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Bundesgerichtshof
Urt. v. 08.11.1966, Az.: VI ZR 44/65

Erwerbsschaden des mitarbeitenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft; Anspruch eines mitarbeitenden Gesellschafters auf Arbeitsvergütung aus dem Gesellschaftsvertrag; Begriff des Ausforschungsbeweises; Voraussetzungen eines Anspruchs auf Ersatz von Erwerbsschaden

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
08.11.1966
Aktenzeichen
VI ZR 44/65
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1966, 14266
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Frankfurt am Main - 30.12.1964
LG Darmstadt

Fundstellen

  • DB 1966, 1964 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1967, 121 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Zum Erwerbsschaden des mitarbeitenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft, der nach dem Gesellschaftsvertrage eine Arbeitsvergütung erhält.

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 1966
unter Mitwirkung
des Senatspräsidenten Dr. Engels und
der Bundesrichter Hanebeck, Dr. Bode, Heinr. Meyer und Dr. Nüßgens
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt (Main) vom 30. Dezember 1964 insoweit aufgehoben, als die Klage hinsichtlich des Anspruchs auf Zahlung von 7.500 DM Erwerbsausfall nebst Zinsen abgewiesen und zum Nachteil des Klägers über die Kosten des Rechtsstreits entschieden worden ist.

Soweit das Berufungsurteil aufgehoben wurde, wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger wurde am 13. August 1959 von der Deichsel einer Teermaschine, die von dem Beklagten Georg Sch. bedient wurde und der Beklagten Firma Gabriel D. & Sohn gehört, am Knie getroffen und erheblich verletzt. Er erlitt einen linksseitigen Schienbeinkopfbruch und war bis zum 22. August 1959 in Krankenhausbehandlung. Nach etwa 8 Tagen wurde ihm ein Gipsverband angelegt, den er bis zum 6. Oktober 1959 trug. Danach wurde der Kläger noch längere Zeit ambulant behandelt.

2

Durch das rechtskräftige Teil- und Grundurteil des Landgerichts Darmstadt vom 8. Juli 1960 sind die Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen beide Beklagte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden. Die Parteien streiten jetzt nur noch über den Verdienstausfall, dessen Ersatz der Kläger für die Zeit vom 13. August 1959 bis 31. Dezember 1961 in Höhe von 7.500 DM nebst Zinsen begehrt.

3

Der Kläger ist persönlich haftender Gesellschafter (Komplementär) der "P.-St. Söhne KG". Neben ihn gehören der Gesellschaft an: sein Sohn Werner St. als weiterer Komplementär und seine Ehefrau Rosa St. als Kommanditistin. Nach § 17 des Gesellschaftsvertrages erhielt der Kläger für seine Arbeitsleistung jährlich 7.200 DM und sein Sohn jährlich 3.600 DM. Von dem danach verbleibenden Gewinn standen dem Kläger und seinem Sohn je 30 % und der Ehefrau St. 40 % zu.

4

Der Kläger hat behauptet: Er habe in erster Linie als Parkettleger gearbeitet. Infolge der Verletzungen, die er bei dem Unfall erlitten habe, sei er vom 13. August 1959 (Tag des Unfalls) bis zum 31. Dezember 1959 völlig arbeitsunfähig und vom 1. Januar 1960 bis zum 31. Dezember 1961 nur vermindert arbeitsfähig gewesene Deshalb sei seine Arbeitsvergütung durch den Gesellschafterbeschluß vom 23. August 1959 für den Zeitraum zwischen dem Unfall und dem 31. Dezember 1959 gestrichen und durch den Gesellschafterbeschluß vom 25. September 1961 für die Zeit vom 1. Januar 1960 bis zum 31. Dezember 1961 auf jährlich 4.800 DM herabgesetzt worden. Gleichzeitig seien die Bezüge seines Sohnes erhöht worden. Diese Beschlüsse seien besonders auf Drängen seines Sohnes gefaßt worden, der nach dem Unfall die Hauptarbeitslast habe tragen müssen und mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft gedroht habe. Danach habe er für die Zeit vom Unfall bis zum 31. Dezember 1961 statt 2.700 DM nichts und für die Zeit vom 1. Januar 1960 bis zum 31. Dezember 1961 statt 14.400 DM nur 9.600 DM, also 4.800 DM weniger erhalten.

