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Bundesgerichtshof
Urt. v. 22.11.1974, Az.: V ZR 177/73

Miteigentum von Grundstücksnachbarn an einer gemeinsamen Giebelmauer (Kommunmauer); Miteigentum an einem Mauerstück; Mauer als wesentlicher Bestandteil eines Hauses; Kriegsbedingte Zerstörung eines Gebäudes; Kriegsbedingte Zerstörung eines an der Kommunmauer teilhabenden Gebäudes; Zerstörung eines Hauses ohne den Willen eines der beiden Grundstückseigentümer; Fortdauerndes Miteigentum des Ruineneigentümers; Recht zur Mitbenutzung einer Mauer; Berechtigung zum Wiederanbau eines Hauses an eine Mauer; Vermietung einer Mauer zu Reklamezwecken

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
22.11.1974
Aktenzeichen
V ZR 177/73
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1974, 12035
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG München I - 13.04.1973

Fundstelle

  • DB 1975, 1843-1844 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Apotheker Harro B., M., R.straße ...

Prozessgegner

Firma S. A. S. KG,
vertreten durch ihren Komplementär August S., M., R.straße ...

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 1974
durch
den Vorsitzenden Richter Hill und
die Richter Dr. Mattern, Offterdinger, Dr. Grell und von der Mühlen
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 13. April 1973 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks R.straße ... in M.. Das aufstehende Haus besaß bis zum zweiten Weltkrieg mit dem Nachbarhaus R.straße 5 eine gemeinsame Giebelmauer (Kommunmauer). Das Nachbarhaus wurde durch Luftangriff zerstört. Die Giebelmauer blieb erhalten.

2

1953 erwarb die Stadt M. das Ruinengrundstück. 1954 verkaufte sie den - von der Straße her gesehen - hinteren Teil des Grundstücks an die Beklagte. Auf ihm errichtete die Beklagte unter Benutzung der Giebelmauer ein neues Gebäude. Den vorderen, 4-5 m tiefer Streifen verwendete die Stadt zur Verbreiterung der Rosenstraße. Die Baulinie wurde entsprechend zurückgenommen.

3

Die Stadt gestattete der Beklagten, den auf dem Straßengrundstück stehenden Teil der Giebelmauer für Reklamezwecke zu benutzen und zu verändern. 1972 verkleidete die Beklagte die Mauer mit einer Fliesenwand.

4

Der Kläger ist der Auffassung, der nur von ihm im Wege des Anbaus benutzte Teil der Giebelmauer gehöre ihm allein. Wenn man aber Miteigentum der Stadt oder der Beklagten annehme, dürfe die freie Fläche jedenfalls nur mit seinem Einverständnis genutzt oder verändert werden. Er begehrt die Feststellung, daß die Beklagte nicht berechtigt sei, daran ohne seine Zustimmung bauliche Veränderungen vorzunehmen oder sie für Werbezwecke zu benutzen; ferner verlangt er Verurteilung der Beklagten zur Entfernung der Fliesenverkleidung. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

5

Im Wege der Sprungrevision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

6

Nach der Auffassung des Landgerichts steht die Kommunmauer einschließlich des Teiles, der an die öffentliche Verkehrsfläche grenzt, im Miteigentum des Klägers, der Beklagten und der Stadtgemeinde, und zwar im Verhältnis der anstoßenden Grundstücksbreiten. Bis zur kriegsbedingten Zerstörung des Hauses Rosenstraße 5 habe die Mauer den Eigentümern der Hausgrundstücke 5 und 6 je zur ideellen Hälfte gehört; die Zerstörung des einen Hauses habe daran nichts geändert (BGHZ 43, 127). Die Eigentumslage sei aber auch nicht davon berührt worden, daß der vordere Teil des früheren Grundstücks R.straße ... dem öffentlichen Verkehr gewidmet und die Baulinie entsprechend zurückverlegt worden, mit einem Wiederanbau an die Kommunmauer von dort her also nicht mehr zu rechnen sei. Die Meinung, das Eigentum an einer Kommunmauer falle dem Eigentümer des bebauten Grundstücks als Alleineigentum zu, wenn es endgültig bei einem einseitigen Anbau bleibe (Hodes in NJW 1972, 900), finde im Gesetz keine Stütze. Selbst wenn man ihr folgen wollte, würde aber der Kläger hier nicht Alleineigentümer dieses Mauerstücks werden können, da er Miteigentümer bleibe, soweit die Beklagte wiederangebaut habe: eine solche unterschiedliche Berechtigung an Teilen der Mauer verbiete sich nach § 93 BGB schon deshalb, weil die Mauer als ganzes wesentlicher Bestandteil des Hauses Rosenstraße 6 sei.

