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Bundesgerichtshof
Urt. v. 15.03.1960, Az.: VI ZR 28/59

Rechtsmittel

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
15.03.1960
Aktenzeichen
VI ZR 28/59
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1960, 14054
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
KG Berlin-Charlottenburg - 09.12.1958

In dem Rechtsstreit
hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 1960
unter Mitwirkung
des Senatspräsidenten Dr. Engels und
der Bundesrichter Dr. Kleinewefers, Dr. Karl, E. Meyer, Hanebeck und Dr. Hauß
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin-Charlottenburg vom 9. Dezember 1958 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision werden dem Beklagten auferlegt.

Tatbestand

1

In der Silvesternacht 1954/1955 gegen 1.55 Uhr wurde der Arbeiter Günter C. in B. auf dem Co.-D. von dem Beklagten mit der von ihm geführten Kraftdroschke angefahren und tödlich verletzt. Es wurde festgestellt, daß der Verunglückte eine Blutalkoholkonzentration von 2,59 Promille hatte. Ein gegen den Beklagten eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde am 21. Januar 1955 von der Staatsanwaltschaft eingestellt, am 31. August 1955 jedoch mit dem Ergebnis wieder aufgenommen, daß der Beklagte am 17. November 1955 durch das Schöffengericht Tiergarten in Berlin wegen fahrlässiger Tötung anstelle einer an sich verwirkten Gefängnisstrafe von 80 Tagen zu einer Geldstrafe von 400 DM verurteilt wurde.

2

Der Kläger hat der Witwe und den beiden Kindern des Verunglückten öffentliche Fürsorge gewährt und deren Ansprüche gegen den Beklagten auf Ersatz von Unterhaltsschaden gemäß § 21 a FürsPflVO durch Anzeige vom 2. November 1957 an den Beklagten auf sich übergleitet.

3

Mit der am 26. April 1958 bei Gericht eingereichten und am 6. Mai 1958 zugestellten Klage hat der Kläger den Beklagten auf Ersatz der vom 21. Januar 1955 bis 9. März 1958 gewährten Fürsorgeleistungen im Gesamtbetrage von 5.144,18 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. April 1958 in Anspruch genommen und festzustellen beantragt, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm auch alle künftigen Fürsorgeleistungen zu ersetzen, die er auf Grund des Unfalltodes des Arbeiters Günter C. nach Maßgabe der Fürsorgevorschriften zu erbringen hat.

4

Der Beklagte hat eingewendet, C. habe seinen Unfall selbst verschuldet, und die Einrede der Verjährung erhoben.

5

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

6

Das Berufungsgericht hat die Schadenshaftung des Beklagten für zwei Drittel der Unfallschäden für begründet gehalten. Demzufolge hat es dem Kläger 3.429,46 DM nebst Zinsen zuerkannt und den weitergehenden Zahlungsanspruch dem Grunde nach zu zwei Dritteln für gerecht fertigt erklärt. Mit der gleichen Beschränkung hat es dem Feststellungsbegehren entsprochen.

7

Die Revision des Beklagten, um deren Zurückweisung der Kläger bittet, erstrebt die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

8

1.

Wie das Berufungsgericht den eigenen Angaben des Beklagten bei seiner polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren entnimmt, hat der Beklagte bei der Fahrt über den unstreitig etwa 15 m breiten Co.-D. den verunglückten C. auf der Fahrbahn im Lichte seiner Scheinwerfer auf 20 m Entfernung wahrgenommen und gesehen, daß er hin und hertorkelte. Er hat versucht, ihm links auszuweichen. C. hat jedoch plötzlich einen Satz nach vorn gemacht und ist auf der Mitte der Fahrbahn von der rechten Seite des Kraftwagens erfaßt worden. Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, in der Silvesternacht habe der Beklagte mit betrunkenen Personen rechnen und seine Fahrgeschwindigkeit so einrichten müssen, daß er, selbst wenn er nicht in der Lage gewesen sein sollte, den Fußgänger in einer noch größeren Entfernung als 20 m zu erkennen, immer noch rechtzeitig habe abstoppen und den Fußgänger vorbeilassen können. Er habe damit rechnen müssen, daß der betrunkene Fußgänger unbedacht weitergehen werde, und er habe unter keinen Umständen noch vor ihm vorbeifahren dürfen. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß sich der Beklagte grob verkehrswidrig verhalten hat und ihm grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Auch dem Verunglückten hat es ein Verschulden an seinem Unfall beigemessen, weil er sich bei seinem Blutalkoholgehalt von 2,59 Promille offenbar nicht mehr sicher im Verkehr habe bewegen können und unachtsam über den Fahrdamm gegangen sei. Doch ist das Berufungsgericht zu der Auffassung gelangt, daß Verursachung und Verschulden auf Seiten des Beklagten überwiegen. Es hat hiernach den Beklagten für verpflichtet erachtet, zwei Drittel der den Hinterbliebenen des C. entstandenen Schäden zu tragen und dem Kläger seine Fürsorgeleistungen für die Hinterbliebenen nach der Überleitung ihrer Ansprüche in diesem Rahmen zu ersetzen.

