Bundesgerichtshof
Urt. v. 06.04.1973, Az.: V ZR 127/72
Verweigerung der Zahlung unter Berufung auf Mängel des Hauses; Anforderungen an einen Besitzübergang; Begründung eines Anspruchs auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 06.04.1973
- Aktenzeichen
- V ZR 127/72
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1973, 11706
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Köln - 18.05.1972
- LG Köln
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DB 1973, 913-914 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1973, 572 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
Helene B. in P., P.straße ...,
gesetzlich vertreten durch den Pfleger, Rechtsanwalt van B., P., K.str. ...
Prozessgegner
Ingenieur Wolfgang W. in W. bei K., F. Weg ...
Amtlicher Leitsatz
Zur Frage der Übertragung des unmittelbaren Besitzes durch Schlüsselübergabe.
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung
vom 6. April 1973
durch
den Vorsitzenden Richter Hill und
die Richter Dr. Rothe, Dr. Freitag, Dr. Mattern und Offterdinger
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 18. Mai 1972 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Durch notariellen Vertrag vom 11. Februar 1969 zwischen den Parteien hat sich der Kläger gegenüber der Beklagten verpflichtet, auf dem Grundstück in P., P.straße ... ein Kaufeigenheim zu errichten und ihr gegen Zahlung von 98.950 DM nebst Mehrwertsteuer das Eigentum an Grundstück und Gebäude zu übertragen.
Am 15. November 1969 zog die Beklagte in das Haus ein. Die Parteien streiten in einem anderen Prozeß um die Pflicht der Beklagten zur Zahlung, die sie unter Berufung auf Mängel des Hauses verweigert, und um die Wirksamkeit des vom Kläger am 9. Juni 1970 erklärten Rücktritts vom Vertrag.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger Herausgabe des geräumten Anwesens. Er stützt den Klaganspruch auf Besitz, hilfsweise auf den Rücktritt.
Im Berufungsrechtszug hat die Beklagte Widerklage erhoben auf Feststellung, daß sie einen Anspruch auf Einräumung des Besitzes und der Nutzungen an dem Grundstück habe.
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Die Widerklage wurde vom Oberlandesgericht als unzulässig abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte Klagabweisungsantrag und Widerklage weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Hinsichtlich der Klage trifft der rechtliche Ausgangspunkt des angefochtenen Urteils zu: Wer einem unmittelbaren Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht, handelt in der Regel widerrechtlich (verbotene Eigenmacht), besitzt fehlerhaft und ist verpflichtet, dem bisherigen Besitzer den Besitz wieder einzuräumen (§§ 858, 861 BGB); das gilt auch dann, wenn dem Besitzentzieher ein Recht zum Besitz zusteht, solange nicht ein solches dingliches Recht rechtskräftig festgestellt ist (§§ 863, 864 Abs. 2 BGB).
Dagegen ist die Annahme des Oberlandesgerichts, die Beklagte habe dem Kläger gegenüber eine solche Besitzentziehung vorgenommen, nicht frei von Rechtsirrtum:
a)
Das Oberlandesgericht führt aus: Die Beklagte habe das Haus ohne den Willen des Klägers bezogen; der Kläger habe den Einzug weder bereits im Vertrag noch durch die Bezugsfertigkeitszusage für Juli 1969 noch am Einzugstag selbst.noch nachträglich durch Annahme einer Zahlung von 20.000 DM auf den Kaufpreis gestattet.
Dabei ist jedoch, soweit Räumung in Betracht kommt, nicht beachtet, daß die Möbel nach dem festgestellten Sachverhalt im Einverständnis des Klägers in das Haus gebracht wurden, so daß ihre Wiederentfernung unter besitzschutzrechtlichem Gesichtspunkt nicht verlangt werden kann.
Darüber hinaus ist, wie die Revision mit Recht rügt, nicht berücksichtigt:
Ein Besitzübergang vom Kläger auf die Beklagte kann nicht nur - widerrechtlich - dadurch eingetreten sein, daß die Beklagte am 15. November 1969 das Haus zum Wohnen bezogen hat, sondern auch - rechtmäßig - dadurch, daß ihr der Kläger nach dem unstreitigen Sachverhalt schon vorher die Vornahme von Malerarbeiten und die Möbelunterstellung im Haus gestattet und zu diesem Zweck ihrem Schwiegersohn Schlüssel zu dem Haus ausgehändigt hat.
