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Bundesgerichtshof
Urt. v. 15.11.1967, Az.: 3 StR 4/67

Verurteilung wegen Volksverhetzung durch heimliche Abänderung eines Wahlspruchs; Disqualifizierung für einöffentliches Amt durch die bloße Charakterisierung als Jude; Absicht des Schürens der Feindschaft gegen die Juden; Antasten des Kernbereichs der Persönlichkeit

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
15.11.1967
Aktenzeichen
3 StR 4/67
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1967, 10927
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hamburg - 09.03.1967

Fundstellen

  • BGHSt 21, 371 - 373
  • MDR 1968, 255 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1968, 309-310 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Volksverhetzung.

Prozessgegner

Maschinenschlosser Günter Dietrich R., geboren am ... in M., z. Zt. auf See

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 15. November 1967,
an der teilgenommen haben:
Senatspräsident Scharpenseel als Vorsitzender,
Bundesrichter Dr. Hengsberger, Bundesrichter Dr. Wiefels, Bundesrichter Mayer, Bundesrichter Dr. Rinck als beisitzende Richter,
Bundesanwalt Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretär ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 9. März 1967 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Gründe

1

Während des Bürgerschaftswahlkampfes in H. im Februar und März 1966 hatte die SPD für die Wahl ihres Spitzenkandidaten Prof. Dr. W. mit Plakaten geworben, die dessen Kopfbild zeigten und den Wahlspruch trugen: "H. wählt seinen Bürgermeister Prof. Dr. W.". Diesen Spruch überklebte der Angeklagte in der Nacht vom 24./25. März 1966 auf einer Reihe von Plakaten mit Papierstreifen, auf die er das Wort "Juden" aufgepinselt hatte, in der Weise, daß der Text nun entweder "H. wählt seinen Juden W." oder "H. wählt seinen Juden" lautete.

2

Das Landgericht hat ihn wegen Volksverhetzung (§ 130 Nr. 1 StGB) zu acht Monaten Gefängnis verurteilt und verschiedene zur Tat benutzte Gegenstände eingezogen. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung des förmlichen und des sachlichen Rechts. Sie bleibt erfolglos.

3

1.

Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte beanstandet, daß ein anderwo gegen ihn anhängig gewesenes und später eingestelltes Strafverfahren wegen Körperverletzung in der Hauptverhandlung zur Sprache gekommen sei, ist offensichtlich unbegründet. Es ist nicht erfindlich, gegen welche prozeßrechtliche Vorschrift die Erwähnung dieser Strafsache verstoßen haben könnte. Allenfalls ein sachlichrechtlicher Mangel käme in Betracht, wenn das Landgericht daraus dem Angeklagten nachteilige Schlüsse zöge. Es erwähnt dieses Verfahren jedoch überhaupt nicht.

4

2.

Auch die Sachbeschwerde greift nicht durch.

5

a)

Die Strafkammer stellt im einzelnen fest:

6

Der objektive Sinn der Änderung des Wahlspruchs, dem die innere Einstellung des Angeklagten entsprochen habe, sei es gewesen, dem jüdischen Wahlbewerber die Eignung für das Amt ohne Rücksicht auf Persönlichkeit und fachliche Befähigung allein seiner rassischen Zugehörigkeit wegen abzusprechen. Der Angeklagte habe an antisemitische Ressentiments appellieren, "ein in der Bevölkerung vermutetes antisemitisches Gefühls- und Stimmungsreservoir provozierend ansprechen" und dadurch "Gefühlsreaktionen von Abneigung und Haß in so hohem Maße auslösen" wollen, "daß Prof. Dr. W. durch die bloße Charakterisierung als Jude disqualifiziert, unmöglich gemacht" würde (UA S. 11, 12, 13). Zwar habe sich der Angriff "vordergründig und formal" nur gegen Bürgermeister Dr. W. gerichtet; der Sache nach sei die Agitation aber darauf ausgegangen, den jüdischen Bevölkerungsteil in seiner Gesamtheit zu treffen und die jüdischen Mitbürger für untauglich zur Bekleidung eines Staatsamts zu erklären.

