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Bundesgerichtshof
Urt. v. 06.06.1974, Az.: II ZR 114/72

Bestimmung zum Abschluss eines Vertrages durch widerrechtliche Drohung; Rechtfertigung der Anfechtung eines Vertrages; Anforderungen an das Bestehen einer Zwangslage; Anforderungen an das Vorliegen einer widerrechtlichen Drohung; Bestehen einer sittenwidrigen Übervorteilung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
06.06.1974
Aktenzeichen
II ZR 114/72
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1974, 12529
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Oldenburg - 29.06.1972

Fundstelle

  • DB 1975, 151 (Kurzinformation)

Prozessführer

Kaufmann Hans T., B., G.-S.-Straße ...

Prozessgegner

L.B. AG u. Co. KG
vertreten durch ihre persönlich haftende Gesellschafterin die Firma L. AG
diese vertreten durch den Vorstand Kaufmann Friedhelm L., O., A. P. Straße ...

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung
vom 6. Juni 1974
durch
den Vorsitzenden Richter Stimpel und die Richter Dr. Schulze
Fleck, Dr. Kellermann und Dr. Tidow
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Oldenburg vom 29. Juni 1972 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger war Kommanditist der Beklagten und des Bauunternehmens L. und T. AG u. Co. KG sowie Aktionär und Mitglied des Aufsichtsrats der L. AG, der Komplementär-AG dieser beiden Gesellschaften. Er hat am 29. Juni 1970 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Anstellungsvertrag geschlossen, der nur aus wichtigem Grunde gekündigt werden konnte und mit dem Ausscheiden des Klägers als Kommanditist der Beklagten enden sollte.

2

Mit Schreiben vom 15. Dezember 1970 hat die Beklagte den Anstellungsvertrag fristlos mit der Begründung gekündigt, der Kläger habe verschwiegen, daß ihm - unstreitig - am 6. Dezember 1970 nach einem Verkehrsunfall eine Blutprobe entnommen und der Führersein einbehalten worden sei, der eine wichtige Voraussetzung für die Ausübung seiner Tätigkeit dargestellt habe. Außerdem habe er die Verpflichtung, seine Arbeitskraft voll der Beklagten zur Verfügung zu stellen, nicht erfüllt, verschiedene Angelegenheiten nicht ordnungsgemäß bearbeitet, unberechtigt Spesen erhoben und die Beklagte bei Kaufverträgen über seine Vollmacht hinaus verpflichtet. Im Anschluß an eine Besprechung über die Kündigung zwischen dem Kläger, dem Kaufmann Friedhelm L. - dem Mitkommanditisten und Vorstand der L. AG - und dem Rechtsanwalt S.-H - dem Aufsichtsratsvorsitzenden der L. AG - kam es am 20. Dezember 1970 zu einer Vereinbarung, durch die unter anderem festgelegt wurde, daß

  1. a)

    die fristlose Kündigung aufgehoben wird und der Anstellungsvertrag des Klägers am 31. März 1971 endet,

  2. b)

    der Kläger gegen Abfindungssummen von 80.000 DM und 10.000 DM als Kommanditist der Beklagten und der L. und T. AG u. Co. KG ausscheidet und

  3. c)

    der Kläger seine Aktien der L. AG an Friedhelm L. zum Nennwert von 10.000 DM verkauft und seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat mit sofortiger Wirkung endet.

3

Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß diese Vereinbarung nichtig sei. Er hat die Vereinbarung mit der Begründung wegen Drohung angefochten, Friedhelm L. habe die fristlose Kündigung in unzulässiger Weise als Druckmittel benutzt, um ihn zum Ausscheiden aus den von ihm mitgegründeten Gesellschaften zu zwingen. Die Vereinbarung sei außerdem sittenwidrig und wucherisch und deshalb nach § 138 BGB nichtig; die Abfindungsleistungen stünden in einem groben Mißverhältnis zu den Ansprüchen, die ihm bei einem regulären Ausscheiden aus den Gesellschaften entstanden wären.

4

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Feststellungsklage als unbegründet abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Feststellungsantrag weiter.

5

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist nicht begründet.

7

I.

Das Berufungsgericht hält die Vereinbarung vom 20. Dezember 1970 weder für anfechtbar noch für sittenwidrig.

