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Bundesgerichtshof
Urt. v. 08.11.1973, Az.: III ZR 161/71

Schadensberechnung; Verzugsschaden; Schadenshöhe; Geldgläubiger

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
08.11.1973
Aktenzeichen
III ZR 161/71
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1973, 11104
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
KG Berlin - 30.04.1971

Fundstelle

  • DB 1974, 529 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Berechnung des Verzugsschadens eines Geldgläubigers.

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 1973
durch
den Vorsitzenden Richter Hubert Meyer
sowie die Richter Dr. Kreft, Dr. Arndt, Dr. Hußla und Keßler
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 30. April 1971 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an den 8. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt von der Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung Schadensersatz aufgrund folgenden Sachverhalts:

2

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 7. September 1966 verkaufte der Kläger einen aus zwei Flurstücken (... und ...) bestehenden Grundbesitz an die Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft B. mbH (GSW). Von dem Gesamtkaufpreis von 1.330.000 DM entfiel auf das mit Gebäuden und Nebeneinrichtungen bestandene Flurstück ... ein Betrag von 358.600 DM. Der Antrag des Notars auf Erteilung der Genehmigung nach dem Grundstücksverkehrsgesetz vom 28. Juli 1961 wurde von der Genehmigungsbehörde, dem Berliner Senator für Wirtschaft, am 4. November 1966 dahin beschieden, daß die Genehmigung erteilt, für das Flurstück ... jedoch mit der Auflage verbunden wurde, es an einen Landwirt oder ein Siedlungsunternehmen zu veräußern. Der hiergegen gerichtete Antrag der GSW vom 21. November 1966 auf gerichtliche Entscheidung wurde jedoch zunächst nicht an das zuständige Landwirtschaftsgericht weitergeleitet, weil die Beteiligten davon ausgingen, durch eine Änderung des Baunutzungsplans werde sich die mit der Auflage verbundene Veräußerungsgenehmigung für das Flurstück ... erledigen. Die Vertragsparteien kamen überein, daß es sich bei der Veräußerung der beiden Flurstücke um die Veräußerung von zwei selbständigen Grundstücken handelt, und schlossen noch im November 1966 einen entsprechenden notariell beurkundeten Vertrag, aufgrund dessen die Veräußerung des Flurstücks ... durchgeführt wurde.

3

Nachdem bis zum Frühjahr 1968 die erwartete Änderung des Baunutzungsplans ausgeblieben war, forderte der Kläger die Genehmigungsbehörde unter dem 1. März 1968 auf, die Veräußerungsgenehmigung für das Flurstück ... ohne Auflage zu erteilen. Die Genehmigungsbehörde entsprach diesen Antrag nicht und leitete im Juni 1968 den Antrag der GSW auf gerichtliche Entscheidung, dem der Kläger sich angeschlossen hatte, an das Landwirtschaftsgericht (Amtsgericht Schöneberg) weiter. Dieses Gericht hob mit rechtskräftigem Beschluß vom 17. Januar 1969 den Genehmigungsausspruch der Genehmigungsbehörde bezüglich des Flurstücks ... auf und stellte fest, daß eine Genehmigungspflicht nach dem Grundstücksverkehrsgesetz nicht bestehe. Nunmehr wurde die GSW als neue Eigentümerin auch des Flurstücks ... in das Grundbuch eingetragen, und der Kläger erhielt von ihr den Kaufpreis von 358.600 DM.

