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Bundesgerichtshof
Urt. v. 05.04.1976, Az.: III ZR 69/74

Anforderungen an die Verjährung eines deliktischen Anspruchs; Schadensersatz nach den Grundsätzen der Amtshaftung; Umfang der zivilrechtlichen Haftung eines Vormundschaftsrichters

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
05.04.1976
Aktenzeichen
III ZR 69/74
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1976, 11380
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Schleswig - 08.02.1974
LG Kiel

Fundstellen

  • DB 1976, 1717 (Volltext mit amtl. LS)
  • DRiZ 1976, 215-216
  • MDR 1976, 738-739 (Volltext mit amtl. LS)
  • VerwRspr 28, 311 - 314

Amtlicher Leitsatz

Die Verjährung eines Amtshaftungsanspruches (Art. 34 GG, § 839 BGB) beginnt nicht, so lange der Verletzte nicht tatsächliche Umstände kennt, aus denen sich eine schuldhafte Amtspflichtverletzung wenigstens in ihren Grundzügen ergibt.

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung
vom 5. April 1976
durch
die Richter Dr. Krohn, Dr. Tidow, Dr. Peetz, Lohmann und Boujong
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 8. Februar 1974 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an den 7. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Dipl.-Ing. Steffen S. sen. war Alleininhaber der Fa. Steffen S., eines Tief- und Wasserbauunternehmens. Er schloß am 30. Oktober 1963 mit seinen beiden Söhnen, dem am ... 1945 geborenen Kläger und dem damals gleichfalls noch minderjährigen Steffen S. jun., einen Gesellschaftsvertrag, durch den er sie als Kommanditisten mit je 250.000 DM Einlage in seine Firma aufnahm. Durch einen weiteren Vertrag vom 30. Oktober 1963 schenkte er den beiden Söhnen je 250.000 DM, die sie als Kommanditeinlegen in die neu gegründete Kommanditgesellschaft einzubringen hatten. Dafür verpflichtete sich der Kläger, der Belastung seines Grundbesitzes C. mit einer Gesamtgrundschuld von 1,2 Mio. DM für die Landesbank und Girozentrale Schleswig-Holstein zuzustimmen, während sein Bruder eine entsprechende Verpflichtung für seinen Miteigentumsanteil an dem Gut M. einging. Die Gesamtgrundschuld sollte ein Darlehen von 1,2 Mio. DM sichern, das die Landesbank und Girozentrale der Fa. Steffen S. gewährte. Die Grundschuld wurde - ebenfalls am 30. Oktober 1963 an den genannten Besitzungen bestellt.

2

Der Kläger und sein Bruder wurden bei diesen Rechtsgeschäften durch Ergänzungspfleger vertreten, die das Amtsgericht Eckernförde als zuständiges Vormundschaftsgericht auf Antrag ihrer Eltern für sie bestellt hatte (5 VIII S 1801). Ergänzungspfleger des Klägers war der Prokurist Heinrich M., der in der Fa. Steffen S. beschäftigt war; Ergänzungspfleger des Bruders war der Kaufmann Kurt F.. Als Vormundschaftsrichter war der Amtsgerichtsrat Dommach tätig.

3

Am 4. November 1963 stellten die beiden Pfleger beim Vormundschaftsgericht den Antrag, ihre Erklärungen vom 30. Oktober 1963 vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen. Amtsgerichtsrat Dommach forderte die "letzte Bilanz" der Fa. Steffen S. an. Nachdem ihm am 7. November 1963 die vorläufige Bilanz zum 31. Dezember 1962 nebst vorläufiger Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanzerläuterung vorgelegt worden war, erteilte er noch am selben Tage die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung. Die Pfleger teilten die Genehmigung dem Vater des Klägers mit; daraufhin wurde die Gesamtgrundschuld in die Grundbücher eingetragen.

4

Durch Beschluß vom 28. Mai 1964 erklärte das Vormundschaftsgericht den Kläger und seinen Bruder auf ihren und ihrer Eltern Antrag für volljährig (5 X S 202/63 AG Eckernförde). Der Antrag war bereits im Oktober 1963 beim Vormundschaftsgericht eingereicht, auf Wunsch der Antragsteller jedoch zunächst zurückgestellt worden.

