Bundesgerichtshof
Urt. v. 18.11.1977, Az.: V ZR 151/75
Pflanzung von zur Heckenbildung geeigneten Bäumen oder Sträuchern zum Zwecke der Heckenbildung; Einhaltung der Grenzabstände bei Pflanzung von Bäumen oder Sträuchern zur Heckenbildung; Anspruch des Nachbarn auf Beseitigung einer Hecke; Eine Pappelreihe als Hecke; Beginn der Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Beseitung einer Hecke
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 18.11.1977
- Aktenzeichen
- V ZR 151/75
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1977, 12884
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Düsseldorf - 23.06.1975
- LG Wuppertal
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- MDR 1978, 565 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
Opernsänger Wilfried B., U.-..., W.-C.
Prozessgegner
Landwirt Otto W., U., W.-C.
Amtlicher Leitsatz
Wer zur Heckenbildung geeignete Bäume oder Sträucher zum Zwecke der Heckenbildung und in einer Weise pflanzt, die die Einhaltung der durch §§ 42, 46 NachbGNW festgelegten Grenzabstände ermöglicht, braucht nicht die in § 41 vorgeschriebenen Grenzabstände einzuhalten.
Der Beseitigungsanspruch des Nachbarn (§§ 42, 50 NachbGNW, § 1004 BGB) entsteht in diesem Falle erst, sobald infolge des Heckenwachstums ein nachbarrechtswidriger Zustand eintritt. Die Ausschlußfrist des § 47 NachbGNW beginnt mit dem Eintritt dieses Zustands.
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. November 1977
durch
den Vorsitzenden Richter Hill
und die Richter Offterdinger, von der Mühlen, Linden und Dr. Vogt
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23. Juni 1975 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn in W.-C. Ende 1972 pflanzte der Beklagte entlang der Grenze 65 Pappeln.
Der Kläger verlangt die Beseitigung dieser Pappeln mit der Begründung, ihr Abstand von der Grenze betrage nur einen Meter, während § 41 Abs. 1 Nr. 1 a des Nordrhein-Westfälischen Nachbarrechtsgesetzes vom 15. April 1969 (GVBl NW S. 190) für Pappeln vier Meter Abstand vorschreibe.
Der Beklagte behauptet, er wolle aus den Pappeln eine Hecke ziehen. Er beruft sich auf § 42 des Nachbarrechtsgesetzes (NachbG NW), der für Hecken über zwei Meter Höhe nur einen Meter Abstand von der Grenze vorschreibe.
Das Landgericht hat der Beseitigungsklage (§ 50 NachbG, § 1004 BGB) stattgegeben. Die Berufung des Beklagten war erfolglos. Mit der Revision erstrebt er die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Die Revision ist im Berufungsurteil wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage zugelassen worden, ob auf eine erst im Entstehen begriffene Hecke § 42 NachbG NW entsprechend anzuwenden sei.
Entscheidungsgründe
Der Berufungsrichter unterstellt, daß der Beklagte beabsichtige, aus der Pappelreihe eine Hecke zu ziehen. Einem Sachverständigengutachten entnimmt er, daß die hier verwendete Pappelart, eine italienische Säulenpappel, als Heckenpflanze geeignet ist und daß die gesetzten Pflanzen bei regelmäßiger Zurückschneidung je nach dem gewählten seitlichen Pflanzabstand in zwei bis sechs Jahren zu einer Hecke zusammenwachsen werden.
Nach seiner Auffassung kann jedoch der für Hecken geltende § 42 NachbG NW auf eine Baumreihe nicht (entsprechend) angewendet werden, die sich erst nach einer Anzahl von Jahren möglicherweise (nämlich bei entsprechender Pflege) zu einer Hecke zusammenschließt. Der Berufungsrichter sieht das Bedenken ("insbesondere") darin, daß § 47 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes den Beseitigungsanspruch ausschließe, wenn der Nachbar nicht binnen sechs Jahren nach dem Anpflanzen auf Beseitigung geklagt habe. Allerdings werde im Schrifttum die Auffassung vertreten, daß die Ausschlußfrist, sofern der gesetzlich vorgeschriebene Abstand von der Höhe der Pflanzung abhängt, erst beginne, wenn der Abstand infolge des Höhenwachstums unterschritten werde (Schäfer, Nachbarrechtsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen 3. Aufl., § 47 Anm. 2; Zimmermann-Steinke, Kommentar zum nordrheinwestfälischen Nachbarrechtsgesetz § 42 Anm. 3, § 47 Anm. 4). Es sei aber zweifelhaft, ob die Gerichte, die nach Ablauf von sechs Jahren seit der Anpflanzung mit einer auf das Höhenwachstum gestützten Beseitigungsklage befaßt werden, sich eine Rechtsauffassung zu eigen machen würden, der der eindeutige Wortlaut des § 47 NachbG NW entgegenstehe. Mit dieser Unsicherheit dürfe der Nachbar nicht belastet werden.
Dem kann nicht beigetreten werden. § 42 NachbG NW gilt auch für eine Anpflanzung, die noch keine Hecke darstellt, weil die Seitentriebe der Einzelpflanzen sich noch nicht berühren oder verschränken. Der Heckenanleger ist daher nicht, wie der Berufungsrichter erwägt, gezwungen, die Einzelpflanzen zunächst so dicht zu setzen, daß ein heckenartiger seitlicher Schluß erzielt wird, um bei zunehmender Entwicklung der Seitentriebe die überschüssigen Pflanzen wieder herauszunehmen; es bedarf deshalb keiner Prüfung, ob dieses Verfahren bei allen zur Heckenbildung geeigneten Pflanzen zum Ziele führen könnte.
