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Bundesgerichtshof
Urt. v. 06.04.1972, Az.: III ZR 210/69

Anspruch auf Schadensersatz; Wahrung einer Klagefrist; Schuldhaftes Verhalten eines Prozessbevollmächtigten

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
06.04.1972
Aktenzeichen
III ZR 210/69
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1972, 11055
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Hamm - 14.10.1969
LG Paderborn - 07.02.1969

Fundstellen

  • NJW 1972, 1948-1950 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1972, 690-692 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

1. ...

2. ...

Prozessgegner

...

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Klagefrist des Art. 8 Abs. 10 FinVertr wurde mit Zustellung des AfV-Bescheides auch dann in Lauf gesetzt, wenn das AfV den Antragsteller nicht über die Klagemöglichkeit belehrt hatte.

  2. 2.

    Eine Zustellung kann nicht als "demnächst erfolgt" im Sinne von § 261b Abs. 3 ZPO angesehen werden, wenn die klagende Partei durch nachlässiges Verhalten zu einer nicht nur geringfügigen Verlängerung der Zeitspanne zwischen Einreichung und Zustellung der Klage beigetragen hat. Die Nichtangabe des Streitwerts in der Klageschrift rechtfertigt indessen im Regelfall für sich allein den Vorwurf eines derartigen Verschuldens nicht.

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 6. April 1972
unter Mitwirkung
der Bundesrichter Dr. Arndt, Dr. Beyer, Dr. Hußla, Keßler und Dr. Krohn
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel der Kläger werden die Urteile der Zivilkammer 2 a des Landgerichts Paderborn vom 7. Februar 1969 und des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm (Westf.) vom 14. Oktober 1969 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren - an das Landgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Kläger sind die Erben des während des Rechtsstreits verstorbenen Gartenbaumeisters Wilhelm M., ihres Vaters (Erblasser). Dieser stieß mit seinem Kraftfahrzeug am 15. Januar 1963 in Schloß Neuhaus mit einem Lastkraftwagen der britischen Streitkräfte zusammen. Es entstand Personen- und Sachschaden.

2

Durch Bescheid vom 26. September 1963 erkannte das Amt für Verteidigungslasten D. die Schadensersatzansprüche M. dem Grunde nach an und billigte ihm einen Teilbetrag von 5.539,50 DM zu, den er annahm. Mit Bescheid vom 24. Juli 1968, zugestellt am 31. Juli 1968, sprach es ihm unter Ablehnung darüber hinausgehender Ansprüche weiteren Schadensersatz in Höhe von 26.573,01 DM zu.

3

Mit der am 25. September 1968 bei dem Landgericht eingegangenen Klage hat Wilhelm M. von der Beklagten einen höheren Ersatzbetrag verlangt.

4

Die Klageschrift hat folgende Anträge enthalten:

  1. 1.

    die Beklagte zur Zahlung von 42.515,35 DM nebst Zinsen als restliche Erwerbseinbuße für 1963 bis 1967 abzüglich der Leistungen öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger zu verurteilen;

  2. 2.

    festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ab 1. Januar 1968 40 % des aus dem Unfall vom 15. Januar 1963 entstandenen und noch entstehenden Schadens abzüglich der Leistungen öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger zu ersetzen;

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, über den bereits anerkannten Betrag von 13.000 DM hinaus ein weiteres Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde.

5

Die Höhe der Wilhelm M. zugeflossenen öffentlich-rechtlichen Versicherungsleistungen ist in der Klageschrift nicht angegeben. Zu dem Antrag zu 3 wird in der Klagebegründung ausgeführt, daß ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 DM angemessen sei.

6

Der Kostenbeamte bat mit Verfügung vom 25. September 1968 um Angabe des Gesamtstreitwerts.

7

Diese ihm am 3. Oktober 1968 zugegangene Antrage beantwortete der Prozeßbevollmächtigte des Erblassers mit Schriftsatz vom 16. Oktober 1968 - bei dem Landgericht eingegangen am 21. Oktober 1968 - dahin, daß der Streitwert 68.000 DM betrage. Daraufhin forderte der Kostenbeamte einen nach diesem Wert errechneten Prozeßgebührenvorschuß an, den der Prozeßbevollmächtigte binnen zwei Tagen nach Eingang der gerichtlichen Verfügung entrichtete. Nach Terminsbestimmung ist die Klage sodann am 4. November 1968 der Beklagten zugestellt worden.

