Bundesgerichtshof
Urt. v. 01.04.1971, Az.: VII ZR 297/69
Möglichkeit des Gerichtes durch Teilurteil über einen Teil der Anträge zu entscheiden ohne gleichzeitig über den Hilfsantrag zu entscheiden; Endgültiges Abweisen des Hauptantrages durch die Revision und gleichzeitiges Verweisen in die Berufungsinstanz bezüglich des Hilfsantrages; Prozessökonomische Rechtfertigung einer solchen Vorgehensweise; Anspruch des Handelsvertreters auf die Errichtung eines Musterhauses durch die von ihm vertretene Firma
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 01.04.1971
- Aktenzeichen
- VII ZR 297/69
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1971, 11912
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Celle - 21.10.1969
- LG Göttingen
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHZ 56, 79 - 81
- DB 1971, 1963 (Volltext)
- MDR 1971, 572-573 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
Architekt Horst M., S., Im D.
Prozessgegner
Firma Elementbau K. KG in N.,
vertreten durch die Geschäftsführungs- und Verwaltungs-K.-GmbH,
diese vertreten durch den Geschäftsführer Dipl.-Ing. Paul K., G., W.straße ...
Amtlicher Leitsatz
Bei eventueller Klagenhäufung darf das Gericht den Hauptantrag durch Teilurteil abweisen.
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 1971
unter Mitwirkung
des Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofs Glanzmann und
der Bundesrichter Erbel, Dr. Finke, Schmidt und Dr. Girisch
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Celle vom 21. Oktober 1969 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger übernahm durch Vertrag vom 29. Dezember 1967 mit Wirkung vom 1. Januar 1968 als Handelsvertreter in einem bestimmten Gebiet den Vertrieb der von der Beklagten hergestellten Fertighäuser. Nach § 3 des Vertrags war eine 5-jährige Vertragsdauer vorgesehen; jedoch sollte das erste halbe Jahr als Probezeit gelten mit der Maßgabe, daß während dieser Zeit das Vertragsverhältnis von beiden Teilen letztmalig am 30. Juni 1968 zum 31. Dezember 1968 gekündigt werden konnte. Gleichzeitig schlossen die Parteien einen Zusatzvertrag, der u.a. wie folgt lautet:
"Ziff. 8: Von der (Beklagten) wird auf dem Grundstück des (Klägers) ein Musterhaus vom Typ Göttingen zum Preis von 65.000 DM erstellt. Der Lieferumfang des Hauses umfaßt: ... Nicht im Lieferumfang enthalten ist die Erstellung der Klärgrube, die Erd-, Maurer-, Betonarbeiten, die Hauswasserversorgungsanlage, die Malerarbeiten, die Außenanlage und die Filteranlage.
...
Ziff. 11: Das Hypothekendarlehen für das zu erstellende Musterhaus wird im Grundbuch auf den Namen des Vertragsarchitekten - Horst M. - (Kläger) eingetragen. Während der Vertragsdauer wird die Zinsbelastung für die Hypothek von 65.000 DM und eine 1 %ige Tilgung von der Firma K.-Elementbau (Bekl.) getragen, wobei das Haus nur als Musterhaus Verwendung finden darf."
Das nach Ziff. 8 der Zusatzvereinbarung zu liefernde Fertighaus hatte einen Listenpreis von 89.538 DM.
Sobald es die Witterung Anfang 1968 zuließ, begann der Kläger mit einem Teil der nach Ziff. 8 des Zusatzvertrages von ihm selbst zu erbringenden Arbeiten. Zur Anlieferung des Fertighauses kam es nicht.
Durch Schreiben vom 23. Februar 1968 erklärte sich die Stadtsparkasse in C. bereit, dem Kläger für das Bauvorhaben ein Darlehen von 96.000 DM zu gewähren. Die Beklagte übernahm hierfür die Bürgschaft in Höhe von 65.000 DM.
Mit Schreiben vom 1. und 11. April 1968 kündigte die Beklagte wegen angeblicher Vertragsverletzungen des Klägers das Vertragsverhältnis fristlos. Sie teilte dies der Sparkasse mit, die daraufhin ihre Darlehenszusage zurücknahm. In einem weiteren Schreiben (ebenfalls) vom 11. April 1968 kündigte die Beklagte für den Fall, daß sie mit ihrer fristlosen Kündigung nicht zum Zuge kommen sollte, das Vertragsverhältnis zum 31. Dezember 1968. Am 2. Mai 1968 kündigte der Kläger seinerseits das Vertragsverhältnis fristlos. Seit 1. Juli 1968 ist er für eine Konkurrenzfirma tätig.
