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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 05.05.1976, Az.: IV ZB 49/75

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumnis der Einspruchsfrist; Unkenntnis von einer bewirkten Zustellung als Wiedereinsetzungsgrund ; Unterschied zwischen der Versäumung einer Einspruchsfrist und einer Rechtsmittelfrist ; Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe; Scheidung aus beiderseitigem Verschulden

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
05.05.1976
Aktenzeichen
IV ZB 49/75
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1976, 11381
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Hamm - 23.09.1975
LG Dortmund - 08.04.1975

Fundstelle

  • VersR 1976, 928

Redaktioneller Leitsatz

Durch eine eidesstattliche Versicherung kann eine überwiegende Wahrscheinlichkeit herbeigeführt werden. Soweit das Gesetz Glaubhaftmachung ausreichen läßt, reicht eine solche Wahrscheinlichkeit aus.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
am 5. Mai 1976
durch
die Richter Professor Johannsen, Dr. Bukow, Käufer, Rottmüller und Dehner
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. September 1975 aufgehoben.

Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 8. April 1975 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Gründe

1

Das Landgericht Dortmund hat durch das im Tenor bezeichnete Urteil die Ehe der Parteien aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten geschieden. In dem vorausgegangenen Verfahren hatte sich der Beklagte nicht vertreten lassen; er war auch trotz Ladung nicht persönlich zu den Terminen erschienen. Das Urteil wurde ihm am 28. Juni 1975 durch Niederlegung bei der Post zugestellt. Am 15. August 1975 meldete sich für ihn der Rechtsanwalt Willi F. und bat um Akteneinsicht.

2

Mit einem am 5. September 1975 beim Oberlandesgericht Hamm eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte gegen das Urteil Berufung eingelegt und gleichzeitig um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgesucht. Zur Begründung seines Gesuches hat er ausgeführt: Eine Ehescheidungsklage oder Terminsladungen habe er nie erhalten, auch das Ehescheidungsurteil nie zu sehen bekommen. Daß überhaupt ein Ehescheidungsverfahren anhängig und offenbar bereits rechtskräftig entschieden worden war, habe er erst am 25. August 1975 erfahren. Am Abend dieses Tages habe er nämlich in seinem Briefkasten eine Mitteilung des Postzustellers vorgefunden, daß für ihn eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Hauptpost bewirkt worden sei. Er habe noch am selben Tage die Sendung abgeholt und festgestellt, daß es sich bei ihm um den Kostenfestsetzungsbeschluß vom 14. August 1975 handelte. Er habe daraufhin Frau B., bei der er bis Juli 1975 einschließlich gewohnt habe, zur Rede gestellt. Diese habe weinend zugegeben, daß sie die für den Beklagten bestimmte Post, insbesondere gerichtliche Schreiben, ihm nicht ausgehändigt habe. Eine Erklärung für ihr Verhalten habe sie ihm gegenüber nicht abgegeben.

3

Frau B. war in dem vorausgegangenen Ehescheidungsverfahren auf Antrag der Klägerin als Zeugin vernommen worden. Sie hatte ausgesagt, daß sie seit Oktober 1974 mit dem Beklagten zusammenlebe und zu ihm ehewidrige Beziehungen unterhalte. Der Beklagte habe sie zum Gericht gebracht; er habe auch ihre Zeugenladung gesehen, er habe also Kenntnis vom Termin gehabt.

4

Zur Glaubhaftmachung seines Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Beklagte an Eides Statt versichert, daß er das Wiedereinsetzungsgesuch durchgelesen habe; die dort zur Begründung vorgetragenen Tatsachen beruhten auf seinen Angaben und entsprächen der Wahrheit.

5

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht die erbetene Wiedereinsetzung verweigert und die Berufung als unzulässig verworfen. Es hat den Wiedereinsetzungsgrund nicht als hinreichend glaubhaft gemacht angesehen, weil der vom Beklagten in seiner eidesstattlichen Versicherung als richtig bezeichnete Vortrag im Wiedereinsetzungsgesuch mit der Aussage der Zeugin B. im Widerspruch stehe.