5

Im Betragsverfahren hat der Kläger deshalb von den Beklagten neben anderen Schadensposten 7.500 DM (2.700 plus 4.800 DM) Verdienstausfall nebst Zinsen beansprucht.

6

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben vorgetragen: Der Kläger habe keinen Verdienstausfall erlitten. Er sei nicht als Parkettleger, sondern als Kaufmann tätig gewesen. Die von ihm behauptete Behinderung könne deshalb nicht der entscheidende Grund für die Herabsetzung der Bezüge gewesen sein. Es entspreche dem normalen Lauf der Dinge, daß ein Sohn, der in ein Unternehmen hineinwachse, mit der Zeit besser gestellt werde. Die Gesellschaft habe sich auch erst zwei Jahre nach dem Unfall dazu entschlossen, die Bezüge herabzusetzen Das lasse den Schluß zu, daß die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung nur dazu bestimmt gewesen sein, dem Kläger Beweiserleichterung zu verschaffen. Deshalb sei anzunehmen, daß die Verminderung seiner Bezüge durch eine stillschweigende Änderung des in § 17 des Gesellschaftsvertrages geregelten Gewinnverteilungsschlüssels ausgeglichen worden sei (Beweis: Bilanzen und Geschäftsaufzeichnungen der P.-St. & Söhne KG).

7

Das Landgericht hat dem Kläger neben anderen Beträgen auch den beanspruchten Verdienstausfall von 7.500 DM zugesprochen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage hinsichtlich des Verdienstausfalls abgewiesen.

8

Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung von 7.500 DM Verdienstausfall nebst Zinsen weiter. Die Beklagten beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

I.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Kläger müsse sich so behandeln lassen, als hätte er einen vollen Ausgleich für die ihm entgangene Arbeitsvergütung erhalten. Er habe die Beweisführung der Beklagten vereitelt, weil er trotz der Aufforderung durch das Gericht die Bilanzen der Firma P.-St. & Söhne KG nicht vorgelegt habe. Der Beweisantrag der Beklagten auf Vorlage dieser Bilanzen sei entgegen der Ansicht des Landgerichts kein unzulässiger Ausforschungsbeweis gewesen. Der Kläger habe keinen überzeugenden Grund für das Nichtvorlegen der Bilanzen angegeben. Ein solcher sei auch nicht ersichtlich. Konkurrenzgründe schieden aus, da die Parteien in verschiedenartigen Branchen tätig seien. Der Kläger habe auch nicht etwa an Stelle der Vorlage der Bilanzen die Vernehmung einer Person angeboten, die über den Inhalt der Bilanzen habe aus sagen können. Daß durch sein Verhalten die Beweisführung der Beklagten vereitelt worden sei, habe zur Folge, daß die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe in Wahrheit keinen Erwerbsschaden erlitten, als wahr zu unterstellen sei.

10

II.

Mit dieser Begründung kann dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz von Erwerbsschaden nicht versagt werden.

11

Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen zweifelhaft erscheinen, ob es sich in ausreichendem Maße der rechtlichen Unterschiede bewußt gewesen ist, die sich für die Beurteilung des Erwerbsausfalls ergeben, wenn der mitarbeitende Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft nicht nur mit einer Quote am Reingewinn beteiligt ist, sondern wie der Kläger nach dem Gesellschaftsvertrag auch eine Arbeitsvergütung erhält, die unabhängig von Gewinn und Verlust vorab zu zahlen ist. Hat der mitarbeitende Gesellschafter nur Anspruch auf die Gewinnquote, so kann ihm ein Erwerbsschaden in der Regel nur in der Form erwachsen, daß sich infolge des Unfalls der Gewinn der Gesellschaft und damit auch der Anteil des Gesellschafters schmälert. Er kann dann diese Einbuße - im Gegensatz zu den nur mittelbar am Vermögen geschädigten Mitgesellschaftern - vom Schädiger ersetzt verlangen Da sich Anhaltspunkte für die Höhe dieses Erwerbsausfalls aus der Bilanz der Gesellschaft ergeben, kann es in einem Falle dieser Art gerechtfertigt sein, den verletzten Gesellschafter mit der Klage abzuweisen, wenn er sich weigert, die Bilanzen der Gesellschaft vorzulegen und andere Beweise für die unfallbedingte Minderung des Gewinnanteils nicht zur Verfügung stehen.