Das Oberlandesgericht hat zwar bei der Wiedergabe der Zeugenaussage erwähnt: Der Kläger habe nur die Unterstellung der Möbel und die Ausführung der Malerarbeiten gestattet und sich nur zu diesem Zweck mit der Aushändigung eines Schlüssels an die Beklagte einverstanden erklärt; er habe der Beklagten und ihren Angehörigen erklärt, sie dürfe erst einziehen, wenn sie einen Nutzungsvertrag unterschrieben habe, oder müsse wieder ausziehen, wenn sie ihn nicht unterschreibe. Gewürdigt hat das Berufungsgericht diese Umstände jedoch nur bei der Frage nach dem Umfang des Besitzrückgabeanspruchs des Klägers. Dazu führt es aus: Wiedereinzuräumen sei der uneingeschränkte Besitz durch Räumung und Herausgabe des Anwesens; die Zustimmung des Klägers zur Möbelunterstellung habe die Beklagte nicht zur vollständigen Inbesitznahme des Hauses und zum Wohnen darin berechtigt, sondern sei auf eine begrenzte Benutzung des Hauses beschränkt und erkennbar von einer alsbaldigen Übergabe des gesamten Hauses zum Bezug abhängig gewesen. Diese Voraussetzung sei inzwischen fortgefallen, somit auch die Grundlage für ein Belassen der Möbel.
Die Frage jedoch, ob die Beklagte zur Benutzung des Hauses unbeschränkt (Wohnen) oder einstweilen nur in beschränktem Umfang (Malerarbeiten, Möbelunterstellung) befugt sein sollte, hat unmittelbar Bedeutung zwar für das Recht der Beklagten zum Besitz, aber nicht ohne weiteres auch dafür, ob ihr der Besitz vom Beklagten eingeräumt wurde. Auch wenn der Kläger nur mit einer beschränkten Benutzung des Hauses durch die Beklagte einverstanden war, wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß er ihr durch die Schlüsselübergabe an ihren Schwiesohn den unmittelbaren Alleinbesitz am Anwesen übertragen hat. Ein solcher Besitzübergang liegt - abgesehen von der Möglichkeit rechtsgeschäftlicher Einigung (§ 854 Abs. 2 BGB) - dann vor, wenn der Kläger die tatsächliche Gewalt über das Anwesen willentlich und erkennbar aufgegeben und die Beklagte sie in gleicher Weise erlangt hat (§§ 856, 854 Abs. 1 BGB; BGB-RGRK 11. Aufl. § 856 Anm. 2, 3, § 854 Anm. 7, 8, 10, 12, 13; Palandt/Degenhart, BGB 32. Aufl. § 856 Anm. 2, § 854 Anm. 1 a, 2; vgl. BGHZ 27, 360, 362/363). Rechtlich möglich ist allerdings auch, daß der Kläger durch die Schlüsselübergabe den Alleinbesitz am Anwesen nicht völlig aufgegeben und auf die Beklagte übertragen hat, sondern ihr einstweilen - etwa bis zu einer späteren Einzugsgestattung - nur Mitbesitz eingeräumt hat und selbst unmittelbar Mitbesitzer geblieben ist; in diesem Fall könnte in einem späteren Einzug der Beklagten gegen den Willen des Klägers allerdings eine Entziehung seines Mitbesitzes durch verbotene Eigenmacht liegen, die entgegen der Meinung der Revision einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes begründen könnte (vgl. OLG Dresden, NJW 1921, 686, 687; RGRK a.a.O. § 866 Anm. 4, Palandt/Degenhart a.a.O. § 866 Anm. 2 a).
Ob eine Schlüsselübergabe die eine oder die andere besitzrechtliche Bedeutung hat, hängt von den näheren Umständen des Einzelfalls ab (vgl. RGZ 66, 258, 263/266; 77, 201, 207/210; RGRK a.a.O. § 854 Anm. 10). Im vorliegenden Fall kan für Übertragung des Alleinbesitzes sprechen, daß die Schlüsselübergabe nicht nur die Ermöglichung von ihrer Natur nach zeitlich eng begrenzten Handwerkerarbeiten bezweckte (das wird in der Regel nicht ausreichen), sondern die Einstellung der normalerweise zum endgültigen Verbleib im Haus bestimmten Möbel der Beklagten (und ihrer Angehörigen); auch kann eine Rolle spielen, ob außer der Beklagten noch andere Personen, insbesondere der Kläger selbst, gleichartige Schlüssel weiterbehielten. Tat richterliche: Feststellungen dazu fehlen. Der Kläger trägt die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß ihm der Besitz am Anwesen ohne seinen Willen entzogen wurde (RGRK a.a.O. § 861 Anm. 11; Palandt/Degenhart, § 861 Anm. 6 d).
