Bundesgerichtshof
Urt. v. 21.02.1961, Az.: 1 StR 624/60
Schuldlose "Beteiligung" an einer Schlägerei; Sinn und Zweck des § 227 Strafgesetzbuch (StGB); Begriff der Schlägerei
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 21.02.1961
- Aktenzeichen
- 1 StR 624/60
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1961, 12119
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHSt 15, 369 - 372
- JZ 1961, 506 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1961, 521 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1961, 839-840 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Körperverletzung mit Todesfolge
Amtlicher Leitsatz
Der Begriff der Schlägerei setzt die Beteiligung von mindestens drei Personen voraus; beteiligt ist nicht, wer in Notwehr bloße Schutzwehr übt. Dagegen gehört zu den Beteiligten, wer zwar in Notwehr handelt und deswegen selbst straflos bleibt, aber in Trutzwehr anderen Körperverletzungen zufügt.
An einer Schlägerei nimmt auch teil, wer einen anderen gewaltsam daran hindert, einen mit gegenseitigen Körperverletzungen verbundenen Streit zu schlichten oder einem Angegriffenen zu Hilfe zu kommen.
In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
in der Sitzung vom 21. Februar 1961,
an der teilgenommen haben:
Senatspräsident Dr. Geier als Vorsitzender,
Bundesrichter Dr. Seibert Bundesrichter Dr. Willms Bundesrichter Dr. Hübner Bundesrichter Fischer als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellter ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Memmingen vom 18. Oktober 1960 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Raufhandel verurteilt. Seine Revision, mit der er die Sachbeschwerde erhebt, bleibt ohne Erfolg.
1)
Offensichtlich unbegründet ist die Revision, soweit sie die Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226 StGB) angreift. Das Landgericht hat - entgegen der Darstellung der Revision - die Voraussetzungen des § 56 StGB geprüft und mit zutreffender Begründung dargelegt, daß der Angeklagte den Tod Josef Stockers fahrlässig herbeigeführt hat.
2)
Auch die Verurteilung wegen Raufhandels ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Angeklagte war schuldhaft an einer Schlägerei beteiligt, durch die der Tod eines Menschen verursacht wurde.
Schlägerei ist Streit mit gegenseitigen Körperverletzungen zwischen mindestens drei Personen. Bei der Auseinandersetzung zwischen Sk. und Albert St. kam es zu gegenseitigen Körperverletzungen; sie wurde daher zur Schlägerei im Sinne des § 227 StGB, als der Angeklagte eingriff. Dabei bleibt ohne rechtliche Bedeutung, daß Albert St. in Notwehr handelte, und daß der Angeklagte nicht einen der beiden bisher Streitenden angriff, sondern Josef St., der den Streit zwischen seinem Sohn Albert und Sk. schlichten oder seinem Sohn zu Hilfe kommen wollte.
a)
Das Tatbestandsmerkmal der Schlägerei ist immer schon dann zu bejahen, wenn an einer mit gegenseitigen Körperverletzungen verbundenen Auseinandersetzung mehr als zwei Personen mitwirken; ob sie durch eigenes Verschulden in den Streit verwickelt wurden, ist dabei ohne Bedeutung. Das folgt aus dem Grundgedanken des § 227 StGB ebenso wie aus dem Wortlaut dieser Bestimmung.
Bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen mehr als zwei Personen läßt sich in der Regel nur schwer ermitteln, wer einen bestimmten Verletzungserfolg verursacht und ob er dabei rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Der Gefahr, daß deshalb schwerwiegendes Unrecht ungesühnt bleiben müßte, begegnet die Vorschrift des § 227 StGB, indem sie schon die Beteiligung an einer tätlichen Auseinandersetzung als solche mit Strafe bedroht, wenn mehr als zwei Personen in den Streit verwickelt sind. Dem Grundgedanken dieser Bestimmung zuwiderlaufen würde es daher, wenn man für die Frage, ob es sich bei einer tätlichen Auseinandersetzung um eine Schlägerei im Sinne des § 227 StGB handelt, darauf abheben wollte, ob mindestens drei der mitwirkenden Personen schuldhaft in sie hineingezogen wurden.