Mit der Klage beantragte der Kläger:
- 1.
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm allen Schaden zu ersetzen, der durch die Aufhebung des Vertragsverhältnisses ... entstanden sei und noch entstehen werde, soweit dieser Schaden nicht bereits nachfolgend im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werde;
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, auf dem ihm und seiner Ehefrau gehörenden Grundstück ... ein Fertighaus aus ihrer Produktion vom Typ Göttingen zu errichten;
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, sich mit ihm dahin einig zu erklären, daß der Kaufpreis für das Fertighaus in Höhe von 65.000 DM in ein Darlehen umgewandelt werde, das der Kläger ab 1. Januar 1969 mit 7 % jährlich zu verzinsen und zu tilgen habe, und zwar nach Bestellung einer entsprechenden erststelligen Hypothek auf dem Grundstück ...
- 4.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 31.000 DM als Darlehen zu zahlen, und zwar zu folgenden Bedingungen ...
- 5.
hilfsweise zu den Klageanträgen 2) bis 4)
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 20.948,32 DM zu zahlen;
- 6. u. 7
...
Das Landgericht hat durch Teilurteil die Anträge zu 1) bis 4) abgewiesen. Die Anträge 2) bis 4) hält es für unbegründet, den Antrag 1) für unzulässig, weil es insoweit an einem Feststellungsinteresse des Klägers fehle.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat erklärt, daß er, soweit sein Feststellungsantrag (1) abgewiesen sei, vorsorglich zur Leistungsklage übergehe. In der mündlichen Verhandlung hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
- 1.
an ihn 2.000 DM zu zahlen;
- 2.
im Wege der Stufenklage über alle Verkäufe von K.-Fertighäusern, die in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1968 in seinem Vertretungsgebiet erfolgt seien, Auskunft zu erteilen ... und ihm den sich ergebenden Provisionsbetrag zu zahlen;
- 3. und 4.
im wesentlichen entsprechend den beim Landgericht gestellten Klageanträgen zu 2) und 3);
- 5.
(entfällt)
- 6.
den beim Landgericht gestellten Klageantrag zu 4) in der Hauptsache für erledigt zu erklären.
Das Oberlandesgericht hat, soweit der Feststellungsantrag (Klageantrag zu 1)) als unzulässig abgewiesen war, das Teilurteil des Landgerichts aufgehoben und die Sache dorthin zurückverwiesen. Hinsichtlich der Berufungsanträge 3) und 4) (Klageanträge 2) und 3)) hat es die Berufung zurückgewiesen. Ebenso hat es die Abweisung des Klageantrags 4) bestätigt und den Antrag auf Erledigungserklärung zurückgewiesen, weil die Beklagte der Erledigung widersprochen habe und der Antrag schon vor dem erledigenden Ereignis unbegründet gewesen sei.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 3), 4) und 6) weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, daß der Kläger den vom Landgericht abgewiesenen Feststellungsantrag 1) aufrechterhalten und die Berufungsanträge 1) und 2) nur hilfsweise gestellt hat. Diese sind durch die Zurückverweisung an das Landgericht miterfaßt. Das ist auch die Auffassung der Parteien, wie sie in der Revisionsverhandlung erklärt haben. Der Kläger hat das Berufungsurteil insoweit nicht angefochten.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind somit die Berufungsanträge 3) und 4) (Klageanträge 2) und 3)), sowie die Entscheidung über den Klageantrag 4) (Berufungsantrag 6)).
Das Berufungsgericht hat diese Anträge abgewiesen.
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
1.
Der Kläger rügte bereits in der Berufungsinstanz, das Landgericht hätte nicht durch Teilurteil über die Klageanträge zu 2) bis 4) entscheiden dürfen, ohne gleichzeitig auch über den Hilfsantrag zu 5) zu entscheiden. Das Berufungsgericht ist dieser Auffassung nicht gefolgt.
Die hiergegen gerichtete Revisionsrüge ist nicht begründet.
