Bundesgerichtshof
Urt. v. 29.03.1978, Az.: VIII ZR 220/76
Erfassung von Verjährungsansprüchen eines Gastwirts wegen Beschädigung der i.R.e. Pensionsvertrages überlassenen Räume und Gegenstände von § 558 BGB ; Heranziehung des § 558 BGB auch vom Mieter gemäß dem Mietvertrag bestellte Aufsichtsperson aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkung und vom Vermieter wegen Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 832 Abs. 2 BGB); Bewertung eines Pensionsvertrags ebenso wie ein Hotelaufnahmevertrag als Wohnraummietvertrag im Schwerpunkt
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 29.03.1978
- Aktenzeichen
- VIII ZR 220/76
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1978, 16585
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Köln - 17.09.1976
- LG Bonn
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHZ 71, 175 - 180
- DB 1978, 2471-2472 (Volltext mit amtl. LS)
- IPRspr 1978, 21
- JR 1978, 290
- MDR 1978, 659 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1978, 1426-1427 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- a)
Die Verjährung der Ansprüche des Gastwirts wegen Beschädigung der im Rahmen eines Pensionsvertrages überlassenen Räume und Gegenstände richtet sich nicht nach § 196 Abs. 1 Nr. 4 sondern nach § 558 BGB.
- b)
Auf die kurze Verjährung des § 558 BGB kann sich auch die vom Mieter gemäß dem Mietvertrag bestellte Aufsichtsperson berufen, die in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen ist und vom Vermieter wegen Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 832 Abs. 2 BGB) in Anspruch genommen wird.
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 1978
durch
den Vorsitzenden Richter Braxmaier und
die Richter Claßen, Hoffmann, Merz und Treier
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 17. September 1976 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Klägerin und deren Ehemann betreiben den ihnen gehörigen Gasthof "H. H." in H. in Österreich. Mit Unterkunft- und Beköstigungsvertrag vom 1. März 1970 vereinbarten sie mit der Erstbeklagten, im Rahmen einer Ferienaktion der Erstbeklagten zwei Gruppen von Kindern in ihrem Gasthof unterzubringen und zu verköstigen. Die zweite Gruppe von 40 Kindern im Alter von 12 bis 15 Jahren wurde von der Drittbeklagten als Lagerleiterin und mehreren Betreuern, darunter dem Zweitbeklagten, begleitet. Am Tage der Rückreise dieser Gruppe, dem 27. August 1970, besichtigten der Ehemann der Klägerin und der Zweitbeklagte die den Kindern überlassenen Räume. Sie stellten dabei fest, daß die Füllungen von zwei Türen beschädigt und eine Fensterscheibe zersprungen waren. Die Klägerin behauptet, nach dieser Besichtigung hätten die Kinder die Einrichtung der Unterkunft demoliert. Mit der am 27. Juli 1973 beim Landgericht eingereichten und am 3. August 1973 den Beklagten zugestellten Klage hat die Klägerin den Betrag geltend gemacht, der nach ihrem Vorbringen zur Beseitigung dieses Schadens und des bei der genannten Besichtigung festgestellten Schadens erforderlich ist. Sie beziffert ihren Gesamtschaden mit 63.614 öS.
Das Landgericht hat durch Anerkenntnisurteil der Klägerin den Teilbetrag von 1.500 öS als Ausgleich für den bei der Besichtigung vom 27. August 1970 festgestellten Schaden zuerkannt und im übrigen die Klage abgewiesen. Vom Berufungsgericht, das auf Grund des Europäischen Übereinkommens vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht eine Auskunft des Bundesministeriums für Justiz der Republik Österreich eingeholt hat, ist die Berufung der Klägerin zurückgewiesen worden.
Mit der - zugelassenen - Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, erstrebt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer 62.114 öS.
Entscheidungsgründe
1.
Das Berufungsgericht hat angenommen, die von der Klägerin noch geltend gemachten Forderungen seien verjährt. Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
2.
