Bundesgerichtshof
Urt. v. 08.01.1970, Az.: VII ZR 130/68
Voraussetzungen für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung; Rückwirkende Vernichtung eines Kaufvertrages durch die Anfechtung; Anforderungen an den Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 08.01.1970
- Aktenzeichen
- VII ZR 130/68
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1970, 11884
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Hamm - 06.12.1967
- LG Essen
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHZ 53, 144 - 150
- DB 1970, 392-393 (Volltext mit amtl. LS)
- JZ 1970, 416-417 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- MDR 1970, 408 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1970, 637-640 (Urteilsbesprechung von Prof. Dr. Hermann Weitnauer)
- NJW 1970, 656-657 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
Kaufmann Jürgen R., E., B.
Prozessgegner
Oberstudienrat Heinz S., P., F.straße
Amtlicher Leitsatz
Der Käufer, der den Kaufvertrag zu Recht wegen arglistiger Täuschung angefochten hat, hat einen Bereicherungsanspruch auf Rückgewähr des Kaufpreises auch dann, wenn die Kaufsache bei ihm untergegangen oder beschädigt worden ist und er sie daher dem Verkäufer nicht oder nur in entwertetem Zustand herausgeben kann.
Die Vorschrift gilt zugunsten jedes Rückgewährpflichtigen, der den Rücktritt nicht zu vertreten hat.
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Januar 1970
unter Mitwirkung
des Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofs Glanzmann und
der Bundesrichter Rietschel, Erbel, Hubert Meyer und Dr. Vogt
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Hamm vom 6. Dezember 1967 wird zurückgewiesene.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Am 25. Juli 1964 kaufte der Kläger vom Beklagten einen gebrauchten Mercedes-PKW für 8.000 DM unter Eigentumsvorbehalt. Er zahlte 1.100 DM in bar, gab vereinbarungsgemäß für 5.300 DM einen gebrauchten Peugeot-PKW in Zahlung und akzeptierte über den Rest von 1.600 DM einen Wechsel, Den Peugeot-PKW hat der Beklagte weiter verkauft.
Der Mercedes-PKW hatte zur Zeit des Verkaufs schon 124.000 km zurückgelegt. Der Beklagte hatte den Tachometer auf 74.000 km umstellen lassen.
Am 28. Juli 1964 wurde der Mercedes-PKW dem Kläger ausgeliefert und am Tage danach bei einer Fahrt des Klägers auf der Autobahn stark beschädigt. Mit Schreiben vom 27. August 1964 focht der Kläger den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an.
In einem vorausgegangenen Rechtsstreit der Parteien ist die Wechselklage des Beklagten rechtskräftig abgewiesen worden.
Im vorliegenden Prozeß verlangt der Kläger 6.400 DM zurück (1.100 DM Barkaufpreis und 5.300 DM für den in Zahlung gegebenen Peugeot-PKW). Er behauptet, der Beklagte habe ihm das Umstellen des Tachometers verschwiegen und ihm versichert, der Tachometerstand von 74.000 km sei zutreffend.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben und nur den Zinsanspruch zum Teil abgewiesen. Dieses Urteil hat das Oberlandesgericht dahin abgeändert, daß der Beklagte 6.400 DM nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des beschädigten Mercedes-PKW zu zahlen hat.
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision beantragt der Beklagte,
die Klage ganz abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht nimmt an, daß der Kläger wegen arglistiger Täuschung zu Recht den Kaufvertrag angefochten hat. Ohne Rechtsfehler stellt es fest, daß der Beklagte eine arglistige Täuschung begangen hat. Wie dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe zu entnehmen ist, hat das Oberlandesgericht ferner, wenn es hierzu auch ausdrücklich nichts sagt, die Überzeugung gewonnen, daß der Kläger durch die arglistige Täuschung zum Abschluß des Kaufvertrags bestimmt worden ist. Es ist deshalb davon auszugehen, daß der Tatbestand des § 123 BGB verwirklicht war, zumal auch die Revision insoweit keine Zweifel äußert, und daß der Kaufvertrag durch die Anfechtung des Klägers rückwirkend vernichtet worden ist (§ 142 Abs. 1 BGB).
II.
