Bundesgerichtshof
Urt. v. 09.12.1976, Az.: VII ZR 68/75
Anspruch auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde; Erlöschen der von den Bürgschaften gesicherten Ansprüche; Inanspruchnahme der Bürgen vor Ablauf des Bürgschaftszeitraumes; Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand; Unverschuldete Versäumung der Revisionsfrist
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 09.12.1976
- Aktenzeichen
- VII ZR 68/75
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1976, 12977
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Frankfurt am Main - 19.12.1974
Rechtsgrundlagen
Prozessführer
Firma A. Gesellschaft mit beschränkter Haftung & Co Kommanditgesellschaft, Allgemeine Kooperations-Baugesellschaft
vertreten durch die persönlich haftende Gesellschafterin, Firma A. Verwaltungsgesellschaft mit beschränkter Haftung
diese vertreten durch deren Geschäftsführer, den Architekten Werner B., F., U. Straße ...
Prozessgegner
1. Ingenieur Franz P.
2. Ehefrau Karoline P. geb. Ur.
beide F., E. Anlage ...
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 1976
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Vogt sowie
die Richter Dr. Recken, Doerry, Bliesener und Obenhaus
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Frankfurt/Main vom 19. Dezember 1974 wird zurückgewiesen.
Die Anschlußrevision der Beklagten wird als unzulässig verworfen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens haben die Klägerin 3/16, die Beklagten 13/16 zu tragen.
Tatbestand
Durch Vertrag vom 24. Februar 1971 übernahm es die Klägerin, für die Beklagten zum Pauschalpreis von 11.700.000 DM in Frankfurt am Main ein fünfgeschossiges Gebäude nebst Tiefgarage bis zum 30. September 1972 und ein vierzehngeschossiges Hochhaus bis zum 30. November 1972 schlüsselfertig zu errichten. Nach § 6 des Vertrages hatte die Klägerin den Beklagten eine "Fertigstellungsgarantie" von 1.170.000 DM zu stellen. Das geschah durch zwei Bankbürgschaften der Stadtsparkasse Frankfurt und der F. V. bank von je 585.000 DM. Hierüber stellten die beiden Kreditinstitute eine gemeinsame Bürgschaftsurkunde vom 28. April 1971 aus. Die Beklagten durften auch "5 % Sicherheit auf 2 Jahre = 585.000 DM" als "Gewährleistungssicherheit" einbehalten (§ 10 Abs. 1 des Vertrags in Verbindung mit S. 3 des Zahlungsplans vom 5. März 1971).
Die Bauausführung verzögerte sich. Erst am 15. August 1973 kam es zur Abnahme. Mit Schreiben vom 14. August 1973 teilten die Beklagten den Bürgen mit, daß sie sie aus den Bürgschaften in Anspruch nehmen.
Wegen der Verzögerung berühmen sich die Beklagten gegenüber der Klägerin u.a. eines Anspruchs auf Ersatz von Mietausfall in Höhe von 1.011.590 DM und eines Anspruchs auf Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 256.828,09 DM, die sie nach ihrer Behauptung zur Fertigstellung der Gebäude an andere Handwerker gezahlt haben.
Die Klägerin hat geklagt auf Feststellung, daß den Beklagten die genannten Ansprüche nicht zustehen, sowie auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde. Das Landgericht hat der Klage voll stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht durch Teilurteil es bei der vom Landgericht getroffenen Feststellung wegen der 1.011.590 DM belassen, die Herausgabeklage abgewiesen und sich die Entscheidung über die 256.828,09 DM für das Schlußurteil vorbehalten.
Die Klägerin hat Revision, die Beklagten haben Anschlußrevision eingelegt. Die Klägerin bekämpft die teilweise Abweisung der Klage, die Beklagten wehren sich gegen die Feststellung des Nichtbestehens ihres Anspruchs von 1.011.590 DM. Die Parteien beantragen jeweils,
die gegnerische Revision zurückzuweisen.
Durch Beschluß vom 21. Oktober 1976, auf den Bezug genommen wird, hat der Senat den Beklagten die Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Anschlußrevision versagt.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Revision der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Die Beklagten brauchen die Bürgschaftsurkunde derzeit nicht herauszugeben.
1.
§ 6 des Bauvertrages der Parteien vom 24. Februar 1971 lautet:
"§ 6. Fertigstellungsgarantie
Der Unternehmer stellt den Bauherren eine Fertigstellungsgarantie zur Verfügung, deren Höhe im Zahlungsplan festgesetzt ist. Diese Garantie erstreckt sich neben der Haftung für ordnungsgemäße und zeitgerechte Erstellung der Bauten auf alle Schäden, die den Bauherren als Folge eines Fehlverhaltens, Terminüberschreitung, aufgetretenen Baumangels (auch unbeabsichtigte), sowie Einstellung der Arbeit treffen.