Entgegen seiner Annahme ergibt sich eine Beschränkung der Sonderregelung für Hecken auf Anpflanzungen, die bereits "als Hecke" gesetzt werden, insbesondere nicht daraus, daß nach dem Wortlaut des § 47 Abs. 1 Satz 1 NachbG NW der Beseitigungsanspruch des Nachbarn für Hecken wie für die anderen in den §§ 40-44 behandelten Pflanzungen sechs Jahre nach dem Anpflanzen erlischt. Diese Bestimmung gilt für eine Anpflanzung, die nach der Pflanzensorte und der Pflanzweise (Reihe, Abstand zwischen den Einzelpflanzen) zu einer Hecke gezogen werden kann, nur dann, wenn bereits im Zeitpunkt des Anpflanzens feststeht, daß sie nicht zur Hecke gezogen werden soll oder daß sie den für Hecken vorgeschriebenen Grenzabstand nicht einhält oder im Laufe ihrer Entwicklung nicht wird einhalten können. Dazu führt die folgende Überlegung:
Nach § 42 NachbG NW ist mit einer Hecke über zwei Meter Höhe (wie sie der Beklagte nach der Unterstellung des Berufungsrichters zu ziehen beabsichtigt) ein Grenzabstand von einem Meter, mit einer Hecke unter zwei Meter Höhe ein Abstand von einem halben Meter einzuhalten. Der Abstand ist nach § 46 Satz 2 des Gesetzes nicht von der Mitte der gesetzten Einzelpflanzen zu messen, sondern von der grenzzugewandten Seitenfläche der (künftigen) Hecke. Ob die Anpflanzung den vorgeschriebenen Abstand einhält, hängt daher nicht nur vom Grenzabstand der Einzelpflanzen bei der Setzung, sondern auch von der Höhen- und Breitenentwicklung der Anpflanzung ab. Diese Entwicklung wird innerhalb der biologisch bedingten Möglichkeiten durch die Beschneidung bestimmt. Pflegemängel können deshalb zu einem beliebigen Zeitpunkt nach Ablauf von sechs Jahren seit dem Anpflanzen zur Unterschreitung der gesetzlichen Grenzabstände führen. Es ist auszuschließen, daß der Nachbar die Beseitigung dieses rechtswidrigen Zustandes nicht mehr soll verlangen dürfen, weil er die sich zunächst im Rahmen des Gesetzes haltende Anpflanzung sechs Jahre lang geduldet hat. § 47 enthält keine Regelung für diesen regelungsbedürftigen Fall. Die Gesetzeslücke ist vom Richter im Einklang mit den erkennbaren Absichten der getroffenen Regelung zu schließen. Die Vorschrift ergibt, daß die Hinnahme einer dem Gesetz nicht entsprechenden Grenzannäherung über einen Zeitraum von sechs Jahren zum Ausschluß des Beseitigungsanspruchs führen soll. Der Anspruch auf Beseitigung einer Hecke entsteht (jeweils neu) mit dem Eintritt des gesetzwidrigen Zustandes; er ist ausgeschlossen, wenn der Nachbar nicht binnen sechs Jahren nach Unterschreitung des vorgeschriebenen Grenzabstandes durch die grenzzugewandte Seitenfläche Klage erhoben hat.
Gleiches gilt für eine Anpflanzung, die nach Pflanzensorte und Pflanzweise bei entsprechender Pflege zu einer Hecke gezogen werden kann, welche den gesetzlichen Abstand von der Grenze einhält, und die nicht feststellbar zu einem anderen Zwecke angelegt wird. Das Gesetz bietet keine Handhabe, in § 41 bezeichnete Bäume und Sträucher von der Verwendung als Heckenpflanzen auszuschließen, soweit sie zur Heckenbildung geeignet sind. Es fehlt aber auch ein sachlicher Grund dafür, weil selbst die Pflanzung einer "fertigen" Hecke aus "typischen" Heckenpflanzen die dauernde Einhaltung der vorgeschriebenen Grenzabstände nicht gewährleistet und dem Nachbarn nicht ermöglicht, seine Abwehrrechte bereits innerhalb der ersten sechs Jahre nach dem Anpflanzen zu wahren. Da das Gesetz anders als bei der Verwendung von Bäumen und Sträuchern als Solitär- oder bestandsbildenden Pflanzen den Grenzabstand nicht von der erfahrungsgemäßen Entwicklung der Pflanzenart abhängig macht (§ 41), sondern von der menschlichen Beeinflussung dieser Entwicklung durch Beschneidung (§ 42), kann sich der Nachbar nur durch ständige Beobachtung der Heckenentwicklung gegen die Herausbildung eines gesetzwidrigen Zustandes schützen.
Von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig hat der Berufungsrichter nicht festgestellt, daß der Beklagte aus der gesetzten Pappelreihe eine Hecke zu ziehen beabsichtigt. Er hat folgerichtig auch nicht geprüft, ob der vom Kläger behauptete Setzungsabstand von einem Meter von der Grenze es ermöglicht, mit der grenzzugewandten Fläche der künftigen Hecke den vorgeschriebenen Abstand zu halten (§ 46 Satz 2 NachbG NW). Das erscheint fraglich, wenn der Beklagte die Hecke über zwei Meter hoch zu ziehen beabsichtigt. Es wird unter diesen Gesichtspunkten zu prüfen sein, ob der Klageanspruch begründet ist, weil bereits jetzt festgestellt werden kann, daß dem Beklagten die geringeren Grenzabstände des § 42 NachbG NW nicht zugutekommen.
Offterdinger
von der Mühlen
Linden
Vogt