4

Der Kläger macht geltend: Nach dem rechtskräftigen Beschluß des Landwirtschaftsgerichts stehe bindend fest, daß die Bediensteten der Beklagten bei der Genehmigungsbehörde zu Unrecht von dem Genehmigungserfordernis für die Veräußerung des Flurstücks ... ausgegangen seien und die Genehmigung noch mit einer Auflage versehen hätten. Die Bediensteten hätten insoweit ihre auch dem Kläger gegenüber obliegenden Amtspflichten schuldhaft verletzt und ihm Schaden zugefügt. Hätte die Genehmigungsbehörde, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, dem mit Schreiben des Klägers vom 1. März 1968 gestellten Antrag entsprochen, dann wäre die Eigentumsumschreibung für das Flurstück ... unmittelbar nach dem 1. April 1968 erfolgt und der Kaufpreis an den Kläger ausgezahlt worden. Tatsächlich sei dies erst im März 1969 geschehen. In der Zeit vom 1. April 1968 bis zum 14. März 1969 sei dem Kläger ein erheblicher Zinsverlust entstanden; denn er hätte den Kaufpreis von 358.600 DM mindestens in mit 6 % festverzinslichen Wertpapieren anlegen können.

5

Der Kläger hat dementsprechend vor dem Landgericht beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 20.619,50 DM mit Zinsen zu verurteilen.

6

Das Landgericht hat dem Antrag der Beklagten entsprechend die Klage abgewiesen und in der Begründung ausgeführt, daß zwar eine Amtspflichtverletzung der Bediensteten der Genehmigungsbehörde vorliege, ein Verschulden aber insoweit nicht festgestellt werden könne. Ein Entschädigungsanspruch wegen eines enteignungsgleichen Eingriffs sei ebenfalls nicht gegeben.

7

In der Berufungsinstanz hat der Kläger seinen Klageantrag auf 25.102 DM (7 % von 358.600 DM) mit Zinsen erhöht und dazu geltend gemacht: Er habe den Kaufpreis erst nach dem 1. April 1969 ausgezahlt erhalten, so daß ihm Zinsen für ein ganzes Jahr und zwar in Höhe von 7 % im Betrage der erhöhten Klageforderung entgangen seien.

8

Das Kammergericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

9

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Antrag weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

10

I.

Das Kammergericht hat erwogen:

11

Zwar stehe fest, daß der sich auf das Flurstück ... beziehende Genehmigungsbescheid vom 4. November 1966 objektiv eine Amtspflichtverletzung darstelle. Es könne jedoch dahinstehen, ob den Ausführungen des Landgerichts über das Fehlen eines Verschuldens der verantwortlichen Bediensteten der Beklagten zu folgen sei, da ein Schadensersatzanspruch jedenfalls schon deswegen ausscheide, weil der Kläger einen auf den Erlaß des Genehmigungsbescheides zurückzuführenden Schaden nicht dargetan habe.

12

Bis zur mündlichen Verhandlung im Berufungsrechtszug am 30. April 1971 habe der Kläger zum Schaden vorgetragen, daß ihm ein erheblicher Zinsverlust entstanden sei, weil er den Kaufpreis für das Flurstück ... bei einer früheren Auszahlung in mit 6 oder 7 % zu verzinsenden Wertpapieren hätte anlegen können.

13

Bei seiner persönlichen Anhörung am 30. April 1971 habe der Kläger jedoch erklärt: Er würde niemals Wertpapiere gekauft, vielmehr das gesamte Geld aus dem Grundstücksverkauf in den Ausbau seines Mietshauses gesteckt haben, der schon bei dem Verkauf des Grundstücks geplant gewesen sei und bei einer früheren Auszahlung der Kaufsumme in einem entsprechenden Umfang früher hätte durchgeführt werden können, und zwar zu Baukosten, die mindestens 7 % geringer gewesen seien als die tatsächlich entstandenen. In jedem Fall würde er die Kaufsumme auf die Bank gelegt und dann davon Bankzinsen erhalten haben.

14

Dieses neue in der Berufungsbegründung nicht mitgeteilte Vorbringen des Klägers sei gemäß § 529 Abs. 2 ZPO nicht mehr zuzulassen, weil seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und weil der Kläger nach der Überzeugung des Gerichts dieses Vorbringen im ersten Rechtszug aus grober Nachlässigkeit unterlassen habe.