Das Berufungsgericht meint, auf Grund der Anfechtung ergebe sich ein Bereicherungsanspruch des Klägers (§ 812 BGB) auf Zahlung von 6.400 DM Zug um Zug gegen Herausgabe des Mercedes-PKW, an dessen Beschädigung dem Kläger ein Verschulden nicht nachzuweisen sei. Dem ist entgegen der Ansicht der Revision, die eine Bereicherung des Beklagten verneint wissen will, beizutreten.
1.
Wird ein gegenseitiger Vertrag angefochten, so entbehren die beiderseitigen Leistungen des rechtlichen Grundes. Sie sind herauszugeben. Voraussetzung ist aber, wie sich aus § 818 Abs. 3 BGB ergibt, daß der Empfänger noch bereichert ist. Ob noch eine Bereicherung vorhanden ist, ist grundsätzlich nicht isoliert für die einzelne Leistung zu betrachten (so die ältere Zweikondiktionen-Theorie), sondern beurteilt sich danach, ob unter Berücksichtigung der Gegenleistung für eine Partei noch ein Überschuß bleibt (Saldotheorie, allgemein anerkannt, anders nur noch Flume, Festschrift für Niedermeyer S. 103). An einem solchen Überschuß kann es namentlich dann fehlen, wenn eine der Leistungen untergegangen ist oder an Wert verloren hat. Nach der Saldotheorie ist dann nicht nur der Empfänger der untergegangenen oder entwerteten Leistung in dem entsprechenden Umfang nicht mehr bereichert; er kann auch diesen Verlust nicht auf den anderen Teil überwälzen und von diesem die dort noch vorhandene Gegenleistung herausverlangen ohne Rücksicht darauf, daß er selbst nichts mehr zu bieten hat. Wer also einen Bereicherungsanspruch geltend macht, trägt das Risiko, daß sowohl seine Leistung noch beim Gegner ist als auch die von ihm selbst empfangene Leistung noch vorhanden ist (vgl. von Caemmerer, Festschrift für Rabel Band, I S. 333, 385; Esser, Schuldrecht, 3. Aufl., § 105 II Satz 2; Fikentscher, Schuldrecht, 2. Aufl., § 100 VI 3; Flume - trotz anderen Ausgangspunkts - a.a.O. So 165 f; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 9. Aufl., Bd. 1 § 25 II b).
Würden diese Grundsätze angewendet, so könnte das Berufungsurteil nicht bestätigt werden. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts ist einerseits nicht zu widerlegen, daß der Mercedes-PKW bei der Übergabe an den Kläger 8.000 DM wert war, und andererseits davon auszugehen, daß er jetzt stark entwertet ist. Danach ist sicher, daß der Beklagte, wenn es bei dem Berufungsurteil bleibt, mehr einbüßt als den bei ihm noch vorhandenen "Überschuß".
2.
Das Oberlandesgericht ist sich bewußt, daß sein Ergebnis mit der Saldotheorie nicht übereinstimmt. Es meint im Anschluß an von ihm angeführte Entscheidungen des Reichsgerichts, der Bereicherungskläger, der den Vertrag wegen arglistiger Täuschung zu Recht angefochten habe, trage nicht die Gefahr für Untergang oder Verschlechterung der in seinen Besitz gelangten Gegenleistung und könne unabhängig von deren Schicksal herausverlangen, was er selbst geleistet habe.
Die Revision meint, die vom Berufungsgericht herangezogene Rechtsprechung des Reichsgerichts besage nur, daß der arglistig Getäuschte seinen Bereicherungsanspruch ohne Abzug auf Herausgabe des von ihm Geleisteten richten und es dem Täuschenden überlassen dürfe, seinerseits die ihm aus seinen Gegenleistungen zustehenden Bereicherungsrechte geltend zu machen; der Getäuschte werde nur insofern begünstigt, als er in seiner Rechnung nicht von vornherein die Gegenansprüche des Täuschenden zu berücksichtigen brauche, was eine wesentliche Erschwerung seiner Rechtsverfolgung bedeuten würde.