Sie kann auch in Anspruch genommen werden bei Einstellung der Arbeiten durch den Unternehmer oder dessen Subunternehmer ohne wichtigen Grund, wenn dieser nicht im Verschulden der Bauherren liegt. Der Bauherr ist in solchen Fällen berechtigt, die Arbeiten nach wiederholter fruchtloser schriftlicher Anmahnung durch einen anderen Unternehmer fortsetzen zu lassen, zu Lasten der Fertigstellungsgarantie.
Die Fertigstellungsgarantie bleibt bis zum Wirksamwerden des Gewährleistungseinbehaltes bestehen, d.h. sie wird nicht durch den Baufortschritt abgenutzt."
In der "Bürgschaftsverpflichtung" der beiden Kreditinstitute vom 29. April 1971 heißt es am Schluß:
"Die Verpflichtungen der unterzeichneten Kreditinstitute aus dieser Bürgschaft erlöschen mit Rückgabe des Originals dieser Urkunde, spätestens mit dem Tage der Bauübergabe, sofern die Kreditinstitute bis dahin nicht aus der Bürgschaft in Anspruch genommen worden sind."
2.
a)
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagten könnten die Herausgabe der Bürgschaftsurkunde verweigern, solange nicht feststehe, daß sämtliche von den Bürgschaften gesicherten Ansprüche erloschen seien.
Diese tatrichterliche Auslegung und Wertung des von den Parteien geschlossenen Individualvertrages ist rechtsfehlerfrei. Die den Beklagten mit den Bürgschaften vermittelten Sicherheiten wären nicht von Wert, wenn sie nur unstreitige Forderungen abdecken würden. Die Revision bringt dagegen auch nichts vor.
b)
Als noch von den Bürgschaften gesichert erachtet das Berufungsgericht u.a. den Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 256.828,09 DM, die die Beklagten zur Fertigstellung der Gebäude als Werklohn an andere Handwerker gezahlt haben wollen.
Die Revision meint dagegen, die "Fertigstellungsgarantie" betreffe keine Gewährleistungsansprüche und sei deswegen mit der Abnahme durch die "Gewährleistungsgarantie" ersetzt worden. Der Anspruch auf Erstattung der 256.828,09 DM habe sich mit der Abnahme in einen Gewährleistungsanspruch umgewandelt.
Dem kann nicht gefolgt werden:
In § 6 Abs. 2 des Bauvertrages haben die Parteien ausdrücklich geregelt, daß die Beklagten unter bestimmten Voraussetzungen zu Lasten der Fertigstellungsgarantie die Arbeiten durch andere Unternehmer fortsetzen lassen dürfen. Wenn das Berufungsgericht aus dieser Vertragsbestimmung in rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Wertung folgert, Ersatzansprüche aus der im Rahmen dieser Bestimmung erfolgten Beauftragung anderer Handwerker würden von der Fertigstellungsgarantie abgedeckt und von der späteren Abnahme nicht berührt, so ist gegen diese zumindest mögliche Auslegung mit der Revision nicht anzukommen.
c)
Unstreitig haben die Beklagten u.a. wegen dieses Ersatzanspruches beide Bürgen mit zwei gleichlautenden Schreiben vom 14. August 1973 in Anspruch genommen.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Beklagten auf diese Weise die Bürgschaftsverpflichtungen über den Tag der Bauübergabe hinaus aufrecht erhalten haben.
Die Revision meint, unter Hinweis auf § 777 Abs. 1 BGB, die Inanspruchnahme der Bürginnen sei vor Ablauf des Bürgschaftszeitraumes erfolgt, und nur durch eine Inanspruchnahme nach Ablauf dieses Zeitraums hätten die Bürgschaftsverpflichtungen aufrechterhalten werden können. Das geht fehl.
Nach der Bürgschaftsurkunde ist die Inanspruchnahme der Bürginnen bis spätestens zum Tage der Bauübergabe (15. August 1973) zu erklären, um das Erlöschen der Bürgschaftsverpflichtungen zu verhindern. Das ist durch die Schreiben der Beklagten vom 14. August 1973 geschehen. § 777 Abs. 1 BGB ist hier überhaupt nicht anwendbar, weil durch den Bürgschaftsvertrag insoweit abbedungen.