15

Die Voraussetzungen für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff habe das Landgericht zu Recht verneint.

16

II.

Die Revision greift das Berufungsurteil insoweit nicht an, als es dem Kläger einen Entschädigungsanspruch aus dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs versagt hat. Soweit sich die Revision jedoch gegen die Abweisung der Klage aus Amtspflichtverletzung wendet, hat sie Erfolg.

17

Der Schaden, der dem Kläger aus der angeblichen Amtspflichtverletzung entstanden sein soll, besteht darin, daß ihm der Kaufpreis für das Flurstück ... in Höhe von 358.600 DM nicht bereits am 1. April 1968, sondern erst nach dem 1. April 1969 zur Verfügung gestanden hat, er also dieses Kapital mindestens ein Jahr lang nicht hat nutzen können. Der Schaden ist seiner Art nach mithin dem gleich, den der Gläubiger einer Geldleistung erleidet, wenn der Schuldner mit seiner Zahlung in Verzug gerät. In derartigen Fällen kann der Geschädigte (Gläubiger) seinen Schaden auf verschiedene Weise berechnen:

18

In Fällen typischer Schäden kann der Geschädigte seinen Schaden als objektiven Schaden geltend machen, d.h. er kann von den besonderen bei ihm gegebenen Verhältnissen absehen und seinen Schaden in typisierender Weise berechnen (vgl.v. Caemmerer, Das Recht der überholenden Kausalität im Schadensersatzrecht, 1962, S. 7 ff mit weiteren Nachweisen). Das gilt nicht nur bei der Beschädigung von Sachen, die einen bestimmten Marktwert haben, sondern auch für den Schaden, der in dem Entgang von Nutzungen an Sachen und vor allem von Nutzungen an Kapital liegt und bei dem eine auf die allgemeine Lebenserfahrung gegründete typisierende Berechnung in besonderem Maße angebracht und sachgerecht ist. Bei einem durch den Entgang einer Kapitalnutzung verursachten Schaden, wie er hier in Rede steht, kann der Geschädigte mithin seinen Schaden "objektiv" berechnen und sich dazu auf die allgemeine Lebenserfahrung berufen, nach der ein größerer Geldbetrag nicht nutzlos verwahrt, sondern zumindest verzinslich angelegt wird, so daß die Vorenthaltung von Geld und damit der Entzug der Nutzungsmöglichkeit eines Kapitals zu Zinsverlusten in mehr oder minder großer Höhe führt. Demgegenüber bleibt es dem Schädiger (Schuldner) unbenommen, vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, daß der Geschädigte (Gläubiger) einen derart berechneten Schaden in Wirklichkeit nicht erlitten habe, weil er, auch wenn ihm der geschuldete Geldbetrag rechtzeitig zur Verfügung gestanden hätte, diesen doch nicht gewinnbringend oder wenigstens nicht gewinnbringend in der der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechenden Höhe angelegt haben würde.

19

Der Geschädigte kann den Schaden, der ihm dadurch entstanden ist, daß er nicht rechtzeitig den geschuldeten Geldbetrag erhalten hat, aber auch konkret berechnen. Dazu muß er darlegen und gegebenenfalls beweisen, wie er den Geldbetrag, wenn dieser ihm rechtzeitig zur Verfügung gestanden hätte, tatsächlich verwandt und wie sich das für ihn vermögensmäßig ausgewirkt haben würde, welcher Schaden ihm mithin durch den Entzug dieser konkreten Verwendungsmöglichkeit entstanden ist.

20

Zwischen den beiden Möglichkeiten der Schadensberechnung hat der Geschädigte (Gläubiger) die Wahl, und er kann auch bis zur letzten mündlichen Verhandlung grundsätzlich von einer Berechnungsart auf die andere übergehen (vgl. dazu BGH in NJW 1953, 337 = LM § 286 BGB Nr. 2).

