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Bundesgerichtshof
Urt. v. 26.10.1976, Az.: 1 StR 404/76

Vorliegen bewußter Fahrlässigkeit und bedingten Vorsatzes

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
26.10.1976
Aktenzeichen
1 StR 404/76
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1976, 12503
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Kempten - 01.04.1976

Verfahrensgegenstand

Versuchter Mord u.a.

Prozessführer

Hilfsarbeiter Francesco P. aus K., geboren am ... 1927 in St. (I.), zur Zeit in Haft

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 26. Oktober 1976,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Pfeiffer,
die Richter am Bundesgerichtshof Loesdau, Dr. Mösl, Pikart, Kuhn als beisitzende Richter,
Erster Staatsanwalt ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Kempten (Allgäu) vom 1. April 1976 mit den Feststellungen aufgehoben,

    1. 1.

      soweit der Angeklagte wegen eines versuchten Verbrechens des Mordes in Tateinheit mit einem versuchten Verbrechen der schweren Brandstiftung verurteilt worden ist,

    2. 2.

      im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

  2. II.

    In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  3. III.

    Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter schwerer Brandstiftung sowie wegen eines tateinheitlichen mit Fahren ohne Fahrerlaubnis begangenen Vergehens der Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren, 6 Monaten und 10 Tagen verurteilt.

2

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde im wesentlichen Erfolg.

3

Dem Beschwerdeführer ist darin zu folgen, daß die Verurteilung wegen versuchten Mordes von den Feststellungen nicht getragen wird.

4

Nach dem Urteil versuchte der Angeklagte an der Tür zur Wohnung seiner ehemaligen Freundin G. einen Brand zu legen, um die Wohnung zu ruinieren (UA S. 8, 27). Motiv der Tat war Enttäuschung und Verbitterung darüber, daß Frau G. ihn verlassen hatte (UA S. 16, 27). Bei der Tatausführung wußte der Angeklagte, daß Frau G. sich zu diesem Zeitpunkt nicht in der Wohnung befand (UA S. 25). Unter diesen Umständen hätte die Annahme des Schwurgerichts, der Angeklagte habe immerhin damit gerechnet, daß sich bei der Brandlegung andere Menschen in der Wohnung befanden, und er habe den Tod solcher Personen billigend in Kauf genommen (UA S. 26, 28), einer näheren Begründung bedurft, als sie das Urteil enthält.

5

Da der Angeklagte nicht einmal den Tod von Frau G. wollte, hatte er um so weniger Grund, die Tötung anderer - unbeteiligter - Menschen in seinen Willen aufzunehmen. Daher hätte der Tatrichter, wenn er von der Vorstellung des Angeklagten ausging, daß durch die Brandlegung fremde Personen zu Schaden kommen konnten, zunächst die Frage des Vorliegens bewußter Fahrlässigkeit prüfen müssen; ein solches Verschulden liegt vor, wenn der Täter zwar die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkennt, mit ihr aber nicht einverstanden ist (BGHSt 7, 363, 369; BGH NJW 1968, 660, 661; Dreher, StGB 36. Aufl. § 15 Rdn. 9, 13). Ob die in dieser Richtung hier besonders naheliegenden Erörterungen angestellt worden sind, läßt das Urteil nicht ersehen. Bereits darin liegt ein sachlich-rechtlicher Mangel (vgl. BGHSt 12, 311, 316; BGH NJW 1974, 2295).

6

Es tritt hinzu, daß die Erwägungen, mit denen das Schwurgericht die Annahme des bedingten Tötungsvorsatzes zu begründen sucht, auch in sich lückenhaft sind. Beim bedingten Vorsatz bedarf der Billigungsakt besonders sorgfältiger Prüfung (BGH, Urteile vom 4. März 1952 - 1 StR 625/51 - und vom 11. Juli 1972 - 1 StR 186/72). Das muß vor allem dann gelten, wenn es sich, wie hier, um einen Täter handelt, der eine durch intellektuelle Minderbegabung gekennzeichnete einfache Persönlichkeitsstruktur aufweist (UA S. 29), dessen Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit erheblich vermindert war (UA S. 36) und der sich bei Ausführung der in einer ganz anderen Zielrichtung angelegten und ausgeführten Tat (UA S. 8, 16, 17) in einer einmaligen Ausnahmesituation befand (UA S. 37). Unter solchen Umständen kann die Billigung des als möglich vorgestellten Tötungserfolges nicht schon daraus abgeleitet werden, daß auch ein geistig primitiver Mensch im Alter des Angeklagten weiß, welche Gefahren sich aus einem zur Nachtzeit in einem Wohnhaus gelegten Brand für die Bewohner zumal dann ergeben können, wenn eine leicht brennbare Flüssigkeit an einer Stelle ausgeschüttet und angezündet wird, die für die Betroffenen den einzigen Fluchtweg darstellt (UA S. 29). Vielmehr wäre zu untersuchen gewesen, ob gerade der Angeklagte in seiner besonderen Situation die Brandlegung als so gefährlich ansehen mußte und angesehen hat, daß er auf die Rettung der durch sie bedrohten Wohnungsinsassen, selbst wenn er sie wünschte, doch nicht vertrauen konnte, und ob er auf Grund solcher Vorstellungen dennoch an seinem Tatvorsatz festgehalten hat (vgl. BGHSt 7, 363; BGH, Urteil vom 14. September 1971 - 1 StR 280/71). Derartige Erörterungen waren hier um so mehr erforderlich, als die Feststellungen keine Hinweise auf eine überdurchschnittliche Gefährlichkeit des - von den Eheleuten M. schnell gelöschten - Brandes ergeben. Der Umstand, daß der in Brand gesetzte Teppichboden aus "schwer brennbarem Material" bestand (UA S. 28), und das geringe Ausmaß der an der Wohnungstür angerichteten Schäden (UA S. 9) sprechen eher dagegen.

7

Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes leidet im übrigen daran, daß das zu seiner Rechtfertigung herangezogene Merkmal des Handelns aus niedrigen Beweggründen im festgestellten Sachverhalt keine Stütze findet. Weder ist dargelegt, daß der Angeklagte sich im Zeitpunkt der Tat des Mißverhältnisses zwischen Tatanlaß und möglichem Taterfolg bewußt war, noch wird erörtert, ob der Angeklagte, soweit er aus Enttäuschung und Verbitterung handelte, in der Lage war, diese gefühlsmäßigen Regungen gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 1976 - 1 StR 143/76 - und vom 24. August 1976 - - 1 StR 380/76).

8

Nach alledem unterliegt das Urteil insoweit, als der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter schwerer Brandstiftung verurteilt worden ist, der Aufhebung und Zurückverweisung. Damit ist zugleich dem Ausspruch der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage entzogen.

9

Die weitergehende Revision ist zu verwerfen.

Pfeiffer
Loesdau
Mösl
Pikart
Kuhn