Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.12.1975, Az.: VIII ZR 147/74
Voraussetzungen für das Vorliegen einer positiven Vertragsverletzung; Anspruch auf Schadensersatz wegen einer Erfüllungsverweigerung; Anforderungen an die Endgültigkeit der Leistungsverweigerung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 10.12.1975
- Aktenzeichen
- VIII ZR 147/74
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1975, 12893
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Düsseldorf - 05.04.1974
- LG Duisburg - 05.06.1973
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DB 1976, 238-239 (Volltext mit red./amtl. LS)
- MDR 1976, 393 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1976, 326 (amtl. Leitsatz)
Prozessführer
Kommanditgesellschaft in Firma K. & Co.
gesetzlich vertreten durch die persönlich haftenden Gesellschafter Dr. Günter H. und Jörg Alexander H. in D., M. Straße ...
Prozessgegner
M. und R. Aktiengesellschaft
gesetzlich vertreten durch ihre Verwaltungsratsmitglieder Franz A. L. und Dr. Oscar M. in Z., B.straße ...
Amtlicher Leitsatz
- a)
Erklärt der Schuldner vor Fälligkeit der vereinbarten Leistung, daß er infolge unvorhergesehener Umstände nicht zu der vereinbarten Zeit liefern könne, so kann der Gläubiger, der an der alsbaldigen Klärung der Erfüllungsbereitschaft des Schuldners interessiert ist, diesen in rechtsähnlicher Anwendung des § 326 BGB zur Erklärung auffordern, ob er fristgemäß leisten werde, wobei er den Schuldner darauf hinzuweisen hat, daß er die Annahme der Leistung nach Ablauf der Frist ablehne. Wenn der Schuldner daraufhin eine entsprechende Erklärung nicht abgibt, kann der Gläubiger von dem Vertrage zurücktreten oder Schadensersatz fordern.
- b)
Ohne Fristsetzung ist der Gläubiger in einem derartigen Fall zum Rücktritt oder zu dem Verlangen auf Schadensersatz nur dann berechtigt, wenn der Schuldner unzweideutig erklärt hatte, er werde in keinem Fall fristgerecht leisten.
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 1975
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Haidinger und
die Richter Braxmaier, Dr. Hiddemann, Hoffmann und Merz
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Grundurteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. April 1974 dahin geändert, daß die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 5. Juni 1973 zurückgewiesen wird.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
Die Klägerin kaufte von der Beklagten am 10. September 1969 (nicht 1968, Vertrag I) und am 12. September 1969 (nicht 19. September 1968, Vertrag II) je 20.000 t Stahlroheisen zum Preise von 57 bzw. 59 $. Die Lieferung sollte im 2. Quartal 1970, und zwar möglichst bis spätestens 15. Juli 1970 (Vertrag I) bzw. im 3. Quartal 1970, und zwar möglichst bis spätestens 10. September 1970 (Vertrag II) erfolgen. Das Stahlroheisen sollte in Brake verladen und nach Japan geliefert werden.
Am 28. Januar 1970 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Liefertermine könnten wegen unvorhergesener Betriebsausfälle und Schwierigkeiten in der Koksversorgung ihres Lieferwerkes nicht eingehalten werden. Die Klägerin bestand in ihrem Schreiben vom 6. Februar 1970 auf der Einhaltung der Lieferfristen. Nach weiterer Korrespondenz (Schreiben vom 12. Februar, 18. Februar und 23. Februar 1970), kam es am 8. April 1970 zu einer Unterredung, bei der jede Partei auf ihrem Standpunkt beharrte, die Klägerin indessen zusagte, mit ihren japanischen Abnehmern wegen der Liefertermine zu verhandeln. Sie schrieb der Beklagten am 16. April 1970, daß der Liefertermin für Vertrag I möglicherweise bis 15. Juli 1970 hinausgeschoben werden könne, daß es dagegen bei dem vereinbarten Liefertermin für Vertrag II bleiben müsse, und bat die Beklagte um Bestätigung, daß die Lieferfristen eingehalten würden. Nach Erinnerung der Klägerin am 22. April 1970 gab die Beklagte am 28. April 1970 die Stellungnahme ihres Lieferwerkes der