8

Es könne nicht festgestellt werden, daß der Kläger widerrechtlich durch Drohung zum Abschluß der Vereinbarung bestimmt worden sei. Eine Erklärung Friedhelm L.s, die fristlose Kündigung nicht zurückzunehmen, wenn der Kläger nicht auf die Vereinbarung über sein Ausscheiden aus den drei Gesellschaften eingehe, könne zwar eine Drohung im Sinne des § 123 BGB darstellen; der Kläger habe aber nicht bewiesen, daß L. sich in diesem Sinne geäußert habe. Überdies sei die Anfechtung deshalb nicht gerechtfertigt, weil die von dem Kläger behauptete Drohung für diesen keine Zwangslage begründet habe, die für den Abschluß des Vertrages ursächlich geworden sei. Aus seinem Vorbringen, er habe die Kündigung für völlig unberechtigt gehalten, sei seine - objektiv begründete - Überzeugung abzuleiten, diese Kündigung könne ohne große Schwierigkeiten beseitigt werden. Eine Zwangslage ergebe sich auch nicht daraus, daß der Kläger von der Haltung L.s überrascht geworden sei und ohne sofortige Regelung vor einem finanziellen Nichts gestanden habe. Dem geltend gemachten Überraschungsmoment - dem überdies keine erhebliche Bedeutung beizumessen sei, weil es sich um eine Verhandlung zwischen geschäftsgewandten Kaufleuten gehandelt habe - stehe entgegen, daß die Parteien zunächst über die Frage verhandelt hätten, ob die fristlose Kündigung rückgängig gemacht werden könne; erst nachdem hierüber keine Einigung zu erzielen gewesen sei, habe man über ein mögliches Ausscheiden des Klägers aus den Gesellschaften verhandelt. Das Berufungsgericht hebt in diesem Zusammenhang vor allem darauf ab, daß die Beteiligten sich gütlich einigen wollten, der Kläger selbst eigene Vorstellungen über die Regelung bei seinem Ausscheiden entwickelt und über die Höhe der zu zahlenden Abfindung auch bestimmte Summen genannt hat. Die finanziellen Auswirkungen der Kündigung hätten sich darauf beschränkt, daß künftig die Auszahlung der monatlichen Vergütung von 2.000 DM in Frage gestellt gewesen sei; die Einnahmen des Klägers als Kommanditist und Aktionär seien davon nicht berührt worden. All dies, aber auch der Umstand, daß der Kläger seit dem Sommer 1970 die Zusammenarbeit mit L. unerfreulich angesehen und alsbald nach seinem Ausscheiden im gleichen Geschäftszweige ein eigenes Unternehmen eröffnet habe, spreche dafür, daß der Kläger durch eigene vernünftige Überlegungen und nicht aufgrund einer von L. herbeigeführten Zwangslage zum Abschluß des Vertrages vom 20. Dezember 1970 bestimmt worden sei.

9

Eine Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten scheide aus, weil weder ein Ausbeuten einer Notlage oder des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit des Klägers vorliege noch ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung.

10

II.

Soweit das Berufungsgericht die Anfechtung als unbegründet erachtet, kann es dahingestellt bleiben, ob die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht das Vorliegen einer Drohung verneint, rechtlich bedenkenfrei sind. Die angefochtene Entscheidung wird insoweit jedenfalls von der Hilfsbegründung getragen.

11

1.

§ 123 BGB verlangt, daß der Anfechtende zur Abgabe einer Willenserklärung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Daraus folgt zwar nicht, daß eine Anfechtung nur dann möglich ist, wenn er durch das angedrohte Übel empfindlich getroffen wird. Das Übel muß jedoch - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - derart sein, daß es den Anfechtenden tatsächlich in eine Zwangslage gebracht hat und für seine Willensbildung (mit) entscheidend war. Denn nur dann kann angenommen werden, daß die Drohung für die Willenserklärung ursächlich war und den Anfechtenden in seiner Willensentschließung beeinflußt hat. An diesen Voraussetzungen fehlt es, wenn der Anfechtende nicht einem auf die Bestimmung des Willens gerichteten Verlangen nachgegeben, sondern die Willenserklärung aus eigener selbständiger Überlegung abgegeben hat (BGH, Urt. v. 23.9.57 - VII ZR 403/56, WM 1957, 1361, 1363 m.w.N.).

12

2.

Diesen Grundsätzen trägt das Berufungsgericht in vollem Umfange Rechnung. Seine oben wiedergegebenen Erörterungen, die in der Feststellung gipfeln, es seien nicht die Auswirkungen einer Zwangslage gewesen, sondern eigene vernünftige Überlegungen, die den Kläger zum Abschluß der Vereinbarung vom 20. Dezember 1970 bestimmten, rechtfertigen danach den Schluß, daß im vorliegenden Falle die Voraussetzungen des § 123 BGB nicht gegeben sind.

13

Bei der Frage, ob der von einer widerrechtlichen Drohung Betroffene eine Willenserklärung aufgrund freier Entschließung abgegeben oder aber einem Druck nachgegeben hat, handelt es sich um eine Tatfrage, die in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Tatrichters fällt. Eine Nachprüfung im Revisionsverfahren ist nur insoweit möglich, als das Berufungsgericht bei der Feststellung und Würdigung des seiner Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts Verfahrensvorschriften, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt hat. Was die Revision in dieser Richtung vorträgt, vermag ihr jedoch nicht zum Erfolg verhelfen.