In diesem Sinn drückt sich allerdings die von Berufungsgericht und Revision angeführte Entscheidung des Reichsgerichts in SA 88 Nr. 84 aus (vgl. hierzu auch BGH NJW 1964, 39). In Wirklichkeit geht die Rechtsprechung des Reichsgerichts (Nachweise über sie RGRK BGB 11. Aufl. Anm. 25 vor § 812 BGB) aber weiter und hat in der Tat einen Bereicherungsanspruch gegen den Täuschenden auch in Fällen zuerkannt, in denen nach der Saldotheorie kein "Überschuß" und damit keine Bereicherung mehr vorhanden war (vgl. z.B. RGZ 59, 92; Warn 1910 Nr. 406; in diesen Entscheidungen wird der Anspruch des getäuschten Grundstückskäufers auf Rückzahlung des Kaufpreises bejaht, obschon das gekaufte Grundstück bei ihm zwangsversteigert worden war und nicht zurückgewährt werden konnte, und der Täuschende wird darauf verwiesen, etwaige anstelle des Anspruchs auf Grundstücksrückgabe getretene Entschädigungsansprüche geltend zu machen). Diese Rechtsprechung bedeutet demnach, daß zugunsten des arglistig Getäuschten ausnahmsweise die Zweikondiktionentheorie angewandt wird (Larenz a.a.O.), daß also, wie das Berufungsgericht es ausdrückt, nicht saldiert wird.
Der so zu verstehenden Rechtsprechung des Reichsgerichts stimmt der wohl überwiegende Teil des neueren Schrifttums zu (Fikentscher a.a.O.; Flume a.a.O. S. 173 f; Larenz a.a.O. und Bd. 2 S. 396 Fußn. 1; Staudinger, BGB, 11. Aufl. § 812 Randziffer 34; Soergel, BGB, 100 Aufl. § 818 Randziffer 43; Medicus, Bürgerliches Recht, 2. Aufl. § 12 II 3 b; anderer Ansicht Erman, BGB, 4. Aufl. 5 § 818 Anm. 6 B a cc; RGRK a.a.O.).
3.
Der erkennende Senat tritt der Rechtsprechung des Reichsgerichts bei.
Wie Larenz (a.a.O. § 25 II b) dargelegt hat, stellt die Saldotheorie letztlich eine von der Rechtsprechung aus Billigkeitsgründen vorgenommene Gesetzeskorrektur dar, die dem Umstand Rechnung trägt, daß die eine Leistung um der anderen willen gemacht wurde, und es daher für berechtigt hält, auch die bei nichtigem Vertrag entstehenden Rückgewährpflichten als von einander abhängig anzusehen. Es läßt sich deshalb rechtfertigen und ist in der Rechtsprechung auch so gehandhabt worden, daß bei besonderer Fallgestaltung, abweichend von der Saldotheorie, als billig ein Ausgleich angesehen wird, bei dem der Untergang des Gegenstands, den der Bereicherungsgläubiger empfangen hat, auf Gefahr des Bereicherungsschuldners geht (vgl. dazu von Caemmerer a.a.O. S, 387). Dieses Ergebnis erscheint jedenfalls als recht und billig in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der arglistig getäuschte Käufer die gekaufte Sache nicht mehr zurückgewähren kann, ohne daß ihm ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Rückgewähr nachgewiesen werden kann. Das Berufungsgericht verweist nicht zu Unrecht auf die Regelung beim Rücktritt. Es führt dazu aus, nach § 327 Satz 2 BGB hafte derjenige, welcher den Rücktritt nicht zu vertreten habe, nur nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, brauche also die empfangene, bei ihm untergegangene Sache nach § 818 Abs. 3 BGB nicht herauszugeben oder zu ersetzen, Trotzdem könne er nach § 346 BGB in vollem Umfang Rückgewähr des von ihm Hingegebenen beanspruchen. Im Falle arglistiger Täuschung müsse der Getäuschte ebenso gestellt werden wie beim Rücktritt der zum Rücktritt berechtigte, an der Vertragsauflösung unschuldige Teil.
