Bundesgerichtshof
Urt. v. 01.12.1969, Az.: VII ZR 198/69
Verbindlichkeit der Bestellung von landwirtschaftlichen Fahrzeugen im Rahmen eines Handelsvertreterverhältnisses; Annahme eines Kaufvertrags bzw. einer Absatzverpflichtung; Indizwirkung der Verwendung von Kaufformularen; Ersatzpflichtigkeit bei Nichterfüllung des Absatzsolls
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 01.12.1969
- Aktenzeichen
- VII ZR 198/69
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1969, 12256
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Stuttgart - 06.07.1966
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 1. Dezember 1969
unter Mitwirkung
der Bundesrichter Rietschel, Erbel, Hubert Meyer, Dr. Vogt und Dr. Finke
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revisionen der Parteien gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Stuttgart vom 6. Juli 1966 werden zurückgewiesen.
Jedoch wird das Urteil im Kostenpunkt aufgehoben. Die Kosten beider Rechtsmittelzüge werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand
Der Beklagte, Handelsvertreter der Klägerin in landwirtschaftlichen Fahrzeugen, bestellte bei der Klägerin auf deren für Kundenbestellungen bestimmtem vorgedruckten Formular, das beide Parteien unterzeichnet haben, am 22. Mai 1962 500 Stück Bernhard-Anhänger, Typ und Tonnage nach Wahl. Die Klägerin erteilte dem Beklagten, ebenfalls auf vorgedrucktem Formular, eine Auftragsbestätigung vom 30. Juli 1962, in der es noch zusätzlich unter Lieferzeit heißt: Auf Abruf innerhalb eines Jahres. Der Beklagte widersprach dem nicht.
Der Beklagte kündigte den Handelsvertretervertrag mit Schreiben vom 30. Mai 1963 zum 30. August 1963.
Die Klägerin hat mit der Klage Zahlung von 20.642,13 DM verlangt und ferner wegen der Nichtabnahme von 447 von 500 Ackerwagen, die der Beklagte nach ihrer Ansicht im Mai 1962 fest von ihr gekauft hat, Schadensersatz in Höhe von 111.750 DM abzüglich dem Beklagten nach ihrer Berechnung noch zustehender 5.227,19 DM.
Der Beklagte hat insbesondere geltend, gemacht, bei dem "Auftrag" vom 22. Mai 1962 habe es sich nur um eine unverbindliche Bedarfsanmeldung im Rahmen des Handelsvertreterverhältnisses gehandelt. Ferner habe die Klägerin es zu vertreten, daß er die angestrebten Verkaufszahlen nicht habe erreichen können.
Das Landgericht hat durch Teil- und Zwischenurteil die Klage in Höhe von 20.642,13 DM abgewiesen und den Schadensersatzanspruch der Klägerin dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Der Beklagte hat im zweiten Rechtszug einen Ausgleichsanspruch zur Aufrechnung gestellt. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Klägerin den Beklagten zur Zahlung von 5.966,70 DM nebst Zinsen verurteilt und im übrigen die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Es hat die Sache zur Entscheidung über die Höhe des Schadensersatzanspruchs der Klägerin an das Landgericht zurückverwiesen, dem Beklagten die Kosten "seines erfolglosen Rechtsmittels" auferlegt und im übrigen die Kostenentscheidung dem Schlußurteil des Landgerichts vorbehalten.
Mit der Revision verfolgt der Beklagte den Antrag auf völlige Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin begehrt mit der Anschlußrevision, das Urteil dahin abzuändern, daß ihr Schadensersatzanspruch aus einem Kaufvertrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt werde. Jede Partei bittet, das Rechtsmittel der anderen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Im Revisionsverfahren sind nur noch zwei Punkte im Streit:
- I.
Der Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Nichtabnahme von 447 Fahrzeugen (BU 2, 3).
- II.
Der Ausgleichsanspruch, den der Beklagte zur Aufrechnung gestellt hat (BU 7).
I.
Zum Schadensersatzanspruch (BU 20 ff).
Während das Landgericht entsprechend dem Vortrag des Klägers in dem "Auftrag" des Beklagten vom 22. Mai 1962 einen festen Kaufvertrag gesehen hat, hat das Berufungsgericht zwar die Berufung des Beklagten im Tenor ohne Einschränkung zurückgewiesen, in den Entscheidungsgründen aber einen Kaufvertrag verneint (BU 22-27) und nur eine rechtsverbindliche Verpflichtung des Beklagten zum Vertrieb der 500 Fahrzeuge angenommen, für die er nach allgemeinen Vertragsgrundsätzen einzustehen habe (BU 27 ff, 41 ff).
Sowohl die Revision wie die Anschlußrevision sind unbegründet. Die Vertragsauslegung des Berufungsgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden und bindet daher das Revisionsgericht.