8

Die Parteien streiten darüber, ob die Klage rechtzeitig erhoben ist.

9

Das Landgericht hat die Klage entsprechend dem Antrag der Beklagten als unzulässig abgewiesen, weil die zweimonatige Klagefrist des Artikels 8 Abs. 10 des Finanzvertrags (BGBl II 1955, 381 ff - im folgenden FV) nicht gewahrt sei. Die Berufung des Erblassers ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger die Klageansprüche weiter. Die Beklagte bittet, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision erweist sich als begründet.

11

I.

Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit der Klage zutreffend nach den Vorschriften des seit dem 1. Juli 1963 außer Kraft getretenen, aber auf den vorliegenden Sachverhalt noch anwendbaren Finanzvertrags beurteilt (Art. 41 Abs. 12 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 3. August 1959 - BGBl II 1961, 1218 ff).

12

Nach Art. 8 Abs. 10 FV kann im Falle eines Stationierungsschadens der Geschädigte, der den vom Amt für Verteidigungslasten angebotenen Entschädigungsbetrag nicht annimmt oder mit der Abweisung seines Antrags nicht einverstanden ist, bei den ordentlichen deutschen Gerichten innerhalb von zwei Monaten nach Mitteilung der Entscheidung des Amtes Klage gegen die Bundesrepublik erheben. Bei dieser Frist handelt es sich um eine vorprozessuale Ausschlußfrist (BGHZ 33, 360). Das Berufungsgericht nimmt an, durch die Zustellung des Bescheides am 31. Juli 1968 sei die Klagefrist in Lauf gesetzt worden, obwohl das Amt für Verteidigungslasten den Rechtsvorgänger der Kläger nicht über die Klagemöglichkeit belehrt hat. Die Revision stellt diese Frage zur Nachprüfung.

13

Der Senat tritt der Auffassung des Oberlandesgerichts bei (ebenso schon Senatsurteil vom 20. Juni 1968 - III ZR 210/67 -). Art. 8 FV schrieb (im Gegensatz zu dem jetzt geltenden Art. 11 Abs. 2 des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen vom 18. August 1961 - BGBl II S. 1183 -) keine Belehrung über den Rechtsbehelf vor.

14

Entgegen der Ansicht der Revision findet auch der Rechtsgedanke des § 58 Abs. 1 VwGO, wonach im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ohne Belehrung über den Rechtsbehelf die für seine Einlegung bestimmte Frist nicht zu laufen beginnt, hier keine Anwendung.

15

Der Festsetzungsbescheid nach Art. 8 Abs. 9 FV ist weder Verwaltungsakt noch ein sonstiger hoheitlicher Akt, sondern er ergeht im Rahmen fiskalischer Tätigkeit und ist damit dem Gebiet des bürgerlichen Rechts zuzuordnen (Senatsurteil vom 20. November 1969 - III ZR 93/69 - = Warn 1970 Nr. 49 = LM NATO-TruppenstatutG Nr. 5 unter II 3 = NJV 1970, 1418). Die vor den ordentlichen Gerichten zu erhebende Klage gegen den Bescheid richtet sich ausschließlich nach Art. 8 Abs. 10 FV und den Vorschriften der Zivilprozeßordnung, nicht aber nach den Regeln der Verwaltungsgerichtsordnung. Die zweimonatige Klagefrist war mithin am 30. September 1968 abgelaufen.

16

II.

1.

