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Bundesgerichtshof
Urt. v. 16.03.1977, Az.: IV ZR 182/75

Gewährung eines lebenslänglichen Wohnrechts; Anspruch auf Schadensersatz; Verfügung über einen Erbschaftsgegenstand

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
16.03.1977
Aktenzeichen
IV ZR 182/75
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1977, 12942
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Stuttgart - 08.07.1975

Fundstellen

  • DB 1977, 2372-2373 (Volltext mit amtl. LS)
  • DNotZ 1977, 745-747
  • JZ 1977, 649-650
  • MDR 1977, 824-825 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1977, 1631-1632 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1977, 2075 (amtl. Leitsatz)

Prozessführer

Frau Eleonore Z., W., J.

Prozessgegner

Frau Else Zw., H., U.straße ...

Amtlicher Leitsatz

  1. a)

    Erwirbt ein Vorerbe aus eigenen Mitteln ein Grundstück und errichtet er auf diesem aus Nachlaßmitteln ein Haus, dann gehört das Hausgrundstück zu dem Teil zum Nachlaß, der dem Wertanteil des Hauses entspricht.

  2. b)

    Veräußert der Vorerbe alsdann das Hausgrundstück unter dem Verkehrswert, dann ist die Veräußerung unter den Voraussetzungen des § 2113 Abs. 2 BGB unwirksam. Eine Beeinträchtigung der Rechte des Nacherben liegt jedoch, wenn der Vorerbe von der Verpflichtung des § 2134 BGB befreit ist, in dem Umfang nicht vor, in dem der Vorerbe die Gegenleistung (Kaufpreis, Leibrente) für sich verwendet.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 1977
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Grell und
die Richter Dr. Buchholz, Knüfer, Rottmüller und Dehner
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 8. Juli 1975 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist die Tochter der Beklagten. Beide sind Erben der am 3. Oktober 1956 verstorbenen Mutter der Beklagten (Erblasserin). Die Erblasserin hatte durch Testament vom 5. Juli 1954 die Parteien als Erben zu gleichen Teilen eingesetzt, für den Erbteil der Beklagten jedoch Nacherbfolge angeordnet: für diesen Erbteil hatte sie die Beklagte als befreite Vorerbin und die Klägerin als Nacherbin eingesetzt.

2

Die Beklagte erwarb mit eigenen Mitteln ein Grundstück in H., U.satraße ..., und ließ hierauf in den Jahren 1958/1959 mit Mitteln des Nachlasses in Höhe von mindestens 110.000 DM ein Haus errichten. Dieses Grundstück verkaufte sie mit notariellem Vertrag vom 12. September 1972 gegen eine ab 1. Oktober 1972 zu zahlende Leibrente von monatlich 1.050 DM und Gewährung eines lebenslänglichen Wohnrechts.

3

Wegen des nicht zur Vorerbschaft gehörenden Teils des Nachlasses hat zwischen den Parteien ein Rechtsstreit geschwebt, der durch einen am 8. Februar 1973 gerichtlich geschlossenen Vergleich beendet worden ist. In diesem Vergleich hat sich die Beklagte zur Zahlung von 35.000 DM an die Klägerin verpflichtet. Weiter heißt es in dem Vergleich:

"Es wird festgestellt, daß dieser Vergleich alte Erbansprüche betrifft.

Damit sind alle gegenseitigen Erbauseinandersetzungsansprüche aus dem Nachlaß der am 3. Oktober 1956 in H. verstorbenen Marie Henriette Zw. zwischen den Parteien erledigt.

Die im Testament vom 5. Juli 1954 von der Erblasserin Marie Henriette Zw. angeordnete Erbeinsetzung (befreite Vorerbschaft und Nacherbschaft der Klägerin) bleibt davon unberührt."

4

Im vorliegenden Rechtsstreit verfolgt die Klägerin ihr als Nacherbin ihrer Großmutter zustehende Rechte. Sie ist der Ansicht, zur Nacherbschaft gehöre ein Ersatzanspruch aus § 951 BGB, der daraus herrühre, daß die Beklagte mit Mitteln der Nacherbschaft das Haus auf dem Grundstück in H. errichtet habe. Durch die Veräußerung des Grundstücks habe sich die Beklagte nach § 2138 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig gemacht. Die Beklagte habe es von Anfang an darauf angelegt, die Klägerin zu benachteiligen, und das Grundstück gegen eine viel zu niedrig bemessene Leibrente veräußert; das Grundstück habe einen Verkehrswert von 200.000 DM besessen, während der Kapitalwert der Leibrente nur 94.500 DM betrage. Die Veräußerung des Hausgrundstücks stelle daher zumindest teilweise eine unentgeltliche Verfügung dar. Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß ihr gegen das freie Vermögen der Beklagten beim Eintritt des Nacherbfalls ein Ersatzanspruch zustehe im Hinblick auf die mit Mitteln der Nacherbschaft bewirkte Errichtung des Gebäudes und die von der Beklagten vorgenommene Veräußerung des Grundstücks.