Mit Recht hat das Berufungsgericht österreichisches Recht angewendet, weil es für die Ansprüche aus Vertrag auf den Unterkunftsort als nach dem hypothetischen Willen der Vertragsteile maßgeblichen Schwerpunkt des Schuldverhältnisses ankommt (vgl. BGHZ 61, 221, 223) und, soweit die Ansprüche aus unerlaubter Handlung hergeleitet werden, der Tatort maßgebend ist, der mit dem Unterkunftsort identisch ist (vgl. BGHZ 14, 286, 291). Die Revision erhebt hiergegen auch keine Einwendungen.
3.
Das Berufungsgericht unterstellt das Vorbringen der Klägerin über das Zustandekommen der geltend gemachten Schäden als richtig. Es meint, für das Verhalten der Kinder habe die Erstbeklagte nach den Vorschriften über den Bestandsvertrag (Oberbegriff für Miete und Pacht) einzustehen. Die Klägerin könne aber einen vertraglichen Schadensersatzanspruch nicht mehr geltend machen, weil die hierfür in § 1111 Satz 2 ABGB vorgesehene Jahresfrist bei Klageerhebung bereits verstrichen gewesen sei. Diese Frist gelte auch für deliktische Schadensersatzansprüche, die wegen der Beschädigung der Einrichtung entstanden sein könnten.
Hiergegen wendet die Revision sich nicht. Auch aufgrund der allgemeinen Sachrüge konnte nicht überprüft werden, ob das Berufungsgericht das österreichische Recht richtig angewendet hat; denn die Anwendung ausländischen Rechts ist nicht revisibel (§ 549 Abs. 1 ZPO).
4.
Das Berufungsgericht meint, gegen den Zweitbeklagten und die Drittbeklagte (nachfolgend: die Beklagten) könne die Klägerin mangels vertraglicher Beziehungen nur Schadensersatzansprüche aus Delikt (aus § 1295 ABGB oder - wegen Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht - aus § 1309 ABGB) erworben haben. Nach § 1489 ABGB seien Ansprüche solcher Art noch nicht verjährt. Nach Art. 12 EGBGB müsse aber die Verjährungsvorschrift des § 196 Abs. 1 Nr. 4 BGB angewendet werden, die deshalb, weil die Beklagten als Hilfspersonen der Erstbeklagten in den Schutzbereich des Beherbergungsvertrages einbezogen worden seien, auch im Verhältnis zwischen ihnen und der Klägerin gelte. Gemäß §§ 201, 198 BGB habe die Verjährung mit Ablauf des 31. Dezember 1970 begonnen. Die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 4 BGB sei deshalb am 31. Dezember 1972 abgelaufen.
a)
Die von der Revision nicht angegriffene, aufgrund der allgemeinen Sachrüge aber zu überprüfende Auffassung des Berufungsgerichts,Art. 12 EGBGB gelte auch für die Verjährungseinrede, ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 118, 141), die aufrechtzuerhalten ist, weil eine Entscheidung darüber, ob die Ansprüche des Geschädigten nach dem ausländischen Recht weiter als nach deutschem Recht reichen, nur unter Berücksichtigung der Einwendungen und Einreden des Schädigers möglich ist.
b)
Bei der nach Art. 12 EGBGB vorzunehmenden Prüfung sind alle deutschen Vorschriften heranzuziehen, nach denen der Anspruch begründet sein kann. Ergibt sich aus dem vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt ein Anspruch aus einer nicht dem Recht der unerlaubten Handlung angehörenden Norm und ist dieser noch nicht verjährt, so steht Art. 12 EGBGB der Klageforderung nicht entgegen (RGZ 118, 141, 143, 144).
c)
Nach deutschem Recht kommt eine Haftung der Beklagten nur aus unerlaubter Handlung, nämlich nach § 832 Abs. 2 BGB, in Betracht. Zwar verjährt der Anspruch auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens in drei Jahren (§ 852 BGB), hier gilt aber die kürzere Verjährungsfrist des § 558 BGB, weil der Vertrag vom 1. März 1970 ein Mietvertrag ist, die Beklagten in die Schutzwirkung dieses Vertrages einbezogen sind und der in die Schutzwirkung eines Mietvertrages einbezogene Dritte sich auf die kurze Verjährungsfrist des§ 558 BGB berufen kann.
