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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 23.11.1978, Az.: II ZB 7/78

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Voraussetzungen für die Legitimation als Prozessbevollmächtigter; Anwendbarkeit der Grundsätze über den vollmachtlosen Vertreter

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
23.11.1978
Aktenzeichen
II ZB 7/78
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1978, 12787
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Karlsruhe - 23.05.1978
LG Mannheim - 20.12.1977

Prozessführer

Kaufmann Günther W., S. Straße ..., V.

Prozessgegner

1. Klaus K.

2. Norbert K.

beide wohnhaft W.straße ..., L.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
am 23. November 1978
durch
den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Stimpel und
die Richter Dr. Schulze, Dr. Bauer, Dr. Kellermann und Dr. Skibbe
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 1978 aufgehoben.

Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das am 20. Dezember 1977 verkündete Urteil der II. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Gründe

1

Prozeßbevollmächtigter des Beklagten war im ersten Rechtszug Rechtsanwalt W.. Dieser nahm den Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. November 1977 jedoch nicht wahr, sondern ließ Rechtsanwalt R. bitten, das zu tun. Was dabei zwischen den Angestellten beider Rechtsanwälte besprochen worden ist, steht nicht fest. Jedenfalls erschien Rechtsanwalt R. vor Gericht und erklärte, Rechtsanwalt W. trete nicht mehr für den Beklagten auf, und er selbst habe das Mandat erst am Vormittag vom Beklagten fernmündlich übertragen erhalten. Nach streitiger Verhandlung, in der Rechtsanwalt R. Klagabweisung "gemäß Schriftsatz des früheren Prozeßbevollmächtigten des Beklagten" beantragte, wurde Verkündungstermin auf den 20. Dezember 1977 anberaumt und an diesem Tage ein der Klage stattgebendes Urteil verkündet. Es wurde Rechtsanwalt R. am 30. Dezember 1977 zugestellt. Rechtsanwalt R. veranlaßte daraufhin nichts. Der Beklagte selbst erfuhr von dem Erlaß des Urteils und seiner Zustellung erst am 8. Februar 1978. Er ließ noch am selben Tage von einem anderen Prozeßbevollmächtigten Berufung einlegen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen.

2

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist begründet.

3

1.

Allerdings hat der Beklagte die Berufung verspätet eingelegt; denn die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an Rechtsanwalt R. am 30. Dezember 1977 hat die Berufungsfrist in Lauf gesetzt. Dafür ist ohne Belang, daß Rechtsanwalt R. keine Prozeßvollmacht im Sinne von § 81 ZPO, sondern nur die Untervollmacht hatte, den Termin für Rechtsanwalt W. wahrzunehmen.

4

Wie in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem allgemein anerkannt ist, liegt in dem Auftreten eines Rechtsanwalts vor Gericht zugleich seine "Bestellung" zum Prozeßbevollmächtigten im Sinne von § 176 ZPO, auch wenn er keine Prozeßvollmacht hat (vgl. RGZ 38, 406 ff.; 67, 149 ff.; RG LZ 1920, 653 und 1926, 119; BAG AP ZPO § 322 Nr. 9; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 176 Anm. A, B I a, B II a und B II a 2; Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl., § 176 Anm. III 2 und Baumbach/Lauterbach, ZPO, 36. Aufl., § 176 Anm. 2 B). Von dieser ständigen Auslegung des § 176 ZPO abzuweichen, sieht der Senat keinen Anlaß. Aus Gründen der Prozeßvereinfachung und -beschleunigung muß die Partei darauf vertrauen können, daß ein Rechtsanwalt, der sich ausdrücklich oder durch schlüssiges Handeln - wie etwa durch sein Auftreten vor Gericht - zum Prozeßbevollmächtigten des Gegners bestellt, Prozeß- und damit auch Zustellungsvollmacht hat. In letzterer Hinsicht wird die obsiegende Partei seit der Neufassung von § 516 ZPO durch die Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 nicht mehr dadurch geschützt, daß ein Urteil sechs Monate nach seiner Verkündung auch dann rechtskräftig wird, wenn seine Zustellung unwirksam ist; denn die Rechtsmittelfrist wird seit dem 1. Juli 1977 stets erst durch eine wirksame Zustellung in Lauf gesetzt, so daß keine Rechtskraft eintreten kann, wenn eine von dem Gericht und der obsiegenden Partei für wirksam gehaltene Zustellung in Wahrheit unwirksam ist. Das Interesse des Gegners, im Prozeß und insbesondere auch bei Zustellungen nur von jemandem vertreten zu werden, dem er tatsächlich Vollmacht erteilt hat, muß gegenüber jenem Interesse zurücktreten. Tritt ein Rechtsanwalt ohne Vollmacht auf, so wird das vielfach von der Partei selbst zumindest mitverursacht, wenn nicht sogar verschuldet sein. Schon das nötigt dazu, ihr Interesse geringer zu bewerten als das der anderen Partei. Im übrigen werden die Belange dessen, für den ein vollmachtloser Vertreter aufgetreten ist, schon dadurch hinreichend geschützt, daß er je nach Lage des Falles ein dem vollmachtlosen Rechtsanwalt zugestelltes Urteil anfechten, gegenüber dem Ablauf der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen, Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erheben oder sich bei dem vollmachtlosen Vertreter schadlos halten kann. Eines weiteren Schutzes zu Lasten der anderen Prozeßpartei bedarf er nicht.

