Bundesgerichtshof
Urt. v. 13.05.1975, Az.: 1 StR 152/75
Annahme eines strafbefreienden Rücktritts; Straflosigkeit durch tätige Reue; Entdeckung der Handlung des Täters zur Zeit der Erfolgsabwendung; Freiwilligkeit des Rücktritts
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 13.05.1975
- Aktenzeichen
- 1 StR 152/75
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1975, 12288
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stuttgart - 01.10.1974
Rechtsgrundlagen
- § 24 Abs. 1 StGB n.F.
- § 46 Nr. 2 StGB a.F.
Verfahrensgegenstand
Versuchter Totschlag
Prozessführer
Hilfsarbeiter Ibrahim H. aus L.-E., geboren am ... 1945 in K./Türkei
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 13. Mai 1975,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Pfeiffer
und die Richter am Bundesgerichtshof Loesdau, Pikart, Dr. Woesner, Herdegen als beisitzende
Richter,
Bundesanwalt ... in der Verhandlung,
Regierungsdirektor ... bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellter ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
- I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Stuttgart vom 1. Oktober 1974
- 1.
im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 223 a Abs. 1 StGB) verurteilt wird,
- 2.
im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
- II.
Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- III.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Er erhebt die Sachrüge und wendet sich insbesondere dagegen, daß das Tatgericht strafbefreienden Rücktritt verneint hat. Das Rechtsmittel des Angeklagten führt zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1.
a)
Das Schwurgericht hat festgestellt:
Der Angeklagte stach in maßloser Wut ein spitzes Küchenmesser bis zum Heft zweimal seiner Ehefrau in den Rücken, "wobei er klar erkannte, daß durch die mit Wucht geführten Stiche der Tod herbeigeführt werden kann, den er ... zumindest billigend in Kauf nahm". Nachdem er auf diese Weise "seine Verärgerung abreagiert hatte", ließ er in dem Bewußtsein, daß seine Frau möglicherweise tödlich verletzt sei, von ihr ab, verließ die Wohnung und rief sofort die Polizei und einen Krankenwagen herbei, um das Opfer doch noch vor dem Tode zu retten. Als der Angeklagte zurückkam, war der im Hause wohnende Zeuge E. schon am Tatort. Er hatte die Hilferufe von Frau H. gehört. Sie wurde alsbald ins Krankenhaus gebracht. Ihre Verletzungen heilten komplikationslos aus.
b)
Das Schwurgericht ist der Ansicht, daß der Tötungsversuch beendet war. Strafbefreiender Rücktritt scheide aus, weil Frau W. und der Zeuge E. "von dem Geschehen bereits Kenntnis genommen hatten".
2.
a)
Der Auffassung des Tatgerichts, der Tötungsversuch sei beendet gewesen, ist zuzustimmen. Der Angeklagte hatte die Anzahl der Stiche nicht von vornherein geplant. Deshalb kommt es auf seine Vorstellung bei Abbruch seines Handelns an. Er rechnete mit der Möglichkeit, daß die beiden Stiche den Tod des Opfers herbeiführen, daß schon geschehen sei, was die Vollendung der Tat bewirke. Der Angeklagte hatte also nach seiner Vorstellung die Gefahr der Verwirklichung des Erfolgs gesetzt. Infolgedessen konnte er, soweit die Handlung noch im Versuchsstadium war, Straflosigkeit nur durch "tätige Reue" erlangen (vgl. BGHSt 14, 75, 79/80; 22, 330, 332/333; BGH bei Dallinger MDR 1966, 22; BGH a.a.O. 1970, 381).
Er zeigte sie. Nach Beendigung des Versuchs verhinderte der Angeklagte durch die Hinzuziehung anderer, die das Erforderliche tun sollten und taten (vgl. dazu BGH NJW 1973, 632), die Vollendung der Tat.
b)
Das allein genügte nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung des Schwurgerichts geltenden Recht nicht. Nach § 46 Nr. 2 StGB a.F. war Voraussetzung strafbefreienden Rücktritts außerdem, daß zur Zeit der Erfolgsabwendung die Handlung des Täters "noch nicht entdeckt war". Diese Voraussetzung ist entfallen (§ 24 Abs. 1 StGB n.F.). Es kann unerörtert bleiben, ob gegen die Auffassung des Schwurgerichts, die Tat sei nicht nur durch die Verletzte (vgl. dazu BGHSt 24, 48, 50), sondern auch durch den Zeugen Ebelmann bereits entdeckt gewesen, als der Angeklagte die erfolgsabwendende Tätigkeit entfaltete, Bedenken bestehen.
c)
Nach geltendem, vom Revisionsgericht zu berücksichtigenden (§ 354 a StPO) Recht hängt die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts vom beendeten Versuch lediglich davon ab, daß der Täter freiwillig die Vollendung der Tat verhindert oder sich ernstlich um die Verhinderung bemüht. Entdeckung vor der Verhinderung ist aber nicht ohne Bedeutung. Die erfolgsabwendende Tätigkeit desjenigen, der sich bereits entdeckt weiß, wird zwar nicht notwendig, aber vielfach von der Furcht vor gegen ihn sich richtende Schritte des Entdeckers, also heteronom bestimmt und damit unfreiwillig sein (Dreher, StGB 35. Aufl. § 24 Anm. 5 A b; Lackner, StGB 9. Aufl. § 24 Anm. 4 c).
d)
Der Angeklagte entschloß sich, die Polizei und den Krankenwagen herbeizurufen, um seine Frau "doch noch vor dem Tode zu retten". Er hatte sich "abreagiert", war "nach einer gewissen Ernüchterung" zur "Einsicht" gekommen (UA S. 13). Diese Feststellungen ergeben die Freiwilligkeit des Rücktritts. Deshalb entfällt die Verurteilung wegen versuchten Totschlags. An ihre Stelle tritt die von den Feststellungen getragene Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 223 a Abs. 1 StGB).
Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht der Änderung des Schuldspruchs durch den Senat nicht entgegen, weil ersichtlich ist, daß der Angeklagte sich nicht anders als bisher verteidigen kann.
e)
Die Strafe muß neu festgesetzt werden.
Loesdau
Pikart
Woesner
Herdegen