das Verbot einer Aufrundung (BGHSt 28, 1) inzwischen von allen mit der Blutalkoholbestimmung beauftragten Untersuchungsstellen beachtet wird. Diese Entscheidung des Senats ist als eine zusätzliche Auswertungsregel neben die schon bestehenden Verfahrensbestimmungen des Bundesgesundheitsamtes getreten.
6.
Die Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm (Blutalkohol 1977, 188 = VRS 51, 445), aus der Mitteilung und damit der Kenntnis der Einzelanalysenwerte eines konkreten Trunkenheitsfalles ließen sich möglicherweise Hinweise auf das Vorliegen eines systematischen Analysenfehlers innerhalb des untersuchenden Instituts gewinnen, haben Grüner (Blutalkohol 1977, 189 f; 1977, 215, 223) und auch Gerchow (Blutalkohol 1975, 331) überzeugend zurückgewiesen.
7.
Es stellt somit keinen sachlich-rechtlichen Mangel dar, wenn das tatrichterliche Urteil lediglich den aus den Einzelanalysen gewonnenen Mittelwert der Blutprobe enthält. Sollte allerdings der Tatrichter Zweifel an der Richtigkeit des mitgeteilten Untersuchungsergebnisses haben, so hat er diese zu klären. Dem Verteidiger ist es im übrigen unbenommen, durch entsprechende Anträge auf der Bekanntgabe der Einzelwerte zu bestehen. Um damit etwa verbundene Verfahrensverzögerungen zu vermeiden, empfiehlt es sich, daß die Untersuchungsinstitute von vornherein die ermittelten Einzelwerte den Gerichten mitteilen.
8.
Die Entscheidung entspricht im Ergebnis der Stellungnahme des Generalbundesanwalts.
Spiegel
RiBGH Hürxthal ist Urlaub und deshalb der Unterschriftsleistung verhindert Salger
Knoblich
Ruß