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Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.11.1978, Az.: III ZR 61/77

Übernahme eines Generalvertretervertrages; Gewährung eines zinslosen Darlehens; Sittenwidrigkeit eines Darlehensvertrages

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
23.11.1978
Aktenzeichen
III ZR 61/77
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1978, 13304
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Köln - 03.03.1977
LG Köln

Fundstellen

  • DB 1979, 743 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1979, 649 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1979, 868-869 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Käthe S., W.straße ..., G.

Prozessgegner

Helga K., Auf dem M.weg ..., F.

Amtlicher Leitsatz

Die Sittenwidrigkeit eines finanzierten Vertrages kann dem Darlehensrückzahlungsbegehren des Kreditgebers dann entgegenstehen, wenn dieser am finanzierten Geschäft beteiligt war, ein ganz erhebliches Eigeninteresse an seinem Zustandekommen hatte und die wesentlichen Umstände kannte, aus denen sich die Sittenwidrigkeit des finanzierten Geschäfts ergibt.

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung
vom 23. November 1978
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Nüßgens und
die Richter Dr. Krohn, Dr. Tidow, Dr. Peetz und Kröner
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 3. März 1977 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.

Tatbestand

1

1972/73 warb die Firma "Go. P. Vertriebsgesellschaft mbH für chemische Erzeugnisse" mit Sitz in Mü. (im folgenden: GP) in sog. Meetings um Mitglieder für ihre Vertriebsorganisation. Mitglied konnte werden, wer eine bestimmte Menge Waren von GP-Produkten abnahm und an GP Beträge für "Verkaufshilfen" und "Schulungen" zahlte. Je nach der Höhe dieser Beträge erwarb das Mitglied innerhalb der Organisation bei GP die Stellung eines einfachen Beraters, eines Bezirksleiters oder eines Generalvertreters. Der wirtschaftliche Vorteil für die Mitglieder sollte aus dem Verkauf der Waren und der Prämien für neu hinzugeworbene Mitglieder fließen.

2

Die Klägerin war Generalvertreterin bei GP und hatte die Beklagte im Februar 1973 zunächst als Bezirksleiterin geworben. Im Juni 1973 beabsichtigte die Klägerin, zu der neu gegründeten Schwesterfirma der GP mit Namen "L. C." überzuwechseln. Aus diesem Anlaß bot die Klägerin der Beklagten die Übernahme ihres Generalvertretervertrages bei GP an.

3

Eine solche Übernahme kostete 8.880 DM (4.500 DM Abfindung an den bisherigen Vertreter, 3.500 DM "Schulungskosten" und 880 DM Mehrwertsteuer). Da die Beklagte diesen Betrag aus eigenen Mitteln nicht bestreiten konnte, erklärte sich die Klägerin zu einem zinslosen Darlehen in Höhe der Übernahmekosten bereit. Die Beklagte unterzeichnete daraufhin einen Antrag für einen Generalvertretervertrag, den GP annahm. Die Darlehenssumme zahlte die Klägerin unmittelbar an GP. Zu einer Aufnahme der Tätigkeit als Generalvertreter durch die Beklagte kam es jedoch nicht mehr.

4

Die GP beantragte am 30. Oktober 1973 die Eröffnung des Vergleichsverfahrens und fiel am 18. März 1974 in Anschlußkonkurs. Ihre Geschäftsführer setzten sich mit allen verfügbaren Geldern ins Ausland ab. Mit einer nennenswerten Konkursquote ist nicht zu rechnen.

5

Die Beklagte weigert sich, die am 22. März 1974 gekündigte Darlehenssumme zurückzuzahlen, und beruft sich auf eine Sittenwidrigkeit des Übernahmevertrages, der mit dem Darlehensvertrag eine Einheit bilde.

6

Die Klägerin begehrt Zahlung des nach Abzug einer Gegenforderung noch offenstehenden Betrages von 8.460 DM nebst Zinsen.

7

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

8

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Beklagte könne dem Darlehensrückzahlungsbegehren die Sitten- und Gesetzwidrigkeit des finanzierten Vertrags, der dem verbotenen Schneeballsystem (§ 286 StGB) der Firma GP habe Vorschub leisten sollen, nach den Grundsätzen des sog. Einwendungsdurchgriffs entgegensetzen.

9

Die Revision bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

10

II.

Ohne Rechtsirrtum ist das Berufungsgericht von einer Nichtigkeit (Sittenwidrigkeit) des zwischen der Beklagten und der Firma GP geschlossenen Vertrages über den Eintritt der Beklagten als Generalvertreterin anstelle der Klägerin ausgegangen.