In Schrifttum und Rechtsprechung wird überwiegend die Meinung vertreten, daß wenn der Kläger einen Haupt- und einen Hilfsantrag gestellt hat, das Gericht den Hauptantrag durch Teilurteil abweisen und die Entscheidung über den Hilfsantrag zurückstellen kann (Stein/Jonas ZPO, 19. Aufl., § 260 Anm. II B 2 b und § 301 Anm. II 2; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., § 100 IV 2 b; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 84 III 1; Brox, Zur Problematik von Haupt- und Hilfsanspruch, in "Recht und Wandel", Festschrift 150 Jahre G. Hermanns Verlag 1965 S. 121, 128 f mit näherer Begründung; RGZ 102, 174, 176). In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Mai 1956 - V ZR 132/54 (NJW 1956, 1154 = LM Nr. 6 zu § 301 ZPO) ist die Frage zwar offen geblieben, es wurde aber für unbedenklich angesehen, daß das Revisionsgericht den Hauptantrag endgültig abwies und die Sache nur wegen des Hilfsantrags in die Berufungsinstanz zurückverwies.
Der Senat tritt der herrschenden Auffassung bei. Sie hat schon den praktischen Vorteil, daß, falls erst in einer Rechtsmittelinstanz dem Hauptantrag stattgegeben wird, der unteren Instanz die dann im Ergebnis überflüssige Befassung mit dem Hilfsantrag erspart wird.
Die Begründung der Gegenmeinung (u.a. Stein/Jonas ZPO, 18. Aufl. a.a.O., RGZ 77, 120; OLG Hamburg in OLG 33, 63) vermag nicht zu überzeugen. Der Ansicht, es handle sich bei Haupt- und Hilfsantrag um ein "einheitliches Ganzes", das nicht zerrissen werden könne, ist entgegenzuhalten, daß die Entscheidung über den Hauptantrag von der über den Hilfsantrag nicht abhängt. Erforderlich ist nur, daß mit der Entscheidung über den Hauptantrag der über den Hilfsantrag sachlich nicht vorgegriffen wird. Das weitere Bedenken, daß bei Erlaß eines Teilurteils sich widersprüchliche Entscheidungen ergeben könnten, indem nunmehr das Landgericht, das den Hauptantrag abgewiesen hat, im weiteren Prozeßverlauf über den Hilfsantrag (möglicherweise rechtskräftig) entscheidet und später das Berufungs- oder Revisionsgericht dem Hauptantrag stattgibt, ist ohne praktische Bedeutung. Damit, daß das erstinstanzliche Gericht den Hauptantrag durch Teilurteil abweist, gibt es bereits zu erkennen, daß es, um unnötige Arbeit zu vermeiden, die Rechtskraft dieser Entscheidung abwarten will, bevor es über den Hilfsantrag entscheidet. Hierzu wäre es überdies auch in der Regel praktisch nicht in der Lage, weil es, sobald gegen das Teilurteil ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, die Akten an die höhere Instanz weitergeben muß, ihm also die Unterlagen für eine Entscheidung über den Hilfsantrag entzogen sind (vgl. auch Brox a.a.O.).
2.
Hiernach hatte das Berufungsgericht über die Hauptanträge 2), 3) und 4) (= Berufungsanträge 3), 4) und 6)) sachlich zu erkennen. Seine Entscheidung hält auch den weiteren Revisionsangriffen stand.
a)
Es läßt offen, ob die fristlosen Kündigungen der Beklagten oder des Klägers das Vertragsverhältnis schon vorzeitig aufgelöst haben; denn jedenfalls stehe auf Grund der von der Beklagten vorsorglich ausgesprochenen fristgemäßen Kündigung vom 11. April 1968 fest, daß das Vertragsverhältnis spätestens zum 31. Dezember 1968 sein Ende gefunden habe. Das Berufungsgericht kommt im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu dem Ergebnis, daß, wenn auch die Zusatzvereinbarung für diesen Fall keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich des Erfüllungsanspruchs des Klägers enthalte, der Kläger bei einer Kündigung zum 31. Dezember 1968 keinen Anspruch mehr auf die Errichtung eines Musterhauses zu dem vereinbarten Preis habe. Denn Sinn und Zweck der von der Beklagten übernommenen Verpflichtung sei gewesen, dem Kläger mit der Errichtung des Musterhauses ein "Handwerkszeug zum Erfolg" zu geben. Dieser Zweck entfalle aber, wenn das Vertragsverhältnis schon am 31. Dezember 1968 ende, so daß eine Verwendung des Musterhauses zu Werbezwecken praktisch nicht mehr in Frage komme.
b)
Diese Ausführungen enthalten keinen sachlichrechtlichen Fehler. Die Revision bekämpft sie mit Verfahrensrügen. Der Senat hat diese geprüft, jedoch nicht für durchgreifend befunden.