7

Gegen diese Ausführungen wendet die Revision sich ohne Erfolg.

8

Das Miteigentum der Grundstücksnachbarn an der Kommunmauer kann durchaus den Wegfall der Umstände überdauern, die zu seiner Entstehung führten: Zwar kam es für die Begründung des Miteigentumsanteils, der dem früheren Eigentümer des Grundstücks Rosenstraße 5 an der Mauer zustand, entscheidend auf deren Zusammenhang mit dem durch ihn errichteten Gebäude an. Der Wegfall dieses Zusammenhanges infolge der kriegsbedingten Zerstörung des Gebäudes beendete aber sein Miteigentum nicht und führte nicht zu dessen Übergang auf den Kläger. Schon in der erwähnten Entscheidung BGHZ 43, 127, in der es ebenfalls um den Fall der kriegsbedingten Zerstörung eines an der Kommunmauer teilhabenden Gebäudes ging, hat der Senat ausgeführt, bei Zerstörung des einen Hauses durch ein Natur- oder ähnliches Ereignis sei weder ein rechtsdogmatischer Anknüpfungspunkt noch ein praktisches Bedürfnis für die Annahme einer Änderung der Eigentumsverhältnisse ersichtlich. In diesem Zusammenhang hat der Senat in rechtsdogmatischer Hinsicht hervorgehoben, für die Entstehung des Miteigentums könnten beim Erstbau die - auf ein Willensmoment abstellenden - §§ 94 Abs. 2, 95 Abs. 1 Satz 2 BGB, beim Anbau wiederum § 94 Abs. 2 sowie § 946 BGB herangezogen werden, während für den Fall der Zerstörung des einen Hauses ohne den Willen eines der beiden Grundstückseigentümer keine gesetzliche Bestimmung ersichtlich sei, an die man sich zur Begründung einer Eigentumsänderung anlehnen könne. Zur Frage der praktischen Auswirkungen seiner Auffassung hat der Senat hervorgehoben, die Annahme fortdauernden Miteigentums des Ruineneigentümers ergebe eine zwangslose Begründung für sein fortdauerndes Recht zur Mitbenutzung der Mauer. Zum Inhalt dieses Rechts wird in der Entscheidung außer auf die Berechtigung zum Wiederanbau eines Hauses auch auf die zur Benutzung in anderer Weise - auch in jenem Fall ging es um die Vermietung zu Reklamezwecken - hingewiesen.

9

Die Revision verkennt ersichtlich nicht, daß sich aus dieser Entscheidung, von der abzuweichen der Senat keinen Anlaß sieht, nichts für ihren Standpunkt herleiten läßt. Sie glaubt aber, an die Entscheidung des Senats BGHZ 57, 245 anknüpfen zu können: In diesem Urteil ging es anders als im vorstehend erörterten und anders auch als im vorliegenden Fall um den freiwilligen Abbruch des einen der durch eine gemeinsame Giebelmauer verbundenen Häuser durch den Eigentümer. Der Senat hat dazu die Frage erwogen, ob der in BGHZ 43, 127 für den Fall unfreiwilliger Hauszerstörung vermißte rechtsdogmatische Anhaltspunkt bei freiwilligem Abbruch gegeben sei. Er hat dies uneingeschränkt verneint. Auch hat er ein praktisches Bedürfnis für die Annahme einer Eigentumsänderung nicht zu erkennen vermocht, "insbesondere dann nicht, wenn dieser", wie in jenem Fall, "nur ein technisch notwendiges und vorübergehendes Zwischenstadium zu dem ... bereits jetzt geplanten und alsbald durchzuführenden Wiederaufbau des Hauses darstellt." Offen gelassen, weil in jenem Fall nicht entscheidungserheblich, hat der Senat, ob bei einem Abbruch ohne Wiederaufbauwillen einem etwaigen Bedürfnis nach einer Eigentumsänderung durch die Annahme automatischen Eigentumswechsels "oder nicht vielmehr in entsprechender Anwendung der im Senatsurteil BGHZ 23, 57 für Scheinbestandteile im Sinne von § 95 BGB aufgestellten Grundsätze Rechnung zu tragen" sei.