1.
Die Anschlußrevision ist zwar zulässig, da die Klägerin durch die Begründung des Urteils beschwert ist. Es kann ihr aber nicht darin zugestimmt werden, daß der Vertrag vom 22. Mai 1962 "eine klare Sprache rede" und daher keiner Auslegung fähig sei. Das Berufungsgericht hat eingehend die Gründe dargelegt, aus denen es trotz der Benutzung von Kaufformularen keinen Kaufvertrag angenommen hat. Es brauchte auch daraus, daß der Beklagte einen weiteren Vertreterbezirk der Klägerin übernehmen wollte und deshalb daran interessiert war, sich einen Posten von 500 Fahrzeugen zu sichern, den ganzen Umständen nach nicht auf den Abschluß eines Kaufvertrages zu schließen, sondern konnte sich auf die Annahme einer Absatzverpflichtung des Beklagten beschränken.
2.
Andererseits hat auch die Revision des Beklagter, keinen Erfolg.
a)
Gegen die rechtliche Zulässigkeit der vom Berufungsgericht angenommenen Vereinbarung bestehen keine Bedenken. Richtig ist, daß eine solche bei einem Handelsvertreter einigermaßen ungewöhnlich ist und nicht der Verkehrssitte entspricht. Das Berufungsgericht konnte aber bei dem von ihm festgestellten Sachverhalt eine von der Verkehrssitte abweichende Vereinbarung der Parteien annehmen.
Ihr stehen auch keine zwingenden gesetzlichen Vorschriften entgegen. Das Berufungsgericht brauchte im Hinblick auf den ausdrücklichen Vorbehalt der Klägerin im Schreiben vom 8. Juli 1963 aus der einverständlichen Aufhebung des Handelsvertreterverhältnisses zum 31. August 1963 nicht zugleich eine einverständliche Aufhebung der Pflichten des Beklagten aus der Vereinbarung vom 22. Mai 1962 zu entnehmen (BU 35).
b)
Zuzugeben ist der Revision allerdings, daß solche Pflichten des Beklagten nicht über das Vertragsende hinaus anzunehmen sind. Der Beklagte sollte die 500 Fahrzeuge während eines Jahres absetzen. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht den Umständen entnimmt, die Klägerin habe die Jahresfrist nicht als "streng verbindlich" betrachtet und dem Beklagten eine angemessene Verlängerung zugestanden (BU 31, 46). Andererseits bedarf es nach Beendigung des Vertragsverhältnisses der Parteien einer eindeutigen zeitlichen Abgrenzung der Pflichten des Beklagten. Die Vertragsbeendigung hat eine derartige Änderung der Verhältnisse herbeigeführt, daß der Beklagte darüber hinaus nicht mehr als verpflichtet angesehen werden kann, seine Bemühungen um den Absatz der Fahrzeuge der Klägerin fortzusetzen. Den Interessen der Klägerin ist damit genügt, daß sie von dem Beklagten Schadensersatz verlangen kann, soweit er während der Vertragsdauer, also auch noch länger als ein Jahr seit dem Abschluß der Vereinbarung vom 22. Mai 1962, schuldhaft die übernommene Verpflichtung nicht erfüllt hat.
c)
Das Berufungsgericht hat bei der Würdigung des Sachverhalts auch sonst keine wesentlichen Umstände außer acht gelassen.
Die Bedeutung der Einrichtung eines Auslieferungslagers gemäß der Vereinbarung vom 5. September 1962 hat es erwogen (BU 34). Es brauchte daraus nicht zu folgern, daß der Beklagte nur eine Bedarfsanmeldung für die Belieferung dieses Lagers abgegeben habe.
Auch zu dem Rundschreiben der Klägerin vom Dezember 1961 hat das Berufungsgericht Stellung genommen (BU 21). Es hat ferner die beiden Vereinbarungen vom 5. September 1960 und 22. Mai 1962 nicht widersprüchlich beurteilt, vielmehr in beiden Absatzverpflichtungen des Beklagten gesehen (BU 25, 29, 30).
d)
Die Revision rügt ferner noch, das Berufungsgericht habe ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten nicht weiter begründet, die Klägerin habe die Beweislast dafür.
Auch diese Rüge greift nicht durch.
Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, daß nicht schon die bloße Nichterfüllung des Absatzsolls den Beklagten ersatzpflichtig macht, sondern daß er dafür nur insoweit einzustehen hat, als ihm die Erreichung höherer Absatzziffern bis zum Vertragsende möglich und zumutbar gewesen wäre und er die Nichterfüllung der Absatzverpflichtung daher zu vertreten hat (BU 42).