14

a)

Aus dem - in anderem Zusammenhange erhobenen (RB 4) - Einwand, die fristlose Kündigung und die Weigerung, sie rückgängig zu machen, habe für den Kläger ein erhebliches Übel dargestellt, weil er dadurch gezwungen gewesen wäre, seine Ansprüche im Rechtsweg durchzusetzen, und ihm während der Dauer des Rechtsstreits seine Vergütung von monatlich 2.000 DM gefehlt hätte, mag zwar abgeleitet werden können, daß für den Kläger eine Zwangslage bestand. Daraus ergibt sich aber nicht, daß diese Zwangslage auch ursächlich für den Abschluß des beanstandeten Vertrages war. Das Berufungsgericht hat dies rechtsfehlerfrei mit dem Hinweis verneint, daß nach dem eigenen Vorbringen des Klägers der Unterhalt für seine Familie, der aus diesen Einkünften bestritten wurde, bis zum 17. Januar 1971 sichergestellt war und er hinreichend Zeit hatte, um wegen der Weiterzahlung der Vergütung die nötigen Schritte einzuleiten.

15

Für die Auffassung des Berufungsgerichts, er habe nicht einer Drohung nachgegeben, sondern den Vertrag aus eigener selbständiger Überlegung abgeschlossen, spricht überdies der Umstand, daß er selbst - wie Rechtsanwalt S.-H. als Zeuge unwidersprochen bekundet hat - im Rahmen der Vertragsverhandlungen für sein Ausscheiden Abfindungsbeträge genannt und 150.000 DM verlangt hat.

16

Darüber hinaus läßt die Revision hierbei außer Betracht, daß die Frage, ob sich der Kläger in einer Notlage befand, umstritten und Beweis hierfür nicht angetreten war, so daß das Berufungsgericht auch aus diesem Grunde die erforderliche Feststellung nicht treffen konnte, die - unterstellte - Drohung sei für den Vertragsabschluß ursächlich gewesen.

17

b)

Das angefochtene Urteil bietet auch keine Anhaltspunkte dafür, daß das Berufungsgericht - wie die Revision weiter meint - den Vortrag des Klägers übersehen hat, ihm sei bei den Verhandlungen keine Überlegungsfrist zugebilligt worden und er habe nach dem Unfall vom 6. Dezember 1970 unter einem Schockzustand gelitten, der "mit entsprechenden Kreislaufregulationsstörungen einige Tage anhielt" (Zeugnis des Arztes Dr. G. vom 17.12.1970). Das Berufungsgericht hat sich mit diesem Vorbringen allerdings nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Das war aber auch bei der Beurteilung der hier allein entscheidenden Frage, ob der Kläger durch die - vom Berufungsgericht unterstellte - rechtswidrige Drohung zum Vertragsschluß bestimmt worden ist, nicht erforderlich. Für eine einwandfreie Würdigung der Sach- und Rechtslage bedarf es nicht eines ausdrücklichen Eingehens auf jedes einzelne Vorbringen der Parteien und einer ausdrücklichen Auseinandersetzung damit, sofern sich nur ergibt, daß eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (BGHZ 3, 162, 175). Dies ist aber dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe zu entnehmen.

18

III.

Die Rüge der Revision, die Vereinbarung vom 20. Dezember 1970 verstoße gegen die guten Sitten, weil die Abfindungssummen von zusammen 100.000 DM - insbesondere der Betrag von 80.000 DM für den Anteil des Klägers an der Beklagten - zu niedrig festgesetzt worden seien, greift ebenfalls nicht durch.

19

Der Sachvortrag des Klägers enthält keine ausreichenden Tatsachen, die eine sittenwidrige Übervorteilung ergeben könnten. Hierfür genügen nicht die Darlegungen in der Berufungsbegründung (Bl. 10 = GA 128) und in der Klageschrift (Bl. 7 = GA 7). Denn aus dem Umstand, daß die Beklagte bei seinem Ausscheiden eine Reihe von Bauobjekten in Angriff genommen hatte, aus denen ein Bruttogewinn von 1,5-2 Mio. DM zu erwarten gewesen sei (GA 7), kann ebensowenig etwas über die wahre Lage der Gesellschaft entnommen werden, wie daraus, daß der Gewinn im Jahre 1970 100.000 DM betragen habe. Keinesfalls ist damit der Tatbestand der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 BGB schlüssig dargelegt, zumal hierbei auch zu berücksichtigen ist - wie das Landgericht in seinem Urteil, auf das das Berufungsgericht insoweit Bezug nimmt, zutreffend ausgeführt hat -, daß der Kläger mit der Regelung vom 20. Dezember 1970 auch von den mit der Beteiligung an einem Unternehmen der vorliegenden Art - bei der Beklagten handelt es sich um eine Baufinanzgesellschaft - verbundenen Risiken freigestellt worden ist.

Stimpel Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schulze und Dr. Tidow sind beurlaubt und deshalb verhindert zu unterschreiben. Stimpel
Fleck
Dr. Kellermann