Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.03.1978, Az.: VI ZR 68/76
Voraussetzungen einer Klage unter dem Aspekt des vorliegenden Rechtsschutzbedürfnisses; Zulässigkeit gleichzeitiger Prozessabweisung und Sachabweisung einer Sache; Befugnis des Revisionsgerichts in der Sache selbst zu entscheiden nach Ablehnung des Vorliegens der Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das Berufungsgericht; Voraussetzungen und Umfang der Schadensersatzpflicht wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung; Beurteilung von abgeschlossenen Tarifverträgen im Lichte einer Schadensersatzpflicht unter dem Aspekt der Tarifautonomie
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 14.03.1978
- Aktenzeichen
- VI ZR 68/76
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1978, 13124
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Hamburg - 20.01.1976
- OLG Hamburg - 14.01.1976
- OLG Hamburg - 13.01.1976
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- NJW 1978, 2031-2032 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
Kaufmann Anton H., A., O. Straße ...
Prozessgegner
1. D. An.,
vertreten durch den Bundesvorstand,
dieser vertreten durch die Vorstandsmitglieder B. und P., Ha., K.-M.-Platz ...,
2. I. Me. für die Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch ihren Vorstand,
dieser vertreten durch den 1. Vorsitzenden Eugen L., Ha., Kurt Sch. Allee ...,
3. Ar. der Me. Ha.-Schl.-Ho. e.V.,
vertreten durch den Vorsitzenden des Vorstands Dr. Gerhard Mü., Ha., F.straße ...,
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung
vom 14. März 1978
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Weber und
die Richter Dunz, Dr. Kullmann, Dr. Peetz und Dr. Ankermann
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg, an Verkündungsstatt zugestellt am 13., 14. und 20. Januar 1976, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß es bei der vom Landgericht ausgesprochenen Abweisung der Klage als unbegründet verbleibt.
Die Kosten der Revision fallen dem Kläger zur Last.
Tatbestand
Der Kläger lebt von den Erträgnissen seines etwa 500.000 DM betragenden Vermögens, das er im wesentlichen auf Spar-, Festgeld- und anderen Konten von Kreditinstituten angelegt hat. Die Beklagten sind die D. An. und die I. - Me. sowie der Ar. der Me.-Ha.-Schl.-Ho., die Tarifverträge für die Beschäftigten der Metallindustrie im Tarifbezirk Ha. für das Jahr 1974 abgeschlossen haben.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Ersatz wegen der Geldwertverluste, die er im Jahre 1974 erlitten hat, und die er mit näherer Begründung auf mindestens 30.000 DM beziffert. Er ist der Auffassung, die Tarifvereinbarungen hätten entscheidend zu den Preiserhöhungen des Jahres 1974 und damit zu den in diesem Jahre entstandenen Geldwertverlusten beigetragen; dafür seien die Beklagten verantwortlich und müßten ihm Schadensersatz leisten.
Das Landgericht hat die Klage als unbegründet, das Oberlandesgericht hat sie als unzulässig abgewiesen.
Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der I Streitfall sei gerichtlich nicht nachprüfbar (nicht "justiziabel"). Es hat deshalb die Klage, weil der Rechtsweg nicht gegeben sei, als unzulässig abgewiesen. Jedoch bescheidet es die Klage hilfsweise auch der Sache nach und führt aus, diese sei unbegründet, da dem Kläger gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche aus den Vorschriften über unerlaubte Handlungen zustünden, die allein als Klagegrundlage in Betracht kommen könnten. Es hält solche prozessuale Behandlung für geboten, um das Revisionsgericht für den Fall, daß es seinen Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage nicht folge, in die Lage zu versetzen, evtl. in der Sache durchzuentscheiden und den Parteien weitere Verfahrenskosten zu ersparen.
II.
Die Revision kann im Ergebnis keinen Erfolg haben.
1.
Die Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, hält sie indessen, wie in dar mündlichen Verhandlung im einzelnen erörtert, nicht für durchgreifend. Von einer Begründung wird gemäß § 565 a ZPO abgesehen.
2.
Mit Recht wendet sich die Revision allerdings dagegen, daß das Berufungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat.
a)
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es für die Frage, ob einem Kläger Rechtsschutz für sein Begehren versagt werden darf, nicht darauf an, welche Auswirkungen ein etwa der Klage stattgebendes Urteil haben werde. Sind die allgemeinen Prozeßvoraussetzungen erfüllt und ist die Klagbarkeit nicht ausgeschlossen, so kann ein Klagebegehren allenfalls dann unzulässig sein, wenn der Kläger damit die Gerichte als Teil der Staatsgewalt unnütz oder gar unlauter bemüht oder ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Verfolgung zweckwidriger und insoweit nicht schutzwürdiger Ziele ausnutzt (BGHZ 54, 181, 184). In derartigen Fällen könnte das sogenannte Rechtsschutzbedürfnis für die Klage fehlen.
Diese engen Voraussetzungen für die Versagung des Rechtsschutzes sind jedoch im Streitfalle nicht erfüllt.
b)
Dieser Mangel des angefochtenen Urteils zwingt indessen nicht zu einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Im allgemeinen darf zwar das Revisionsgericht gemäß § 563 ZPO eine Klage nicht aus sachlichen Gründen abweisen, wenn das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Klage zu Unrecht verneint (BGHZ 12, 308, 316). Der Senat hält auch an der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung fest, wonach eine gleichzeitige Prozeß- und Sachabweisung der Klage in demselben Urteil wegen der Verschiedenheit von Gegenstand und Umfang der materiellen Rechtskraft einer Sach- gegenüber einer Prozeßabweisung nicht zulässig ist (vgl. etwa BGHZ 11, 222, 223; Urteile v. 5. Dezember 1975 - I ZR 122/74 = LM ZPO § 565 Abs. 3 Nr. 12 und vom 10. Januar 1978 - VI ZR 113/75 = noch nicht veröffentlicht).