12

Anders ist es, wenn der beim Unfall verletzte Gesellschafter für seine Mitarbeit vertraglich eine Tätigkeitsvergütung zu beanspruchen hat, die unabhängig von Gewinn und Verlust zu zahlen ist. Auf solche Bezüge hat der Bundesgerichtshof den Grundsatz erstreckt, daß der verletzte und arbeitsunfähig gewordene Arbeitnehmer den Schädiger auch dann auf Ersatz des Verdienstausfalls in Anspruch nehmen kann, wenn er von seinem Arbeitgeber den Lohn oder das Gehalt weitererhält (Urteil des BGH vom 5. Februar 1963 - VI ZR 33/62 - NJW 1963, 1051 [BGH 05.02.1963 - VI ZR 33/62] = VersR 1963, 369). Dem Schädiger, der den Unfallschaden zu tragen hat, sollen Leistungen des Arbeitgebers an den arbeitsunfähig gewordenen Arbeitnehmer nicht zugute kommen. Die gleiche Sachlage ergibt sich, wenn die Arbeitskraft des mitarbeitenden Komplementärs infolge eines Unfalls ausfällt und er gleich, wohl die ihm vertraglich zugesagte Arbeitsvergütung weitererhält. Bei diesen Leistungen handelt es sich um Bezüge, die außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnbeteiligung stehen. Sie werden erbracht, weil der Gesellschafter seine Arbeitskraft dem Unternehmen widmet. Damit stehen sie weitgehend der Vergütung gleich, wie sie bei Arbeits- und Dienstverhältnissen als Lohn oder Gehalt gezahlt wird. Das rechtfertigt es, die beiden Fallgruppen in gleicher Weise zu behandeln. Wird also dem mitarbeitende Gesellschafter während seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit die Arbeitsvergütung weitergewährt, so kann das dem Schädiger ebensowenig zugute kommen wie es bei einem in abhängiger Stellung befindlichen Arbeitnehmer der Fall ist, Insoweit kann daher der verletzte Gesellschafter einen Erwerbsschaden auch ohne Rückgang seines Gewinnanteils oder neben diesem geltend machen.

13

Hiernach wären die Beklagten auch ohne die Gesellschafterbeschlüsse vom 23. August und 25. September 1959, durch die die Arbeitsvergütung des Klägers zeitweise gestrichen und zeitweise gekürzt wurde, verpflichtet gewesen, den Erwerbsausfall für die Zeit zu ersetzen, während der Kläger infolge des Unfalls außerstande war, zu arbeiten. Sie sind durch diese Beschlüsse nicht benachteiligt worden und können daher nicht mit Erfolg einwenden, die Beschluß seien nur zu dem Zwecke gefaßt worden, dem Kläger in seinen Unfallprozeß den Beweis zu erleichtern. Wenn die Gesellschafter vereinbart haben, daß der Kläger wegen der Beeinträchtigung seiner Arbeitskraft nach dem Unfall zunächst keine und später eine verkürzte Arbeitsvergütung erhalten soll, so ist damit klargestellt, daß der Kläger selbst berechtigt ist, den Ersatzanspruch gegen die Beklagten geltend zu machen. Im übrigen sind Bedenken gegen die Streichung der Arbeitsvergütung umsoweniger zu erheben, wenn die Behauptung des Klägers zutrifft, daß die Gesellschaft ab 1. September 1959 für ihn eine Ersatzkraft eingestellt hat.

14

Ob die Gesellschafter den Gewinnverteilungsschlüssel geändert haben, wie die Beklagten vermuten, kann unentschieden bleiben, denn auch das könnte, wenn es zuträfe, den Beklagten nicht zugutekommen.

