Bundesgerichtshof
Urt. v. 12.02.1975, Az.: 3 StR 7/74 I
Verurteilung aller Teilnehmer wegen gemeinschaftlichen Hausfriedensbruchs und Landfriedensbruchs; Weitere Verurteilung wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung; Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung; Definition einer kriminellen Vereinigung; Gemeinsamer Zweck aller Teilnehmer an dieser Aktion; Zusammenschluss zu einer Organisation; Vereinigung zwecks Begehung strafbarer Handlungen; Unrechtmäßiges Verhalten der Hausbesetzer
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 12.02.1975
- Aktenzeichen
- 3 StR 7/74 I
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1975, 12232
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hamburg - 19.10.1973
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- MDR 1975, 502-503 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1975, 985-986 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Unterstützung einer kriminellen Vereinigung u.a.
Prozessgegner
1. Industriekaufmann Karl-Heinz D. aus H., geboren am ... 1952 in O.
2. Arbeiter Dieter Walter Günter M. aus Ha., dort geboren am ... 1947
3. Schüler Wolfgang A. aus Ham., dort geboren am ... 1956
4. Schüler Caspar Wolfgang T. aus Hamb., dort geboren am ... 1955
5. Schüler Franz Otto Am. aus Hamb., geboren am ... 1953 in Hag.
6. Schüler Peter Stephan L. aus Hamb., dort geboren am ... 1955
Amtlicher Leitsatz
"Hausbesetzer", die zur Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Inbesitznahme weitere Straftaten von erheblichem Gewicht planen und vorbereiten, um dem erwarteten Eingreifen der Polizei mit massiver Gewalt zu begegnen, können eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB bilden.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 12. Februar 1975,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Scharpenseel,
die Richter am Bundesgerichtshof Mayer, Dr. Schubath, Dr. Schauenburg, Dr. Krauth
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof ... in der Verhandlung,
Bundesanwalt ... bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. Oktober 1973
- a)
im Schuldspruch dahin geändert, daß schuldig sind
- 1.
der Angeklagte D. der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit gemeinschaftlichem Hausfriedensbruch sowie mit Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung (§§ 129 Abs. 1, 123, 125 Abs. 1 Nr. 2, 113 Abs. 1, 223, 223 a, 47, 73 StGB),
- 2.
der Angeklagte M. der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit gemeinschaftlichem Hausfriedensbruch und bewaffnetem Landfriedensbruch und bewaffnetem Landfriedensbruch (§§ 129 Abs. 1, 123, 125 Abs. 1 Nr. 2, 125 a Nr. 2, 47, 73 StGB),
- 3.
die Angeklagten A., Am., L. und T. der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit gemeinschaftlichem Hausfriedensbruch und Landfriedensbruch (§§ 129 Abs. 1, 123, 125 Abs. 1 Nr. 2, 47, 73 StGB);
- b)
im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten D. wegen gemeinschaftlichen Hausfriedensbruchs und Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung, den Angeklagten M. wegen gemeinschaftlichen Hausfriedensbruchs und bewaffneten Landfriedensbruchs zu Freiheitsstrafen, die Angeklagten A., Am., L. und T. wegen gemeinschaftlichen Hausfriedensbruchs und wegen Landfriedensbruchs zu Jugendarrest und Arbeitsauflagen verurteilt.
Die Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie erstrebt die Verurteilung der Angeklagten auch wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB). Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Bei den Hausbesetzern handelt es sich um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB.
1.
Unter "Vereinigung" ist, wie das Landgericht unter Hinweis auf BGHSt 10, 16, 17 zutreffend angenommen hat, im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum sachlich nicht verschiedenen Begriff der "Verbindung" die auf eine gewisse Dauer berechnete organisatorische Vereinigung einer Anzahl von Personen zu verstehen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, daß sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (RG JW 1931, 3667 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
a)
Nach den Feststellungen des Landgerichts verfolgten alle Teilnehmer an der Aktion mindestens den gemeinsamen Zweck, das Haus in ihre Gewalt zu bringen und auf diese Weise gegen Fehlentwicklungen im Wohnungsbau, gegen die Höhe der Mieten und die Wohnungsknappheit sowie gegen das weitgehende Fehlen von Kontaktmöglichkeiten in Neubauvierteln und die darauf beruhende Vereinsamung des Einzelnen zu demonstrieren (UA S. 15). Insoweit fühlten sie sich als einheitlicher Verband. Ob daneben einzelne Hausbesetzer noch weitere Ziele verfolgten, ist unerheblich.
