Bundesgerichtshof
Urt. v. 21.06.1968, Az.: IV ZR 594/68
Voraussetzungen einer Ehescheidung; Anspruch auf Erklärung der Nichtigkeit einer Ehe; Vorliegen eines Scheidungsgrundes
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 21.06.1968
- Aktenzeichen
- IV ZR 594/68
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1968, 11401
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Celle - 16.08.1966
- LG Hannover
Rechtsgrundlagen
- § 41 EheG
- § 44 EheG
- § 45 EheG
- § 511 ZPO
Fundstellen
- BGHZ 50, 261 - 266
- JZ 1968, 709-710 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1968, 911 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1968, 2055-2056 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
Brauer Ferdinand M. in L.-L. Nr. ...,
Prozessgegner
Ehefrau Bertha M. geb. S. in I., O. T. weg 78,
gesetzlich vertreten durch ihren Pfleger, Rechtsanwalt Dr. W. in B. M. am D.
Amtlicher Leitsatz
Der klagende Ehegatte ist nicht beschwert, wenn das Gericht die Ehe nicht auf den Hauptantrag aus § 44 EheG, sondern auf den hilfsweise gestellten Antrag aus § 45 EheG scheidet. Die Scheidungsgründe der §§ 44 und 45 EheG sind gleichwertig.
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 1968
unter Mitwirkung der
Bundesrichter Johannsen, Dr. Pfrebzschner, Dr. Reinhardt, Dr. Bukow und Dr. Buchholz
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil dos 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 16. August 1966 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien haben am 31. Mai 1960 in München die Ehe geschlossen. Kinder sind aus der Ehe nicht hervorgegangen.
Die Beklagte ist schon vor der Eheschließung einmal in einem Nervenkrankenhaus bei München gewesen. Während der Ehe war sie mehrmals wegen geistiger Erkrankung im Niedersächsischen Landeskrankenhaus W.
Im Frühjahr 1965 hat der Kläger Scheidungsklage erhoben, mit der er, nachdem er sie zunächst in erster Linie auf § 43 EheG gestützt hatte, zuletzt die Scheidung der Ehe aus § 44 EheG, hilfsweise aus § 45 EheG begehrt hat. Er hat behauptet, daß die Beklagte im Niedersächsischen Landeskrankenhaus W. ehewidrige Beziehungen zu einem Patienten namens W. angeknüpft und sich nach ihrer Entlassung zu Hause geweigert habe, Nahrung und Medikamente zu sich zu nehmen, wahrscheinlich zu dem Zweck, um wieder in das Krankenhaus eingewiesen zu werden und W. wiederzusehen. Die Beklagte hat diese Behauptung bestritten und geltend gemacht, daß sie wegen ihrer geistigen Störungen für etwaige Verfehlungen nicht verantwortlich gemacht werden könne.
Das Landgericht hat ein medizinisches Gutachten eingeholt, das zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Beklagte mindestens seit 1959 an einer Schizophrenie leide und daß die Krankheit einen solchen Grad erreicht habe, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben sei und eine Wiederherstellung der Gemeinschaft nicht mehr erwartet werden könne. Das Landgericht hat die Ehe auf Grund dieses Gutachtens aus § 45 EheG geschieden; dem Antrag auf Scheidung aus § 44 EheG hat es nicht entsprochen, weil es objektive schwere Eheverfehlungen der Beklagten nicht als bewiesen angesehen hat.
Mit der Berufung hat der Kläger in erster Linie begehrt, die Ehe nach § 18 EheG für nichtig zu erklären, hilfsweise, sie nach § 32 EheG aufzuheben, und weiter hilfsweise, sie nach § 44 EheG zu scheiden. Er hat ausgeführt, daß er erst durch das von dem Landgericht eingeholte medizinische Gutachten davon erfahren habe, daß die Beklagte schon vor der Eheschließung an einer Geisteskrankheit gelitten habe. Die Ansicht des Landgerichts, daß die Beklagte keine Ehewidrigkeiten begangen habe, halte er für unrichtig.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen. Der Kläger hat Revision eingelegt. Er verfolgt seinen vor den Berufungsgericht gestellten Antrag weiter. Die Beklagte hat gebeten, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Rechtlich zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß die Berufung unzulässig ist, weil der Kläger nicht dadurch beschwert ist, daß das Landgericht seine Ehe gemäß seinem Hilfsbegehren aus § 45 EhcG statt nach seinem Hauptbegehren aus § 44 EheG geschieden hat.