9

Diese Beurteilung läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Revision zieht nicht in Zweifel, daß beide Teile den Unfall schuldhaft verursacht haben. Sie erhebt nur Einwendungen gegen die Schadensverteilung. Diese sind jedoch unbegründet. Es ist weder ersichtlich, daß das Berufungsgericht die Grundsätze der Schadensabwägung nach § 254 BGB verkannt, noch daß es unter Verstoß gegen § 286 ZPO wesentliche, für die Schadensabwägung in Betracht kommende Umstände außer acht gelassen hat. Wenn das Berufungsgericht nicht ausdrücklich hervorgehoben hat, daß der Verunglückte den Co.-D., eine viel befahrene Straße, außerhalb des Bereichs einer Straßeneinmündung oder -kreuzung oder einer Haltestelle für öffentliche Verkehrsmittel überquert hat, so spricht doch nichts dafür, daß es dies übersehen hätte. Diese Besonderheit ergab sich aus der Verkehrsunfallskizze bei den Ermittlungsakten, auf die das Berufungsgericht in seiner Urteilsbegründung verwiesen hat. Irrig ist die Auffassung der Revision, daß dem Beklagten der sogenannte Vertrauensgrundsatz zugute komme. Da sich der Verunglückte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hin- und hertorkelnd auf der Fahrbahn des Co.-D. bewegte, als ihn der Beklagte auf 20 m Entfernung im Lichte Deiner Scheinwerfer wahrnahm, war für das Vertrauen auf ein sachgemässes, verkehrsgerechtes Verhalten des Fußgängers kein Baum. Mit Recht ist das Berufungsgericht vielmehr der Ansicht, daß sich der Beklagte auf ein unbedachtes Weitergehen des Fußgängers gefaßt machen mußte und nicht versuchen durfte, links vor ihm vorbeizufahren. War er außerstande, seine Kraftdroschke noch vor dem Fußgänger anzuhalten, so traf ihn der Vorwurf, seine Fahrgeschwindigkeit nicht so eingerichtet zu haben, wie es § 9 StVO von ihm forderte. Er durfte insbesondere keine größere Fahrgeschwindigkeit einhalten, als daß er sein Fahrzeug innerhalb seiner Sichtweite anzuhalten vermochte. Es enthält keinen Rechtsirrtum, wenn das Berufungsgericht in vorwiegend tatrichterlicher Würdigung der gegeben Verhältnisse der Ansicht ist, der Beklagte habe sich umso mehr zu sorgfältiger Fahr weise veranlaßt sehen müssen, als in jener Silvestarnachtmit betrunkenen Personen auf der Straße habe gerechnet werden müssen. Danach kann es auch nicht beanstandet werden, daß das Berufungsgericht das Verhalten des Beklagten als grob fahrlässig angesehen hat; auch die Revision vertritt nicht etwa die Auffassung, daß der Begriff der groben Fahrlässigkeit vom Berufungsgericht verkannt worden sei. Dem schuldhaft verkehrswidrigen Verhalten des Verunglückten hat das Berufungsgericht Rechnung getragen. Die Schadensabwägung des Berufungsgerichts beruht hiernach auf rechtsfehlerfreier Grundlage. Daß es bei der Schadensverteilung dem Beklagten zwei Drittel der schaden auferlegt hat, stand in dem ihm als Tatrichter vorbehaltenen und im Revisionsverfahren nicht nachprüfbaren Ermessen.

10

2.

Das Berufungsgericht hat die Einrede der Verjährung für unbegründet gehalten.

11

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß es für den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist des § 852 BGB darauf ankommt, wann die Witwe C. die nach dieser Bestimmung maßgebliche Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat. Als Rechtsnachfolger muß sich der Kläger nach §§ 404, 412 BGB die Einwendungen, die gegen die übergeleiteten Schadensersatzansprüche der Witwe und ihrer durch sie vertretenen Kinder im Zeitpunkt des Rechtsübergangs begründet waren, entgegenhalten lassen, darum auch eine mit der Kenntnis der Witwe C. in Gang gebrachte Verjährung der Ansprache. Eine eigene Kenntnis des Klägers würde erst vom Augenblick des Rechtsübergangs an den Verjährungsbeginn haben auslösen können.

12

Das Berufungsgericht hat eine Kenntnis im Sinne des § 852 BGB bei der Witwe C. nicht schon vor dem 31. August 1955 für gegeben gehalten. Nachdem sie mit Schreiben vom 17. August 1955 die Staatsanwaltschaft um Nachricht über den Ausgang des nach dem Unfalltode ihres Ehemanns eingeleiteten Verfahrens gebeten hatte, ist ihr mit Antwortschreiben vom 31. August 1955 mitgeteilt worden, daß die Ermittlungen wieder aufgenommen worden seien. Bei der Fürsorgebehörde hat sie allerdings am 7. März 1958 nach einem zu den Fürsorgeakten aufgenommenen Vermerk angegeben, Mitte Januar 1955 habe man ihr bei der Polizei gesagt, beide Beteiligte seien schuld am Unfall und sie könne keine Schadenersatzansprüche geltend machen. Das Borufungsgericht ist aber der Ansicht, daß eine Kenntnis, im Sinne des § 852 BGB frühestens auf Grund der Nachricht vom 31. August 1955 angenommen werden könne.