Klägerin bekannt und teilte dieser mit, daß auf Vertrag I eine Teilmenge von 10.000 bis 12.000 t bis Mitte Juni 1970 oder die Gesamtmenge von 20.000 t Anfang August 1970 geliefert werden könne, daß aber die Lieferung auf Vertrag II um rund 2 bis 3 Monate verschoben werden müsse. Die Klägerin erwiderte am 4. Mai 1970, sie bleibe bemüht, das Einverständnis ihrer Abnehmer mit einer Verschiebung der Lieferung auf Vertrag I um einen Monat zu erreichen, sie könne aber hinsichtlich des Vertrages II keinerlei Konzessionen machen, bat erneut um Bestätigung, daß die Lieferungen fristgerecht erfolgten, und wies darauf hin, daß sie im anderen Falle die Beklagte für alle Konsequenzen verantwortlich machen müsse. Mit Fernschreiben vom 8. Mai 1970 erinnerte die Klägerin die Beklagte erneut an die erbetene Bestätigung, worauf die Beklagte erwiderte, sie erwarte die Stellungnahme ihres Lieferwerkes und werde diese der Klägerin sofort zuleiten. Am 13. Mai 1970 übersandte die Beklagte der Klägerin das Schreiben ihres Lieferwerkes vom 12. Mai 1970, worin es heißt, daß "die Erfüllung der Kontrakte" vom 10. und 12. September 1969 sich "nach heutiger Übersicht um etwa 2 bis 3 Monate verschieben" werde, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß es der Klägerin aufgrund der Erklärung ihres Lieferwerkes gelingen möge, mit ihren Abnehmern zu einer Einigung zu gelangen. Das Schreiben der Beklagten vom 13. Mai 1970 kreuzte sich mit dem Fernschreiben der Klägerin vom 14. Mai 1970, worin diese unter Bezugnahme auf den bisherigen Schriftwechsel darauf hinwies, daß sie die fortlaufenden Verzögerungen der Beklagten nicht hinnehmen könne, sondern auf einer unverzüglichen Bestätigung bestehen müsse, daß beide Vereinbarungen fristgerecht erfüllt würden, und worin die Klägerin wiederum auf die schwerwiegenden Konsequenzen aufmerksam machte, die eine Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen für die Beklagte haben werde. Die verlangte Bestätigung erhielt die Klägerin nicht. Mit Einschreiben vom 21. Mai 1970 erklärte sie, daß sie die Annahme der Leistung verweigere und Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlange. Die Beklagte antwortete am 26. Mai 1970, daß sie "keineswegs eine endgültige Erfüllungsverweigerung" abgegeben habe. Am 27. Mai 1970 schrieb sie der Klägerin, daß sich ihr Lieferwerk "alle Mühe geben werde, die Auslieferung der für Mitte Juli anstehenden Teilmenge durchzuführen", und daß in Anbetracht ihrer eigenen Bemühungen und der besonderen Anstrengungen ihres Lieferwerkes die Annahme einer endgültigen Erfüllungsverweigerung hinfällig sei. Die Klägerin erwiderte am 1. Juni 1970, daß sie bisher einer Verschiebung der Lieferung auf Vertrag I um einen Monat nicht zugestimmt habe, daß sie jedoch unter Aufrechterhaltung ihres Rechtsstandpunktes die nach der Vereinbarung im 2. Quartal auszuliefernde Menge Mitte Juli 1970 abnehmen werde, falls die Beklagte Lieferung zu diesem Zeitpunkt bis 3. Juni 1970 verbindlich zusage und die anfallenden Frachtmehrkosten übernehme; die Klägerin beharrte indessen hinsichtlich des Vertrages II auf der "Annullierung" gemäß ihrem Einschreiben vom 21. Mai 1970. über die mit dem Vertrag I vereinbarte Lieferung einigten sich die Parteien in der Folgezeit. Mit Fernschreiben vom 3. Juni 1970 und Schreiben vom gleichen Tage erklärte die Beklagte ihre Bereitschaft zur Erfüllung des Vertrages II, während die Klägerin am 9. Juni 1970 ihren Standpunkt aufrechterhielt.
Die Klägerin behauptet, wegen Nichterfüllung des Vertrages II einen Schaden von 281.400 $ zu haben, und macht mit der Klage einen Teilbetrag von 50.000 DM nebst Zinsen geltend. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht erklärte sie dem Grunde nach für gerechtfertigt.
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, daß die Klägerin infolge Erfüllungsverweigerung der Beklagten hinsichtlich des Vertrages II ohne Fristsetzung Schadensersatz beanspruchen könne.
II.