5

Die Beklagte ist der Ansicht, der Anspruch der Klägerin sei zufolge der Vergleichsregelung vom 8. Februar 1973 erloschen. Außerdem fehle der Klage das Feststellungsinteresse; wenn der Standpunkt der Klägerin richtig sei, könne sie eine aufschiebend bedingte Leistungsklage erheben. Der Anspruch sei aber auch nicht begründet. Die Veräußerung des Grundstücks sei weder unentgeltlich noch in Benachteiligungsabsicht erfolgt.

6

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen.

7

Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgeriehtliehen Urteils.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision mußte Erfolg haben.

9

Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch nach § 2138 Abs. 2 BGB nicht zu. Weder habe die Beklagte über einen Erbschaftsgegenstand unentgeltlich verfügt noch könne festgestellt werden, daß sie die Erbschaft in der Absicht gemindert habe, die Klägerin zu benachteiligen.

10

Zur Frage der unentgeltlichen Verfügung hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Beklagte habe allerdings über einen Erbschaftsgegenstand verfügt, als sie dem Nachlaß einen Betrag von 110.000 DM oder 115.000 DM entnommen habe, um das von ihr am 17. März 1958 mit eigenen Mitteln erworbene Grundstück zu bebauen. Diese Verfügung sei jedoch nicht nach § 2113 Abs. 2 BGB unwirksam, weil sie nicht unentgeltlich erfolgt sei. Die Beklagte habe mit diesem Geld den Bau ihres Hauses finanziert. Nichts deute darauf hin, daß den von der Beklagten zu diesem Zweck verwendeten Nachlaßmitteln keine gleichwertige Bauleistung gegenübergestanden habe. Habe aber die Beklagte beim Hausbau entgeltlich über einen Erbschaftsgegenstand verfügt und bei der Veräußerung des Grundstücks "keine derartige Verfügung" getroffen, so vermöge die Klägerin ihren Anspruch nicht auf § 2138 Abs. 2 BGB erste Alternative zu stützen.

11

Diese Ausführungen sind rechtlich nicht haltbar. Sie lassen die Surrogationsvorschrift des § 2111 BGB außer acht. Nach dieser Vorschrift gehört zur Erbschaft, was der Vorerbe durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erworben hat. Hat die Beklagte, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, den Hausbau aus Nachlaßmitteln finanziert, so hat sie das Haus durch Rechtsgeschäfte, wahrscheinlich durch Werkverträge, mit Mitteln der Erbschaft erworben. Der Eigentumserwerb ist durch Verbindung mit dem von ihr vorher erworbenen Grundstück eingetreten (§ 946 BGB). Allerdings kann das Haus wegen dieser Verbindung nicht Gegenstand besonderer Rechte sein (§§ 93, 94 BGB). Doch steht das der Anwendung des §;2111 BGB nicht entgegen. Es ist anerkannt, daß § 2111 BGB auch dann eingreift, wenn ein Erwerb nur teilweise mit Mitteln der Erbschaft gemacht worden ist. Dann gehört der erworbene Gegenstand zu dem entsprechenden Teil zur Erbschaft (RGZ 89, 53, 60; 90, 91, 97; Planck/Flad BGB 4. Aufl. § 2111 Anm. 2 a S. 456; BGB-RGRK 12. Aufl. § 2111 Rz. 8; Palandt/Keidel BGB 35. Aufl. § 2111 Anm. 2 b). Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Vorerbe von vornherein ein Hausgrundstück zum Teil mit eigenen und zum Teil mit Nachlaßmitteln erwirbt. Der hier in Rede stehende Erwerbsvorgang, bei dem der Vorerbe zunächst mit eigenen Mitteln ein unbebautes Grundstück erworben und dann mit Nachlaßmitteln auf diesem ein Haus errichtet hat, kann nicht anders behandelt werden. Das hat zur Folge, daß das Grundstück zu dem Teil zur Vorerbschaft zu rechnen ist, der dem Wert des Hauses entspricht. Es bedarf daher keines Eingehens auf die Ansicht der Revision, die Beklagte habe mit einem "Trick" die Surrogationsvorschrift umgangen, so daß die Errichtung des Hauses als ein unentgeltliches Geschäft im Sinne des § 2113 Abs. 2 BGB angesehen werden müsse.