b)
Die Hausbesetzer hatten sich zur Erreichung des vorerwähnten Zieles zu einer zwar losen, den Anforderungen des § 129 Abs. 1 StGB aber genügenden Organisation zusammengeschlossen. Ein fester organisatorischer Zusammenschluß mit einer Art Über- und Unterordnungsverhältnis ist nicht erforderlich. Auch ein lockerer Zusammenschluß kann den Tatbestand erfüllen. Ein solcher lag hier jedenfalls hinsichtlich der Kerngruppe vor; er kommt insbesondere in der Bildung eines Häuserrates oder Kommitees Ekhofstraße 39, der Abfassung von Flugblättern der Einrichtung einer Informationszentrale und in den zur Verteidigung des Hauses getroffenen Maßnahmen zum Ausdruck. Entscheidend ist, daß eine organisatorisch verselbständigte Einheit vorhanden war, die zur Erreichung des beabsichtigten Zweckes erforderlich und ausreichend war (BGH a.a.O.). Auch brauchten, worauf die Staatsanwaltschaft in ihrer Revision zutreffend hinweist, die Mitglieder dieser Organisation jedenfalls den Helfern nicht persönlich bekannt gewesen zu sein.
c)
Der Zusammenschluß war auf zunächst nicht absehbare Zeit und damit auf längere Dauer angelegt. Die Aktion währte auch fast fünf Wochen, ebenso lange bestand die Verbindung unter den Hausbesetzern. Sie hätte nach deren Willen noch länger bestanden, wenn die Polizei dem rechtswidrigen Zustand nicht ein Ende gesetzt hätte.
2.
Die Zwecke der Vereinigung waren auch, wie die Staatsanwaltschaft mit Recht geltend macht, darauf gerichtet, Straftaten mit erheblichem Unrechtsgehalt zu begehen. Diese waren von vornherein geplant und wurden zudem zum Teil auch ausgeführt. Daß die Begehung von Straftaten nicht der Endzweck der Vereinigung war, ist unerheblich. Es genügt, wenn die Tätigkeit einer Vereinigung auf die Begehung strafbarer Handlungen als Mittel zu irgendeinem Zweck gerichtet ist (BGH, Urteil vom 1. September 1954 - 6 StR 40/54 - bei Wagner, GA 1960, 231); denn die Strafwürdigkeit eines auf die Begehung künftiger Straftaten gerichteten Zusammenschlusses folgt aus der offenen Rechtsfeindschaft der die Vereinsfreiheit mißbrauchenden Mitglieder und Helfer der Vereinigung, die sich in kollektiver Form über Ordnungsnormen des Strafrechts hinwegsetzen.
Das Verhalten der Hausbesetzer erfüllte zwar zunächst - nur - den Tatbestand des Hausfriedensbruchs. Es erschöpfte sich aber nicht darin; die nach der Besetzung getroffenen Vorbereitungen zeigen vielmehr, daß erhebliche, weitere Straftaten geplant waren, denen das Landgericht einen falschen Stellenwert und eine zu geringe Bedeutung beimißt. Die Besetzer waren fest entschlossen, sich im unrechtmäßigen Besitz des Hauses zu erhalten, und zwar gegebenenfalls durch tätlichen Widerstand gegen die Staatsorgane. So hatten sie umfangreiche, bis zur Gefährdung fremden Lebens gehende Vorkehrungen getroffen, mit denen einem Eingriff der Polizei gewaltsam begegnet werden sollte. Dazu hatten sie nicht nur Türen und Fenster mit Balken, Brettern und Maschendraht verbarrikadiert und die Treppe mit einem spanischen Reiter gesperrt; sie hatten darüber hinaus auch lebensgefährdende Angriffswaffen in Form von halbierten Feld- und Ziegelsteinen, die als Wurfgeschosse Verwendung finden sollten, bereitgelegt. Als weitere gefährliche Waffen befanden sich in den Räumen Katapulte mit Glas- und Stahlkugeln, die ebenfalls geeignet waren, erhebliche Verletzungen zuzufügen (UA S. 9). Ein im zweiten Stockwerk gelegenes Zimmer war als "Hauptverbandsplatz" hergerichtet. Die Errichtung eines Wachpostendienstes und einer Funkzentrale als Alarm-, Nachrichten- und Führungsorgane runden das Bild entschlossener Kampfbereitschaft ab. Alle diese Vorkehrungen zeigen, daß die Hausbesetzer sich auf einen großen Kampfeinsatz eingestellt hatten und willens waren, einen solchen durchzustehen. Sie haben damit über das einen geringeren Unrechtsgehalt aufweisende Delikt des Hausfriedensbruchs hinaus schwerwiegende Straftaten wie gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung von vornherein eingeplant und vorbereitet. Diese sollten ihnen ebenfalls als Mittel zu dem Ziel, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen, dienen. Sie sind daher gegenüber dem Hausfriedensbruch nicht von untergeordneter Bedeutung, vielmehr kam gerade ihnen ein erheblicher eigener Demonstrationswert zu. Ohne sie wäre das Interesse der Öffentlichkeit an der Hausbesetzung bald erloschen.