aa)
Die Klägerin und deren Ehemann haben in dem Vertrag vom 1. März 1970 versprochen, ihren Gästen Unterkunft und Verpflegung für die Dauer des Aufenthaltes ihrer Gäste in H. zu gewähren. Ein solcher Vertrag, der in der Umgangssprache als Pensionsvertrag bezeichnet wird, ist ebenso wie der Hotelaufnahmevertrag (vgl. dazu das Senatsurteil vom 1. April 1963 - VIII ZR 257/61 = NJW 1963, 1449) in seinem Kern Wohnungsmietvertrag, wenn auch gemischt mit anderen Verträgen wie Kauf-, Dienst- und Werkvertrag; denn die wesentliche Leistung des Wirtes besteht in der Überlassung von Wohnraum. Die Frage, in welcher Frist vertragliche Ansprüche des Gastwirts wegen Beschädigung seiner Sachen verjähren, ist deshalb nach Mietvertragsrecht zu entscheiden. Die Ersatzansprüche des Wirtes wegen Verschlechterung der vermieteten Sache verjähren daher nach § 558 BGB in sechs Monaten von der Rückgabe der Mietsache an. Diese Bestimmung geht als lex specialis der vom Berufungsgericht angewendeten allgemeineren Vorschrift des § 196 Abs. 1 Nr. 4 BGB vor. Soweit - ohne Begründung - im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, der Verjährung nach § 196 Abs. 1 Nr. 4 BGB unterlägen auch die Ersatzansprüche des Gastwirts wegen Beschädigung der dem Gast aufgrund des Beherbergungsvertrages zur Verfügung gestellten Räume und Gegenstände (vgl. Schlegelberger/Vogels/Becker BGB (1939) § 196 Rdn. 7; Staudinger/Coing BGB 11. Aufl. § 196 Rdn. 21; Soergel/Siebert/Augustin BGB 10. Aufl. § 196 Rdn. 34; Erman/Hefermehl BGB 6. Aufl. § 196 Rdn. 11), kann der Senat dem nicht folgen.
Hier ist die Mietsache nach den Feststellungen des Berufungsgerichts am 27. August 1970 zurückgegeben worden. Bei Klageerhebung waren mietvertragliche Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache durch den Mieter demnach bereits verjährt.
bb)
Die Beklagten können sich auf die kurze Verjährung des § 558 BGB berufen, weil sie in den Schutzbereich des Vertrages vom 1. März 1970 einbezogen sind.
Der Senat hat mehrfach entschieden, daß zu den Verträgen, die eine Schutzwirkung für Dritte bewirken, vor allem Mietverträge gehören (BGHZ 49, 278, 279 und 350; 61, 227, 233; Senatsurteil vom 7. Juli 1976 - VIII ZR 44/75 = LM BGB § 558 Nr. 22 = WM 1976, 1119). Die Entscheidung der Frage, ob der Schutz des Mietvertrages auf einen Dritten ausgedehnt werden kann, hängt in erster Linie von dem Inhalt des abgeschlossenen Vertrages ab (BGHZ 49, 278, 280). Läßt dieser die Benutzung der Mietsache durch einen Dritten nicht zu, ist es grundsätzlich ausgeschlossen, einer anderen Person als dem Mieter die Berufung darauf zu gestatten, sie genieße den Schutz des Vertrages (BGHZ 49, 280). Handelt es sich bei dem Dritten dagegen um eine Person, welche die Mietsache im Einverständnis mit dem Vermieter benutzt und von der bei Vertragsabschluß angenommen werden mußte, daß der Mieter ihr denselben Schutz zukommen lassen wollte, wie er ihm selbst zustand, so ist er in die Schutzwirkung des Vertrages einbezogen (BGHZ 49, 350, 354). Deshalb hat der Senat den zum Hausstand gehörenden Personen des Mieters, den Angestellten des Mieters gewerblicher Räume und dem berechtigten Fahrer eines gemieteten Fahrzeuges den Schutz des Mietvertrages gewährt (vgl. die Zusammenstellung von Gelhaar in BGB-RGRK 12. Aufl., vor § 535 Rdn. 166/172 m. Nachw.). Hier ist die Einbeziehung der Beklagten in den Schutzbereich des Vertrages deshalb geboten, weil nach Nr. 2 des Vertrages vom 1. März 1970 die Kindergruppe von einem Lagerleiter und mehreren Betreuern begleitet werden sollte und ihnen Unterkunft und Verpflegung zu gewähren war. Bestimmungsgemäß (vgl. BGHZ 61, 227, 233 und Senatsurteil vom 7. Juli 1976 a.a.O.) haben demnach die Beklagten nicht nur selbst die Mietsache gebraucht sondern den Mietgebrauch der ihnen anvertrauten Kinder beaufsichtigt. Die Ausübung dieser Aufsicht war daher Teil des an sich der Erstbeklagten als Vertragspartnerin der Klägerin zustehenden Mietgebrauchs und brachte für die Beklagten die Gefahr mit sich, für Beschädigungen der Mietsache wegen Verletzung der Aufsichtspflicht haftbar gemacht zu werden.