10

Die Revision geht ersichtlich davon aus, daß sich hier eine entsprechende - und nach ihrer Auffassung im Sinne der ersten Alternative zu beantwortende - Frage stelle: sie nimmt an, daß die mit der gegenwärtigen Gestaltung der Fläche einhergehenden Rechtsakte der Widmung und der Baubeschränkung einen Wiederanbau an den gegenwärtig freistehenden Teil der Giebelwand unmöglich machen, und vertritt die Auffassung, im Gegensatz zu dem in BGHZ 57, 245 entschiedenen Falle bestehe hier kein praktisches Bedürfnis mehr für die Aufrechterhaltung des Miteigentums der Stadtgemeinde; vielmehr sei bei Unmöglichkeit des Wiederanbaus im Interesse der Rechtseinheit zwischen den Teilen eines Gebäudes ein automatischer Eigentumswechsel anzunehmen, wie der Senat ihn in der angeführten Entscheidung bereits für einen Abbruch ohne Wiederanbauwillen in Betracht gezogen habe. Auch entspreche es der dort für wesentlichen gehaltenen natürlichen Betrachtungsweise, Alleineigentum des Klägers anzunehmen, weil der umstrittene Teil der Giebelwand seine Zweckbestimmung, nach beiden Seiten hin einem Hause als Bestandteil zu dienen, endgültig verloren habe.

11

Dem vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, weil, wenn man überhaupt die Fortdauer des Miteigentums von einem praktischen Bedürfnis abhängig macht, auch das schon in BGHZ 43, 127 erörterte Interesse des Ruineneigentümers an der Benutzung der Mauer auf andere Weise als durch Wiederanbau eines Hauses zu berücksichtigen ist. Abgesehen von der hier vorliegenden Vermietung der Mauer zu Werbezwecken könnte in diesem Zusammenhang auch an die Möglichkeit gedacht werden, daß - bei Aufrechterhaltung der Widmung - die Stadtgemeinde dem Eigentümer des jetzigen Grundstücks Rosenstraße 5 etwa das Recht einräumt, sein Gebäude vom ersten Stock an vorzuziehen, wenn ebenerdig ein Durchgang für Fußgänger (Arkadengang) freigehalten wird. Zu diesem Zwecke könnte die gegenwärtige Baubeschränkung durch Teiländerung der Baulinie aufgehoben werden. Von alledem abgesehen hat das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision keine tatsächlichen oder rechtlichen Vorgänge festgestellt, die den Wiederanbau eines Gebäudes vom Grundstück der Stadtgemeinde auf die Dauer ausschließen, die also mehr besagen würden, als daß eine solche Benutzung des umstrittenen Teiles der Giebelwand durch den Eigentümer dieses Grundstücks zur Zeit nicht wahrscheinlich (mit ihr nicht zu rechnen) ist. Die Einbeziehung der R.straße in die Fußgängerzone, die die Verbreiterung der öffentlichen Verkehrsfläche bis zum Hause des Klägers sinnvoll erscheinen lassen mag, bindet die Stadtplanung nicht. Sollten sich die Verkehrsbedürfnisse oder die gestalterischen Vorstellungen ändern, wäre es der Gemeinde nicht verwehrt, die partielle Verbreiterung aufzugeben und sie in dem dafür vorgesehenen Rechtsverfahren der Entwidmung dem öffentlichen Verkehr zu entziehen. Auch die gegenwärtige Baulinie kann geänderten Vorstellungen über Funktion und Gestaltung der Rosenstraße angepaßt werden. Hiernach haben die gegenwärtige Gestaltung des städtischen Grundstücks, die ihr zugrundeliegenden Planungsvorstellungen und damit einhergehenden Rechtsakte nicht einen Zustand geschaffen, bei welchem mit einem Anbau an die Giebelwand vom Grundstück der Stadtgemeinde nach menschlichem Ermessen nicht mehr gerechnet zu werden braucht. Ob eine Veränderung auf diesem Grundstück vorzustellen wäre, die aus tatsächlichen Gründen einen Wiederanbau auf die Dauer ausschließt, und wie die Frage des Eigentumswandels dann zu beantworten wäre, kann auf sich beruhen.

12

Gegen die Auffassung des Landgerichts, daß die Gemeinde den ihrem Grundstück zugewandten Teil der Giebelwand zu Werbungszwecken nutzen und diese Nutzung einem Dritten (der Beklagten) überlassen dürfe, ist nichts zu erinnern. Sie wird auch von der Revision nicht angegriffen.

Hill
Mattern
Offterdinger
Dr. Grell
von der Mühlen