Die Rüge der Revision, es habe entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts einer Fristsetzung bedurft, weil die Beklagte die Erfüllung der Verträge nicht endgültig verweigert habe, ist begründet.
1.
Nach herrschender Meinung begeht eine positive Vertragsverletzung, wer ernstlich erklärt, er werde sich bei Fälligkeit nicht an seine vertraglichen Verpflichtungen halten (dazu im einzelnen insbesondere Staudinger/Kaduk, BGB 10./11. Aufl. § 326 Rdn. 184 ff und Würdinger/Röhricht in Großkommentar HGB, 3. Aufl. Vorbem. 421 ff vor § 373 jeweils m.w.Nachw.).
a)
Es ist dabei nicht erforderlich, daß der Schuldner sich von dem Vertrag als Ganzem lossagt. Es genügt die Erklärung, eine wesentliche Vertragsverpflichtung nicht erfüllen zu können oder zu wollen (vgl. RG HRR 1933 Nr. 1411). Voraussetzung ist indessen, daß der Vertragszweck gefährdet ist und daß daher dem anderen Teil nach Treu und Glauben das Festhalten an dem Vertrag nicht zugemutet werden kann. Eine derartige Vertragsverletzung kann angenommen werden, wenn der Schuldner erklärt, er sei erst Monate nach dem vereinbarten Liefertermin zur Lieferung in der Lage (RGZ 96, 341, 342).
b)
Der Gläubiger kann indessen nur dann ohne Fristsetzung vom Vertrage zurücktreten oder Schadensersatz verlangen, wenn die Erklärung des Schuldners, nicht vertragsgemäß erfüllen zu können oder zu wollen, endgültig ist, wobei strenge Anforderungen zu stellen sind. Erfüllungsverweigerung kann nur angenommen werden, wenn der Schuldner eindeutig zum Ausdruck bringt, daß er seinen Vertragspflichten nicht nachkommen werde. Solange das zweifelhaft ist, muß der Gläubiger versuchen den Schuldner umzustimmen und eine klare Erklärung des Schuldners herbeizuführen, ob er vertragsgemäß erfüllen werde oder nicht. Verweigert der Schuldner gleichwohl die vereinbarungsgemäße Erfüllung des Vertrages, hat er also gewissermaßen "sein letztes Wort" gesprochen, so kann der Gläubiger ohne Fristsetzung von dem Vertrage zurücktreten oder Schadensersatz verlangen.
c)
Hatte der Schuldner indessen die Erfüllung nicht endgültig verweigert, hatte er "sein letztes Wort" noch nicht gesprochen, so ist ein Gläubiger, der ein berechtigtes Interesse an einer alsbaldigen Klärung der Erfüllungsbereitschaft des Schuldners hat, auch dann, wenn die Leistung noch nicht fällig ist, berechtigt, dem Schuldner in rechtsähnlicher Anwendung des § 326 BGB eine angemessene Frist zur Erklärung zu setzen, ob er den Vertrag vereinbarungsgemäß erfüllen wird, wobei er den Schuldner darauf hinzuweisen hat, daß er die Annahme der Leistung nach Ablauf der Frist ablehne. Das gebietet Treu und Glauben, wie der erkennende Senat in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden hat (Urt. v. 29. April 1970 - VIII ZR 120/68 = LM BGB § 242 (Be) Nr. 24 = MDR 1970, 756 = WM 1970, 791). Denn einerseits kann, wenn der Schuldner erklärt hat, daß er unter den gegebenen umständen nicht vereinbarungsgemäß werde leisten können, dem Gläubiger in der Regel nicht zugemutet werden, bis zur Fälligkeit der Leistung zuzuwarten und erst dann nach § 326 BGB vorzugehen. Andererseits darf ein Schuldner, der die vereinbarte Leistung nicht endgültig verweigert hatte, nicht durch den Rücktritt des Gläubigers bzw. dessen Verlangen auf Schadensersatz überrascht werden.
2.