6

Gegen diesen, am 7. Oktober 1975 zugestellten Beschluß hat der Beklagte mit einem am 10. Oktober 1975 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Auf Veranlassung des Senats hat er eine erneute eidesstattliche Versicherung abgegeben, in der er die Vorgänge, die zur Versäumung der Berufungsfrist geführt haben, im Zusammenhang dargestellt hat. In ihr gibt er in Abweichung von dem Wiedereinsetzungsgesuch, jedoch in Übereinstimmung mit seinen Ausführungen in der Berufungsbegründungsschrift an, daß er bereits Anfang August 1975 von dem Kellner Josef D. in allgemeiner Form von dem Ehescheidungsverfahren gehört habe. Noch am selben Tage sei er zu Frau B. gefahren und habe sie zur Rede gestellt. Sie habe weinend zugegeben, daß sie die für den Beklagten bestimmte Gerichtspost geöffnet und später vernichtet habe. Sie habe nur noch zwei Ausschnitte aus Gerichtsprotokollen gehabt, die sie nunmehr ihm, dem Beklagten ausgehändigt habe. Sie habe ihn mit der Erklärung zu beruhigen versucht, er sei schuldlos geschieden worden. Mit diesen Papierstücken sei er zu Rechtsanwalt F. gegangen, der ihm erklärt habe, er wolle sich bemühen, Näheres über die Angelegenheit zu erfahren. Am 26. August 1975 habe er Rechtsanwalt F. den Kostenfestsetzungsbeschluß gebracht, der ihm am Vertage zugegangen sei. Rechtsanwalt F. habe ihm erklärt, es sei offenbar ein Ehescheidungsurteil gegen ihn ergangen, gegen das nur durch ein Rechtsmittel angegangen werden könne. Die Aussage von Frau B. vor dem Landgericht sei nicht richtig gewesen. Er habe die Zeugin zwar mehrfach in die Innenstadt mitgenommen und in der Nähe des Landgerichts abgesetzt; er habe aber nicht gewußt, daß dies mit einem gegen ihn anhängigen Ehescheidungsverfahren zusammenhing.

7

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und auch sachlich begründet.

8

Nach § 233 Abs. 2 ZPO ist einer Partei, die die Einspruchsfrist versäumt hat, die Wiedereinsetzung auch dann zu erteilen, wenn sie von der Zustellung des Versäumnisurteils ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß in anderen Fällen die Unkenntnis von einer bewirkten Zustellung keinen Wiedereinsetzungsgrund gibt. Vielmehr kommt es in den Fällen, in denen eine Rechtsmittelfrist versäumt ist, weil die Partei von der Zustellung des Urteils keine Kenntnis erhalten hat, für die Wiedereinsetzung darauf an, ob diese Unkenntnis auf einem Naturereignis oder einem anderen unabwendbaren Zufall beruht. Der Unterschied zwischen der Versäumung einer Einspruchs- und einer Rechtsmittelfrist besteht lediglich darin, daß bei der ersteren zur Wiedereinsetzung bereits die schuldlose Unkenntnis von der Wiedereinsetzung genügt, während bei dieser die Unkenntnis auf einem unabwendbaren Zufall beruhen muß (BGHZ 25, 11).