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die Auffassung gerechtfertigt, daß die Beklagten sich auf die Verjährung des§ 558 BGB berufen können. Der erkennende Senat hat ausgesprochen, die Einbeziehung des Dritten in die Schutzwirkung des Mietvertrages habe nicht nur zur Folge, daß der Dritte den Vermieter, der ihn unter Verletzung der Vertragspflichten geschädigt hat, auf Ersatz in Anspruch nehmen kann, sondern daß er, wenn er den Vermieter geschädigt hat, auch die Möglichkeit hat, sich auf die kurze Verjährungsfrist des § 558 BGB zu berufen (BGHZ 49, 278 und 61, 227; Senatsurteil vom 7. Juli 1976 a.a.O.). Es besteht kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
dd)
Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Verjährungsvorschrift des § 852 BGB werde bei Einbeziehung des Dritten in die Schutzwirkung des Mietvertrages durch § 558 BGB verdrängt. Die Auffassung des Berufungsgerichts entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (Senatsurteile vom 28. Mai 1957 - VIII ZR 205/56 = LM BGB § 558 Nr. 1 = NJW 1957, 1436 und vom 7. Februar 1968 - VIII ZR 179/65 = NJW 1968, 694 = WM 1968, 435, insoweit in BGHZ 49, 278 nicht abgedruckt). Hieran ist trotz der von der Revision erhobenen Bedenken festzuhalten. Diese Ansicht entspricht der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und dem Willen des Gesetzgebers. Wie der Senat mehrfach - zuletzt in dem Urteil vom 24. Mai 1976 - VIII ZR 10/74 = NJW 1976, 1505 = WM 1976, 839 - ausgeführt hat, würde es den Zweck der besonders kurz bemessenen Verjährungsfrist des§ 558 BGB vereiteln, wenn der Geschädigte nach Verjährung vertraglicher Schadensersatzansprüche auf die aus demselben Sachverhalt hergeleiteten deliktischen Ansprüche ausweichen könnte, weil meist - wie auch hier - der Vermieter Eigentümer der beschädigten Mietsache ist. Die Besonderheiten, welche die Unterstellung deliktischer Ansprüche unter die Vorschrift des § 558 BGB rechtfertigen, liegen, wie in dem Senatsurteil vom 24. Mai 1976 dargelegt ist, bei der kaufrechtlichen Verjährung nicht vor. Das gleiche gilt für das Verhältnis der Verjährungsvorschrift des§ 638 BGB zu § 852 BGB (vgl. BGHZ 55, 392, 398, 399).
Die von der Revision aufgeworfene Frage, ob etwa dann, wenn die Mietsache vorsätzlich beschädigt worden ist, eine Berufung auf§ 558 BGB ausgeschlossen wäre, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Die Beklagten werden nur wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht in Anspruch genommen.
5.
Nach allem ist die Revision der Klägerin nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.
Nach § 97 ZPO muß die Klägerin die Kosten ihres unbegründeten Rechtsmittels tragen.
Claßen
Hoffmann
Merz
Treier