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Bundesgerichtshof
Urt. v. 22.02.1962, Az.: II ZR 119/61

Stützen einer erneuten Klage auf eine erst nach Schluss der Berufungsverhandlung des Vorprozesses entstandene und nicht mehr zu berücksichtigende Tatsache; Bewirkung einer Präklusion durch die Rechtskraft; Verhinderung einer neuen Klage durch eine auf sachlichen Gründen beruhende Klageabweisung über denselben Klagegegenstand bei Eintritt einer einen anderen selbstständigen Lebensvorgang schaffenden Tatsache

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
22.02.1962
Aktenzeichen
II ZR 119/61
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1962, 11797
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG München - 29.03.1961
LG München II

Fundstellen

  • DB 1962, 503-504 (Volltext mit amtl. LS)
  • JZ 1962, 542-543 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • MDR 1962, 376-377 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1962, 915-916 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZZP 1962, 253-256

Amtlicher Leitsatz

Sowohl die durch die Rechtskraft bewirkte wie eine von der Rechtskraft unabhängige Präklusionswirkung hindern nicht daran, die erneute Geltendmachung eines rechtskräftig abgewiesenen Anspruchs auf eine Tatsache zu stützen, die erst nach der Berufungsverhandlung des ersten Prozesses entstanden ist, aber schon vor diesem Zeitpunkt hätte, herbeigeführt werden können.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 1962
unter Mitwirkung
des Senatspräsidenten Dr. Nastelski und
der Bundesrichter Dr. Fischer, Dr. Kuhn, Liesecke und Dr. Reinicke
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das am 29. März 1961 verkündete Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt von den Beklagten als den Erben des Bankdirektors Robert S. auf Grund des § 34 GenG Zahlung von 41.265 DM. Dieser Anspruch war bereits Gegenstand des vom Senat durch Urteil vom 13. Juni 1960 - II ZR 73/58 - entschiedenen Rechtsstreits (WM 1960, 803 = NJW 1960, 1667). In dem Vorprozeß ist die Klage abgewiesen worden, weil die Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen die Erben eines Vorstandsmitglieds nach dem Statut der Klägerin von einem Generalversammlungsbeschluß abhängig ist und es hieran bis zum Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung fehlte. Während des damaligen Revisionsverfahrens, am 29. Mai 1960, hat die Generalversammlung der Klägerin beschlossen, die Prozeßführung zu genehmigen. Gestützt auf diesen Beschluß hat die Klägerin erneut Klage erhoben. Im vorliegenden Prozeß streiten die Parteien darüber, ob die Rechtskraft des Urteils vom 13. Juni 1960 ein sachliches Eingehen auf den erhobenen Anspruch ausschließt, ob der Generalversammlungsbeschluß vom 29. Mai 1960 bloß die damalige Prozeßführung genehmigt hat oder auch einen neuen Prozeß deckt, ob dieser Beschluß - die Beklagten haben ihn beim Landgericht München II unter 3 O 164/60 angefochten - wirksam ist und ob die von den Beklagten erhobene Verjährungseinrede durchgreift.

2

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil ihr die Rechtskraft des Senatsurteils des Vorprozesses entgegenstehe.

3

Das Berufungsgericht hat abgeändert und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

4

Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin um Zurückweisung der Revision gebeten hat.

Entscheidungsgründe

5

I.

Die Ausführungen der Revisionserwiderung haben dem Senat keinen Anlaß gegeben, davon abzugehen, daß eine Satzungsbestimmung, die die Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder von einem Generalversammlungsbeschluß abhängig macht, auch für die Regreßklage gegen die Erben eines Vorstandsmitglieds gilt. Nach erneuter Prüfung dieser Frage hat der Senat davon abgesehen, zu entscheiden, ob die Rechtskraft des Urteils vom 13. Juni 1960 diesen Punkt umfaßt.

6

II.