Die Klagefrist ist durch die Einreichung der Klageschrift nur gewahrt worden, wenn die Zustellung vom 4. November 1968 noch "demnächst" im Sinne des § 261 b Abs. 3 ZPO erfolgt ist. In diesem Zusammenhang hat der Senat schon wiederholt folgende Grundsätze vertreten (vgl. Urt. v. 4. Juli 1968 - III ZR 17/68 = VersR 68, 1062; Urt.v. 23. Januar 1967 - III ZR 3/66 = Warn 1967 Nr. 18 = LM § 261 b ZPO Nr. 10 = NJW 67, 779 = MDR 67, 393):

17

Der in § 261 b ZPO verwendete Ausdruck "demnächst" bedeutet eine nach den Umständen angemessene Frist. Der Zweck der Vorschrift des § 261 b Abs. 3 ZPO liegt allein darin, der klagenden Partei nach Einführung der Amtszustellung auch in Anwaltsprozessen die Verantwortung für solche Verzögerungen der Zustellung abzunehmen, auf die sie keinen Einfluß hat und die ausschließlich in dem Geschäftsablauf des zustellenden Gerichts begründet sind. Dagegen sind der klagenden Partei die Verzögerungen anzurechnen, die dadurch entstehen, daß sie nicht die in ihrem Einflußbereich liegenden Voraussetzungen für die - von Amts wegen vorzunehmende - Zustellung der Klageschrift schafft. Die Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen der beklagten Partei und die Notwendigkeit, die Rechtslage möglichst bald zu klären, verbieten es, § 2616 Abs. 3 ZPO zugunsten der klagenden Partei auch dann anzuwenden, wenn das den Gegner unbillig belasten würde. Deshalb kann die Zustellung nicht mehr als "demnächst" erfolgt angesehen werden, wenn die klagende Partei durch nachlässiges Verhalten zu einer - nicht nur geringfügigen - Verlängerung der Zeitspanne zwischen Einreichung der Klageschrift und der Zustellung beigetragen hat. Um in den Genuß der Rechtswohltat des § 261 b Abs. 3 ZPO zu gelangen, muß deshalb die klagende Partei - der grundsätzlich allein die Fristwahrung obliegt - nicht nur jede "Verschleppung" der Zustellung vermeiden, sondern sie muß - unter Berücksichtigung der Gesamt Situation - alles ihr Zumutbare tun, um dem Gericht eine alsbaldige Zustellung der Klageschrift zu ermöglichen. Dabei muß sie nicht nur für vorsätzliches und grob fahrlässiges, sondern bereits für leicht fahrlässiges Verhalten einstehen. Die Partei muß sich auch das schuldhafte Verhalten ihres Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen.

18

Mit diesen Grundsätzen stimmt die Rechtsprechung der übrigen Zivilsenate des Bundesgerichtshofs im wesentlichen überein (vgl. die zusammenfassende Darstellung mit zahlreichen Nachweisen im Urteil des VII. Zivilsenats vom 25. Februar 1971 - VII ZR 181/69 = Warn 1971 Nr. 49 = LM § 693 ZPO Nr. 4 = NJW 1971, 891 = MDR 1971, 477 [BGH 25.02.1971 - VII ZR 181/69]).

19

2.

Der Prozeßbevollmächtigte des damaligen Klägers durfte mit der Einreichung der Klageschrift bis kurz vor Ablauf der Frist warten. Ihn traf auch nicht die Pflicht, den Prozeßgebührenvorschuß vor der Anforderung durch das Gericht selbst zu berechnen und den Kläger zur umgehenden Bezahlung anzuhalten. Schließlich braucht der Anwalt auch keinen Antrag auf unverzügliche Zustellung der Klage nach § 111 Abs. 4 Satz 2 GKG zu stellen, da der Kläger willens und fähig war, den Gebührenvorschuß nach Anforderung umgehend zu entrichten (urteil des V. Zivilsenats vom 30. Mai 1956 - V ZR 204/54 = LM GKG § 74 - jetzt § 111 - Nr. 1; Urteil des II. Zivilsenats vom 23. Mai 1966 - II ZR 23/64 = VersR 66, 675; Senatsurteil vom 30. Juni 1966 - III ZR 3/64 = NJW 66, 2211).

20

3.

Das Berufungsgericht erblickt jedoch ein schuldhaftes Verhalten des Prozeßbevollmächtigten bereits darin, daß er in der Klageschrift den Streitwert nicht angegeben hat. Dadurch habe sich im Hinblick auf die Regelung der §§ 261 a Abs. 2 Satz 1 ZPO, 111 Abs. 1 GKG die Zustellung der Klageschrift verzögert.