21

Der Kläger hatte zur Höhe seines Schadens bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht geltend gemacht, er hätte den Kaufpreis von 358.600 DM in festverzinslichen Wertpapieren, die mit mindestens 7 % verzinst werden, anlegen können. Dieses Vorbringen war dahin zu verstehen, daß er den Wert der ihm entgangenen Kapitalnutzung objektiv unter Berufung auf eine allgemeine Lebenserfahrung berechnet wissen wolle, nach der während der in Betracht kommenden Zeit ganz allgemein eine Anlage von Kapital - unter anderem - in mit 7 % verzinslichen Wertpapieren ohne weiteres möglich gewesen wäre. Damit war die Klageforderung ihrer Höhe nach schlüssig begründet.

22

Ob in den Angaben des Klägers, die er auf Veranlassung des Berufungsgerichts zu der Frage abgegeben hat, wie er tatsächlich die Kaufsumme bei rechtzeitiger Zurverfügungstellung verwandt haben würde, überhaupt eine Erklärung gesehen werden kann, er wolle seinen Schaden nunmehr - auch - konkret berechnen, ist bereits zweifelhaft. Jedenfalls liegt kein ausreichender Anhalt für die Annahme vor, der Kläger sei von seiner bisherigen Schadensberechnung ganz abgegangen und wolle von nun an seinen Schaden ausschließlich konkret danach berechnen, wie er tatsächlich über die rechtzeitig zur Verfügung stehende Kaufsumme disponiert und wie sich das für ihn vermögensmäßig ausgewirkt haben würde (zur Zulässigkeit des Nebeneinander verschiedener Schadensberechnungen vgl. die bereits erwähnte Entscheidung in NJV 1953, 337). Das Kammergericht durfte deshalb auf keinen Fall die Klage abweisen mit der Begründung, das Vorbringen zur konkreten Schadensberechnung sei wegen Verspätung gemäß § 529 Abs. 2 ZPO nicht mehr zuzulassen. Selbst wenn man dem Kammergericht darin folgen wollte, daß hinsichtlich dieses Vorbringens die Voraussetzungen des § 529 Abs. 2 ZPO für eine Nichtzulassung gegeben gewesen seien, dann konnte daraus allenfalls gefolgert werden, der Kläger könne die - ihm gegebenenfalls günstigere - konkrete Berechnung seines Schadens nicht mehr vornehmen, sondern müsse es - allein - bei der objektiven Bewertung seines Schadens belassen.

23

Sonach läßt sich das angefochtene Urteil mit der ihm gegebenen Begründung nicht halten. Es kann aber bei dem bisherigen Sach- und Streitstand die Abweisung der Klage auch nicht mit anderer Begründung gerechtfertigt werden.

24

Das gilt selbst dann, wenn man mit den Vorinstanzen davon ausgeht, es stehe aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses des Amtsgerichts Schöneberg vom 17. Januar 1969 mit bindender Wirkung auch für das jetzige Verfahren fest, daß der Kaufvertrag über das Flurstück ... einer Genehmigung nach dem Grundstücksverkehrsgesetz nicht bedurfte. Denn jedenfalls läßt sich die Frage des Verschuldens, die zwar nicht eine reine Tat- sondern auch eine der revisionsrichterlichen Nachprüfung unterliegende Rechtsfrage ist, vom erkennenden Senat noch nicht abschließend beantworten, da das Kammergericht es an der Feststellung des für die Beantwortung der Schuldfrage maßgeblichen Sachverhalts bisher, von seiner Rechtsauffassung aus zu Recht, hat fehlen lassen.

25

Das Berufungsurteil muß daher aufgehoben und die Sache muß zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Dabei macht der Senat von der ihm in § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO eingeräumten Befugnis Gebrauch, die Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen.

Meyer
Kreft
Dr. Arndt
Dr. Hußla
Richter Keßler ist erkrankt und kann deshalb nicht unterschreiben. Meyer