9

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Beklagte infolge eines unabwendbaren Zufalls von der Zustellung des Urteils vom 8. April 1975 keine Kenntnis erlangt. Aus der Zustellungsurkunde ergibt sich, daß der Briefträger die Sendung mit der Urteilsausfertigung nicht dem Beklagten übergeben, sondern bei der Postanstalt niedergelgt hat. Er hat zwar eine Benachrichtigung über die Niederlegung zurückgelassen; diese Nachricht ist jedoch nach der eidesstattlichen Versicherung des Beklagten nicht in dessen Hände gelangt, weil die Zeugin B., mit der der Beklagte damals zusammenlebte, ihm die gesamte Gerichtspost vorenthalten hat. Das Berufungsgericht hatte nun allerdings Bedenken, dieser eidesstattlichen Versicherung zu folgen, weil sie mit der Zeugenaussage von Frau B. in einem unvereinbaren Widerspruch stehe. Ein solcher Widerspruch liegt in der Tat vor. Zwar bezieht sich die Aussage der Zeugin nur auf die Frage, ob der Beklagte Kenntnis vom Termin vom 8. April 1975 hatte, nicht aber auf die Kenntnis von der - damals noch gar nicht bewirkten - Zustellung des Scheidungsurteils. Wenn aber die Zeugin die Wahrheit gesagt haben sollte, dann ist die vom Beklagten abgegebene eidesstattliche Versicherung jedenfalls insoweit unrichtig, als er in ihr angegeben hat, er habe von der Tatsache der Klageerhebung erst im August 1975 Kenntnis erlangt. Sollte wiederum der Beklagte in diesem Punkt der Unwahrheit überführt sein, dann müßte dies seine Glaubwürdigkeit auch in anderen Punkten mindern. Unter diesen Umständen ist die eidesstattliche Versicherung des Beklagten nicht geeignet, dem Gericht die volle Überzeugung von der Richtigkeit seiner Sachdarstellung zu vermitteln. Das Gesetz verlangt jedoch keinen vollen Beweis der Wiedereinsetzungsgründe, sondern lediglich ihre Glaubhaftmachung, d.h. also keine an Sicherheit grenzende, sondern nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. In diesem Zusammenhang darf folgender Gesichtspunkt nicht außer acht gelassen werden: Im normalen Beweisverfahren könnte der Beklagte verlangen, daß ihm Gelegenheit gegeben wird, der Zeugin gegenüberzutreten, ihr Vorhalte zu machen und Fragen zu stellen. Er hätte also die Chance, die Beweiskraft der Aussage zu erschüttern. Im Wiedereinsetzungsverfahren ist ihm diese Möglichkeit durch § 294 Abs. 2 ZPO abgeschnitten. An die Glaubhaftmachung dürfen aber keine strengeren Anforderungen gestellt werden als an die volle Beweisführung nach § 286 ZPO. Es ist daher große Vorsicht geboten, wenn aus einer früher und in anderem Zusammenhang gemachten Aussage von Zeugen, denen die Partei keine Vorhaltungen machen und keine Fragen stellen konnte, Schlüsse auf die mangelnde Glaubwürdigkeit einer zum Zwecke der Glaubhaftmachung eingereichten eidesstattlichen Versicherung gezogen werden sollen.

10

Unrichtig war die erste, vom Beklagten eingereichte eidesstattliche Versicherung allerdings insoweit, als mit ihr behauptet wurde, der Beklagte habe erstmals aus dem ihm am 25. August 1975 zugegangenen Kostenfestsetzungsbeschluß vom 14. August 1975 erfahren, daß überhaupt ein Eheseheidungsverfahren anhängig war. Das konnte schon deshalb nicht richtig sein, weil sich bereits am 15. August 1975 ein Anwalt für den Beklagten gemeldet und unter Angabe des richtigen Aktenzeichens um Akteneinsicht gebeten hatte. Daraus kann jedoch noch nicht auf eine mangelnde Wahrheitsliebe des Beklagten geschlossen werden. Die dem Wiedereinsetzungsgesuch beigefügte eidesstattliche Versicherung enthielt keine in sich geschlossene Sachdarstellung, sondern lediglich die Erklärung, daß die im Wiedereinsetzungsgesuch vorgetragenen Tatsachen auf den Angaben des Beklagten beruhten und der Wahrheit entsprächen. Diese Art der Glaubhaftmachung ist heute weit verbreitet; sie ist jedoch bedenklich, weil bei ihr die Gefahr besteht, daß die Partei die Richtigkeit von mißverständlichen und ungenauen Ausführungen, wie sie sich des öfteren aufgrund von Informationsfehlern in Schriftsätzen einschleichen, an Eides Statt versichert. Daß auch im vorliegenden Fall nur ein solches Mißverständnis bei der Information vorlag, ergibt sich daraus, daß der Beklagte die unrichtige Angabe in seinem Wiedereinsetzungsgesuch von sich aus zunächst in der Berufungsbegründungsschrift und später in der auf Veranlassung des Senats abgegebenen eidesstattlichen Versicherung vom 5. Dezember 1975 richtig gestellt hat.