21

Demgegenüber meint die Revision, die Bestimmung des § 21 GKG, die eine Angabe des Streitwerts verlangt, stelle nur eine Sollvorschrift dar; werde sie nicht eingehalten, so laufe der Verpflichtete allenfalls Gefahr, daß das Gericht den Wert zu hoch schätze. Dieser Hinweis ist an sich richtig, trifft aber nicht den Kern des Problems, um das es hier geht. In der Tat knüpft das Gesetz an die Verletzung der genannten Vorschrift keine kostenrechtlichen Nachteile. Das vermag jedoch nichts daran zu ändern, daß die unterlassene Streitwertangabe unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt Bedeutung erlangen kann, nämlich für die Frage, ob der Anwalt alle ihm zumutbaren Maßnahmen zur Beschleunigung der Klage Zustellung ergriffen hat.

22

Entgegen der Meinung des Oberlandesgerichts kann es dem Anwalt jedoch nicht angelastet werden, daß er den Streitwert nicht schon in der Klageschrift mitteilte. Wenn er im September 1968 die vorliegenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gewissenhaft prüfte, brauchte er nicht zwingend zu dem Ergebnis zu gelangen, er verletze seine Pflichten als sorgfältiger Prozeßbevollmächtigter, wenn er von der Angabe des Streitwerts in der Klageschrift absehe. Aus der damals veröffentlichten Rechtsprechung ergab sich freilich schon, daß der Prozeßbevollmächtigte "alles Zumutbare" unternehmen müsse, um die Voraussetzungen für eine alsbaldige Klagzustellung zu schaffen. Bei derart weitreichenden Formulierungen pflegt sich aber die Rechtspraxis danach zu richten, wie die Rechtsprechung derartige Begriffe anhand einzelnder Fallgruppen konkretisiert. Die Mehrzahl der zu § 261 b Abs. 3 ZPO ergangenen Entscheidungen befaßt sich mit den Sorgfaltspflichten des Anwalts oder der Partei nach gerichtlicher Anforderung der Prozeßgebühr, betrifft also nicht die hier interessierende Frage. Andererseits ist bemerkenswert, daß der Bundesgerichtshof den Grundsatz, die Partei oder der Anwalt müßten alles Zumutbare tun, um die Zustellung zu ermöglichen, - wie oben ausgeführt - nie dahin verstanden hat und auch jetzt nicht so versteht, daß eine Selbstberechnung und Bezahlung der Prozeßgebühr vor der gerichtlichen Anforderung geboten sei. Die danach offene Frage nach der Verpflichtung zur Streitwertangabe in der Klageschrift wird auch durch die wenigen einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht eindeutig beantwortet. Zwar hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 31. Januar 1966 - III ZR 119/64 - (insoweit in VersR 1966, 493 nicht abgedruckt) erwogen, ob ein Anwalt durch ein solches Unterlassen gegen seine Verpflichtung zu gewissenhafter Prozeßführung verstoße. Er hat das jedoch damals unter anderem mit der Begründung verneint, die Vielzahl der verschiedenen Schadensposten habe einer restlosen Klärung des Streitwerts bis zur Einreichung der Klageschrift entgegengestanden. Der VIII. Zivilsenat hat dagegen in der Entscheidung vom 23. Oktober 1963 - VIII ZR 76/62 (VersR 1964, 75), auf die sich auch der II. Zivilsenat in seinem Urteil vom 17. April 1967 - II ZR 104/66 - bezieht, folgendes ausgesprochen: Der Kläger dürfe nach Einreichung der Klage zunächst die gerichtliche Aufforderung zur Einzahlung des Prozeßkostenvorschusses abwarten.