15

Soweit die Arbeitskraft des Klägers infolge des Unfalls völlig ausgefallen ist, spielt es keine Rolle, ob der Kläger vor dem Unfall vorwiegend als Parkettleger oder auf andere Weise für das Unternehmen gearbeitet hat, denn für diese Zeit kann er auf jeden Fall vollen Ersatz des Erwerbsausfalls beanspruchen., Insoweit kann es dem Kläger auch nicht zum Nachteil gereichen, daß er die Bilanzen nicht vorgelegt hat, denn deren Inhalt ist in diesem Punkte für die Entscheidung unerheblich.

16

Für die Zeit, in der der Kläger infolge des Unfalls nur vermindert arbeitsfähig war, ist für die Entscheidung über seinen Ersatzanspruch von Bedeutung, welche Arbeiten er vor den Unfall verrichtet hat. War er überwiegend als Parkettleger tätig, so Hegt es nahe, daß er bei dieser im Knien zu verrichtenden Arbeit durch die Unfallverletzung länger und stärker beeinträchtigt war, als es bei einem Gesellschafter der Fall ist, den es obliegt, die Kunden zu beraten und die kaufmännischen Angelegenheiten des Betriebes zu erledigen. Das Berufungsgericht hat den Sachverhalt in diesem Punkte nicht geklärt, vor allem die Beweise nicht gewürdigt, die hierzu erhoben worden sind. Die Klärung dieser Frage konnte nicht mit der Begründung unterbleiben daß der Kläger die Bilanzen nicht vorgelegt habe und deshalb anzunehmen sei, er habe keinen Erwerbsschaden erlitten Die Bilanzen geben unmittelbar keine Auskunft darüber, welche Arbeiten die Gesellschafter für das Unternehmen geleistet haben. Sie können allenfalls mittelbar als Beweisanzeichen dafür dienen, ob und in welchem Umfang sich der teilweise Ausfall eines Gesellschafters auf den Umsatz des Betriebes ausgewirkt hat. Daneben sind aber auch das sonstige Ergebnis der Verhandlung und der Beweisaufnahme zu berücksichtigen und die sonstigen Möglichkeiten der Sachaufklärung zu erschöpfen.

17

Hiernach kann das Berufungsurteil, soweit es dem Kläger Ersatz des Verdienstausfalls versagt, nicht bestehen bleiben Da weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich sind, war die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurück zuverweisen.

18

Das Berufungsgericht wird in der neuen Verhandlung in erster Linie zu klären haben, wie lange der Kläger auf Grund seiner Unfall Verletzung völlig arbeitsunfähig war. Für diese Zeit ist ihm der Verdienstausfall voll zu ersetzen.

19

Des weiteren wird festzustellen sein, ob und inwieweit der Kläger in der darauffolgenden Zeit wegen der Unfallverletzung gehindert war, für den Betrieb zu arbeiten. Dabei ist die Frage, ob insoweit ein Erwerbsschaden entstanden ist und wie hoch er sich beläuft, nach der freien Überzeugung des Tatrichters zu entscheiden und die Höhe des Schadens, gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe, nach § 287 ZPO zu schätzen. Als Unterlagen für diese Schätzung kommen neben dem schon vorliegenden Material die Anhörung des Klägers unter Zuziehung eines Sachverständigen aus der Parkettbranche in Betracht. Da auch allgemeine wirtschaftliche Erfahrungen bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind, könnte der Sachverständige u.a. Auskunft darüber geben, inwieweit in einem Zweimannbetrieb von der Art der Firma P.-St. & Söhne KG erfahrungsgemäß einer der Mitarbeiter durch den Besuch und die Beratung der Kunden sowie durch die kaufmännische Seite des Betriebes in Anspruch genommen ist und inwieweit sich der teilweise Ausfall eines Mitarbeiters in einem Unternehmen dieser Art nach allgemeiner Erfahrung auszuwirken pflegt. Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers hat sich der Umsatz damals erheblich erhöht (Schriftsatz vom 20. Oktober 1964, Bl. 244, Bd. II GA). Der Kläger wird im einzelnen darzulegen haben, wie diese Erhöhung des Umsatzes mit dem behaupteten teilweisen Ausfall seiner Arbeitskraft zu vereinbaren ist. Der allgemeine Hinweis, daß die Umsatzerhöhung auf den Fortschritt der Technik zurück zuführen sei, gibt keine ausreichende Erklärung.

Engels
Hanebeck
Dr. Bode
Meyer
Dr. Nüßgens