Sollte das Berufungsgericht mit seinen Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage nur das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis verneint haben, so ergibt sich die Befugnis des Senats, zugleich in der Sache selbst zu entscheiden, schon daraus, daß das Rechtsschutzbedürfnis ebenso wie seine besondere Ausprägung in § 256 ZPO in Form des "rechtlichen Interesses an alsbaldiger Feststellung" keine solche Prozeßvoraussetzung ist, ohne deren Vorliegen dem Gericht eine Sachprüfung und ein Sachurteil überhaupt verwehrt ist (BGHZ 12, 308; BGH, Urteile v. 27. November 1957 - IV ZR 121/57 = LM ZPO § 256 Nr. 46 und v. 10. Januar 1978 - VI ZR 113/75 = a.a.O.).
Aber auch dann, wenn das Berufungsgericht andere Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Klage verneint haben sollte, wofür der Satz des angefochtenen Urteils, es sei kein "Rechtsweg" für die Klage gegeben, sprechen könnte, darf der Senat ausnahmsweise auf die Begründetheit der Klage eingehen. Wie der Bundesgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, ist dies dann zulässig, wenn sich im Parteivorbringen oder in den vom Berufungsgericht in seinen Ausführungen zur Zulässigkeit oder zu einem anderen Streitgegenstand unanfechtbar getroffenen Feststellungen der revisionsrichterlichen Beurteilung eine verwertbare tatsächliche Grundlage bietet, und auch im Falle der Zurückweisung der Sache kein anderes Ergebnis als das von dem Revisionsgericht durch seine Sachentscheidung herbeigeführte möglich erscheint (vgl. BGHZ 33, 398, 401; 46, 281, 285). Diese Voraussetzung ist u.a. dann erfüllt, wenn der Klagevortrag nach jeder Richtung unschlüssig ist und auch durch weiteres Parteivorbringen nicht schlüssig gemacht werden kann (BGH, Urteil vom 16. Nov. 1953 - III ZR 158/52 = NJW 1954, 150). Dies ist hier, wie sogleich ausgeführt wird, der Fall.
3.
Das Berufungsgericht verneint im Ergebnis zu Recht die Begründetheit der Klage.
a)
Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB entfallen schon deshalb, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt und auch die Revision nicht beanstandet, weil in dieser Vorschrift das Vermögen nicht geschützt wird. Der Kläger macht aber nur Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden geltend, auch soweit er darauf hinweist, sein Bargeld sei durch das Verhalten der Beklagten entwertet.
b)
Entgegen der Auffassung der Revision stehen dem Kläger gegen die Beklagten aber auch keine Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB zu.
Die Beklagten handelten rechtmäßig, als sie die vom Kläger als Schadensursache angesehenen Tarifverträge abschlossen, nämlich in Ausübung und im Rahmen des ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten Grundrechts der Tarifautonomie (vgl. BVerfGE 18, 18, 26; 28, 295, 304). Sittenwidrig kann ein an sich vom Recht erlaubtes Verhalten nur dann werden, wenn der Handelnde dabei eine formale Rechtsstellung mißbräuchlich ausnutzt (vgl. BGHZ 26, 391, 396; 40, 130, 131) oder wenn besondere Umstände zu diesem Handeln hinzutreten, die erkennbar machen, daß er jede Rücksichtnahme auf die Interessen anderer außer acht läßt (BGHZ 20, 43, 50; 27, 172, 180). Davon kann hier keine Rede sein. Tarifverträge sind schon von vornherein nicht darauf angelegt, nur die Schädigung anderer zu bezwecken. Wohl liegt in ihrer Natur, daß sie Auswirkungen, auch solche ungünstiger Art, auf die Gesamtwirtschaftslage, insbesondere die Währungsentwicklung, haben können. Das nimmt die Rechtsordnung aber bewußt in Kauf, indem sie im Arbeitsbereich - wenngleich wohl weithin im Hinblick auf eine historische Entwicklung - einen von keiner Kartellaufsicht beschränkten Freiraum gewährt. Ob und inwieweit daraus erwachsenden Mißständen durch allgemeine Maßnahmen staatlicher Wirtschaftslenkung begegnet werden könnte und dürfte, ist hier nicht zu prüfen. Jedenfalls kann es dem Bürger, der aufgrund der Reflexe der Tarifabschlüsse, die übrigens die Tarifvertragsparteien ebenso berühren, mitunter zwar sehr empfindlich, aber nur mittelbar betroffen ist, nicht gestattet sein, diese Tarifautonomie durch Unterlassungs- und Ersatzansprüche einzuengen, mag sie ihrem Wesen nach auch gruppenegoistische Bestrebungen weithin legitimieren. Daß er das Opfer einer gezielten, dann allerdings den verfassungsmäßig gewährten Freiraum möglicherweise überschreitenden Maßnahme geworden sei, behauptet der Kläger nicht.
Dunz
Dr. Kullmann
Dr. Peetz
Dr. Ankermann