Das gilt insbesondere für die Rüge, mit der der Kläger sein unter Beweis gestelltes Vorbringen weiterverfolgt, die Parteien seien sich beim Abschluß der schriftlichen Verträge vom 29. Dezember 1967 zusätzlich darüber einig geworden, daß das Musterhaus errichtet werden solle, sobald die Jahreszeit es erlaube.
Dieses Vorbringen hat das Berufungsgericht berücksichtigt. Es geht (BU 35) ausdrücklich auf das Argument des Klägers ein, ein schon im ersten Vierteljahr des Vertrages (also vor jeder Kündigung) errichtetes Fertighaus hätte nicht wieder abgerissen werden können, hätte ihm also in jedem Falle verbleiben müssen. Hierzu meint das Berufungsgericht, über den im vorliegenden Verfahren erhobenen Anspruch könne nicht anhand eines nur gedachten, in Wirklichkeit nicht eingetretenen Sachverhalts entschieden werden. Damit will es offen lassen, zu welchem Ergebnis eine ergänzende Vertragsauslegung in dem vom Kläger erwähnten, nur gedachten Falle zu gelangen hätte; für den hier tatsächlich gegebenen Fall, daß im Zeitpunkt der ordentlichen Vertragskündigung der Beklagten mit der Anlieferung des Fertighauses noch nicht einmal begonnen war, verneint es jedenfalls einen Lieferungsanspruch.
Hiergegen sind keine rechtlichen Bedenken zu erheben.
c)
Der Kläger steht auf dem Standpunkt, daß die Beklagte sich widerrechtlich vom Vertrag losgesagt, ihm so zu seiner fristlosen Kündigung veranlaßt und sich deshalb schadensersatzpflichtig gemacht habe (vgl. § 89 a Abs. 2 HGB).
Dieses Vorbringen übersieht das Berufungsgericht nicht. Es ist jedoch der Ansicht, daß auch ein Schadensersatzanspruch des Klägers nicht auf Lieferung eines Fertighauses zu den Vertragsbedingungen, sondern allenfalls auf Zahlung einer Geldsumme gehen könne. Dem ist beizutreten.
Da der Kläger infolge der ordentlichen Vertragskündigung der Beklagten, wie dargelegt, keinen Erfüllungsanspruch auf Lieferung des Fertighauses mehr hat, zielt sein Verlangen auf Schadensersatz in Form der Naturalherstellung darauf ab, so gestellt zu werden, als wäre das Vertragsverhältnis über die Probezeit hinaus, also für mindestens fünf Jahre fortgesetzt worden. Gerade das kann der Kläger aber nicht fordern, eben weil die Beklagte jedenfalls durch ihre ordentliche Kündigung das Vertragsverhältnis vorzeitig, nämlich zum 31. Dezember 1968, beendet hat und dies auch tun durfte. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers kann daher nur von dieser Lage ausgehen und ist deshalb, wenn er besteht, eine sich hieran ausrichtende Geldforderung. Diese hat der Kläger hilfsweise bereits geltend gemacht; es handelt sich um den noch im ersten Rechtszug anhängigen, mit dem Hilfsantrag 5) verfolgten Anspruch. Über diesen wird nunmehr das Landgericht, nachdem die Hauptklageanträge zu 2), 3) und 4) rechtskräftig abgewiesen sind, zu entscheiden haben.
c)
Aus dem bereits Dargelegten ergibt sich, daß auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts über den Berufungsantrag zu 6) keinen rechtlichen Bedenken begegnet.
3.
Die Revision des Klägers muß demnach insgesamt mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückgewiesen werden.
Erbel
Finke
Schmidt
Girisch