Infolgedessen kann das angefochtene Urteil zur Klage mit der bisherigen Begründung nicht aufrechterhalten werden. Vielmehr muß es insoweit aufgehoben und die Sache zu weiterer tatsächlicher Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
II.
Sollte sich nunmehr ergeben, daß ein besitzrechtlicher (possessorischer) Herausgabeanspruch aus verbotener Eigenmacht nicht besteht, so käme es auf den hilfsweise geltend gemachten Klaggrund an, nämlich darauf, ob der Kläger einen materiellrechtlichen (petitorischen) Herausgabeanspruch aus Eigentum deshalb geltend machen kann, weil er wirksam vom Kaufvertrag mit der Beklagten zurückgetreten ist und ihr deshalb ein Recht auf Besitzeinräumung nicht mehr zusteht. Die verfahrensrechtliche Verbindung dieses eigentumsrechtlichen Herausgabeanspruchs mit dem besitzrechtlichen im Weg von Hilfs- und Hauptantrag begegnet keinen Bedenken; insbesondere stellt § 863 BGB einer solchen Verbindung auf der Klägerseite ebensowenig entgegen wie einer Verbindung dadurch, daß der Beklagte gegen eine Besitzschutzklage eine petitorische Widerklage erhebt (BGHZ 53, 166); denn soweit die im Interesse des Klägers vom Gesetz begünstigte Beschleunigung der Entscheidung über die Besitzschutzklage durch die Verbindung mit der petitorischen Klage beeinträchtigt wird, liegt das am eigenen Verhalten des Klägers selbst und ist deshalb unbedenklich, zumal es der Kläger jederzeit in der Hand hat, den Hilfsklaggrund wieder fallen zu lassen.
III.
Auch hinsichtlich der Widerklage ist das angefochtene Urteil nicht aufrechtzuerhalten.
Das Oberlandesgericht verneint ihre Zulässigkeit: als Zwischenfeststellungsklage (§ 280 ZPO) deshalb, weil sie die für den vorliegenden Besitzstreit nach § 863 BGB unerhebliche Frage des Rechts der Beklagten zum Besitz betreffe; als allgemeine Feststellungswiderklage deshalb, weil sie erst im Berufungsverfahren erhoben wurde und weder der Gegner eingewilligt habe noch ihre Geltendmachung im vorliegenden Verfahren sachdienlich sei (§ 529 Abs. 4 ZPO).
Aber dabei ist die petitorische Hilfsbegründung der Klage (oben II) übersehen. Durch sie hat der Kläger die Klage fürsorglich darauf gegründet, daß er Eigentümer und der Anspruch der Beklagten auf Besitzüberlassung aus dem Kaufvertrag durch seinen Rücktritt von diesem hinfällig geworden sei. Die Widerklage macht umgekehrt das Bestehen eines solchen Besitzüberlassungsanspruchs der Beklagten geltend. Es mag offen bleiben, ob die Widerklage zum Hilfsklaganspruch in dem in § 280 ZPO geforderten Verhältnis der Vorgreiflichkeit steht und schon deswegen ihre Zulassung im Berufungsverfahren unbedenklich ist, weil für eine Zwischenfeststellungsklage die Besehränkungen des § 529 Abs. 4 ZPO nicht gelten (Stein/Jonas/Pohle, ZPO 19. Aufl. § 529 IV 1, § 280 II 4). Jedenfalls stehen der Gegenstand des Hilfsklaganspruchs und der der Feststellungswiderklage in einem derart engen Sachzusammenhang, daß der Verneinung der Sachdienlichkeit der Widerklagzulassung nach § 529 Abs. 4 ZPO die rechtliche Grundlage fehlt. Die Entscheidung über beide Anträge hängt davon ab, ob der im Kaufvertrag begründete Besitzüberlassungsanspruch der Beklagten noch wirksam oder durch die Rücktrittserklärung des Klägers hinfällig geworden ist; die Nichtzulassung der Feststellungswiderklage beruht daher auf rechtlich fehlerhaften Erwägungen (vgl. auch BGHZ 16, 317, 322).
Aus diesem Grund muß auch hinsichtlich der Widerklage das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Rothe
Dr. Freitag
Mattern
Richter am Bundesgerichtshof Offterdinger ist beurlaubt; er kann daher nicht unterschreiben. Hill