12

Gehört aber der mit Nachlaßmitteln erworbene Teil des Hausgrundstücks zur Erbschaft, dann ist ein Schadensersatzanspruch des Nacherben gegen den Vorerben nach § 2138 Abs. 2 BGB gegeben, sofern die Beklagte mit der Veräußerung des Grundstücks am 12. September 1972 entgegen der Vorschrift des § 2113 Abs. 2 BGBüber den zur Vorerbschaft gehörenden Teil des Grundstücks verfügt hat. Es kommt also darauf an, ob die Veräußerung des Grundstücks entgeltlich oder (teilweise) unentgeltlich erfolgte und ob sie im Falle des Eintritts der Nacherbfolge das Recht des Nacherben beeinträchtigen würde. Dabei ist die Veräußerung nicht schon deshalb als unentgeltlich anzusehen, weil die in der Leibrente bestehende Gegenleistung der Beklagten persönlich zugute kommt. Denn die Beklagte ist befreite Vorerbin und als solche befugt, Erbschaftsgegenstände, mithin auch die aus der Veräußerung eines Erbschaftsgegenstandes erhaltene Gegenleistung, für sich zu verwenden (§§ 2134, 2136 BGB). Der befreite Vorerbe darf daher ein Grundstück veräußern, wenn er sich als Gegenleistung eine gleichwertige Leibrente gewähren läßt (BGH LM BGB § 2136 Nr. 2). Deshalb beeinträchtigt die Grundstücksveräußerung im Umfang des Wertes der Leibrente auch dann nicht die Rechte des Nacherben, wenn die Leibrente keine gleichwertige Gegenleistung darstellen sollte und die Veräußerung deshalb, wie in BGHZ 5, 173, 182 ausgesprochen ist, einer unentgeltlichen gleichzusetzen ist (vgl. BGB-RGRK 12. Aufl. § 2113 Rn. 33 sowie auch BGHZ 7, 274, 279). Sollte die Beklagte die Leibrente bis zum Eintritt des Nacherbfalls zu einem höheren Betrage als dem Kapitalwert der Leibrente bezogen haben, so wird auch zu diesem höheren Betrag eine Beeinträchtigung der Rechte der Klägerin zu verneinen sein. Denn die Beklagte ist in der Verwendung der Nachlaßmittel nicht durch den Kapitalwert der Leibrente begrenzt. Aus diesem Grunde ist eine Leistungsklage zur Zeit nicht möglich. In solchem Falle wird jedoch die Erhebung einer Feststellungsklage gegen den Vorerben schon vor Eintritt des Nacherbfalles für zulässig gehalten (BGB-RGRK 12. Aufl. § 2113 Rn. 14 und § 2138 Rn. 6; Palandt/Keidel BGB 36. Aufl. § 2138 Anm, 2).

13

Demgemäß wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des § 2113 Abs. 2 Satz 1 BGB vorliegen, insbesondere, ob die Leibrente eine gleichwertige Gegenleistung darstellte, sofern der Einwand der Beklagten unbegründet ist, daß die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche durch den im Vorprozeß am 8. Februar 1973 geschlossenen Vergleich erledigt seien, ein Einwand, dessen Prüfung das Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus offen lassen konnte. Bei der Feststellung der Entgeltlichkeit oder der teilweisen Unentgeltlichkeit, die sich nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses richtet, wird, wenn nicht in dem Vertrag etwas anderes vereinbart worden ist, die Gegenleistung auf das gesamte Grundstück zu beziehen sein und nicht nur auf den Grundstücksanteil, der zur Vorerbschaft zu rechnen ist.

14

Im übrigen wird der Klageantrag richtig zu stellen sein. Da ein Anspruch nach § 2138 Abs. 2 BGB erst vom Nacherbfall ab geltend gemacht werden kann, kann sich der künftige Anspruch, wenn der Nacherbfall mit dem Ableben der Beklagten eintritt, nicht gegen die Beklagte richten. Außerdem kann der Anspruch nicht, wie es nach dem bisherigen Klageantrag geschieht, alternativ auf die Errichtung des Hauses oder die Veräußerung des Grundstücks gegründet werden, sondern nur auf die in der Veräußerung des Grundstücks liegende Verfügung über den zur Vorerbschaft gehörenden Grundstücksteil.

Dr. Grell
Dr. Buchholz
Knüfer
Rottmüller
Dehner