Bundesgerichtshof
Urt. v. 21.11.1961, Az.: 1 StR 444/61
Eignung der Abgabe von Schreckschüssen aus einer Gaspistole für den Begriff der Gewaltausübung; Maßgeblicher Zeitpunkt und Zweck der Gewaltausübung nach § 252 Strafgesetzbuch (StGB)
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 21.11.1961
- Aktenzeichen
- 1 StR 444/61
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1961, 11046
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Mannheim - 01.08.1961
Rechtsgrundlagen
Verfahrensgegenstand
Schwerer räuberischer Diebstahl u.a.
In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
in der Sitzung vom 21. November 1961,
an der teilgenommen haben:
Senatspräsident Dr. Geier als Vorsitzender,
Bundesrichter Dr. Seibert, Dr. Hübner, Fischer, Mai als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellter ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 1. August 1961 wird verworfen.
Er hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ihm wird die Untersuchungshaft in dieser Sache seit dem 2. August 1961, soweit sie drei Monate übersteigt, auf die Strafe angerechnet.
Gründe
Die Strafkammer hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Beamtenwiderstand zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Revision erhebt die allgemeine Sachrüge. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
Der Beschwerdeführer hatte beim Einbruch in ein Geschäftsgebäude einen Barbetrag und eine verschlossene Goldkassette erbeutet, als er gestört wurde, sich entdeckt sah und die Flucht ergriff. Den Geldbetrag hatte er eingesteckt; die Kassette ließ er ungeöffnet als ihm hinderlich zurück. Polizeibeamte, die das Gelände beobachteten, bemerkten seine Flucht in die Straßen der Stadt und setzten ihm nach. Auf einen von ihnen, der ihm auf den Fersen blieb, schoß der Angeklagte mit einer Gaspistole, um sich und die Diebesbeute in Sicherheit zu bringen. Er wurde jedoch gefaßt. Tatwerkzeuge und das entwendete Geld wurden ihm abgenommen.
In diesem Sachverhalt hat die Strafkammer mit Recht die Tatbestandsmerkmale der §§ 252, 250 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 sowie des § 113 StGB gefunden.
1.
Der Angeklagte wurde bei dem Einbruch auf frischer Tat betroffen. Seine rechtswidrige Anwesenheit in dem fremden Gebäude war schon während der Tat bemerkt worden (BGH LM Nr. 1 zu § 252 StGB; BGH NJW 1958, 1547 Nr. 16); er selbst wurde unmittelbar anschließend beim Verlassen des Tatorts entdeckt und alsbald verfolgt (BGHSt 9, 255). Er schoß auf den ihn verfolgenden Polizeibeamten und verübte dadurch gegen ihn Gewalt. Zwar hatte er die Gaspistole nur mit Gaspatronen geladen; auch gab er den Schuß aus einer Entfernung außerhalb des Wirkungsbereichs der Pistole ab. Das tat er aber in der Absicht, seinen Verfolger abzuschütteln. Er wollte deshalb in ihm den Eindruck hervorrufen, als schieße er mit scharfer Munition. Er erreichte auch den Zweck. Der Polizeibeamte sah das Mündungsfeuer, hörte den Schuß und schoß scharf zurück in der Meinung, selbst so angegriffen zu sein. Gewalt im Sinne des § 252 StGB verübt auch, wer ohne Anwendung besonderer körperlicher Kraft mit Hilfe technischer Mittel den Willen eines anderen durch körperlich wirkenden Zwang beugen will. Daher hat die Rechtsprechung die Abgabe von Schreckschüssen für den Begriff der Gewaltausübung genügen lassen (HGSt 60, 157 für § 240 StGB; RGSt 66, 353, 355 für § 252 StGB; BGHSt 1, 145, vgl. ferner BGHSt 6, 336, 340 [BGH 06.05.1954 - StE 207/52] und 8, 102, 103). Ferner genügt es für § 252 StGB, daß der Täter die Gewalt auf der Flucht gegen den Verfolger verübt; er braucht sie nicht schon während der Ausführung der Tat angewendet zu haben (BGHSt 3, 76, 78 [BGH 26.06.1952 - 5 StR 517/52]; BGH 1 StB 633/59 vom 12. Januar 1960). Ebensowenig hindert es die Anwendung der Vorschrift, wenn er nicht zu dem alleinigen Zweck Gewalt gebraucht, sich im Besitz des gestohlenen Guts zu erhalten, sondern daneben noch ein anderes Ziel verfolgt, etwa sich der Festnahme zu entziehen (BGHSt 13, 64). Mithin ist der Angeklagte gleich einem Räuber zu bestrafen.
2.
Mit Recht entnimmt das Landgericht die Strafe dem § 250 StGB.
a)
Der Angeklagte führte bei der Tat eine Waffe Gebrauchsbereit bei sich (BGH LM Nr. 5 zu § 250 StGB; BGHSt 3, 229, 232 [BGH 02.10.1952 - 5 StR 623/52] und 13, 259), die mit Gaspatronen geladene Gaspistole. Aus nächster Nähe abgefeuert, kann sie und soll sie dem Urteil zufolge den Gegner körperlich verletzen, nämlich in der Sehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Daher hat das Landgericht sie in diesem Falle zutreffend als eine Waffe im technischen Sinne angesehen (BGHSt 4, 125; vgl. BGH 1 StB 380/55 vom 8. November 1955) und, da der Angeklagte sie selbst geladen hatte, also ihre Gebrauchsbereitschaft kannte, mit Recht § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegen ihn angewendet. Zutreffend erachtet es für rechtlich unerheblich daß er später die Gaspistole nicht bestimmungsmäßig verwendete, sondern sich nur ihre Ähnlichkeit mit einer echten Schußwaffe zunutze machte. Der Wille, eine solche Waffe zu gebrauchen, gehört nicht zum Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB (BGH LM Nr. 5 zu § 250 StGB; BGH 1 StR 214/58 vom 10. Juni 1958). Der Beschwerdeführer erfüllte den Tatbestand dieser Vorschrift aber auch deshalb, weil die Gaspistole, wollte man sie nicht eigentlich als Waffe ansehen, nach der Art ihrer Wirkung bei bestimmungsmäßigem Gebrauch im Nahkampf den Gegner körperlich zu verletzen geeignet ist, der Angeklagte sich auch der Möglichkeit bewußt war, sie in dieser Weise als Waffe zu benutzen (BGHSt 3, 229, 233 [BGH 02.10.1952 - 5 StR 623/52] und 13, 259, 260); denn nach den Feststellungen fühlte er sich bei Ausführung der Tat im Besitz der geladenen Gaspistole sicher.
b)
Auch den § 250 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat die Strafkammer zutreffend angewendet. Der Angeklagte beging zwar nicht den Diebstahl, verübte aber die Gewalt gegen seinen Verfolger auf öffentlicher Straße. Das genügt für jene Vorschrift (BGH LM Nr. 10 zu § 250 StGB; BGHSt 14, 383, 386) [BGH 01.07.1960 - 5 StR 201/60].
3.
Der Angeklagte erkannte in seinen Verfolgern Polizeibeamte. Demnach fällt sein Verhalten auch unter § 113 StGB, wie das Landgericht zutreffend entschieden hat.
Nach alledem ist die Revision zu verwerfen.
Seibert
Hübner
Fischer
Mai