Es besteht Streit darüber, inwieweit Tatsachen, die in einem Prozeß hätten vorgebracht werden können, aber nicht vorgetragen worden sind, zur Begründung desselben Anspruchs in einem zweiten Prozeß geltend gemacht werden können (vgl. die Zusammenstellung bei Schwab, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß S. 158 ff) und ob die Ausschließung dieser Tatsachen nur aus der Rechtskraft oder, wie Rosenberg (SJZ 1950, 313; Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts § 150 III 2) und Habscheid (AcP 152, 169 ff) mit allerdings unterschiedlicher Begründung meinen, aus einer unabhängig von der Rechtskraft bestehenden, über die Rechtskraft hinausgehenden Präklusionswirkung hergeleitet werden kann. Der vorliegende Fall erfordert keine Entscheidung dieser Fragen in ihrer ganzen Breite. Denn es geht bloß darum, ob die erneute Klage auf eine Tatsache (den Generalversammlungsbeschluß vom 29. Mai 1960) gestützt werden kann, die erst nach Schluß der Berufungsverhandlung des Vorprozesses entstanden ist und nach § 561 ZPO nicht mehr berücksichtigt werden durfte.

7

Eine solche Tatsache unterliegt nicht der durch die Rechtskraft bewirkten Präklusion, da das Revisionsgericht lediglich darüber zu entscheiden hat, ob das angefochtene Urteil nach dem dem Berufungsgericht unterbreiteten Sachverhalt rechtlich einwandfrei ist oder nicht (RGZ 135, 347, 349; Stein/Jonas/Schönke/Pohle, ZPO § 322 VIII 3). Eine nach § 561 ZPO in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigungsfähige Tatsache kann auch von einer von der Rechtskraft unabhängigen Präklusionswirkung nicht erfaßt werden. Denn diejenigen Vorschriften, aus denen eine solche Wirkung hergeleitet wird (§§ 767, 616 ZPO, 17 MSchG), stellen auf den Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ab. § 561 ZPO selbst beschränkt den Tatsachenstoff bloß für das Revisionsverfahren und bestimmt nicht, daß Tatsachen, die erst nach Schluß der Berufungsverhandlung entstanden sind, nicht anderweit berücksichtigt werden dürfen.