11

Auf der anderen Seite sprechen verschiedene umstände für die Richtigkeit der Sachdarstellung des Beklagten, insbesondere die Tatsache, daß der Beklagte sich während des Verfahrens vor dem Landgericht völlig passiv verhielt. Bereits in der Klageschrift hatte die Klägerin ausgeführt, daß sie den Beklagten verlassen und Beziehungen zu einem anderen Mann aufgenommen hatte; sie gab gleichzeitig zu erkennen, daß sie einem Mitschuldantrag des Beklagten nicht entgegentreten werde. Unter diesen Umständen hätte der Beklagte bei einer Beteiligung am Rechtsstreit eine Scheidung aus beiderseitigem Verschulden, unter Umständen sogar aus überwiegendem Verschulden der Klägerin erreichen können. Um dies zu erkennen, bedurfte es keiner besonderen Rechtskenntnisse. Die Untätigkeit des Beklagten während der ersten Instanz läßt sich demnach nur dann befriedigend erklären, wenn man annimmt, daß er keinerlei gerichtliche Schriftstücke zu Gesicht bekommen hat.

12

Auch das Verhalten des Beklagten im August 1975 spricht dafür, daß er jedenfalls am 15. August weder von der Zustellung des Urteils noch von dessen genauem Inhalt Kenntnis hatte. Als der vom Beklagten zugezogene Rechtsanwalt Fricke am 26. August 1975 erfuhr, daß ein Kostenfestsetzungsbeschluß gegen den Beklagten ergangen war, hat er sofort veranlaßt, daß gegen das dem Kostenfestsetzungsbeschluß zugrunde liegende Urteil innerhalb der Frist des § 234 ZPO Berufung eingelegt wurde. Hätte der Beklagte bereits bei seinem ersten Besuch bei Rechtsanwalt F. diesem konkrete Angaben über ein gegen ihn ergangenes Scheidungsurteil machen können, so hätte er sicherlich bereits damals dem Beklagten den Rat gegeben, sich zwecks Berufungseinlegung an einen beim Oberlandesgericht zugelassenen Anwalt zu wenden. Die Tatsache, daß er statt dessen sich für den Beklagten gemeldet und um Akteneinsicht gebeten hat, läßt darauf schließen, daß er aus den Angaben des Beklagten noch keinen hinreichenden Aufschluß über den Stand des Verfahrens gewinnen konnte.

13

Nach alledem muß es als hinreichend glaubhaft gemacht angesehen werden, daß der Beklagte von der am 28. Juni 1975 vorgenommenen Niederlegung des Urteils keine Kenntnis erhalten hat. Dies würde allerdings dann die Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen können, wenn der Beklagte den Umständen nach mit dem Erlaß eines Ehescheidungsurteils hätte rechnen müssen und dennoch keine Anstalten unternahm, um sich über den Zeitpunkt der Zustellung und Inhalt der Entscheidung zu informieren. So war es hier aber nicht. Wenn man davon ausgeht, daß die Aussage der Zeugin Backs nicht geeignet ist, die eidesstattliche Versicherung des Beklagten zu widerlegen, dann hat der Beklagte vor August 1975 von der Erhebung der Ehescheidungsklage nichts er fahren. Als er im August in allgemeiner Form etwas von einem zwischen der Klägerin und ihm anhängigen oder anhängig gewesenen Ehescheidungsverfahren hörte, hat er alsbald die erforderlichen Schritte unternommen, um sich über den Verfahrensstand Gewißheit zu verschaffen: Er hat zunächst Frau B. zur Rede gestellt und dabei erfahren, daß diese für ihn bestimmte Gerichtspost in Empfang genommen hatte. Sodann hat er sich an einen Anwalt gewandt und durch diesen um Akteneinsicht nachsuchen lassen. Ausweislich der Akten ist diesem Gesuch bis zum 26. August 1975 nicht entsprochen worden. Demnach hat der Beklagte erst aus dem ihm am 25. August 1975 zugegangenen Kostenfestsetzungsbeschluß erfahren, daß nicht nur gegen ihn ein Ehescheidungsurteil ergangen war, sondern daß dieses Urteil auch bereits zugestellt worden war. Erst mit diesem Zeitpunkt begann die Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen (§ 234 ZPO) zu laufen. Sie ist durch das am 5. September 1975 beim Oberlandesgericht Hamm eingegangene Wiedereinsetzungsgesuch gewahrt worden.

14

Dem Beklagten ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren.

Richter Johannsen
Richter Dr. Bukow
Richter Knüfer
Richter Rottmüller
Richter Dehner