11

Den Verantwortlichen der Firma GP ging es darum, in einer Art Schneeballsystem immer neue Mitarbeiter für ihre Vertriebsorganisation zu gewinnen. Als Voraussetzung ihres Eintritts mußten diese im voraus erhebliche Zahlungen für Waren und Schulungskurse leisten. Der versprochene hohe Gewinn aus dem Warenabsatz ließ sich aber nicht erzielen, weil die Waren der Firma GP eine zu geringe Qualität hatten und zu teuer waren. Das System der GP beruhte auf einer stetig zunehmenden Ausweitung der Zahl der Mitarbeiter (nach dem Prinzip der geometrischen Reihe), denen auch ein Gebietsschutz nicht zustand. Infolgedessen mußten die Absatz- und Gewinnchancen der Mitarbeiter rasch abnehmen. Über diesen Umstand täuschten die Verantwortlichen der Firma GP die leichtgläubigen und in der Regel geschäftlich unerfahrenen Gesprächspartner, die sie als Mitglieder werben wollten. Die auf Grund dieses Sachverhalts geschlossenen Mitarbeiterverträge sind deshalb sittenwidrig und nichtig (§ 138 BGB), ohne daß es einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) bedurfte (vgl. das Senatsurteil BGHZ 71, 358, 366). Das gilt in gleicher Weise für den Vertrag über den Eintritt der Beklagten als Generalvertreterin anstelle der Klägerin. Auch ein solcher Vertrag ist bei einer Würdigung der gesamten Umstände, also seines Inhalts, seines Zwecks und der Beweggründe für den Vertragsabschluß, sittenwidrig. Denn er sollte mit dazu dienen, das Vertriebssystem der Firma GP durch Irreführung eines künftigen Generalvertreters über die Absatz- und Gewinnaussichten zum Vorteil der Verantwortlichen dieser Firma (und im Ergebnis auch zum Vorteil des ausscheidenden Generalvertreters) aufrechtzuerhalten.

12

III.

Die Beklagte kann die Nichtigkeit des Vertrages zur Übernahme der Generalvertretung dem Darlehensrückzahlungsbegehren der Klägerin entgegensetzen.

13

1.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Darlehensvertrag als Kreditabrede rechtlich Bestandteil eines dreiseitig, von den Parteien und der Firma GP, geschlosenen Vertrags über die Übertragung der Generalvertretung ist und ob die Nichtigkeit der Vereinbarungen über eine solche Übertragung schon aus diesem Grund den Darlehensvertrag erfaßt (§ 139 BGB). Denn jedenfalls sind hier die wirtschaftlich zusammenhängenden Absprachen über das Ausscheiden der Klägerin bei der Firma GP, den Eintritt der Beklagten an ihrer Stelle und die Finanzierung des Eintritts der Beklagten sachlich so eng verbunden, daß die Beklagte nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Einwand der Sittenwidrigkeit des finanzierten Rechtsgeschäfts auch den Ansprüchen der Klägerin aus dem Darlehensvertrag entgegenhalten kann. Zwar handelt es sich nicht um ein Abzahlungsgeschäft im Sinne des Abzahlungsgesetzes. Der finanzierte Vertrag hatte nicht den Kauf einer beweglichen Sache zum Gegenstand; das Darlehen war nicht in Raten zurückzuzahlen. Die für den finanzierten Teilzahlungskauf beweglicher Sachen entwickelten Grundsätze des sog. Einwendungsdurchgriffs sind daher nicht unmittelbar maßgeblich (vgl. das Senatsurteil vom 9. Februar 1978 - III ZR 31/76 = NJW 1978, 1427 = WM 1978, 459). Nach den besonderen Umständen des Falles verstieße es aber gegen Treu und Glauben, wenn die Klägerin die Beklagte auf eine rechtliche Unabhängigkeit des Darlehensvertrags vom finanzierten Geschäft verweisen könnte.

14

2.

Die Klägerin ist nicht nur Partei des Darlehensvertrags. Sie ist auch am finanzierten Geschäft beteiligt und hatte ein erhebliches eigenes Interesse an dessen Zustandekommen.

15

Die Beklagte richtete einen formularmäßigen Antrag auf Übertragung einer Generalvertretung an die Firma GP. In ihm ist die "Abfindung an den bisherigen Generalvertreter" bezeichnet. Die Klägerin unterschrieb das Antragsformular als "einführender und bisheriger Generalvertreter des Antragstellers".