Die Ansicht der Revision, daß eine Beschwer des Klägers schon deswegen gegeben sei, weil das Landgericht nicht dem Haupt-, sondern dem Hilfsantrag dos Klägers entsprochen habe, ist rechutlich nicht zutreffend. In der Regel ist zwar der Kläger schon dann beschwert, wenn die angefochtene Entscheidung von seinem in der unteren Instanz gestellten Antrag abweicht. Der Kläger, der verschiedene Ansprüche geltend macht, ist daher beschwert, wenn er mit seinem Hauptantrag abgewiesen und nur dem Hilfsantrag stattgegeben worden ist (Stein/Jonas/Schönke/Grunsky, ZPO 19. Aufl., Allg. Einl. vor § 511 Anm. V 1 a). In diesen Fällen ist der Kläger formell und materiel beschwert. Dadurch, daß eine Beschwer des Rechtsmittelklägers als Voraussetzung für die Zulässigkeit des von ihm eingelegten Rechtsmittels gefordert wird, soll erreicht werden, daß der Rechtsmittelzug nur eröffnet wird, wenn dafür ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Im Interesse der Gesamtheit der rechtsschutzsuchenden Bürger und des jeweiligen Prozeßgegners soll ausgeschlossen werden, daß das Rechtsmittelgericht sich mit dem Rechtsstreit befassen muß, ohne daß der Rechtsmittelkläger ein schutzwürdiges Interesse an der von ihm erstrebten Entscheidung hat. Deswegen genügt auf Seiten des Rechtsmittelklägers die bloß formelle Beschwer nicht, um die Zulässigkeit des von ihm eingelegten Rechtsmittels zu bejahen. Vielmehr ist die für die Zulässigkeit des Rechtsmittels geforderte Beschwor nur gegeben, wenn ein Vergleich des rechtskräftigen Inhalts des angefochtenen Urteils mit dem Klagebogehren ergibt, daß die Entscheidung für den Rechtsmittelkläger in irgend einer Weise sachlich nachteilig ist (Blomeyer, Zivilprozeßrecht 1963 § 97 II 1). Der Kläger ist nicht beschwert, wenn das Gericht ihn den geltend gemachten Anspruch zugesprochen und ihn rechtlich nur anders zugeordnet hat, als es in der Klage geschehen ist (BGH MDR 1959, 486).
Auch in Ehesachen macht eine bloß formelle Beschwer des siegreichen Klägers das von ihm eingelegte Rechtsmittel noch nicht zulässig. Hier ist zu beachten, daß die verschiedenen, sich aus dem Gesetz ergebenden Gründe für die Auflösung der Ehe zum Teil dieselbe Tragweite haben, während andere rechtlich von unterschiedlicher Tragweite sind. Deswegen ist in Ehesachen der Scheidungskläger, wenn die Ehe statt aus dem in erster Linie geltend gemachten Scheidungsgrund aus einem anderen hilfsweise geltend gemachten Grund geschieden wird, nur dann beschwert, wenn der hilfsweise geltend gemachte Grund von geringerer Tragweite ist, mithin eine materielle Rechtsbeointrächtigung vorliegt (Baur, Zur "Beschwer" im Rechtsmittelverfahren des Zivilprozeßrechts in Festschrift für Lent 1957 S. 5; Diederichsen, Die Revision in Ehesachen FamRZ 66, 605, 612; Wieczorck ZPO § 511 Anm. B II c 7, Hoffmann/Stephan, EheG 2. Aufl. § 41 Anm. 61, Stein/Jonas a.a.O. Anm. V 3 c). Der klagende Ehegatte, der mehrere gleichwertige Scheidungsgründe geltend macht, ist nicht beschwert, wenn das Gericht die Ehescheidung aus einem dieser Gründe ausspricht (Hoffmann/Stephan, EhoG 2. Aufl. § 44 Anm. 25). Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob der Kläger die Scheidungsgründe wahlweise oder in bestimmter Reihenfolge geltend gemacht hat. Denn wegen der Gleichwertigkeit der Scheidungsgründe stellt das Urteil, das in solchem Falle die Ehe aus einen der geltend gemachten Gründe scheidet, für den Kläger auch im Verhältnis zum Hauptantrag keinen rechtlichen Nachteil dar, wenn das Gericht nicht dem Hauptantrag, sondern den Hilfsantrag stattgegeben hat. Die für das Verhältnis von § 44 zu § 48 EheG abweichende Ansicht von Stein/Jonas/Grunsky (ZPO 19. Aufl. Allg. Einl. vor § 511 Anm. V 3 c) überzeugt nicht; sie erscheint nicht vereinbar mit dem an gleicher Stelle vorausgeschickten und zutreffenden Grundsatz, daß der siegreiche Kläger nur beschwert ist, wenn die Ehe aus einem hilfsweise geltend gemachten Grund von geringerer Tragweite geschieden wird.