d)
Bisher ist ungeklärt, ob die Beklagten gegen die Klägerin Anspruch auf Erstattung der von ihnen angeblich an andere Handwerker für die endgültige Fertigstellung der Gebäude gezahlten Werklöhne von 256.828,09 DM haben. Ein solcher Erstattungsanspruch kann vorerst nicht verneint werden. Über das negative Feststellungsbegehren der Klägerin ist in diesem Rechtsstreit insoweit noch nicht befunden, das Berufungsgericht hat die Entscheidung darüber seinem Schlußurteil vorbehalten. Entgegen der Auffassung der Revision ist auch bislang keineswegs sicher, daß dieser Anspruch inzwischen etwa im Wege der Verrechnung erloschen ist. Allerdings verteidigen sich die Beklagten im Parallelverfahren 2/22 O 426/73 LG Frankfurt/Main, in dem die Klägerin sie auf Restwerklohn, Lohnmehrungen und Vergütung für Nachtragsaufträge im Umfange von insgesamt knapp 1.900.000 DM zuzüglich Zinsen in Anspruch nimmt, u.a. damit, daß sie mit dem hier in Rede stehenden Ersatzanspruch aufgerechnet haben. Gleichwohl steht damit noch nicht fest, daß dieser Anspruch erloschen ist. Die Klägerin bestreitet ihn. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Restwerklohnansprüche der Klägerin im Parallelverfahren bleibt auch ungeklärt, ob die Aufrechnungserklärung nicht schon deshalb ins Leere geht, weil Restwerklohnansprüche der Klägerin aus anderen Gründen nicht oder nur in so geringer Höhe bestehen, daß für eine Aufrechnung der Beklagten mit diesem Anspruch kein Raum mehr bleibt. Die Beklagten könnten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Restwerklohn unter Umständen auch wegen sich als unbehebbar erweisender Werkmängel Minderung des Werklohns verlangen mit der Folge, daß der verbleibende Restwerklohn nicht oder teilweise nicht mehr den zur Aufrechnung gestellten Erstattungsanspruch abdecken würde. Angesichts der Vielzahl der in jenem Verfahren eingewandten Baumängel muß mit dieser Möglichkeit gerechnet werden.
e)
Nach alledem brauchen die Beklagten die Bürgschaftsurkunde derzeit nicht herauszugeben. Ob die Bürgschaften noch weitere Forderungen der Beklagten absichern, wie das Berufungsgericht meint, kann daher dahinstehen.
II.
Die Anschlußrevision der Beklagten ist unzulässig. Das hat der Senat bereits in seinem Beschluß vom 21. Oktober 1976 dargelegt. Darauf wird Bezug genommen.
In der Revisionsverhandlung haben die Beklagten in diesem Zusammenhang noch gemeint, ihren Berufungsanwalt treffe deswegen kein Verschulden an der Fristversäumnis, weil das Gericht es unterlassen habe, ihn rechtzeitig vor Fristablauf darauf hinzuweisen, daß er das Berufungsurteil bereits am 17. Februar 1975 zugestellt hatte. Dieser Umstand vermag aber das die Wiedereinsetzung ausschließende Verschulden des Berufungsanwalts der Beklagten (§§ 233, 232 ZPO) nicht auszuräumen.
1.
Als dem Vorsitzenden am 23. Juni 1975 die - zunächst als selbständige gewollte - Revision der Beklagten vom 16. Juni 1975 erstmals vorlag, hatte er nicht mehr in Erinnerung, daß die Klägerin ihm im Zusammenhang mit ihrer Revisionseinlegung am 18. März 1975 nachgewiesen hatte, daß das Urteil am 17. Februar 1975 zugestellt worden war. Dasselbe gilt für den 7. Juli 1975, 10. Dezember 1975 und 23. Januar 1976, als der Vorsitzende den Anträgen der Beklagten auf Verlängerung der Begründungsfrist ihrer Revision stattgab, die auch damals von allen Beteiligten noch als selbständige Revision angesehen wurde. Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, daß der Vorsitzende "sehenden Auges", wie es auf S. 7 der Verfassungsbeschwerde der Kläger vom 30. November 1976 heißt, zugewartet hätte, bis sie durch Zeitablauf die Möglichkeit einer Umdeutung ihres Rechtsmittels in eine unselbständige Anschlußrevision verloren hatten.
2.
Der Vorsitzende hatte zu den vorgenannten Zeitpunkten auch keine Veranlassung, in den Akten nachzuforschen, ob sich aus ihnen ergab, daß die Angabe der Beklagten in ihrer Revisionsschrift über die "Nichtzustellung" des Berufungsurteils etwa falsch sei. Mit einer Fallgestaltung, wie sie hier vorliegt, brauchte er nicht zu rechnen.
3.
Als dem Berichterstatter erstmals am 27. September 1976 die Sache in die Hand kam, war es zu spät.
4.
Im übrigen könnte den Klägern ein etwaiges Versehen des Gerichts gar nichts helfen. Denn dadurch wäre das Verschulden des Berufungsanwalts der Kläger, wie es im Beschluß des Senats vom 21. Oktober 1976 dargestellt ist, keineswegs "geheilt", wie die Beklagten irrig meinen. Das Verschulden ihres Berufungsanwalts würde auch dann mitursächlich für den Fristablauf geblieben sein. Die gewährten Fristverlängerungen rechtfertigen auch nicht ein Vertrauen der Kläger darauf, ihre Revision werde bei Einhaltung der verlängerten Begründungsfrist jedenfalls zulässig sein. Häufig müssen - gerade im Interesse des Revisionsklägers - Revisionsbegründungsfristen verlängert werden, bevor die Urteilszustellung nachgewiesen ist. In solchen Fällen stellt sich unter Umständen erst nach Fristverlängerung heraus, daß die Revision unzulässig ist, weil die Revisionsfrist nicht gewahrt ist.
III.
Somit bleiben beide Revisionen erfolglos.
Recken
Doerry
Bliesener
Obenhaus