16

Die Beziehungen zwischen den Beteiligten erschöpften sich damit nicht in dem finanzierten Erwerb der Generalvertretung durch die Darlehensnehmerin. Die Vereinbarungen zwischen ihnen hatten vielmehr den Zweck, das Ausscheiden der Klägerin als Generalvertreterin der Firma GP und den Eintritt der Beklagten an ihrer Stelle zu ermöglichen. Die Klägerin zahlte den Darlehensbetrag unmittelbar an diese Firma und streckte der Beklagten damit den erforderlichen im voraus zu zahlenden "Preis" für deren Eintritt als Generalvertreterin im Rahmen der Vereinbarungen der Beteiligten über die "Generalvertreterauswechselung" vor. Die vereinbarte "Auswechselung" mit der Beklagten sollte der Klägerin die Abfindung von 4.500 DM einbringen. Zwar hätte die Klägerin ihre Tätigkeit als Generalvertreterin beenden können, ohne einen an ihre Stelle tretenden Nachfolger einführen zu müssen. Für diesen Fall wäre jedoch die Zahlung einer vom Nachfolger zu leistenden Abfindung nicht in Betracht gekommen. Durch den "Auswechselungsvertrag" wurde die Klägerin zugleich für den Eintritt in ein Schwesterunternehmen der GP frei.

17

An diesen Umständen wird das besondere eigene Interesse der Klägerin an dem finanzierten sittenwidrigen Geschäft deutlich, an dem sie selbst als mit Zustimmung der Firma GP ausscheidende Generalvertreterin beteiligt war.

18

3.

Der Klägerin waren die wesentlichen Umstände bekannt, die die Sittenwidrigkeit des finanzierten Rechtsgeschäfts begründen. Sie kannte als Generalvertreterin das "Schneeballsystem" der ständigen Werbung neuer Mitarbeiter. Zwar ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht, daß sie sich der wirtschaftlichen Folgen dieses Systems und der Sittenwidrigkeit des finanzierten Geschäfts bei Abschluß des Darlehensvertrags bewußt war. Sie gab aber jedenfalls als Generalvertreterin die irreführenden Angaben der Verantwortlichen der Firma GP an die Beklagte weiter, die sie vorher nur als Bezirksleiterin geworben hatte. Nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Beklagten zerstreute sie sogar deren Zweifel am Geschäftssystem der Firma GP, die ihr aus Fernseh- und Rundfunksendungen gekommen waren.

19

4.

Bei der engen wirtschaftlichen und sachlichen Verbindung aller Abreden, auch des Darlehensvertrags, im Rahmen der Übertragung der Generalvertretung von der Klägerin auf die Beklagte treffen danach besondere Umstände zusammen: Die Klägerin war am finanzierten sittenwidrigen Geschäft unmittelbar beteiligt, sie hatte ein erhebliches eigenes Interesse an dessen Zustandekommen und sie kannte beim Abschluß des Darlehensvertrags die wesentlichen Umstände, die die Nichtigkeit (Sittenwidrigkeit) des finanzierten Geschäfts begründen. Das Zusammentreffen dieser besonderen Umstände hat nach dem Grundsatz von Treu und Glauben hier die Folge, daß die Beklagte die Sittenwidrigkeit des finanzierten Geschäfts auch dem Darlehensrückzahlungsbegehren der Klägerin entgegenhalten kann. Auf eine Inanspruchnahme der Firma GP braucht sich die Beklagte nicht verweisen zu lassen. Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Firma GP in Konkurs gefallen und eine nennenswerte Quote nicht zu erwarten. Von ihr kann die Beklagte den für den Eintritt als Generalvertreterin gezahlten Betrag nicht zurückerhalten.

20

IV.

Ein Anspruch auf Rückgewähr des Darlehensbetrags steht der Klägerin gegen die Beklagte auch unter bereicherungsrechtlichen Gesichtspunkten (§§ 812 ff BGB) nicht zu. Das gilt auch für den oben erwogenen Fall, daß sich die Sittenwidrigkeit des finanzierten Geschäfts nach § 139 BGB unmittelbar auf den Darlehensvertrag erstrecken sollte.

21

Der Ehemann der Klägerin zahlte den Darlehensbetrag nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts unmittelbar an die Firma GP. Das Geld gelangte also weder rechtlich noch wirtschaftlich in das Vermögen der Beklagten (vgl. das Senatsurteil BGHZ 71, 358, 365).

22

Eine Schuld der Beklagten gegenüber der Firma GP bestand nicht, weil das finanzierte Geschäft wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist. Die Zahlung des Darlehensbetrags an diese Firma war somit nicht geeignet, eine Schuld der Beklagten bei ihr zu tilgen (vgl. das o.a. Senatsurteil).

Nüßgens
RiBGH Dr. Krohn ist in Urlaub und kann daher nicht unterschreiben. Nüßgens
Tidow
Peetz
Kröner