8

Es kann sich daher nur darum handeln, ob der Generalversammlungsbeschluß vom 29. Mai 1960, wie die Revision weiter meint, deshalb nicht mehr berücksichtigt werden kann, weil er schon vor der Berufungsverhandlung des Vorprozesses hätte gefaßt werden können. Jedoch auch das ist zu verneinen. Es geht nicht um ein Gestaltungsrecht, das bereits vor dem letzten, für tatsächliches Vorbringen maßgebenden Zeitpunkt hätte ausgeübt werden können, aber erst nach diesem Zeitpunkt ausgeübt worden ist. Es geht auch nicht um die Erneuerung einer ungenügend substantiierten Klage. Im Vorprozeß ist gar nicht geprüft worden, ob es die Klägerin an der Darlegung der Anspruchsvoraussetzungen hat fehlen lassen. Die Klage ist vielmehr abgewiesen worden, weil die Klägerin eine Klagevoraussetzung, nämlich die nach ihrer Satzung für eine Regreßklage erforderliche Genehmigung der Generalversammlung, nicht bis zu dem dafür maßgebenden Zeitpunkt beigebracht hat. Das Berufungsgericht weist mit Recht darauf hin, daß nicht jedes Sachurteil die Erneuerung der Klage ausschließt. Als Beispiel führt es an, daß die rechtskräftige Abweisung einer Klage, die einen noch nicht fälligen Anspruch zum Gegenstand hatte, der Wiederholung der Klage nach Eintritt der Fälligkeit nicht entgegensteht. Es ist anerkannt, daß eine rechtskräftig gewordene, auf sachlichen Gründen beruhende Klagabweisung eine neue Klage über denselben Anspruch nicht hindert, wenn eine neue Tatsache eintritt, die einen anderen, selbständigen, von dem rechtskräftigen Urteil nicht erfaßten Lebensvorgang schafft (Stein/Jonas/Schönke/Pohle § 322 IX Abs. 2; Wieczorek § 322 C III c 2; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts § 150 I 3 b, III 2). Hiervon geht auch die Revision aus. Sie bestreitet nur, daß der Generalversammlungsbeschluß vom 29. Mai 1960 ein solches Ereignis darstelle. Ihr ist zuzugeben, daß es hier anders als bei einer Klage über einen zunächst noch nicht fälligen Anspruch liegt. Denn vor eingetretener Fälligkeit fehlt es an einer Anspruchsvoraussetzung und die verfrüht erhobene Klage ist als zur Zeit unbegründet abzuweisen, während es im hier vorauf gegangenen Rechtsstreit an einer sachlichen Klagevoraussetzung fehlte und deshalb die Klage schlechtweg abgewiesen werden mußte und abgewiesen worden ist. Aus dem gleichen Grunde vermag auch der Hinweis des Berufungsurteils nicht zu überzeugen, daß eine mangels Wirksamkeit der zunächst ausgesprochenen Kündigung abgewiesene Klage mit der Behauptung erneuert werden kann, die inzwischen wiederholte Kündigung sei wirksam. Denn auch in diesem Fall fehlt es an einer Anspruchs- und nicht an einer Klagevoraussetzung. Das Reichsgericht (JW 1936, 857) hat angenommen, daß die Rechtskraft eines Urteils, durch das die Scheidungsklage eines Ausländers ohne sachliches Fingehen auf die zur Begründung des Scheidungsbegehrens vorgebrachten Tatsachen abgewiesen worden ist, einer erneuten Scheidungsklage nicht im Wege steht, wenn der Kläger nach dem Schluß der Berufungsverhandlung des ersten Verfahrens die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat. Denn damit habe sich der Tatbestand geändert, der dem ersten Prozeß zugrunde gelegen habe. Auch dieser Fall deckt sich nicht mit dem vorliegenden. Aber der Unterschied zu den angeführten Beispielen rechtfertigt doch keine andere Entscheidung. Ohne daß sich an dem Ergebnis etwas ändert, kann man sich die gedachten Beispiele auch so denken, daß dasjenige Ereignis, das die zweite Klage gerechtfertigt hat, also die inzwischen überhaupt oder wirksam herbeigeführte Kündigung oder der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit, schon vor dem ersten Rechtsstreit oder wenigstens bis zum Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung herbeigeführt werden konnte. So liegt es auch hier. Wie bei den gewählten Beispielen knüpft sich an das neue Ereignis eine neue Rechtsfolge. Wie in RG JW 1936, 857 geht es um eine früher im ersten Verfahren nach § 561 ZPO nicht berücksichtigungsfähige, aber nachholbare Tatsache. Der Senat hat in seinem Urteil vom 13. Juni 1960 nur gesagt, daß die Klage nach der Satzung der Klägerin ohne einen sie zulassenden Beschluß der Generalversammlung sachlich unbegründet ist, nicht aber, daß die Mitglieder der Genossenschaft die Klageerhebung nicht mehr beschließen könnten oder daß der während des ersten Revisionsverfahrens gefaßte Beschluß vom 29. Mai 1960 für eine neue Klage untauglich sei. Das konnte auch gar nicht ausgesprochen werden, da dies auf eine Beschneidung der Mitgliederrechte durch ein gerichtliches Urteil und darauf hinauslaufen würde, daß der Vorstand die Genossenschaft durch Erhebung einer ungenehmigten Klage um die Möglichkeit eines von ihm gar nicht gewünschten, vielleicht aber durchaus berechtigten Regresses bringen und damit seinen Willen vor den der Mitgliederversammlung setzen könnte. Das Berufungsgericht hat darin recht, daß die nach der Satzung der Klägerin zu einer Regreßklage notwendige Entscheidung der Generalversammlung jederzeit erteilt werden kann und daß sich hieran nichts dadurch änderte, daß die Klägerin, ohne diese Voraussetzung zu erfüllen, bereits einen Prozeß angestrengt hat. Es könnte nicht anders entschieden werden, wenn das Satzungserfordernis erst nach Rechtskraft des Senatsurteils vom 13. Juni 1960 erfüllt worden wäre. Daß die Klägerin die Möglichkeit hatte, einen die Klage zulassen. Generalversammlungsbeschluß schon vor dem Vorprozeß oder bis zur Berufungsverhandlung des ersten Rechtsstreits herbeizuführen, ist unerheblich. Der Mangel des Vorprozesses war behebbar, die Nachholung der im ersten Verfahren fehlenden Klagevoraussetzung ist eine die Rechtslage ändernde neue Tatsache, die Klage war daher erneuerungsfähig.

9

III.

Da das Landgericht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Rechtskraft entschieden hat, konnte das Berufungsgericht die Sache ohne Eingehen auf die materielle Seite des Falles zurückverweisen, wenn es dies für sachdienlich hielt (§ 540 ZPO). Seine hierfür gegebene Begründung läßt keinen Ermessensmißbrauch erkennen. Die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht ist deshalb hinzunehmen.

10

Die Revision war daher ohne Erörterung der sachlichen Fragen zurückzuweisen.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Dr. Nastelski
Dr. Fischer
Dr. Kuhn
Liesecke
Dr. Reinicke