Diesen Erwägungen tritt der Senat bei. Zwar weicht die Saldotheorie bewußt von den Rücktrittsregeln, instbesondere der Vorschrift des § 350 BGB ab, wonach es dem Rücktritt nicht entgegensteht, wenn der Gegenstand, den der Rücktrittsberechtigte empfangen hat, durch Zufall untergegangen ist. Gerade in dieser Abweichung wird ein Vorzug der Saldotheorie gesehen (vgl. Esser a.a.O.; Staudinger a.a.O. Rdz. 45 a). Das trifft für "normale" Bereicherungsfälle auch zu. Aber der Gedanke des Berufungsgerichts, der Betrüger dürfe - auch bei der Abwicklung nach der Anfechtung durch seinen Vertragsgegner - nicht besser stehen als ein Rücktrittsschuldner, leuchtet ein (vgl. hierzu auch schon RGZ 59, 92).
Zu dem Vergleich des Berufungsgerichts zu der Lage beim Rücktritt ist noch zu bemerken, daß der Senat auch keine Bedenken trägt, der Auffassung des Berufungsgerichts über die Vorschrift des § 327 Satz 2 BGB zu folgen. Die Bedeutung dieser Bestimmung ist zwar nicht unumstritten. Nach ihrem Wortlaut gilt sie für den Gegner dessen, der den Rücktritt erklärt, und würde damit nur einen sehr begrenzten Anwendungsbereich haben, etwa beim Rücktritt nach § 636 Abs. 1 Satz 1 BGB, nicht aber für die Mehrzahl der Fälle des gesetzlichen Rücktrittrechts in §§ 325, 326 BGB, weil das Rücktrittsrecht dort nur bei Verschulden des Gegners entsteht. Nach der herrschenden Meinung (Staudinger § 327 Rdz. 29 mit Nachweisen) ist der Sinn der Vorschrift, daß stets der Rückgewährpflichtige, der den Rücktritt nicht zu vertreten hat, nur insoweit haftet, als er noch bereichert ist. § 327 Satz 2 BGB kommt also auch dem zugute, der mit Recht den Rücktritt erklärte Diesen Standpunkt hat auch der erkennende Senat im Urteil VII ZR 41/66 vom 11. Juli 1968 schon eingenommen; er bleibt dabei.
4.
Beeinflußt danach die Entwertung des Mercedes-PKW wegen der vom Beklagten begangenen arglistigen Täuschung den Bereicherungsanspruch des Klägers nicht, so braucht die in der Revisionsverhandlung erörterte Frage nicht entschieden zu werden, ob dasselbe Ergebnis aus einer Anwendung des § 819 BGB folgen würde. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ließe sich die Annahme rechtfertigen, daß der Beklagte die Anfechtbarkeit des Vertrags gekannt hat und deshalb nach § 142 Abs. 2 BGB so zu behandeln ist, als ob er "den Mangel des rechtlichen Grundes" von Anfang an gekannt hätte. Das würde nach den §§ 819, 818 Abs. 4 BGB zur Haftung "nach den allgemeinen Vorschriften" führen, d.h. gemäß den §§ 292, 989 ff, 275, 279 BGB (vgl. hierzu Larenz a.a.O. § 25 II b; Erman.a.a.O. Anm. 7 b). Es ergibt sich die Frage, ob die Anwendung der Saldotheorie schon dann auszuscheiden hat, wenn einer der Beteiligten verschärft haftet, und auf die Fälle zu beschränken ist, in denen beide Partner nur auf die Bereicherung haften (vgl. dazu Larenz § 25 II b; Weintraud, Die Saldotheorie S. 72). Doch kann es wie gesagt offen bleiben, ob die Anwendung des § 819 BGB zu dem Ergebnis führt, daß sich wegen der Verschlechterung des Mercedes-PKW die Haftung des Beklagten nicht mindert. Wie dargelegt kann ihm eine derartige Minderung schon deshalb nicht zugute kommen, weil er arglistig getäuscht hat.
5.
Da die Saldotheorie nicht zu seinen Gunsten eingreift, haftet er auf Wertersatz für das, was er erhalten hat. Der von ihm erlangte Wert von 6.400 DM ist nach wie vor in seinem Vermögen vorhanden. Ander seits braucht der Kläger den Mercedes-PKW nur in dem beschädigten Zustand herauszugeben und nicht zusätzlich Wert- oder Schadensersatz zu leisten. Das Berufungsgericht hat also zutreffend entschieden, und die Revision ist mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Rietschel
Erbel
Meyer
Vogt