5

Im Jahre 1965 geriet die Fa. Steffen S. in Vermögensverfall. Über ihr Vermögen wurde das Konkursverfahren eröffnet. Kurz vorher hatte der Kläger seinen Grundbesitz C. verkauft und war auch das Gut M. verkauft worden. Die Gesamtgrundschuld am Grundbesitz C. wurde im Februar 1966 gelöscht, nachdem der Kläger die Löschung bewilligt hatte. Sein Vater, der beim Zusammenbruch der Firma sein gesamtes Vermögen verlor, ist inzwischen verstorben.

6

Der Kläger macht das beklagte Land für den Schaden verantwortlich, der ihm nach seiner Behauptung durch die Belastung seines Grundbesitzes mit der Gesamtgrundschuld entstanden ist. Er hat behauptet, die Landesbank und Girozentrale habe den beim Verkauf der Besitzungen C. und Gut M. erzielten Erlös voll in Anspruch genommen, weil sie im Konkursverfahren keine Befriedigung für das der Fa. Steffen S. gewährte Darlehen erlangt habe. Für den Schaden in Höhe von 600.000 DM, der ihm dadurch entstanden sei, hafte das Land als Dienstherr des Amtsgerichtsrats Dommach, weil dieser als Vormundschaftsrichter bei der Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung vom 7. November 1963 nicht die nötige Sorgfalt habe walten lassen. Er habe schuldhaft nicht erkannt, daß die wirtschaftliche Lage der Fa. Steffen S. nicht günstig und ihre Liquidität unzureichend gewesen sei. Außerdem habe er dadurch gegen seine Pflichten verstoßen, daß er den Prokuristen M. zum Ergänzungspfleger bestellt habe, obwohl dieser weder die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten noch - als Angestellter im Betrieb des Vaters - die erforderliche Unabhängigkeit besessen habe. Von M. selbst könne er keinen Schadensersatz verlangen, da diesen keifa Verschulden treffe.

7

Der Kläger hat einen Teilbetrag seines Schadens von 500 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 1966 eingeklagt. Die am 6. August 1972 beim Landgericht eingegangene Klage ist der Beklagten am 17. Oktober 1972 zugestellt worden, nachdem der Kläger den am 9. August 1972 angeforderten Gerichtskostenvorschuß am 3. Oktober 1972 eingezahlt hatte.

8

Das beklagte Land, das die Abweisung der Klage beantragt hat, hat eine schuldhafte Amtspflichtverletzung des Amtsgerichtsrats Dommach in Abrede gestellt und geltend gemacht, der Kläger könne sich jedenfalls wegen des eingeklagten Teilbetrages an den Prokuristen M. halten. Ferner hat es die Einrede der Verjährung erhoben.

9

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Beide Gerichte haben den Klageanspruch für verjährt gehalten.

10

Gegen das Berufungsurteil wendet sich der Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt. Das beklagte Land beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

11

1.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Klage am 17. Oktober 1972 erhoben worden und der Klageanspruch daher verjährt ist, wenn der Kläger die in § 852 BGB verlangte Kenntnis, durch die die dreijährige Verjährungsfrist in Lauf gesetzt wird, vor dem 17. Oktober 1969 erlangt hat.

12

2.

Seine Auffassung, der Kläger habe diese Kenntnis vorher erlangt, hat das Berufungsgericht insbesondere mit folgenden Erwägungen begründet:

13

Dem Kläger sei zur Zeit seiner Volljährigkeitserklärung im Jahre 1964 bekannt gewesen, daß sein Grundstück mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts mit der Gesamtgrundschuld belastet worden sei. Das und die weiteren Umstände - Konkurs der Firma und Befriedigung der Darlehensgläubigerin aus dem Erlös des Grundstücksverkaufs - hätten es schon damals als naheliegend erscheinen lassen, daß der Vormundschaftsrichter bei der Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung möglicherweise schuldhaft seine Amtspflichten verletzt und dadurch den Schaden verursacht habe. Bei dieser Sachlage sei der Kläger bereits in jenem Zeitpunkt ohne besondere Mühewaltung in der Lage gewesen, die näheren Umstände festzustellen, die für die Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung maßgebend gewesen seien. Das gelte um so mehr, als der Kläger im November 1965 Rechtsanwälte mit seiner Rechtsberatung beauftragt habe und diese daraufhin im Juli 1966 beim Amtsgericht Eckernförde Akteneinsicht beantragt hätten. Ob den Anwälten damals nur die Volljährigkeits-, nicht aber die Pflegschaftsakten übersandt worden seien, möge auf sich beruhen. Jedenfalls sei es dem anwaltlich beratenen und vertretenen Kläger zumutbar gewesen, schon damals der Frage nachzugehen, wie es zu der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gekommen sei. Er habe indessen keine ihn entlastende plausible Erklärung dafür gegeben, daß er gleichwohl keine Nachforschungen angestellt habe.

14

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

15

3.

Die Verjährung nach § 852 BGB beginnt, wenn der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen so weit Kenntnis erlangt, daß er eine Klage gegen diese Person zu begründen vermag (BGB-RGRK 11. Aufl. § 852 Anm. 10). Bei einem Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB gehört dazu die Kenntnis, daß das Verhalten des Beamten widerrechtlich und schuldhaft und infolgedessen eine zum Schadensersatz verpflichtende Amtspflichtverletzung ist (Senatsurteile LM BGB § 852 Nr. 14; VersR 1964, 289, 290; RGZ 168, 214, 220). Die Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben nicht, daß der Kläger diese Kenntnis vor dem 17. Oktober 1969 erlangt hat.

16

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hat der Kläger den Schaden sogleich bei seiner Entstehung in den Jahren 1965/Anfang 1966 gekannt und von der Amtshandlung des Vormundschaftsrichters, der Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung, bereits im Jahre 1964 erfahren. Aus letzterem ergibt sich zugleich, daß der Kläger damals die erforderliche Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen besessen hat. Denn aufgrund der ihm bekannten Umstände konnte er die Identität des Vormundschaftsrichters, soweit er sie zur Begründung einer Amtshaftungsklage nach Art. 34 GG, § 839 BGBüberhaupt benötigte, jedenfalls in zumutbarer Weise ohne besondere Mühe in Erfahrung bringen. Das genügt insoweit (BGH LM BGB § 852 Nr. 47 m.w.Nachw.).

17

Hingegen hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, der Kläger habe damals gewußt, daß der Vormundschaftsrichter bei der Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gegen seine Amtspflichten verstoßen habe, und zwar schuldhaft. Die Bemerkung des angefochtenen Urteils, die Umstände hätten es "naheliegend" erscheinen lassen, daß der Vormundschaftsrichter "möglicherweise" schuldhaft seine Amtspflichten verletzt habe, ergibt eine solche Kenntnis ebenso wenig wie der Hinweis, der Kläger habe die näheren Umstände der Genehmigungserteilung ohne besondere Mühewaltung in Erfahrung bringen können. Diese Ausführungen besagen lediglich, daß der Verdacht einer schuldhaften Amtspflichtverletzung bestanden habe und der Kläger die Pflichtverletzung hätte erkennen können (und vielleicht müssen). Das bedeutet indessen nicht, daß der Kläger eine schuldhafte Amtspflichtverletzung gekannt habe, wie § 852 BGB es voraussetzt (BGH LM BGB § 852 Nr. 35, 45; VersR 1963, 161, 163).

18

Allerdings ist nicht erforderlich, daß der Verletzte alle Einzelheiten der schadenstiftenden Handlung weiß. Es genügt vielmehr, daß er sie in ihren Grundzügen kennt und gewichtige Anhaltspunkte für ein Verschulden des Verantwortlichen vorliegen (BGH VersR 1956, 507; 1960, 754, 755; 1961, 910), so daß der Verletzte eine Schadensersatzklage erheben kann, die bei verständiger Würdigung der von ihm vorgetragenen Tatsachen soviel Erfolgsaussicht bietet, daß ihm die Klage - wenn auch nicht risikolos - zuzumuten ist (Senatsurteile LM BGB § 852 Nr. 14 und VersR 1957, 641; BGH LM BGB § 852 Nr. 39). Dabei kann es der Kenntnis etwa noch fehlender Tatsachen gleichgeachtet werden, wenn sich der Verletzte diese Kenntnis in zumutbarer Weise mühelos und ohne Kostenaufwand hätte verschaffen können (BGH VersR 1961, 910; 1963, 161, 163; jeweils m.w.Nachw.).