Es ist aber rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht hier den Beklagten für darlegungs- und beweispflichtig hält, alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen zu haben. Das folgt aus dem Sinn und Zweck der Vereinbarung vom 22. Mai 1962, in der der Beklagte sich für den Absatz von 500 Fahrzeugen stark gesagt hat, während ihm die Klägerin ihrerseits auf seinen Wünsch hin mit Schreiben vom 18. Juli 1962 bestätigt hat, daß er über monatlich 45 Fahrzeuge verfügen könne. Unter diesen Umständen konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum sich auf den Standpunkt stellen, es sei Sache des Beklagten, darzulegen und zu beweisen, inwieweit und weshalb er die übernommene Verpflichtung nicht habe erfüllen können. Der erkennende Senat hat bereits in einem Urteil vom 30. Januar 1958 VII ZR 79/57 es als zulässig bezeichnet, unmittelbar aus einer vertraglichen Vereinbarung eine Beweislastregelung zu entnehmen. Ein solcher Fall liegt auch hier vor.
Das Berufungsgericht hat aber auch die Feststellung unzureichender Verkaufsbemühungen des Beklagten schon aus dem unstreitigen Umstand entnommen, daß er die Vertretung Kemper weitergeführt und daß er nach seiner Kündigung nur noch einzelne Fahrzeuge für die Klägerin veräußert habe. Seine zeitweilige Erkrankung hat es gleichfalls nicht außer acht gelassen. Im übrigen konnte es unter den hier gegebenen Umständen die Feststellung des Ausmaßes der Pflichtverletzung des Beklagten und des Umfangs des hierdurch entstandenen Schadens dem Betragsverfahren vorbehalten.
II.
Ausgleichsanspruch des Beklagten.
Diesen Anspruch hat der Beklagte erst am Tage vor der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsin stanz aufrechnungsweise geltend gemacht. In der Berufungsbegründung war davon entgegen dem Hinweis der Revision noch keine Rede.
Dem Berufungsgericht ist schon darin beizutreten, daß der Beklagte es an dem erforderlichen Tatsachenvortrag zur Darlegung eines Ausgleichsanspruchs hat fehlen lassen (BU 40). Ein solcher Vortrag wäre besonders deshalb erforderlich gewesen, weil bei Erzeugnissen der hier in Betracht kommenden Art nicht ohne weiteres und allgemein mit regelmäßigen Nachbestellungen einmal geworbener Kunden zu rechnen ist. Der Beklagte hätte deshalb insbesondere näher darlegen müssen, daß und inwieweit die Klägerin durch Fortsetzung der Geschäftsverbindungen mit von ihm geworbenen Kunden auch nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses erhebliche Vorteile habe (§ 89 b Abs. 1 Nr. 1 HGB).
Unter diesen Umständen braucht nicht darauf eingegangen zu werden, ob das Berufungsgericht eine Ausgleichszahlung auch als nicht der Billigkeit entsprechend ansehen konnte, obwohl es den Schadensersatzanspruch der Klägerin erst dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hat und die Feststellung des Ausmaßes der Pflichtverletzung des Beklagten dem Betragsverfahren überlassen hat. Es kommt ferner auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch Versagung eines Rabatts von 29 % für das Sonderbauprogramm dem Beklagten begründeten Anlaß zu seiner Kündigung gegeben hat.
III.
Hiernach sind beide Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.
Nicht haltbar ist aber die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts.
Der Beklagte hat mit seiner Berufung einen Teilerfolg erzielt, weil das Berufungsgericht keinen Kaufvertrag, sondern eine Absatzverpflichtung des Beklagten mit Haftung nur für Verschulden angenommen hat. Der Beklagte ist dadurch für das noch ausstehende Verfahren über die Höhe des Anspruchs besser gestellt worden und hat infolgedessen mit seiner Berufung teilweise Erfolg gehabt, wie denn auch gerade aus diesem Grunde der Senat eine Beschwer der Klägerin bejaht und ihre Anschlußrevision für zulässig hält. Die Kosten hätten daher gemäß § 92 ZPO geteilt werden müssen. Das ist auch ohne eine dahingehende Rüge von Amts wegen zu berücksichtigen. Ferner fehlt es der Kostenentscheidung des Berufungsgerichts auch von dessen Standpunkt aus an der erforderlichen Bestimmtheit, zu welcher Quote der Beklagte die Kosten zu tragen habe und zu welcher Quote die Entscheidung über die Kosten dem Landgericht übertragen werde.
Da beide Parteien in den Rechtsmittelzügen teils obgesiegt haben, teils unterlegen sind und für den Umfang des beiderseitigen Unterliegens zur Zeit keine anderweitigen eindeutigen Anhaltspunkte vorhanden sind, erscheint es angezeigt, die Kosten beider Rechtsmittelzüge gegeneinander aufzuheben.
Erbel
Meyer
Vogt
Finke