23

Auch wenn sich das Gericht veranlaßt sehe, um Angaben des Streitwerts zu bitten, gehe die Verzögerung bis zum Zugang der gerichtlichen Verfügung nicht zu Lasten des Klägers, ohne. Rücksicht darauf ob die Streitwertanfrage sachgemäß war oder besser unterblieben wäre. Aus dieser Entscheidung konnte und durfte der Prozeßbevollmächtigte, ohne daß dies als nachlässig bezeichnet werden könnte, entnehmen, daß dem Kläger Nachteile nicht entstünden, wenn der Streitwert in der Klage noch nicht bezeichnet sei. In dieser Ansicht durfte sich der Anwalt noch dadurch bestärkt sehen, daß z.B. in dem gebräuchlichen Kommentar zu den Kostengesetzen von Baumbach/Lauterbach, 15. Aufl., in den Anm. zu § 21 GKG nicht erwogen wird, ob die unterbliebene Wertangabe unter dem Gesichtspunkt des § 261 b Abs. 3 ZPO vorwerfbar sein könne.

24

4.

Das Gericht war ohne besonderen Antrag (§ 111 Abs. 4 Satz 2 GKG) oder Hinweis der klagenden Partei nicht verpflichtet, die Klageschrift vor der Entrichtung der Prozeßgebühr ohne Terminsbestimmung und Ladung zuzustellen (BGHZ 31, 342, 348[BGH 16.12.1959 - IV ZR 103/59]; Urteil des VI. Zivilsenats vom 15. Oktober 1968 - VI ZR 165/67 = LM § 261 b ZPO Nr. 11 = MDR 1969, 132).

25

Die Streitwertanfrage des Kostenbeamten war sachlich gerechtfertigt, da die Klageschrift bezüglich der Anträge zu 1) und 2) mangels Angabe der dem Erblasser zugeflossenen öffentlich-rechtlichen Versicherungsleistungen nicht die erforderlichen tatsächlichen Angaben für die Wertberechnung oder eine einigermaßen sichere Schätzung enthielt. Der Prozeßbevollmächtigte war daher entgegen der Meinung der Revision verpflichtet, die bei ihm am 3. Oktober 1968 eingegangene Antrage zu beantworten. Das hat er auch mit Schriftsatz vom 16. Oktober 1968 getan.

26

Das Oberlandesgericht vertritt allerdings den Standpunkt, der Anwalt hätte bei gehöriger Sorgfalt den Streitwert bereits am 4. Oktober 1968 dem Gericht mitteilen können. Dem vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen. Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen an die anwaltliche Pflicht zu gewissenhafter Prozeßführung, wenn es von dem Prozeßbevollmächtigten verlangt, er hätte die vorliegende Sache, da eine Frist gewahrt werden mußte, sofort innerhalb 24 Stunden bearbeiten müssen.

27

Das ist in der Regel praktisch undurchführbar, weil bei einem Anwalt häufig mehrere Verfahren, in denen Fristen eingehalten werden müssen oder die aus anderen Gründen eilbedürftig sind, nebeneinander laufen und er außerdem Gerichtstermine wahrzunehmen sowie oft eilige Besprechungen mit Mandanten durchzuführen hat. Hier war überdies - wie auch das Oberlandesgericht nicht verkennt - eine Rückfrage des Prozeßbevollmächtigten bei dem damaligen Kläger notwendig, jedenfalls aber sachgerecht, um die (aus der Anlage zum Bescheid vom 24. Juli 1968 nicht ersichtliche) Höhe der in den Jahren 1967 und 1968 an den Kläger gezahlten Sozialversicherungsrenten in Erfahrung zu bringen. Es ist dem Anwalt nicht als Verschulden anzurechnen, daß er diese Antrage vornahm. Denn es ist nicht ersichtlich, wie er die Höhe der Renten anders und schneller hätte erfahren können. Hierzu brauchte sich der Prozeßbevollmächtigte auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, des Telefons zu bedienen, da er nach dem Gesagten nicht gehalten war, die Sache "sofort" i.S. des Berufungsurteils zu bearbeiten. Der Mandant hätte eine fernmündliche Antrage auch kaum sogleich beantworten können, da er zunächst seine Unterlagen hätte durchsehen müssen. Es kann dem Anwalt auch nicht, wie es das Oberlandesgericht getan hat, angesonnen werden, ohne Antrage an den damaligen Kläger den Streitwert auf Grund einer bloßen Schätzung dem Gericht mitzuteilen. Denn der Prozeßbevollmächtigte verhält sich sogar pflichtwidrig, wenn er auf eine solche Antrage des Gerichts ohne ausreichende Nachforschungen anzustellen und insbesondere ohne Rückfrage bei seinem Mandanten von sich aus einen zu hohen Streitwert angibt und dadurch etwa die Anforderung eines übersetzten Gebührenvorschusses durch das Gericht und damit eine erhöhte Kostenpflicht seines Mandanten auslöst. Diese Gefahr war hier nicht von der Hand zu weisen, da die beiden Renten in den Jahren 1967 und 1968 gegenüber dem ihm bekannten Stand von 1966 infolge der jährlichen Anpassung nicht unerheblich gestiegen sein konnten. Daher war eine - im allgemeinen auch übliche - schriftliche Antrage seitens des Anwalts durchaus angebracht.