II.
Im Hinblick hierauf sind auch die aus § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB hergeleiteten Bedenken der Strafkammer gegen eine Anwendung des Absatzes 1 dieser Vorschrift nicht gerechtfertigt. Die Beurteilung des Verhaltens der Hausbesetzer durch das Landgericht wird der Bewertung des gesamten Vorganges als einer massiven Beeinträchtigung der inneren Sicherheit nicht gerecht. Zwar wollte der Gesetzgeber im Zuge der teilweisen Neuregelung der Staatsschutzdelikte durch das Vereinsgesetz vom 5. August 1964 (BGBl I, S. 593) mit der Einfügung des Absatzes 2 Nr. 2 den Anwendungsbereich des § 129 StGB begrenzen, eine Regelung, bei der vor allem an die Betätigung von und für Vereinigungen politischen Charakters gedacht war. Deren Anhänger sollten nicht schon unter der Strafandrohung des § 129 StGB stehen, wenn sie in Verfolgung ihrer Ziele häufiger vorkommende strafbare Handlungen von geringer Bedeutung, wie etwa Sachbeschädigungen und Körperverletzungen anläßlich von Versammlungen, begingen (vgl. den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Inneres [6. Ausschuß]über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Vereinsgesetzes - Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucks. IV/2145 [neu] S. 8 -, der sich insoweit auf ein Schreiben des Vorsitzenden des Sonderausschusses Strafrecht des Deutschen Bundestags vom 6. März 1964 stützt).
Von geringfügigen strafbaren Handlungen dieser Art kann jedoch hier keine Rede sein. Das Vorgehen der Hausbesetzer war nämlich nicht auf die Begehung mehr oder minder unbedeutender Straftaten beschränkt, sondern vielmehr auf die Vorbereitung und die Durchführung strafbarer Handlungen von erheblichem Gewicht gerichtet. Wie die getroffenen Maßnahmen deutlich erkennen lassen, sollte dem erwarteten Eingreifen der Polizei mit massiver Gewalt begegnet werden. Bei einer solchen Sachlage ist für eine Anwendung des § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB kein Raum.
III.
Hat somit entgegen der Ansicht des Landgerichts eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB bestanden, so haben die Angeklagten durch ihr Verhalten diese auch unterstützt, indem sie sich mehrfach im Hause aufgehalten und durch ihre Anwesenheit die zur Verteidigung der Hausbesetzung Entschlossenen in ihrem den Angeklagten bekannten (UA S. 24) Verteidigungswillen mindestens bestärkt haben. Sie sind daher der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung schuldig.
Der Senat kann den Schuldspruch von sich aus ändern, da, Anklage und Eröffnungsbeschluß entsprechend, der Vorwurf der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung Gegenstand der Hauptverhandlung war und die Angeklagten somit Gelegenheit hatten, sich auch gegen diesen Vorwurf zu verteidigen.
IV.
Die Verurteilung wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung macht eine Neubestimmung der Konkurrenzverhältnisse der einzelnen Gesetzesverletzungen zueinander erforderlich. Zu dem Vergehen nach § 129 StGB stehen die übrigen Delikte in Tateinheit, da ihre Verwirklichung jeweils konkrete Unterstützungshandlungen im Sinne des § 129 StGB darstellt. Dessen Anwendung stellt ferner unter den anderen Rechtsverstößen - dem gemeinschaftlichen Hausfriedensbruch und dem (bewaffneten) Landfriedensbruch (bei D. in Tateinheit mit Widerstand und gefährlicher Körperverletzung) - Tateinheit her. Das einigende Band, das eine solche schafft, kann zwischen an sich selbständigen Delikten auch durch ein drittes Delikt begründet werden, wenn mit ihm jedes der anderen Delikte ideell konkurriert und das einigende dritte Delikt wenigstens annähernd gleichwertig ist (RGSt 68, 216 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Das ist hier der Fall.
Die Nothwendigkeit, den Strafausspruch aufzuheben, folgt aus der Änderung des im übrigen rechtsbedenkenfreien Schuldspruchs.
Mayer
Dr. Schubath
Dr. Schauenburg
Dr. Krauth