7

Gegen diese Sinndeutung der in dem veränderten Schrifttext liegenden Kundgebung geht der Angeklagte in seiner Revisionsrechtfertigung vergeblich an. Die Auslegung mündlicher wie schriftlicher Erklärungen ist Sache des Tatrichters; ein Verstoß gegen Sprach- oder Denkgesetze ist in der vom Landgericht vorgenommenen Würdigung nicht zu finden.

8

Auch tragen die getroffenen Feststellungen den Schuldspruch. Der Angeklagte hat zum Haß gegen den jüdischen Bevölkerungsteil aufgestachelt. Die geänderte Plakataufschrift enthielt eine für die Öffentlichkeit bestimmte und von dieser wahrnehmbare Gedankenäußerung. Vor dem geschichtlichen Hintergrund der nationalsozialistischen Judenverfolgung war in ihr, wie sich aus den Darlegungen der Strafkammer ergibt, der Absicht des Angeklagten entsprechend, mehr als bloße Ablehnung oder Mißachtung zu erblicken; vielmehr sollte Feindschaft gegen die Juden geschürt werden, wie dies § 130 Nr. 1 StGB voraussetzt (vgl. Schafheutle JZ 1960, 470, 473). Um eine Aktion nur gegen eine Einzelperson, deren individueller Eigenschaften wegen, handelte es sich gerade nicht. Zu Recht hat das Landgericht in dem Verhalten des Angeklagten auch einen Angriff auf die Menschenwürde des Betroffenen gesehen. Wer einen anderen von - jedenfalls bedeutsameren - öffentlichen Ämtern und damit von wirksamer Mitgestaltung des Lebens in der staatlichen Gemeinschaft von vorneherein ausschließen will, hindert ihn in einem wichtigen Bereich an der Persönlichkeitsentfaltung und stempelt ihn unter Mißachtung des Gleichheitssatzes zu einem unterwertigen Glied jener Gemeinschaft. Er trifft ihn damit im Kernbereich seiner Persönlichkeit (vgl. dazu Schriftl. Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, BT-Drucksache 1746 der 3. Wahlperiode S. 3). Im übrigen ist auch hier zu berücksichtigen, daß es dieselbe Forderung auf Ausschluß der jüdischen Mitbürger vom öffentlichen. Leben war, welche die Judenverfolgung im nationalsozialistischen Staat mit dem schließlichen Ende der Vernichtung von Millionen von Menschen einleitete.

9

Zutreffend würdigt der Tatrichter ferner die Handlungsweise des Angeklagten als zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet. Insoweit ist den Darlegungen des Urteils (UA S. 15) nichts hinzuzufügen.

10

b)

Der Strafausspruch gibt ebenfalls zu durchgreifenden rechtlichen Bedenken keinen Anlaß. Daß die Strafkammer bei ihren Strafzumessungserwägungen von einem zu niedrigen Alter des Angeklagten ausgeht, bleibt schon deshalb unschädlich, weil sie darin, ebenso wie übrigens in der fehlenden Reife, einen Strafmilderungsgrund sieht.

11

Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigt sie mit der Erwägung, es sei bei der Uneinsichtigkeit des Angeklagten schon zweifelhaft, ob er strafbare antisemitische Ausschreitungen künftig unterlassen werde (§ 23 Abs. 2 StGrB); das brauche aber nicht abschließend entschieden zu werden, denn nur durch eine Strafverbüssung könne ihm nachhaltig genug klar gemacht werden, daß die staatliche Gemeinschaft eine Tat wie seine nicht dulde. Damit läßt das Landgericht die Frage einer günstigen Zukunftserwartung im richtig verstandenen Sinne der angeführten Vorschrift (vgl. BGHSt 7, 6, 10) [BGH 03.11.1954 - 6 StR 236/54] nur scheinbar offen; in Wahrheit verneint es sie, ohne daß dies aus Rechtsgründen zu beanstanden wäre. Auf eine Erörterung unter dem Gesichtspunkt des § 23 Abs. 3 Nr. 1 StGB konnte sie danach verzichten.

Scharpenseel
Dr. Hengsberger
Dr. Wiefels
Mayer
Dr. Rinck