Hier wäre daher eine Fristsetzung unter Ablehnungsandrohung in rechtsähnlicher Anwendung des § 326 BGB nur dann entbehrlich gewesen, wenn die Beklagte klar und eindeutig erklärt hätte, daß sie die Verträge nicht fristgerecht erfüllen werde. Dabei sind dann, wenn, wie hier, der Schuldner Monate vor Fälligkeit der Leistung erklärte, er werde unter den derzeit gegebenen Umständen zu einer fristgerechten Leistung nicht in der Lage sein, besonders strenge Anforderungen an die Annahme einer Erfüllungsverweigerung zu stellen, was das Berufungsgericht verkannt hat. Entgegen seiner Auffassung kann aus dem Wortlaut wie dem Sinngehalt der Erklärungen der Beklagten bzw. deren Schweigen auf das Schreiben der Klägerin vom 14. Mai 1970 nicht entnommen werden, daß die Beklagte die fristgerechte Erfüllung der Verträge endgültig verweigert hatte.
a)
Das Berufungsgericht hat zwar darin recht, daß die Beklagte vom 28. Januar 1970 bis 13. Juni 1970 wiederholt erklärt hatte, sie könne beide Verträge nicht fristgerecht erfüllen, daß sie immer wieder versucht hatte, eine Verschiebung der Lieferfristen zu erreichen, und daß sie die von der Klägerin gewünschte Erklärung, die Lieferungen würden zu den vereinbarten Terminen erfolgen, nicht abgegeben hatte.
b)
Dennoch kann auch unter diesen Umständen nicht angenommen werden, daß das Schreiben der Beklagten vom 13. Mai 1970 und deren Schweigen auf das Schreiben der Klägerin vom 14. Mai 1970 eine endgültige Erfüllungsverweigerung bedeuteten und als "letztes Wort" der Beklagten anzusehen waren.
In der dem Schreiben der Beklagten vom 13. Mai 1970 beigefügten Erklärung ihres Lieferwerks heißt es zwar, daß nach heutiger Übersicht die Liefertermine sich um 2 bis 3 Monate verschieben würden. Die Beklagte hatte indessen in ihrem Begleitschreiben zum Ausdruck gebracht, sie hoffe, daß die Klägerin aufgrund der Erklärung ihres Lieferwerks zu einer Einigung über die Verschiebung der Liefertermine mit ihren japanischen Abnehmern kommen werde. Die Beklagte hatte also mit diesem Schreiben die fristgerechte Erfüllung nicht endgültig verweigert, sondern der Klägerin aufgrund des Schreibens ihres Lieferwerks erneute und erfolgreiche Verhandlungen mit deren japanischen Abnehmern ermöglichen wollen.
Daß die Beklagte auf das Schreiben der Klägerin vom 14. Mai 1970, worin diese unter "Androhung von Konsequenzen" wiederum um Bestätigung gebeten hatte, daß die Lieferfristen eingehalten würden, nicht reagierte, erklärt sich daraus, daß das Schreiben der Beklagten vom 13. Mai 1970 sich mit demjenigen der Klägerin vom 14. Mai 1970 gekreuzt hatte, und läßt nicht den Schluß zu, daß die Beklagte infolge ihres Schweigens auf dieses Schreiben die fristgerechte Lieferung endgültig verweigert hatte.
Dagegen spricht auch der Umstand, daß die Beklagte auf das Schreiben der Klägerin vom 21. Mai 1970 unverzüglich erwiderte, sie werde auch den Vertrag II fristgerecht erfüllen. Denn das deutet daraufhin, daß die Beklagte dann, wenn sie von der Klägerin unter Fristsetzung und Ablehnungsandrohung vor die Wahl gestellt worden wäre, entweder fristgerecht zu erfüllen oder Schadensersatz zu leisten, sich für eine fristgerechte Erfüllung entschieden hätte.
3.
Da die Klägerin schon im Hinblick auf ihre Dispositionen zur Verschiffung des Stahlroheisens nach Japan ein berechtiges Interesse an einer Klärung hatte, ob die Beklagte fristgerecht liefern werde, und da diese eine fristgerechte Lieferung wiederholt in Frage gestellt, aber nicht endgültig verweigert hatte, wäre die Klägerin zwar berechtigt gewesen, der Beklagten in rechtsähnlicher Anwendung des § 326 BGB eine Erklärungsfrist zu setzen. Dagegen war die Klägerin mangels einer endgültigen Erfüllungsverweigerung der Beklagten nicht befugt, ohne Fristsetzung die Leistung der Beklagten abzulehnen und Schadensersatz zu fordern.
III.
Infolgedessen war auf die Revision der Beklagten das Urteil des Berufungsgerichts dahin zu ändern, daß die Berufung der Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil abgewiesen wird. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO.
Braxmaier
Dr. Hiddemann
Hoffmann
Merz