Bundesgerichtshof
Urt. v. 09.03.1967, Az.: 5 StR 38/67
Rücktritt vom versuchten Mord; Emotionaler Zwang als Hindernis
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 09.03.1967
- Aktenzeichen
- 5 StR 38/67
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1967, 14597
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 27.09.1966
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHSt 21, 216 - 217
- JZ 1967, 417-418 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1967, 600-601 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1967, 934-935 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1967, 1189-1190 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Versuchter Mord
Amtlicher Leitsatz
Zum Merkmal der tätigen Reue
In der Strafsache
hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
in der Sitzung vom 9. März 1967,
an der teilgenommen haben:
Senatspräsident Prof. Dr. Sarstedt als Vorsitzender,
Bundesrichterin Dr. Koffka
Bundesrichter Siemer, Schmitt, Kersting als besitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizsekretär ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts (Jugendkammer) in Lüneburg vom 27. September 1966
- 1.
im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 223 a StGB) in zwei Fällen verurteilt wird,
- 2.
im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an die Jugendkammer des Landgerichts in Stade zurückverwiesen, die auch über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden hat.
Gründe
Der Angeklagte wendet sich mit der Revision nur gegen die Verurteilung wegen versuchten Mordes und gegen den Strafausspruch. Der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung, begangen durch einen Schlag mit der Schnapsflasche auf den Kopf der Verletzten, ist somit in Rechtskraft erwachsen.
Die Revision ist wegen Verletzung des sachlichen Rechts gerechtfertigt. Deswegen bedarf es nicht der Prüfung, ob auch die Verfahrensrüge begründet ist.
Die Jugendkammer nimmt an, § 46 Nr. 2. StGB sei auf den Mordversuch nicht anzuwenden, weil der Angeklagte die Folgen der seinem Opfer weiterhin mit dem Papiermesser zugefügten schweren Verletzungen nicht freiwillig, sondern unter seelischem Druck abgewendet habe. Das ist rechtsirrig.
Die Rechtsprechung ist zwar der Auffassung, daß der Rücktritt vom nicht beendeten Versuch dann nicht strafbefreiend im Sinne des § 46 Nr. 1 StGB wirkt, wenn, emotionaler Zwang den Täter unfähig macht, die Tat zu vollbringen. Es kommt dabei auf den Grad des Einflusses an, den ein äußerer Umstand auf die Entschlußfassung des Handelnden ausübt. Die Einwirkung muß eine derartige sein, daß man im Sinn des Gesetzes davon sprechen kann, der Täter sei durch sie an der Ausführung der beabsichtigten Handlung "gehindert" worden (vgl. BGHSt 7, 296, 298 ff [BGH 14.04.1955 - 4 StR 16/55]; 9, 48, 50 ff [BGH 28.02.1956 - 5 StR 352/55]; BGH 1 StR 332/57 vom 15. Oktober 1957 bei Dallinger MDR 1958, 12 im Anschluß an RGSt 68, 238).
Im Gegensatz zu diesen Fällen handelt es sich hier aber um einen beendeten Versuch. Die beiden Messerstiche, die in die Lunge des Opfers gedrungen waren, waren lebensgefährlich.
Das war auch dem Angeklagten bewußt; er glaubte, daß die Verletzte ohne alsbaldige ärztliche Hilfe sterben würde.
Wie das Landgericht bedenkenfrei dargetan hat, war zu der Zeit, als der Angeklagte veranlaßte, daß ein Arzt herbeigerufen wurde, die Tat noch nicht entdeckt. Der Angeklagte rechnete auch nicht mit alsbaldiger Entdeckung und brauchte dies auch nicht. Dem er hätte die Möglichkeit gehabt, ungesehen durch den hinteren Ausgang des Geschäfts zu verschwinden. Dann wäre zunächst kein Verdacht auf ihn gefallen (vgl. hierzu RGSt 38, 402, 403 f; RG GA 69, 396 = DRZ 1925 Nr. 187).
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob in den Fällen des § 46 Abs. 2 StGB auch andere Gründe als gerade das Entdecktsein oder die Befürchtung, alsbald entdeckt zu werden, die Vergünstigung des § 46 Nr. 2 StGB ausschließen (so im Ergebnis RGSt 38 a.a.O.; Gutmann, Die Freiwilligkeit beim Rücktritt vom Versuch und bei der tätigen Reue. 1963, S. 218 ff, insb. S. 222 f). Auch wenn hier, trotz "Nichtentdecktheit", freiwilliges Handeln für erforderlich zu halten und eine entsprechende Einengung der Vergünstigung nicht mit Schenke/Schröder, StGB 13. Aufl. § 46 Rdnr. 34 als eine unzulässige Analogie zuungunsten des Täters anzusehen wäre, hätte das Landgericht den Angeklagten nicht wegen versuchten Mordes verurteilen dürfen.
Den Feststellungen des Landgerichts im vorliegenden Fall ist nicht zu entnehmen, daß die bei dem Angeklagten durch den Anblick der Verletzten hervorgerufene seelische - Erschütterung für ihn ein zwingender Grund war, den zu befürchtenden Tod seines Opfers "durch seine Tätigkeit" abzuwenden. Der Anblick der verletzten Frau war nach den Gründen des Urteils "zu viel für ihn (den Angeklagten), er konnte einfach nicht mehr"; "er sollte jetzt nicht mehr, daß die Frau im Keller verblutete" (UA S. 15, 6).
Hiernach handelte es sich nicht um einen schockartig auf den Angeklagten wirkenden Eindruck. Der Angeklagte wurde lediglich innerlich dazu gedrängt, die von ihm verletzte Frau zu retten, ohne dabei unfähig zu sein, sich zu den hierzu erforderlicher. Handlungen zu entschließen oder nicht. Einer Anwendung des § 46 Nr. 2 StGB steht daher nichts im Wege.
Wenn der versuchte Mord sonach straflos bleiben muß, so ist der Angeklagte wegen der mit dem Papiermesser zugefügten Stichverletzungen zu bestrafen. Weitere Ermittlungen zur Sache sind nicht mehr erforderlich. Die Feststellungen des Urteils ergeben, daß die Voraussetzungen des § 224 StGB nicht vorliegen. Deshalb ist der Schuldspruch dahin zu ändern, daß der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 223 a StGB) in zwei Fällen verurteilt wird (§ 354 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung).
Die Änderung des Schuldspruchs macht die Aufhebung des Strafausspruchs mit den Feststellungen notwendig.
Die Entscheidung entspricht dem Antrage des Generalbundesanwalts.
Das Landgericht wird darauf hingewiesen, daß wegen Durchgreifens des § 46 Nr. 2 StGB in der Strafzumessung ein Merkmal der ausscheidenden Gesetzesverletzung nicht strafschärfend verwertet werden darf (BGH 1 StR 618/65 vom 19. April 1966 bei Dallinger MDR 1966, 726).
Koffka
Siemer
Schmitt
Kersting