5

Im vorliegenden Falle hat sich Rechtsanwalt R. selbst für den "neuen" Prozeßbevollmächtigten des Beklagten gehalten und ist als solcher aufgetreten. An seiner Vollmacht zu zweifeln, hatten Gericht und Kläger keinen Anlaß. Er galt mithin seit der mündlichen Verhandlung am 22. November 1977 als für den Rechtszug bestellter Prozeßbevollmächtigter im Sinne von § 176 ZPO, An dieser seiner Stellung hat sich auch in der folgenden Zeit nichts geändert, so daß das auf die mündliche Verhandlung ergangene Urteil (auch) an ihn wirksam zugestellt werden konnte. Die Berufungsfrist war danach bei Eingang der Rechtsmittelschrift am 8. Februar 1978 bereits abgelaufen, die Berufung mithin unzulässig.

6

2.

Dem Beklagten ist jedoch auf seinen rechtzeitig gestellten Antrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein eigenes Verschulden an der Fristversäumnis trifft ihn nicht. Auch das Berufungsgericht hat kein solches festgestellt. Weder er selbst noch Rechtsanwalt W. hat nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt das Mandat für das ganze weitere Verfahren auf Rechtsanwalt R. übertragen. Ein Verschulden von Rechtsanwalt R. braucht sich der Beklagte nicht zurechnen zu lassen, weil dieser - wenn auch entgegen eigener Vorstellung - nicht im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO sein "Bevollmächtigter" war, sondern nur die Untervollmacht hatte, den Termin zur mündlichen Verhandlung für Rechtsanwalt W. wahrzunehmen. Dieser aber hat den Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht zu vertreten. Nach dem Akteninhalt hat er allerdings dem Beklagten, obwohl dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, noch am Morgen des Verhandlungstages erklärt, nicht vor Gericht erscheinen zu brauchen; er hat den Auftrag an Rechtsanwalt R., den Termin für ihn wahrzunehmen, nur von Büro zu Büro übermitteln lassen, ohne dabei die Handakten zur Verfügung zu stellen oder irgendwelche Weisungen zu erteilen, und er hat zwischen dem 22. November 1977 und dem 8. Februar 1978 weder bei Rechtsanwalt R. nach dem Terminsergebnis noch bei Gericht nach dem Verhandlungsprotokoll gefragt. Es war vorauszusehen und hätte deshalb auch von Rechtsanwalt R. beachtet werden müssen, daß alles dies dem Beklagten prozessuale Nachteile bringen konnte. Der tatsächliche Geschehensablauf, wonach sich Rechtsanwalt R. für den neuen Prozeßbevollmächtigten hielt, nach dem Termin gleichwohl keine Verbindung zu dem Beklagten aufnahm, später jedoch - ohne jegliche Handakten - die Zustellung des Urteils entgegennahm und auch jetzt im übrigen untätig blieb, war aber so ungewöhnlich, daß er und mit ihm der Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr als adäquate Folge (vgl. dazu RGZ 148, 154, 165) der hier in Betracht kommenden Pflichtverletzungen von Rechtsanwalt W. angesehen und ihm infolgedessen nicht mehr zugerechnet werden kann; denn Rechtsanwalt W. konnte bei allem, was er pflichtwidrig tat oder unterließ, jedenfalls damit rechnen, daß ein etwa ergehendes Urteil ihm als dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten zugestellt und daß erst mit dieser Zustellung die Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt werden würde.

Stimpel
Dr. Schulze
Dr. Bauer
Dr. Kellermann
Dr. Skibbe