13

Hierin tritt kein Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten zutage.

14

Die Kenntnis der Person des Ersatzpflichtigen setzt voraus, daß der Geschädigte auf Grund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Schadenersatzklage mit einigermaßen sicherer Aussicht auf Erfolg erheben kann, (Urteil des erkennenden Senats vom 13. Juni 1956 - VI ZR 44/55 VersR 1956, 507 mit weiteren Nachweisen). Erforderlich ist die Kenntnis der die Schadensersatzpflicht begründenden Tatsachen (BGHZ 6, 195, 202) [BGH 27.05.1952 - III ZR 128/51], mag sie auch nicht alle Einzelheiten der schädigenden Tat zu umfassen, sondern nur so weit zu gehen brauchen, daß der Geschädigte in der Lage ist, eine Schadensersatzklage erfolgversprechend zu begründen (RG JW 1909, 724; Urteil des Senats vom 13. Juni 1956 a.a.O.). Nun hat die Witwe C. zwar unstreitig am 3. Januar 1955 von dem tödlichen Verkehrsunfall ihres Mannes erfahren. Wußte sie auch noch nicht, wer der beteiligte Kraftfahrer war, so konnte sie, wie das Berufungsgericht irrtumsfrei angenommen hat, dessen Namen und Anschrift doch unschwer in Erfahrung bringen. Damit war aber nicht schon die Kenntnis vorhanden, die zur Begründung der hier in Rede stehenden Schadensersatzklage hätte ausreichen können. Wohl hätten Ansprüche auf Grund des Straßenverkehrsgesetzes mit Aussicht auf Erfolg klageweise geltend gemacht werden können; derartige Ansprüche finden ihre Grundlage bereits darin, daß sich der Schadensfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs ereignet hat. Hier geht es aber um Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, die eine schuldhafte Unfallverursachung durch den Anspruchsgegner voraussetzen. Für eine erfolgversprechende Geltendmachung dieser Ansprüche war es unerläßlich, daß die Witwe C. Tatsachen darlegte, aus denen sich ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten als Ursache des Unfalls ergab. Darum konnte auch die Verjährung erst in dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, in dem der Witwe C. Tatsachen bekannt wurden, die darauf hinwiesen, daß sich der Beklagte schuldhaft verhalten und hierdurch den Tod ihres Mannes verursacht hatte. Die bloße Kenntnis davon, daß ein Verkehrsunfall zu seinem Tode geführt hatte, konnte hierfür nicht genügen. Daß ein Fußgänger auf Grund eines Verkehrsunfalls zu Tode kommt, an dem ein Kraftfahrzeug beteiligt ist, besagt noch nichts für ein Verschulden des Fahrzeugführers. Was der Witwe C. nach ihren Angaben bei der Fürsorgebehörde nach dem Unfall von der Polizei gesagt worden ist, vermittelte ihr noch keine Kenntnis von einschlägigen Tatsachen; nach dem Inhalt des unstreitigen Vermerks vom 7. März 1958 hat man ihr ohne Bekanntgabe der näheren Umstände des Unfalls lediglich die Auffassung mitgeteilt, die die Polizei zur Schuldfrage hatte, noch dazu mit dem Hinzufügen, daß Schadensersatzansprüche von ihr nicht geltend gemacht werden könnten. Allein mit dem Hinweis auf die Auffassung der Polizei war eine Schadensersatzklage nicht zu begründen. Nach dem Inhalt ihrer Anfrage bei der Staatsanwaltschaft vom 17. August 1955 hat die Witwe C. selbst bis zu diesem Tage noch von keiner Seite Mitteilung über die Ursachen des Unglücks erhalten. Es wäre Sache des Beklagten gewesen, die Voraussetzungen der von ihm erhobenen Verjährungseinrede darzulegen. Über eine Kenntnis der Witwe C. von irgend welchen Unfalltatsachen, aus denen auf ein Verschulden des Beklagten am Tode ihres Mannes hätte geschlossen werden können, hat der Beklagte aber nichts weiter vorgetragen.

15

Danach hat das Berufungsgericht mit Recht angenommen, daß zumindest vor dem 3. August 1955 die Verjährungsfrist noch nicht in Lauf gekommen ist. Sie war daher auch noch nicht verstrichen, als die vorliegende Klage eingereicht wurde.

16

Die Revision ist hiernach unbegründet.

17

Nach § 97 ZPO hat der Beklagte die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Engels
Dr. Kleinewefers
Bundesrichter
Dr. Karl E. Meyer ist beurlaubt und ortsabwesend.
Engels
Hanebeck
Dr. HauB