Zutreffend hat das Berufungsgericht diesen Gesichtspunkten Rechnung getragen und darauf abgestellt, ob es sich bei dern vom Kläger in der Form des Haupt- und Hilfsantrags geltend gemachten Scheidungsgründen aus § 44 und § 45 EheG um gleichwertige Scheidungsgründe handelt. Der Ansicht des Berufungsgerichts, daß diese Frage zu bejahen sei, ist zuzustimmen (ebenso Hoffmann/Stephan EheG 2. Aufl. § 44 Anm. 25, BGB-RGRK EheG 10./11. Aufl. § 44 Anm. 44, OLG Hamm FamRZ 63, 255). Denn es bestehen hinsichtlich der beiden Scheidungsgründe keine Unterschiede in den Rechtsfolgen, weder im Schuldausspruch (§§ 52, 53 Abs. 2 EheG) noch in der Unterhaltspflicht (§ 61 EheG), im Namensführungsrocht der Frau (§§ 54 bis 57 EheG) oder in den Folgen für die elterliche Gewalt über die Kinder (§ 1671 BGB). Allerdings sind die Tatbestände der §§ 44 und 45 EheG verschieden. Das Interesse des Klägers, daß der Tatbestand des § 44 EheG vom Gericht festgestellt werde, der voraussetzt, daß die Beklagte eine objektive Eheverfehlung begangen hat, ist aber koin rechtliches und kann insoweit nicht berücksichtigt werden, jedenfalls nicht in dem vorliegenden Falle, in dem der Kläger nicht geltend gemacht hat, hieran aus besonderen Gründen interessiert zu sein. Somit ist anders als in den Fällen, in denen der Klüger in erster Linie Scheidung aus Verschulden (§§ 42, 43 EheG) und in zweiter Linie Scheidung ohne Schuldausspruch (§§ 44, 45, 46, 48 EheG) begehrt oder in erster Linie Scheidung aus § 42 und hilfsweise Scheidung aus § 43 EhoG, dann, wenn der Kläger die Klage lediglich auf die gleichwertigen Scheidungsgründe der §§ 44 und 45 EheG stützt, eine Beschwer und demgemäß die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu verneinen, wenn das Gericht aus einem dieser Scheidungsgründe die Ehe geschieden hat.
Mit Recht hat das Berufungsgericht eine Beschwer auch insoweit verneint, als der Kläger nach seinen im Berufungsrechtszuge gestellten Anträgen zur Aufhebungsklage übergehen will. Der Kläger hatte die Aufhebung der Ehe im ersten Rechtszuge noch nicht begehrt. Somit würde es ihm schon an einer Beschwer im engeren formellen Sinne fehlen. Aber auch wenn er die Aufhebung der Ehe im ersten Rechtszuge begehrt hätte, würde aus den dargelegten Gründen eine Beschwer für das Rechtsmittel der Berufung zu verneinen sein, weil der Kläger mit seinem Scheidungsbegehren aus § 45 EheG Erfolg gehabt hat und die Eheaufhebungsgründe den Scheidungsgründen der §§ 44, 45 EheG gleichwertig sind. Im Falle der Aufhebungsklagc wird die Ehe wie bei der Scheidungsklage erst mit der Rechtskraft des Urteils aufgelöst (§ 29 Satz 2 EhcG). Die Übereinstimmung der Rechtsfolgen von Eheaufhebung und Ehescheidung ergibt sich aus § 37 Abs. 1 EheG. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der klagende Ehegatte mit der Aufhebungsklage den Antrag verbindet, den beklagten Ehegatten als schuldig anzusehen (§ 37 Abs. 2 EheG). Wird eine mit einem solchen Schuldantrag verbundene Aufhebung der Ehe in erster Linie und hilfsweise die Scheidung der Ehe aus den §§ 44 oder 45 EheG begehrt, so ist der klagende Ehegatte allerdings als boschwert anzusehen, wenn das Gericht nicht dem Hauptantrag auf Aufhebung, sondern nur dem Hilfsantrag auf Scheidung der Ehe entsprochen hat. So liegt es aber hier nicht, da der Kläger mit dem Aufhebungsantrag nicht den Schuldantrag aus § 37 Abs. 2 EheG verbunden hat.
Das Berufungsgericht hätte daher die weitere an sich zutreffende Erwägung nicht mehr anzustellen brauchen, daß eine Berufung mit dem Ziel der Aufhebung der Ehe noch zuzulassen ist, wenn der Kläger den von ihm geltend gemachten Aufhebungsgrund erst nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht erfahren hat. Denn diese von Rechtsprechung und Rechtslehre vertretene Erweiterung der Zulässigkeit der Berufung gilt nur in dem Falle, in dem eine Beschwer anzunehmen wäre, falls der Kläger die Aufhebung schon im ersten Rechtszuge begehrt hätte, d.h. wenn der Aufhebungsgrund für ihn mit günstigeren Rechtsfolgen verbunden wäre als das sonstige Klagebegehren (Hoffmann/Stephan, EheG 2.Aufl. § 41 Anm. 65, BGB-RGRK 10./11. Aufl. § 41 Anm. 78, Wieczorek ZPO § 511 Anm. B II c 7). Das ist aber hier nicht der Fall, da der Kläger - in dem für die Beurteilung der Beschwer maßgeblichen Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels - nicht erklärt hat, einen Schuldantrag stellen zu wollen.
Die Zulässigkeit dos Übergangs zur Nichtigkeitsklage schließlich ist von dem Berufungsgericht zu Recht aus dem Grunde verneint worden, daß die Verbindung einer Scheidungs- oder Aufhebungsklage mit einer Nichtigkeitsklage nach den §§ 615 Abs. 2, 633 Abs. 1 ZPO nicht statthaft ist.
Die Berufung des Klägers ist daher mit Recht als unzulässig verworfen worden. Demgemäß war seine Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Dr. Pfretzschner
Dr. Reinhardt
Dr. Bukow
Dr. Buchholz