19

Der erkennende Senat braucht nicht darüber zu befinden, welche tatsächlichen Umstände der Kläger im vorliegenden Fall kennen mußte, um im Sinne der vorstehenden Grundsätze die Kenntnis von einer schuldhaften Amtspflichtverletzung des Vormundschaftsrichters zu besitzen. Denn das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, daß er vor dem 17. Oktober 1969 irgendeinen der in Betracht kommenden Umstände gekannt hat. Insbesondere fehlen Feststellungen darüber, ob der Kläger gewußt hat, was der Vormundschaftsrichter vor der Genehmigungserteilung unternommen hat, um sich ein Bild von der wirtschaftlichen Situation der Firma zu verschaffen, daß ihm die vorläufige Bilanz der Firma zum 31. Dezember 1962 vorlag und welchen Inhalt diese Bilanz im einzelnen hatte. Die Tatsache allein, daß die Grundschuldbestellung Ende 1963 vormundschaftsgerichtlich genehmigt worden und die Firma im Jahre 1965 in Konkurs gegangen ist, ist kein Umstand, der die Kenntnis einer schuldhaften Amtspflichtverletzung des Vormundschaftsrichters vermitteln könnte.

20

4.

Aus einem Vergleich der im vorliegenden Rechtsstreit eingereichten Klageschrift mit dem früheren Armenrechtsgesuch des Klägers vom 23. Februar 1971 (2 O 79/71 LG Kiel) hat das Berufungsgericht Zweifel gegen die Behauptung des Klägers hergeleitet, er habe die näheren Umstände der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung erst im November 1971 aus den Akten 5 VIII S 1801 AG Eckernförde erfahren. Es hat ausgeführt, auch daher fehle es an einer glaubhaften Erklärung des Klägers dafür, weshalb er in der Zeit von 1966 bis Anfang 1971 zum Zwecke der gerichtlichen Verfolgung seiner vermeintlichen Schadensersatzansprüche nichts unternommen habe, obwohl er die 1971 ergriffenen Maßnahmen bereits im Jahre 1966 hätte ergreifen können.

21

Auch diese Ausführungen vermögen das angefochtene Urteil nicht zu tragen. Denn es fehlt jede Feststellung darüber, was der Kläger im Jahre 1966 gewußt hat. Das Berufungsgericht hat auch nicht festgestellt, daß die Rechtsanwälte, die er im Jahre 1965 beauftragt hat, im Jahre 1966 Einsicht in die Pflegschaftsakten genommen und dadurch Kenntnis von den näheren Umständen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bekommen haben. Es kommt daher nicht darauf an, ob und unter welchen Voraussetzungen der Kläger sich eine solche Kenntnis zurechnen lassen müßte (vgl. dazu Senatsurteil LM BGB § 852 Nr. 35).

22

5.

Der erkennende Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Vormundschaftsrichter seine Amtspflichten dadurch verletzt hat, daß er den Prokuristen M. zum Ergänzungspfleger des Klägers bestellt hat. Auch wenn der Kläger eine darin liegende Amtspflichtverletzung vor dem 17. Oktober 1969 erfahren hätte, wäre sein Schadensersatzanspruch wegen schuldhaft pflichtwidriger Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nicht verjährt.

23

6.

Da das Berufungsurteil nach alledem durch seine tatsächlichen Feststellungen nicht getragen wird und sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 563 ZPO), das Revisionsgericht andererseits die fehlenden Feststellungen nicht selbst treffen kann, war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei hat der erkennende Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht, die Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen.

Dr. Krohn
Dr. Tidow
Dr. Peetz
Lohmann
Boujong