Das Reichsgericht hat in einer Entscheidung (RGSt 9, 370, 380) die Wendung gebraucht, Beteiligung an einer Schlägerei umfasse jeden, nicht ohne sein Verschulden in eine Schlägerei Mitverwickelten. Das ist mißverständlich. Die Erläuterung des Reichsgerichts trifft nicht auf die Beteiligung als solche, sondern auf die nach § 227 StGBstrafbare Beteiligung an einer Schlägerei zu. Daß das Verschulden der einzelnen in den Streit verwickelten Personen nur für ihre strafrechtliche Haftung, nicht aber für die Auslegung des Begriffs der Beteiligung an einer Schlägerei erheblich sein kann, folgt klar aus den, Wortlaut des Gesetzes. Danach ist nämlich jeder zu bestrafen; der sich an einer Schlägerei beteiligt hat, falls er nicht ohne sein Verschulden hineingezogen wurde. Das Gesetz unterscheidet also zwischen der schuldlosen und der schuldhaften Beteiligung; es läßt den schuldlos Beteiligten zwar straffrei, doch kann wegen seiner Beteiligung eine tätliche Auseinandersetzung eine Schlägerei im Sinne des § 227 StGB sein.
Es ist demnach ohne rechtliche Bedeutung, daß Albert Stocker weder rechtswidrig noch schuldhaft handelte. Im Schrifttum ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß sich an einer Schlägerei nicht beteilige, wer nur Gegenstand eines Angriffs sei (u.a. Olshausen, 12. Aufl. § 227 Anm. 7; Schönke/Schröder, 9. Aufl. § 227 Anm. III 1; LK 8. Aufl. § 227 Anm. II 2 a). Damit ist jedoch nicht gemeint, daß jeder, der angegriffen wird und sich in einer Notwehrlage befindet, deshalb nicht als Beteiligter im Sinne des § 227 StGB anzusehen sei. Vielmehr gilt dies nur - wie Frank (18. Aufl. § 227 Anm. I) zutreffend ausführt - für den Angegriffenen, der sich auf bloße Schutzwehr beschränkt. Wer z.B. nur die Arme oder einen Gegenstand schützend vor sich hält, um Angriffe abzuwehren, ist an der Schlägerei nicht beteiligt. Dagegen ist Beteiligter, wer - wie hier Albert Stocker - zur Abwehr eines Angriffes gegen den Angreifer vorgeht und diesem Körperverletzungen zufügt.
Zwar hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einer Entscheidung vom 22. September 1959 - 5 StR 289/59 - (Goltd.Arch. 1960, 213) bei der Aufzählung der an einer Schlägerei Beteiligten den Angegriffenen nicht miterwäbnt. Doch steht die Entscheidung der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht entgegen; denn aus ihr geht nicht hervor, daß der Angegriffene über eine bloße Schutzwehr hinausgegangen war. Überdies war es dort ohne Bedeutung, ob der Angegriffene als Beteiligter angesehen wurde, da drei andere Personen an der Schlägerei beteiligt waren.
b)
Dritter Beteiligter an der Auseinandersetzung - die damit zur Schlägerei im Sinne des § 227 StGB wurde - war der Angeklagte. Er hat sich zwar nicht gegen einen der beiden bereits Streitenden selbst gewandt, sondern gegen Josef St., der den Streit schlichten oder seinem Sohne zu Hilfe kommen wollte. Da es aber sein Ziel war, das berechtigte Eingreifen Josef St.s zu verhindern, stand sein Angriff gegen diesen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Streit zwischen Albert St. und Sk. er sollte zumindest den Fortgang dieses Streites fordern. Damit hat sich der Angeklagte an der Auseinandersetzung zwischen Sk. und Albert St. beteiligt (vgl. RG JW 1932 S. 948, 949).
c)
Die Ausführungen des Schwurgerichts zur Schuld des Angeklagten bei der Beteiligung am Baufhandel sind frei von Rechtsfehlern und bedürfen keiner Ergänzung.
Zutreffend ist schließlich auch die Annahme, daß der Baufhandel in Tateinheit mit der vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge steht.
Seibert
Willms
Hübner
Fischer