28

5.

Der Prozeßbevollmächtigte des Erblassers hat die Wertanfrage des Gerichts nach 13 Tagen, nämlich mit Schriftsatz vom 16. Oktober 1968, beantwortet. Das Berufungsgericht legt ihm allerdings auch insoweit zur Last, daß der Schriftsatz erst nach fünf Tagen (21. Oktober 1968) bei Gericht einging, und meint, dieser habe noch am 16. Oktober 1968 zum Gericht gebracht werden müssen. Damit stellt es jedoch wiederum zu strenge Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Prozeßbevollmächtigten. Er durfte hier den Schriftsatz dem Gericht auf dem üblichen postalischen Wege zuleiten. Dann wäre er normalerweise nach ein bis zwei Tagen dort eingegangen. Auch die Streitwertanfrage des Gerichts ist erst zwei Tage nach ihrer kanzleimäßigen Erledigung bei dem Anwalt eingetroffen.

29

Daß der Schriftsatz erst nach fünf Tagen bei dem Landgericht einging, erklärt sich u.a. daraus, daß ein Wochenende in diesen Zeitraum fiel (19./20. Oktober 1968). Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß der Anwalt den Schriftsatz aus Nachlässigkeit verspätet abgesandt hat. Bei einer normalen Laufzeit von ein bis zwei Tagen wäre der Schriftsatz 14 bis 15 Tage nach Zugang der Wertanfrage bei Gericht eingetroffen. Selbst wenn der Anwalt die Bearbeitung um einige Tage hätte beschleunigen können, indem er etwa den damaligen Kläger auf die Eilbedürftigkeit hingewiesen hätte, könnte ihm nur eine geringfügige Verzögerung vorgeworfen werden, die - wie oben ausgeführt - unschädlich ist. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Zeitspanne von 14 Tagen, um die die Klagezustellung durch Nachlässigkeit des Klägers hinausgeschoben worden war, noch als geringfügig angesehen worden (Urteil des IV. Zivilsenats vom 10. Juni 1970 - IV ZR 1086/68 = VersR 1970, 1045; Urteil des VI. Zivilsenats vom 12. Oktober 1971 - VI ZR 59/70 = LM ZPO § 261 b Nr. 16 = NJW 1972, 208 = MDR 1972, 132 [BGH 12.10.1971 - VI ZR 59/70]). Dieser Auffassung tritt der Senat bei. Es belastet die Beklagte hier nicht unbillig, daß die Klagefrist in Anwendung des § 261 b Abs. 3 ZPO als gewahrt anzusehen ist. Denn das Verfahren bei dem Amt für Verteidigungslasten war bereits seit dem 4. März 1963, also mehr als fünf Jahre anhängig, und der Beklagten waren die Forderungen des Geschädigten im wesentlichen seit langem bekannt. Eine Verlängerung der Zeitspanne zwischen Einreichung und Zustellung der Klageschrift von weniger als 14 Tagen kann unter diesen Umständen schutzwürdige Interessen der Beklagten nicht beeinträchtigt haben.

30

Nach alledem kommt den Klägern die Rechtswohltat des § 261 b Abs. 3 ZPO zugute. Das Berufungsurteil muß daher aufgehoben werden. Die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht, dessen Urteil ebenfalls aufzuheben ist, zurückzuverweisen, da das Berufungsgericht seinerseits nach § 538 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO hätte verfahren müssen.

Dr. Arndt
Dr. Beyer
Dr. Hußla
Keßler
Dr. Krohn